Die Corona-Zahlen gehen bundesweit zurück, in vielen Bundesländern entspannt sich die Lage leicht. Warum der Rückgang wohl echt ist und warum die Aussichten gut stehen, dass sich bald noch deutlich weniger Menschen neu infizieren: meine wöchentliche Analyse.
VERGANGENEN DIENSTAG fragte ich, ob eine Trendwende bevorstehe. Die vierte Corona-Welle war deutlich am Abflachen, seit Mitte November hatten sich die wöchentlichen Wachstumsraten bei den gemeldeten Neuinfektionen zweimal halbiert. Diese Woche kann man sagen: Ja, die Trendwende ist da. Und die Entwicklung ist so klar, dass man sie nicht überwiegend mit ausgereizten Testkapazitäten erklären kann. Sie ist sogar so eindeutig, dass sich der weitere Verlauf extrapolieren lässt. Drei Trends und eine Prognose.
Trend 1: Die Inzidenz sinkt bundesweit und in zehn von 16 Bundesländern
Heute Morgen meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) für Deutschland eine 7-Tages-Inzidenz von 432,2. Das sind 20 Inzidenz-Punkte bzw. 4,4 Prozent weniger als am vergangenen Dienstag. Das stärkste Minus gab es mit -15,8 Prozent in Bayern (absolute Inzidenz jetzt 520,6), dessen strikte Anti-Corona-Maßnahmen sich trotz geöffneter Kitas und Schulen als sehr erfolgreich herausstellen. Auch das extrem gebeutelte Sachsen macht endlich Boden gut. Nachdem es vergangenen Dienstag noch um fast 31 Prozent aufwärts ging, drückte der Freistaat die Inzidenz in den vergangenen sieben Tagen um 14,7 Prozent – auf allerdings immer noch atemberaubende 1.082,1. Und noch ein ostdeutsches Bundesland sendet Hoffnungssignale: Brandenburg, mit einem Rückgang um 12,5 Prozent auf 636,6. Eine deutliche Abwärtsdynamik melden Berlin (-9,5 Prozent auf 336,8), Niedersachsen (-9,1 Prozent auf 196,0) und das Saarland (-9,0 Prozent auf 401,5). Schwächere Rückgänge gab es in Nordrhein-Westfalen (-4,0 Prozent auf 297,0), Schleswig-Holstein (-2,1 Prozent auf 146,9), Bremen (-1,8 Prozent auf 215,5) und Hessen (-1,0 Prozent auf 270,1).
Fast unverändert: Baden-Württemberg (+1,0 Prozent auf 516,7), geringe Anstiege in Hamburg (+2,1 Prozent auf 217,9) und Rheinland-Pfalz (+2,9 Prozent auf 318,5). In drei ostdeutschen Bundesländern geht es weiter kräftig hoch: in Mecklenburg-Vorpommern um 9,7 Prozent auf 441,0. Thüringen überschreitet mit einem Plus von 9,2 Prozent nun auch die 1000er-Marke, erreicht eine Inzidenz von 1023,1 und könnte schon in den nächsten Tagen Platz 1 im Corona-Ranking vom Nachbar Sachsen übernehmen. Die mit Abstand stärkste Pandemie-Dynamik hatte aber in der vergangenen Woche Sachsen-Anhalt, das um 26,6 Prozent auf 907,7 zulegte.
Die Entwicklung läuft also gerade im Osten auseinander. Zwei ostdeutsche Länder haben mit die höchsten Rückgänge, die drei übrigen die stärksten Anstiege. Im Rest der Republik, lässt man Bayern außen vor, verläuft die Kurve recht einheitlich, die Wachstumsraten liegen in einem engen Band zwischen -9,5 und +2,9 Prozent. Da es sich bei diesen Ländern fast ausschließlich um solche mit unterdurchschnittlichen Inzidenzen handelt, ist die Vermutung, für den überwiegenden Rückgang seien die ausgereizten Testkapazitäten verantwortlich, nicht plausibel. Dafür spricht auch, dass die bundesweite Positivrate bei den Coronatests – allerdings nur leicht – gefallen ist.
Trend 2: Zahl der Schwererkrankten steigt kaum noch
Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) meldete gestern 4.824 Patienten, die mit einer Corona-Infektion auf deutschen Intensivstationen behandelt werden. Das waren 4,9 Prozent mehr als am vergangenen Montag (4.599). Da die Entwicklung auf den Intensivstationen der Entwicklung der Inzidenzen, vor allem derjenigen der über-30-Jährigen, einige Tage hinterherläuft, ist davon auszugehen, dass die Zahl der Intensivpatienten in den kommenden Tagen ebenfalls ins Minus dreht. Und zwar sogar verhältnismäßig kräftig um bis zu zehn Prozent im Wochenvergleich bis nächsten Montag.
Der Grund: In der vergangenen Kalenderwoche 48, die am Sonntag endete, sank die Zahl der registrierten Neuinfektionen bei über 80-Jährigen nach vorläufigen Zahlen stark überdurchschnittlich. Die RKI-Statistik für die vergangene Kalenderwoche ist noch nicht vollständig, weswegen sie ein zu hohes gesamtgesellschaftliches Minus von 8,7 Prozent zur Vorwoche ausweist. Das aufgrund von Nachmeldungen noch deutlich weniger werden wird. Doch entscheidend ist: Für die über 80-Jährigen stehen derzeit -16,9 Prozent zu Buche, für die 60- bis 79-Jährigen 11,6 Prozent. Das ist eine extrem gute Nachricht, nachdem die vierte Welle in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen erneut vor allem von den Älteren getrieben wurde. Offenbar wirkt hier eine Mischung aus der jüngsten Booster-Offensive, den ergriffenen Anti-Corona-Maßnahmen und einem stärkeren Risikobewusstsein in der Altersgruppe.
Das ist auch dringend nötig. In Kalenderwoche 47 – jüngere Daten hat das RKI noch nicht – waren 67,3 Prozent aller ins Krankenhaus eingewiesenen Corona-Patienten älter als 60. Vier Wochen vorher waren es nur 61,9 Prozent, acht Wochen vorher 48,7 Prozent. Die absoluten Hospitalisierungszahlen des RKI sind noch nicht belastbar, sie dürften aber über dem Vorjahr liegen (damals gab es Ende November 8.401 Neueinweisungen pro Woche; 71,1 Prozent der Patienten waren über 60).
Trend 3: Inzidenzen der Schüler sinken im Schnitt der Bevölkerung
Schaut man sich die Corona-Entwicklung bei den Schülern an, stellt man fest: keine großen Unterschiede zum Rest der Bevölkerung. Am größten war der Abstand noch bei den 5- bis 9-Jährigen, die in der vergangenen Kalenderwoche auf einen vorläufigen Rückgang von 5,7 Prozent kamen – gegenüber 8,7 Prozent in der Gesamtgesellschaft. Das Minus bei den 10- bis 14-Jährigen ist mit 9,6 Prozent derzeit sogar leicht überdurchschnittlich, die 15- bis 19-Jährigen liegen mit -8,4 Prozent ziemlich genau im Trend. Das spricht nicht dagegen, dass es lokal andere Dynamiken gibt, aber für jede Schule, an der sich die Lage weiter zuspitzt, gibt es woanders mindestens eine oder zwei, wo es besser wird.
Besser wird es – relativ gesehen – auch in den Krankenhäusern. Dass die Zahl der Hospitalisierungen von 5- bis 14-Jährigen zwischen Kalenderwoche 46 und 47 um 56 neue Patienten auf 116 fiel, sagt nichts, da die RKI-Zahlen absolut wie gesagt noch nicht belastbar sind. Allerdings ging auch der Anteil der Kinder und Jugendlichen an allen gemeldeten Krankenhauseinweisungen nach einem Zwischenhoch von 2,08 auf 1,86 Prozent kräftig zurück. Mit anderen Worten: Auf ein Kind mit nachgewiesener Corona-Infektiom zwischen 5 und 14 im Krankenhaus kommen im Moment 20 Corona-Patienten zwischen 60 und 79 – obwohl bei den Senioren eine Impfquote von fast 90 Prozent besteht.
Weniger positiv ist die Entwicklung bei den (Kita-)Kindern zwischen 0 und 4. Hier gab es in der vergangenen Woche maximal eine Stagnation bei den gemeldeten Neuinfektionen (-0,6 Prozent laut der noch vorläufigen RKI-Statistik), ihr Anteil an allen Krankenhauseinweisungen stieg auch in Kalenderwoche 47 weiter und erreicht nun 1,8 Prozent. Allerdings ist unklar, inwieweit hier eine Covid-19-Infektion ursächlich für die Hospitalisierung war oder, wie in vielen Fällen, vom Krankenhaus im Rahmen von Routinetests festgestellt wurde.
4. Und jetzt? Eine Prognose
Es ist immer gefährlich, laufende Entwicklungen in die Zukunft zu verlängern, sie zu extrapolieren – man denke an einige der Modellierungen im Frühjahr. Doch in diesem Fall erscheint es mir das Risiko wert, weil viele Faktoren für eine weitere Entspannung sprechen: fast eine Millionen Impfungen pro Wochentag, die meisten davon Booster. Ein weiteres kräftiges Minus beim aussagestarken "NET CHECK Kontaktindex (CX)", schärfere Corona-Maßnahmen bundesweit und vor allem in den Hochinzidenz-Ländern – inklusive 3G am Arbeitsplatz.
Nun zu meiner Prognose: Woche für Woche nimmt das Wachstum der 7-Tages-Inzidenzen zurzeit um 15 bis 18 Prozentpunkte ab, relativ gleichbleibend. Deshalb halte ich es für realistisch, dass ich heute in einer Woche ein Minus von um die 20 Prozent im Wochenvergleich berichten kann. Was auf eine Inzidenz von deutlich unter 400 hinauslaufen würde. Auch ist davon auszugehen, dass die Zahl der Intensiv-Patienten unter 4.500 und dann vorerst weiter sinken wird.
Und noch eine Prognose: Parallel wird auch die Zahl der nachweislich neuinfizierten Kinder und Jugendliche deutlich zurückgehen. Was zeigt, dass eine Welle sehr wohl gebrochen werden kann, ohne dass Schulen zugemacht werden müssen. Vielleicht wird sie ja gerade gebrochen, weil die Schulen offen sind. Mit ihren Pflichttests und Hygienemaßnahmen. Viele Experten meinen, dass es so ist. Hoffen wir, sie haben Recht. Im Augenblick sieht es jedenfalls gut aus. Allerdings beginnen bald die Weihnachtsferien.
Nachtrag am 08. Dezember: Mehrfach haben Leserinnen und Leser über die Sozialen Medien eingewandt, ich würde die Omikron-Variante nicht berücksichtigen bei meinem Ausblick. Das ist richtig – weil sich mein Ausblick nur auf die Zeit bis Weihnachten bezieht und ich davon ausgehe, dass die neue Variante bis dahin keine statistisch bedeutsame Rolle im Infektionsgeschehen hierzulande spielen wird. Wie die Weihnachtsferien und all die privaten Begegnungen sich auf die Corona-Dynamik auswirken werden, da bin ich – gelinde gesagt – eher pessimistisch. Auch würde ich mich derzeit davor hüten, Aussagen darüber zu machen, wie es im Januar und darüber hinaus weitergeht. Mein Eindruck ist, wir sollten alle noch ein wenig auf mehr klare Daten warten. Und weil es auch den Einwand gab, man müsse bei der Interpretation der aktuell sinkenden Infektionszahlen die Überlastung der Gesundheitsämter berücksichtigen: Ja, aber hier gilt meines Erachtens dasselbe Argument wie bei der Frage nach den Testkapazitäten: Dass der Rückgang auch in Ländern mit durchschnittlichen oder unterdurchschnittlichen Inzidenzen zu verzeichnen ist, spricht dagegen, dass erschöpfte Testkapazitäten oder Gesundheitsämter, die nicht mehr hinterherkommen, die vorrangigen Ursachen für das bundesweite Minus bei den Neuinfektionen sind.
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Oma Orion (Dienstag, 07 Dezember 2021 18:54)
Alles gut und schön. Bestenfalls wird die Zeit vor Weihnachten weniger schlimm. Aber was machen wir bei Omikron?