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"Einstimmig" fürs Präsenzlernen

Die Kultusminister bekräftigen vor der Corona-Krisensitzung der Regierungschefs die Priorität offener Schulen und fordern ihre Einstufung als kritische Infrastrukturen. Auch Thüringens Bildungsminister Holter unterstützte den Beschluss.

WIE ERWARTET haben sich die Kultusminister heute noch einmal zum Präsenzlernen als "weiterhin höchste Priorität" bekannt. Sie bekräftigten damit im Vorfeld der für Freitag geplanten Corona-Krisensitzung der Regierungschefs ihren diesbezüglichen Beschluss von Dezember. "Auch wenn sich die Pandemie durch eine neue Virusvariante verändert, müssen wir die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen noch stärker in den Blick nehmen", sagte die turnusgemäße neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Karin Prien, im Hauptberuf CDU-Bildungsministerin von Schleswig-Holstein. "Das bedeutet, dass wir die Schulen erst dann schließen, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind."

 

Der Wortlaut des heutigen Beschlusses sei "einstimmig gefasst worden", sagte Prien auf die Nachfrage, ob auch Thüringens Bildungsminister Helmut Holter sich der Sichtweise seiner Kollegen angeschlossen habe. 

 

Der Linken-Politiker hatte zuvor mit seinem Vorstoß, nach den Weihnachtsferien an den Thüringer Schulen flächendeckend Distanzunterricht anzuordnen, Schiffbruch erlitten und daraufhin angekündigt, dass die Form des Unterrichtsbetriebs vom jeweiligen Infektionsgeschehen und dem Ermessen der Schulleitungen vor Ort abhängig sein werde – was wiederum zu heftiger Kritik geführt hatte.

 

Außerdem hatte Holter von der KMK verlangt, neue Empfehlungen an die Regierungschefs von Bund und Ländern zu formulieren. "Alle wissen doch, dass die Omikron-Welle kommt", sagte Holter Ende Dezember der dpa. "Im Moment ist mir das, was auf Bundesebene läuft, zu spät."

 

Sie könne sagen, "dass es einen entsprechenden Vorstoß von Thüringen heute nicht gegeben hat, dass aber Thüringen die Gelegenheit genutzt hat, seinen Standpunkt darzustellen", sagte Prien nach der Minister-Schalte. 

 

Die Kultusminister berufen sich
auf das Bundesverfassungsgericht

 

In der heute auch von Holter mitbeschlossenen KMK-Stellungnahme heißt es, das Präsenzlernen sei deshalb so prioritär, um Bildungschancen "weitestgehend" sicherzustellen und psychosoziale Folgeschäden bei Kindern und Jugendlichen zu verhindern bzw. erkennen zu können. "Das vom Bundesverfassungsgericht kürzlich hervorgehobene Recht der Kinder und Jugendlichen auf schulische Bildung gilt es daher zu wahren."


Gegenüber dem Dezember-Beschluss hinzugekommen ist die Einschätzung der Kultusminister, dass durch die offenbar deutlich infektiösere Omikron-Variante "in den kommenden Wochen unter Umständen ein sehr dynamisches Infektionsgeschehen eintreten" könne. Allerdings, so die KMK, gebe es deutliche Hinweise, dass eine mögliche Erkrankung milder verlaufe. 

 

Um den Schulbetrieb in der kommenden Welle sicherzustellen, forderten die Kultusminister daher in Bezug auf Quarantäne- und Isolationsregeln eine Gleichbehandlung der Schulen mit Einrichtungen, die nach der bisherigen Definition der "kritischen Infrastruktur" gezählt werden. Die Aufrechterhaltung des Schulbetriebs sei "für Kinder und Jugendliche systemrelevant und darüber hinaus eine Grundlage für die Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit anderer kritischer Infrastrukturen".

 

Prien hatte im Vorfeld der Sitzung hier im Blog angekündigt, sie wolle sich "dafür einsetzen, dass dies bei der Verkürzung der Regelungen zu Quarantäne und Isolierung im Zusammenhang mit der Omikron-Variante berücksichtigt wird". Ähnlich hatte sich unter anderem der CDU-Kultusminister von Hessen, Alexander Lorz, geäußert. "Die Schulen zählen mit bundesweit elf Millionen Schülerinnen und Schülern sowie 800 000 Lehrkräften für mich zur kritischen Infrastruktur, die jetzt besonders geschützt werden muss", sagte er der dpa.

 

Tatsächlich könnten sie mit ihrem Vorstoß Erfolg haben: Zeitgleich mit den Kultusministern tagten die Gesundheitsminister von Bund und Ländern und einigten sich darauf, den Regierungschefs von Bund und Ländern für bestimmte Berufsgruppen verkürzte Quarantäne- und Isolationsregeln vorzuschlagen. Wörtlich empfahlen die Gesundheitsminister: "Bescheinigt der Arbeitgeber Personen mit Grundimmunisierung die Zugehörigkeit insbesondere zum medizinischen und pflegerischen Personal, zur Kinderbetreuung und zu Bildungseinrichtungen, zur Polizei, Feuerwehr, zum Rettungsdienst, zur Telekommunikation sowie Energie- und Wasserversorgung", könnten die Isolation nach einer Infektion wieauch die Quarantäne als Kontaktperson "zum Zwecke der Arbeitsaufnahme bereits nach fünf Tagen mittels negativem PCR-Test beendet werden." Bislang dauerte die Isolation für alle zehn, die Quarantäne 14 Tage.

 

Verkürzte Quarantäne

auch für Schüler?

 

Anders als von den Kultusministern gefordert fehlt in den Empfehlungen der Gesundheitsminister ein Passus, auch die Quarantäne für Kinder auf fünf Tage plus anschließendem Negativ-Test besonders zu verkürzen. Laut Spiegel hatte dieser Vorschlag noch in der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Robert-Koch-Institut erarbeiteten Beschlussvorlage für die Gesundheitsministerkonferenz gestanden. 

 

Nach Auffassung der Gesundheitsminister soll für Kinder also dasselbe gelten wie für Erwachsene, die nicht in der kritischen Infrastruktur arbeiten: als enge Kontaktpersonen ohne Symptome sieben Tage. Fehlt eine Grundimmunisierung, muss zusätzlich ein negativer PCR-Test vorliegen. Geboosterte müssen als Kontaktpersonen gar nicht in Quarantäne. Doch scheint in Bezug auf die Isolations- und Quarantäneregeln vor der Konferenz der Regierungschefs das letzte Wort noch nicht gesprochen zu sein.

 

Derweil appellierten die Kultusminister in ihren Beschluss heute an alle Erwachsenen, sich und ihre Kinder impfen zu lassen. Impfangebote für Jugendliche ab 12 Jahren sollten weiter ausgebaut werden. Für Kinder zwischen 5 und 11 gaben die Kultusminister ihrer Erwartung Ausdruck, dass "die zuständigen Stellen" ihre Impfempfehlungen weiter präzisieren – was vor allem in Richtung STIKO gemünzt war. Auch forderte die KMK nach der "deutliche(n) Positionierung des Bundes" zum Thema Booster-Impfungen für Jugendliche ab 12 klare "rechtliche Regelungen und ein flächendeckendes Angebot in allen Ländern".

 

Auf eine gemeinsame Haltung zu obligatorischen Corona-Tests auch für immunisierte Schüler und Lehrkräfte konnten sich die Kultusminister nicht verständigen. In ihrem Beschluss steht lediglich, mit diesen "kann" das Infektionsgeschehen besonders an weiterführenden Schulen kontrolliert und eingedämmt werden.

 

"Neues Jahr,

altes Spiel"?

 

Der Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, kritisierte nach dem Beschluss, die KMK betreibe ihr altes Spiel im neuen Jahr und verweigere "Klartext und Verantwortungsübernahme". Dass sie erneut "keine klaren Standards definiert, welche Maßnahmen bei einem bestimmten Infektionsgeschehen zu ergreifen sind, sondern die Verantwortung an die Schulen abschiebt, ist ein Armutszeugnis." Schulleiterinnen und Schulleiter seien keine Virologinnen und Virologen und sollten keine entsprechenden Entscheidungen treffen müssen.

 

Einen einheitlichen und kriterienorientierten Stufenplan hatte vor der KMK-Schaltkonferenz auch der Deutsche Philologenverband (DPhV) verlangt. "Wir brauchen einen Stufenplan, der sich an Inzidenz, Impfquote und Hospitalisierungsrate orientiert und je nach Lage vor Ort entsprechend umgesetzt werden kann", sagte die DPhV-Bundesvorsitzende Susanne Lin-Klitzing. "So sind Schülerinnen, Schüler, Lehrkräfte und Eltern vorbereitet, geeignete Maßnahmen werden planbar und es wird mehr Vertrauen in politische Schulentscheidungen geschaffen."

 

KMK-Präsidentin Prien sagte dagegen am Nachmittag, ein solcher gemeinsamer Plan sei nicht Gegenstand der Ministerberatungen gewesen. "Es gibt keinen gemeinsamen Plan, weil es keine gleichen Schulen und keine gleichen Bundesländer gibt."

 

Im vergangenen Schuljahr 2020/2021 hatten mehrere Bundesländer zeitweise inzidenzbasierte Stufenpläne, zuletzt hatte die Bundesnotbremse im Frühjahr verbindliche Grenzwerte vorgegeben.

 

Kindermediziner: Schulschließungen

nur als "allerletzte Option"

 

Gegenwärtig lehnen die Kultusminister isolierte Stufenpläne für Schulen dem Vernehmen nach auch deshalb mehrheitlich ab, weil dann die Schulen unabhängig und möglicherweise vor sonstigen Lockdown-Maßnahmen schließen müssten. Demgegenüber hatten zuletzt Ende Dezember mehrere Berufsverbände von Kinder- und Jugendmedizinern in einer gemeinsamen Stellungnahme gefordert, dass Schulschließungsmaßnahmen "nur die allerletzte Option in der Bekämpfung der Pandemie" sein dürften, "nachdem alle anderen Lockdown-Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind".

 

Kinder und Jugendliche in Deutschland nähmen "als Teil der Gesellschaft wie auch in den vorangegangenen Wellen" zwar am Pandemiegeschehen teil, die Erkrankungsschwere nach einer Omikron-Infektiom liege allerdings nach aktuellen Erkenntnissen in allen Altersgruppen unter der der Delta-Variante, betonten die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Zur Bekämpfung der Pandemie seien neben der konsequenten Umsetzung der Hygieneregeln an den Schulen vor allem die Durchimpfung "aller derjenigen, für die ein Angebot besteht, von besonderer Wichtigkeit". 

 

Hinweis: Dieser Artikel wurde am 6. Januar um die endgültige Beschlussfassung der Gesundheitsministerkonferenz aktualisiert. 



Wieder mehr Präsenz an den Hochschulen?

Spielt die Wissenschafts- und Hochschulpolitik künftig eine größere Rolle in der Außendarstellung der Kultusministerkonferenz (KMK)? Zumindest war auffällig, dass sich bei der Online-Pressekonferenz am Nachmittag neben Prien und ihren Kultusministerkollegen Rabe (SPD, Hamburg) und Lorz (CDU, Hessen) auch Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) einschaltete. 

 

In der Vergangenheit war die Wissenschaftsseite selten bei solchen Briefings vertreten. Sibler ist kurz vor Weihnachten zum neuen Ko-Vorsitzenden der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) gewählt worden, er ist zugleich Koordinator aller Wissenschaftsminister aus Ländern mit Unions-Regierungsbeteiligung. Und seine Ambitionen, die Belange von Wissenschaft und Hochschulen auch in der KMK hörbarer zu machen, sind unverkennbar

 

Schon vor der KMK-Dezembersitzung hatte Sibler einen Beschlussvorschlag eingebracht, der die Bedeutung der Präsenzlehre auch an den Hochschulen unterstrich. Bildungssenator Ties Rabe sprach danach von einem "klaren Votum" der KMK für offene Hochschulen, das es in dieser gemeinsamen Form noch nicht gegeben habe. 

 

Werde die KMK "die Hochschulen, die Studierende|n und Wissenschaftler*innen wieder vergessen?", fragte Andreas Keller, der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) dennoch vor der heutigen Sitzung auf Twitter. Die Antwort: Nein, das hat sie nicht. Aber so richtig eindeutig Stellung bezogen hat sie heute auch nicht. Zwar bekräftigte Sibler das in der KMK gefasste Präsenzlernen-Bekenntnis von Dezember, räumte aber ein, dass schon vor Weihnachten "die eine oder andere Hochschule in den digitalen Modus" gewechselt sei.

Was stark untertrieben sein dürfte, da Studierende aus vielen Hochschulen berichten, dass der Präsenzbetrieb im Dezember nach und nach nahezu komplett eingestellt worden sei. 

 

Tatsächlich wollten jetzt aber viele "wieder zurückkommen in der nächsten Woche", sagte Sibler. "Wir sind gerade in Bayern dabei, uns einen Überblick zu verschaffen." Man werde deutlich machen, " dass da, wo es einigermaßen verantwortbar ist", Präsenz bevorzugt stattfinden solle, "um die spezielle Situation der jungen Menschen an Hochschulen – Stichwort Begegnung, Austausch, akademischer Diskurs" – berücksichtigen zu können.

 

Auf ganz Deutschland bezogen sagte Sibler, er gehe davon aus, dass es mit Blick auf die aktuellen Inzidenzen jetzt eher die norddeutschen Länder seien, "die hier andere Akzente werden setzen müssen". 

 

Gefragt nach Plänen, die Regelstudienzeit noch einmal flächendeckend zu verlängern, auch um den Bafög-Bezug länger zu ermöglichen, sagte Sibler, das Thema sei schon vor Weihnachten zwischen den Wissenschaftsministern besprochen worden. "Einige wenige Länder haben diese Fristen bereits verlängert, ich gehe fest davon aus, dass in den nächsten Tagen die Dynamik sich in den einzelnen Ländern beschleunigen wird." 

 

Er sei außerdem überzeugt, dass die neue Bundesregierung die Bafög-Förderung ebenfalls entsprechend anpassen werde. Über eine mögliche erneute Verlängerung im Sommersemester hätten die Wissenschaftsminister dagegen noch nicht gesprochen. "Ich bin der guten Hoffnung, dass wir das Thema im Sommer nicht mehr brauchen." Die Erfahrungswerte zeigten, dass der Sommer auf Corona bezogen "deutlich entspannter" sei.




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Kommentare: 1
  • #1

    Birger Horstmann (Mittwoch, 05 Januar 2022 21:50)

    Unklar ist mir bei den Quarantäneregeln für Kinder noch, ob bei einem positiven Test die ganze Lerngruppe für fünf Tage in Quarantäne soll. Das wäre eine Verschärfung gegenüber dem bei Delta erfolgreichen Vorgehen. Bei Inzidenzen wie in Dänemark käme dies einer Schulschließung gleich.