Schleswig-Holsteins CDU-Bildungsministerin Karin Prien kämpft in der Corona-Krise gegen Schulschließungen und übernimmt im Januar den Vorsitz der Kultusministerkonferenz. Doch längst bringt sie sich für höhere politische Posten in Stellung.
Karin Prien (CDU) ist seit 2017 Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Schleswig-Holsteins und Mitglied im CDU-Bundesvorstand. Foto: Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur.
WENN SIE ZEIT HAT, loggt sie sich abends noch mal bei Twitter ein. Dann geht sie durch die Spalte mit den Kommentaren, antwortet. Eltern, die sich darüber empören, dass die Schulen immer noch offen sind. Eltern, die fürchten, dass die Schulen bald wieder zu sind. Denen, die Masken für Grundschüler für eine Zumutung halten. Und denen, die finden, dass die Hygienemaßnahmen im Unterricht ein Witz und viel zu schwach seien.
Karin Prien, 56, diskutiert, erklärt, kontert, poltert gern auch mal zurück. Medien nennen sie "meinungsstark". Furchtlos ist Schleswig-Holsteins Bildungsministerin auf jeden Fall: Nur wenige ihrer Kollegen haben sich seit Beginn der Coronakrise so beharrlich und gegen Widerstände, selbst bei hohen Inzidenzen, für Präsenzunterricht eingesetzt.
Als Ministerin eines kleinen Bundeslandes hat Prien es geschafft, in die Führungsriege der Bundes-CDU aufzusteigen. Sie ist stellvertretende Landesvorsitzende, sitzt im Bundesvorstand – und will jetzt eine von fünf stellvertretenden Bundesvorsitzenden werden.
Manche halten das nur für einen Zwischenschritt. Warum sie drei Männern den Vortritt lasse bei der Bewerbung um den Parteivorsitz, fragte der Spiegel sie neulich. Die frühere CDU-Bundesfamilienministerin Kristina Schröder nannte, vom Freitag nach den Frauen in der Union nach Merkel gefragt, ausdrücklich die "sehr profilierte" Karin Prien. Dem Spiegel antwortete Prien, als Ministerin habe sie versprochen, Schüler und Studierende gut durch die Pandemie zu führen. Zudem gehe es jetzt darum, die inhaltlich zerrissene CDU wieder zusammenzuführen. "Da wäre ich als ausgewiesene Vertreterin des liberalen Flügels nicht die Richtige an die Spitze." Ob sie das noch so sehen wird, wenn die Krise der Partei überwunden ist? Friedrich Merz, Helge Braun, Norbert Röttgen – der nächste CDU-Chef gilt vielen als Übergangslösung.
Hätte die Union die Wahl gewonnen, wäre sie
vielleicht Bundesbildungsministerin geworden
Prien fällt über ihr Ressort hinaus immer wieder auf. Als Sahra Wagenknecht neulich in der Welt sagte, bei Annalena Baerbock empfinde sie "ein gewisses Unbehagen", kommentierte Prien auf Twitter: Auch Baerbock habe 100 Tage, ihre Kompetenz zu zeigen. "Zickenkrieg von der Linken ist kein feministisches Ruhmesblatt." Auf die Bundestagskandidatur Hans-Georg Maaßens hatte sie mit der Frage reagiert, "was Herr Maaßen eigentlich in der CDU sucht". Woraufhin der den Rausschmiss Priens aus dem "Zukunftsteam" des Kanzlerkandidaten Armin Laschet forderte. Hätte die Union die Wahl gewonnen, wäre sie vielleicht Bundesbildungsministerin geworden.
Priens Identität prägt die Geschichte ihrer Familie: Der Vater ihrer Mutter war Jude und flüchtete mit seiner nichtjüdischen Frau 1935 aus Krefeld in die Niederlande. Ihr jüdischer Großvater väterlicherseits, Sozialdemokrat und Anwalt, überlebte knapp die Nazis in Prag, wurde dann von den Kommunisten verfolgt. 1948 floh er nach Amsterdam, dort lernten sich ihre Eltern in der Schule kennen, dort wurde sie 1965 geboren. Nach dem Studium ihres Vaters, da war Karin Prien vier, zog die Familie nach Deutschland. Prien engagiert sich seit vielen Jahren im Jüdischen Forum der CDU, inzwischen als dessen Sprecherin.
So chaotisch der Zustand der CDU ist, so wirkt es doch, als arbeite da jemand schon länger daran, sich in Stellung zu bringen. Erst 2017 aus Hamburgs Stadtpolitik gewechselt, wurde die Rechtsanwältin 2018 stellvertretende Landeschefin in Schleswig-Holstein. Bis vor zweieinhalb Jahren war sie Frontfrau der "Union der Mitte", die sich heftige Debatten mit der erzkonservativen "Werteunion" lieferte. Ihr Weggang – sie wollte eine Flügelbildung in der CDU verhindern – war das faktische Ende für die "Union der Mitte".
Sie sei "eigenständige Akteurin", nicht nur "Garnitur",
sagte sie über ihre Kandidatur
Prien gibt sich alle Mühe, als unabhängig wahrgenommen zu werden. Als die Bild sie dem Team von Friedrich Merz zuschlagen wollte, bezeichnete sie sich prompt als "eigenständige Akteurin", nicht nur als "Garnitur". Merz, der besonders gegenüber Jüngeren und Frauen gönnerhaft-altväterlich rüberkommt, könnte ihr, die sie die Modernisierung der CDU vorantreiben will, bei zu viel der Nähe gefährlich werden. "Wir unterscheiden uns vom Habitus", sagt die Mutter dreier Söhne, von denen zwei bereits studieren, auf Nachfrage. "In vielen Positionen sind wir gar nicht so unterschiedlich, wobei es natürlich schon Unterschiede gibt." Prien kann durchaus auch konservativ blinken: Im September wies ihr Ministerium die Schulen darauf hin, dass gendergerechte Sprache nicht zum Rechtschreib-Regelwerk gehöre. Zum Ärger der grünen Koalitionspartner in Kiel.
Anfang 2021 stieg sie in den Bundesvorstand auf, unterstützt von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten und CDU-Landesvorsitzenden Daniel Günther, der als ihr stärkster Verbündeter zählt – und wie sie zu den aufstrebenden Persönlichkeiten in der Partei. Gemeinsam mit ihm muss sie im Mai 2022 eine Landtagswahl überstehen – ohne Rückenwind aus dem Bund. In Umfragen liegt die Landes-CDU zurück.
Doch hat sie in anderer Hinsicht das Momentum durchaus auf ihrer Seite: Anfang Januar übernimmt sie den Vorsitz der Kultusministerkonferenz (KMK), was sie zur herausgehobenen Stimme der Länder machen wird in den anstehenden Verhandlungen mit der neuen Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) um all die Reformen, die die Ampel versprochen hat: von einem milliardenschweren Digitalpakt 2.0 bis hin zu einem gewaltigen Investitionsprogramm für Tausende Schulen. Vorhaben, die den Erfolg der selbsternannten "Fortschrittskoalition" definieren werden und die diese nur mit der KMK umsetzen kann. Und mit Karin Prien.
"Omikron wird uns noch
ganz schön beschäftigen"
Manchmal erleidet sie mit ihrer direkten Art in der strukturkonservativen KMK allerdings auch Schiffbruch. Gleich zu Beginn der Pandemie zum Beispiel, als sie im Alleingang dafür plädierte, die Abschlussprüfungen beim Abitur und weiteren Schulabschlüssen auszusetzen, weil diese sich kaum "regelhaft" würden durchführen lassen. Nach einer teilweise lautstark ausgetragenen KMK-Schaltkonferenz zog sie ihren Vorschlag schon einen Tag später zurück.
Wenn man ihre Kultusminister-Kollegen nach ihr fragt, ist das aber das einzige Kopfschüttel-Thema, was man hört. Ergänzt vielleicht noch um die Bemerkung, dass sie als Wissenschaftsministerin deutlich weniger aufgefallen sei – was dann aber wieder wenig verwundert in einem Land, dessen Hochschullandschaft immer noch als ausbaubedürftig gilt.
"Lernen aus der Pandemie" will sie zum Motto ihrer Präsidentinnenschaft machen Die nachhaltige Digitalisierung der Schulen, ein kräftiges Update für die Lehrerbildung und die Frage, wieviel Freiheit Schulen brauchen, um sich gut zu entwickeln: Das sind Themen, die Prien in den Mittelpunkt stellen will. "Die Bewältigung der Folgen von Pandemie und Schulschließungen werden für viele Schüler noch Jahre dauern", sagt sie. "Nicht nur wegen der Lerndefizite, sondern psychologisch und psychosozial." Wobei sie nicht den Fehler macht, so zu tun, als sei die Pandemie vorbei. "Omikron wird uns noch ganz schön beschäftigen“, sagt sie. Falls nötig, müssten sich diesmal die Erwachsenen umso stärker einschränken. Denn, das ist ihre ganz persönliche Schlussfolgerung aus der Pandemie: "Die Schulen sollten das letzte sein, was nochmal flächendeckend geschlossen werden sollte."
Dieser Artikel erschien in kürzerer Fassung zuerst im Freitag.
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