Was bewegt 2022 die Bildungs- und Forschungspolitik? Im ersten Teil meiner neuen Serie geht es um Geld – und um die Frage, wieviel davon die Pandemie-Bewältigung für Kitas, Schulen und Hochschulen übriglässt.
EGAL, WIE DIE PANDEMIE weitergeht: 2022 wird viel über Geld gesprochen werden. Weil zu wenig davon da ist. Corona belastet auch die Konjunktur, und je geringer das Wirtschaftswachstum ausfällt, desto weniger Steuern fallen an. Und desto enger wird der Spielraum, vor allem für die Länder, die sich – Stichwort Schuldenbremse – langfristig nicht weiter verschulden dürfen.
Der Bund stemmt den Großteil der Sozialausgaben, die Länder dafür die Bildungsausgaben. Was bedeutet, dass der Spardruck ausgerechnet dort besonders groß sein wird, wo es um Investitionen in die junge Generation geht: an Kitas, Schulen und Hochschulen.
Ein paar praktische Beispiele: Aus Geldnot infolge der Pandemie hat die Brandenburger Kenia-Koalition im Herbst beschlossen, die schrittweise Abschaffung der Kitagebühren um ein Jahr nach hinten zu schieben. Fast zeitgleich verkündete der rot-rot-grüne Berliner Senat eine bis Ende 2021 laufende Haushaltssperre für die Schulen in der Hauptstadt. Währenddessen die Bundesregierung für 2022 eine Rentenerhöhung um 4,4 Prozent erwartete.
So drohen die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen einmal mehr zu den großen gesellschaftlichen Verlierern der Pandemie zu werden – umso stärker Ministerpräsidenten angesichts einer alternden Bevölkerung auch noch der populistischen Versuchung erliegen, die je nach Bundesland mehr oder weniger knappen Landesmittel anderswo auszugeben. Es wird also 2022 im wörtlichen Sinne auf die Charakterstärke des Führungspersonals in den Ländern ankommen.
Zum Glück hat die neue Ampel-Koalition versprochen, den Hochschulpakt jährlich ebenso stark zu erhöhen, wie Bund und Länder es seit vielen Jahren beim Pakt für Forschung und Innovation tun, der den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zugute kommt. Auch eine weitreichende Bafög-Reform haben sich SPD, Grüne und FDP vorgenommen, die – voll umgesetzt – richtig viel kosten dürfte. Vor allem aber wollen die neuen Koalitionäre massiv (und hoffentlich dauerhaft!) in Schulen investieren, vor allem zugunsten sozial benachteiligter Schüler. Über das "Wieviel genau" allerdings halten sie sich auch an der Stelle wohlweislich bedeckt.
Die gebrochenen Versprechen
von der Bildungsrepublik
Die Situation wäre weniger dramatisch, wenn Deutschland als die gut finanzierte "Bildungsrepublik" in die Corona-Flaute hineingehen würde, die Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten 2008 ausgerufen hatten. Eine Bildungsoffensive, die viele Jahre dauern sollte, hatten die Regierungschefs damals versprochen: eine Halbierung der Schulabbrecherzahlen zum Beispiel, zusätzliche Kitaplätze und mehr Studienanfänger. Vor allem aber gelobten sie, innerhalb von sieben Jahren die gesamtgesellschaftlichen Ausgaben für Bildung und Forschung auf zehn Prozent der Wirtschaftsleistung zu steigern. Angela Merkel erkannte damals eine Selbstverpflichtung, aus der die Politik nicht mehr herauskommen werde.
Tatsächlich haben Bund und Länder das mit dem Herauslavieren ziemlich gut hinbekommen. Die Realität des aktuellen Bildungsfinanzberichts: 9,3 Prozent im Jahr 2018. Gegenüber 8,5 Prozent 2008. Immerhin 0,8 Prozentpunkte zusätzlich. Aber doch nicht einmal die halbe Wegstrecke. Noch deutlich frustrierender wird es, wenn man sich anschaut, dass die zusätzlichen 0,8 Prozentpunkte komplett zwischen 2008 und 2010 erreicht wurden (danach ging es zwischenzeitlich sogar wieder etwas runter). Und erst so richtig zum Kopfschütteln: Rechnet man die Ausgaben für Forschung, Entwicklung & Co raus, investierte Deutschland 2018 kein bisschen mehr von seiner Wirtschaftsleistung in Bildung (jeweils 6,5 Prozent).
Um es noch einmal in Euro auszudrücken: Hätte die Bundesrepublik die Versprechungen von 2008 umgesetzt, die zehn Prozent erreicht und dabei das Plus gleichmäßig auf Bildung und Forschung verteilt, hätte Deutschland 2018 gut 23 Milliarden Euro mehr für Kitas, Schulen, Hochschulen und sonstige Bildungsstätten ausgeben müssen, als es in dem Jahr tatsächlich tat. Und das dann jedes Jahr wohlgemerkt. Was 23-mal dem jährlichen Umfang des Kern-Digitalpakts Schule entspricht. Oder zehnmal dem Bundesanteil am Hochschulpakt. Und zwar nach dessen Erhöhung.
Immerhin: Seit Beginn der Pandemie gingen die Bildungsausgaben in Deutschland spürbar rauf, allein 2020 um 9,1 Milliarden Euro (6,0 Prozent gegenüber 2019). Mehr als ein Strohfeuer? Das ungewöhnliche Plus bedeutete nämlich nicht, dass Bildung plötzlich Priorität hatte – tatsächlich stiegen die Ausgaben für andere Bereiche in der Krise noch schneller.
Und was ist mit den Versprechungen der Ampel? Wenn SPD, Grüne und FDP richtig dick auftragen, kommen sie mittelfristig auf wieviele Bildungsausgaben zusätzlich pro Jahr? Ein Drittel von den 23 Milliarden? Vielleicht. Die Hälfte? Wohl kaum. Denn das wäre nahezu eine Verdopplung der gesamten Bundesausgaben für Bildung. In einer Zeit, in der Deutschlands neuer Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) per BILD und Twitter umfangreiche Steuersenkungen ankündigt und seine Ministerkollegen schon mal vorsorglich zur Sparsamkeit und Prioritätensetzung anhält.
Während, siehe oben, von den Ländern nicht viel zu erwarten ist. Es wird also weiter viel über Geld gesprochen werden müssen.
Stiefkind Hochschullehre
Zu der grundsätzlichen Geldknappheit der Länder kommt, dass auch zwischen ihnen die Unterschiede zunehmen – sowohl was ihre Finanzkraft angeht als auch ihre Bereitschaft, in Bildung und Forschung zu investieren.
Aktuell kann man das besonders gut an den im Bildungsfinanzbericht dokumentierten Ausgaben für die Hochschulen sehen. Bayerns Wissenschaftsministerium feiert sich gerade, dass der Freistaat 2021 20,2 Prozent mehr Grundmittel bereitgestellt hat als 2020, ein Sprung von 4,72 auf 5,13 Milliarden. Die "Hightech Agenda Bayern" lässt grüßen.
Am Ende der Tabelle: Hamburg: +0,7 Prozent, Niedersachsen: +0,1 Prozent, Mecklenburg-Vorpommern: -0,7 Prozent und – Überraschung – Berlin: -1,3 Prozent. Eine enorme Bandbreite innerhalb eines Jahres, wobei man einzelne Ausreißer (siehe Berlin) nicht überbewerten sollte, da ziehen zum Beispiel jährlich wechselnde Zuweisungen aus dem Hochschulpakt hinein.
Dramatischer ist, wie die Schere sich seit 2010 geöffnet hat. Bayern: +88,6 Prozent, Brandenburg: +81,0 Prozent, Schleswig-Holstein: +70,3 Prozent, Berlin: +64,8 Prozent.
Und jetzt die vier Bundesländer mit dem geringsten Zuwachs an Grundmitteln für ihre Hochschulen: Hamburg (+21,7 Prozent), Rheinland-Pfalz (+16,9 Prozent), Saarland (+11,6 Prozent) und Sachsen (+9,7 Prozent).
Auch bei diesen Zahlen wird freilich jeder Wissenschaftsminister und jede Wissenschaftsministerin der genannten Länder eine Begründung finden, warum man ausgerechnet ihre Zahlen nicht überinterpretieren dürfe und im Zusammenhang
sehen müsse. Und das teilweise durchaus berechtigt. So hatte Rheinland-Pfalz im vergangenen Jahrzehnt einen Teil seiner öffentlichen Ausgaben für die Hochschulen in ein Sondervermögen ausgelagert.
Und das Saarland, Sachsen und Hamburg lagen zwar beim Budget-Plus ganz hinten, gaben aber 2019 mit 9.800, 9.500 und 9.200 Euro noch immer mit am meisten Grundmittel pro Studierendem an öffentlichen Hochschulen aus.
Bei dem Vergleich lagen Bayern und Brandenburg mit 8.200 bzw. 8.100 Euro nur im Mittelfeld, Schleswig-Holstein und Berlin mit jeweils 7.000 Euro sogar deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 7.600 Euro.
Eindeutig ist derweil, dass Deutschland als Ganzes die Lehre an den Hochschulen vernachlässigt. Zwar gab die Bundesrepublik 2018 pro Student/in insgesamt 19.300 US-Dollar aus und übertraf damit den OECD-Schnitt von 17.100 Dollar. Doch das war inklusive Forschung. Ohne sie blieben in Deutschland 10.800 Dollar pro Student/in – 900 Euro weniger als im Schnitt aller OECD-Länder, die noch dazu teilweise eine deutlich niedrigere Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung haben.
Immerhin hat Deutschland seit 2012 jedes Jahr seine Hochschulausgaben um durchschnittlich 1,9 Prozent gesteigert, weit mehr als alle OECD-Staaten es im Schnitt taten (0,8 Prozent). Allerdings wuchsen gleichzeitig die Studierendenzahlen in Deutschland jährlich um 2,7 Prozent (OECD-weit nur um 0,4 Prozent). Was erfreulich ist, aber zur Folge hatte, dass pro Student/in in Deutschland ein jährliches Minus von 0,8 Prozent herauskam – verglichen mit einem Plus von 0,7 Prozent im internationalen Schnitt.
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