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Die Entdeckung der Trägheit

Warum es gut ist, dass sich Kultusministerkonferenz und STIKO nicht von der allgemeinen Omikron-Nervosität anstecken lassen.

MANCHMAL IST ES tatsächlich von Vorteil, dass die Kultusministerkonferenz (KMK) eine eher träge Organisation ist. Träge nämlich auch in dem Sinne, dass sie sich in diesen Tagen nicht von der Nervosität manch öffentlicher Debatte anstecken lässt.

 

Stichwort: Omikron. Wenig ist bislang bekannt über die neue Virusvariante. Es gibt erste Hinweise aus Südafrika, dass sie Kinder stärker betreffen könnte als Delta oder Alpha. Entsprechend wächst die Aufregung, unter anderem getrieben von zunächst per Twitter transportierten Äußerungen des neuen Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD). Auch einige Journalisten, Immunologen und Virologen warnen bereits vor den Auswirkungen von Omikron auf Kindergesundheit und Schulbetrieb. 

 

Es gibt aber auch Hinweise, die darauf hindeuten, dass es für solche Einordnungen noch zu früh ist. Dass die Daten aus Südafrika unter völlig anderen gesellschaftlichen und pandemischen Umständen entstanden sind. Zumal, selbst wenn einige dies schon vergessen haben mögen, es eine ähnliche Debatte bereits um Delta gab – ohne dass etwa die Krankenhauseinweisungen von Kindern im Herbst überproportional gestiegen wären.

 

Die Kultusminister lassen sich auch von
einem Lehrerverbands-Chef nicht beirren

 

Was das mit der KMK zu tun hat? Sie hat heute unbeirrt ein weiteres, von allen Kultusministern beschlossenes Bekenntnis zu offenen Bildungseinrichtungen veröffentlicht, in dem das Stichwort "Distanzunterricht" noch nicht einmal unter ferner liefen vorkommt. 

 

Obwohl zum Beispiel der nie um ein Corona-Statement verlegene Lehrerverbands-Präsident Heinz-Peter Meidinger pünktlich zum KMK-Treffen zu Protokoll gegeben hatte, Omikron könne "leider dazu führen, dass wir doch wieder in Wechselunterricht und Distanzunterricht gehen müssen." Bei sehr hohen Inzidenzen unter Schülern dürften auch flächendeckende Schulschließungen "kein absolutes Tabu sein", sagte Meidinger den Zeitungen der Funke Mediengruppe

 

Von Journalisten darauf angesprochen, sagte Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) heute bei einer Pressekonferenz, das möge "Herrn Meidinger und anderen nicht passen", aber wenn man an die Kinder denke, müssten die Kultusminister alles daran setzen, den Präsenzunterricht so lange wie möglich aufrechtzuerhalten.

 

Präsenzunterricht ist der

Plan A und der Plan B

 

Die gemeinsame Botschaft der Kultusminister: Präsenz ist der Plan A und der Plan B. Deshalb, sagte auch KMK-Präsidentin Britta Ernst, sehe sie derzeit auch keine Notwendigkeit, über Distanzunterricht zu sprechen. Den die Schulen aber, fügte sie hinzu, wenn nötig, gut hinbekämen.

 

Das darf man freilich bezweifeln angesichts der Erfahrungen auch im zweiten Lockdown, zumal verbindliche und länderübergreifende Vorgaben an Schulen etwa zu der Frage, wie oft zu Hause lernende Schüler von ihren Lehrkräften direkt kontaktiert werden müssen, immer noch fehlen. Weil die KMK sie nicht beschlossen hat – und offenbar auch gar nicht beschließen will. Weil den Kultusminister klar ist: Dann geht die Debatte über Schulschließungen gleich in den nächsten Level.

 

Und weil ihnen das klar ist, leben die Kultusminister eben nicht in einer Parallelwelt, indem sie sich rhetorisch voll auf den Präsenzunterricht konzentrieren. Auch wenn ihnen genau das heute wieder manche vorgeworfen haben angesichts des xten KMK-Präsenzschwurs und ganz besonders angesichts bundesweiter Corona-Inzidenzen von über 400.  Doch die Kultusminister wissen, dass länger anhaltender Distanzunterricht schon, was die Vermittlung von Inhalten angeht, schwierig ist. Und was die sozialen Begleiterscheinungen gerade für Kinder aus armen Familien betrifft, ist er oftmals eine Katastrophe.

 

"Wir wissen", sagte denn auch Hamburgs Bildungssenator Rabe, "wie begrenzt (im Distanzunterricht) die Möglichkeiten für Schulen sind." Trotz aller Anstrengungen würden dann viele Schülerinnen und Schüler nicht erreicht werden. 

 

Ernst: Vorgezogene Weihnachtsferien
"kein flächendeckendes Modell für Deutschland"

 

Die Kultusminister nehmen mit ihrem erneuten Präsenz-Beschluss also die Rückmeldungen von Kinderärzten, Bildungswissenschaftlern, Psychologen und Soziologen, aber auch immer mehr Virologen und Epidemiologen, auf und lassen sie sich bewusst nicht auf die nervösen Debatten ein. Gut so.

 

Ein bisschen ins Schleudern kam KMK-Präsidentin Britta Ernst (SPD), als sie gefragt wurde, wie die KMK zu vorgezogenen Weihnachtsferien und zur Aussetzung der Präsenzpflicht stehe. Ins Schleudern deshalb, weil die KMK als Ganzes von beidem nichts hält, Ernst selbst aber als brandenburgische Bildungsministerin vor zwei Wochen beides angekündigt hatte. Wobei vielleicht besser passt: hatte ankündigen müssen. Denn ihrer Antwort in der Pressekonferenz heute war ihr persönlicher Unwille anzumerken.

 

Ihr Bundesland habe entschieden, die Weihnachtsferien um drei Tage zu verlängern, sagte Ernst. "Eine weitere Ausweitung würde ich aber nicht begrüßen." Der Druck zu den Maßnahmen kam offenbar aus Landkreisen mit besonders hohen Inzidenzwerten wie der Lausitz, die Ernst heute explizit nannte – ergänzt um die Bemerkung, die Entscheidung zu Weihnachtsferien und Präsenzpflicht sei nicht als "flächendeckendes Modell für Deutschland" gemeint.  

 

Derweil stemmt sich nicht nur die KMK gegen die Nervosität der öffentlichen Debatte. Auch die Ständige Impfkommission (STIKO) ließ sich nicht beirren und wird, wie gestern bekannt wurde, nur für 5- bis 11-Jährige mit Vorerkrankungen eine Corona-Impfung uneingeschränkt empfehlen. Andere Kinder könnten bei individuellem Wunsch und nach entsprechender ärztlicher Aufklärung geimpft werden. 

 

STIKO: Datengrundlage für eine generelle Impfempfehlung 5- bis 11-Jähriger nicht gegeben

 

Die Datengrundlage für eine generelle Empfehlung sei im Augenblick aus Sicht der STIKO nicht gegeben, sagte der Vorsitzende des Gremiums, Thomas Mertens. Zwar werde sich voraussichtlich ein Großteil der Kinder und Jugendlichen infizieren, doch die meisten Infektionen verliefen asymptomatisch und unkritisch. 

 

Eine Entscheidung und eine Begründung, die wiederum zu Aufregung führten. "Letztendlich hat man als Elternteil nur die Wahl zwischen Impfung oder Infektion, weil die Kinder aktuell die höchsten Inzidenzen haben", zitierte der Tagesspiegel den Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. "Und mit Omikron wird das wahrscheinlich noch schlimmer."

 

Übrigens wurde auch der STIKO Trägheit vorgeworfen, als sie im Sommer ihre Empfehlung für 12- bis 17-Jährige erst nach langer Prüfung aussprechen wollte. Woraufhin die Gesundheitsminister von Bund und Ländern noch vor dem STIKO-Beschluss eine Impfkampagne für Jugendliche ankündigten – eine kalkulierte und öffentlichkeitswirksame Desavouierung der Experten. 

 

Gut möglich, dass die STIKO
ihre Empfehlung noch einmal ändert

 

Und auch diesmal waren die ersten Länder und Kommunen schon dabei, Impfstraßen für Kinder einzurichten, bevor die STIKO sprach. Wobei der Vorwurf der Trägheit diesmal nun wirklich nicht verfängt, da die Impfstoffzulassung für 5- bis 11-Jährige durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA nicht einmal zwei Wochen her ist. Eher verfängt der Vorwurf an Länder und Kommunen, dass große allgemeine Impfaktionen in den Schulen mit der Empfehlung der STIKO nach individueller ärztlicher Aufklärung kaum vereinbar sein werden.

 

Andere STIKO-Kritiker wiederum regten sich in der Vergangenheit darüber auf, dass diese ihre Empfehlungen zur Verwendung von Impfstoffen, gerade für bestimmte Altersgruppen, immer wieder geändert habe. Doch für eine Institution, die sich allein der Empirie und ihrem jeweiligen Stand verpflichtet sieht, kann es gar nicht anders gehen. Und deshalb war die gestern bekannt gewordene bedingte Empfehlung auch die einzige auf die geforderte Schnelle Mögliche. Daran ändert auch nichts, dass STIKO-Chef kürzlich mit der (inzwischen von ihm bereuten) Äußerung aus der Rolle gefallen ist, wäre er Vater eines siebenjähriges Kindes, würde er dieses derzeit gegen Corona impfen lassen. Über so einen unbedachten Satz kann man sich tatsächlich empören. Nicht aber darüber, wenn die STKO ihre Empfehlung irgendwann doch noch ausweiten sollte, weil ihres Erachtens dann genug Daten vorliegen. 



Digitalstrategie, Mathematik, Lehrermangel und Sommerferien: Was die KMK noch alles beschlossen hat

Während ihrer Dezembertagung beschloss die KMK auch ein Update für ihre fünf Jahre alte Strategie zur "Bildung in der digitalen Welt". Die ergänzende Empfehlung vertiefe einzelne Aspekt der Strategie, reflektiere die Erfahrungen aus der Pandemie und stelle die Bedeutung der Unterrichtsqualität, der Schulentwicklung und der Lehrkräfte-Qualifizierung beim Einsatz neuer Technologien heraus.

 

Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) hatte die Weiterentwicklung der Digital-Strategie zum Schwerpunk ihrer diesjährigen KMK-Präsidentschaft gemacht. 

 

Angesichts der Mathematikschwäche vieler Schüler in Deutschland verabschiedeten die Kultusminister darüber hinaus einstimmig das auf zehn Jahre angelegte Programm "QuaMath – Unterrichts- und Fortbildungs-Qualität in Mathematik entwickeln" zur Stärkung der mathematischen Bildung in Deutschland. Aktuell erreichen nach KMK-Angaben nur knapp die Hälfte aller Jugendlichen die mathematischen Kompetenzen, die die Kultusminister in ihren Regelstandards festgelegt haben. 

 

Das Deutschen Zentrum für Lehrerbildung Mathematik (DZLM) soll das Programm forschungsbasiert entwickeln, anschließend wollen es die Länder gemeinsam umsetzen. Mehr als 10.000 und damit ein Drittel aller Schulen in Deutschland sollen so mit Anregungen  zur Unterrichtsentwicklung und mit "fachdidaktisch fundierten" Fortbildungs- und Vernetzungsmaßnahmen erreicht werden.

 Für die Entwicklung am DZLM und die Umsetzung in den Ländern sind auf zehn

Jahre gestreckt mindestens 72,6 Millionen Euro vorgesehen. 

 

Schließlich wollen die Kultusminister auch mehr Abiturienten für ein Lehramtsstudium speziell in Mangelfächern wie Mathematik und den Naturwissenschaften begeistern. "Es muss uns gelingen, den so wichtigen Beruf der Lehrerinnen und Lehrer durch weitere Maßnahmen noch attraktiver zu machen", sagte KMK-Präsidentin Ernst. Die Kultusminister wollen unter anderem eine Medienkampagne vor allem in den Sozialen Medien starten, sie wollen Stipendienprogramme schaffen oder ausbauen, und Abiturienten früh Einblicke in die Arbeit von Lehrern geben, zum Beispiel durch "eigene Unterrichtsversuche, Lehrgelegenheiten in AGs, Ferienkursen oder Grundschulprojekten".

 

Zur Lösung der Streitfrage, wie künftig die Sommerferien zwischen den Bundesländern geregelt sein sollen, will die KMK nächste Woche Einzelheiten bekanntgeben. Zuvor war die scheidende Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres vorgeprescht und hatte der Berliner Zeitung gesagt, die KMK habe sich auf ein neues Verfahren geeinigt. So würden die Sommerferien in Berlin von 2025 immer im Juli beginnen, frühestens am 1. Juli, so dass erstes und zweites Schulbhalbjahr künftig nicht mehr so unterschiedlich lang sein würden. Die Berliner Zeitung sprach von einem "Verhandlungserfolg" und "einer Art Abschiedsgeschenk" für Scheeres. 

 

KMK-Präsidentin Ernst wollte sich heute zu der künftigen Ferienregelung und ihrer Umsetzung etwa für Brandenburg noch nicht offiziell äußern. 



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