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Was macht Omikron?

Die Corona-Zahlen in Deutschland steigen stark. Geht es so weiter? Wie verteilt sich die Welle über die Bundesländer? Welche Altersgruppen sind besonders betroffen? Und was bedeutet das fürs Gesundheitssystem? Eine aktuelle Bestandsaufnahme.

ES IST DIE ENTSCHEIDENDE FRAGE zurzeit: Wie hoch wird die schon zu einem Sprachklischee gewordene Omikron-Wand? Wegen der besonders schlechten Datenqualität während und nach der Feiertage war bislang Raten angesagt, und auch jetzt ist die Faktenlage kaum besser. Denn inzwischen sind zwar die Nachmeldungen liegengebliebener Positiv-Testergebnisse durch, dafür arbeiten die Labore schon wieder an ihrer Belastungsgrenze. So dass es vielerorts mehrere Tage dauert, bis ein PCR-Befund vorliegt. Trotzdem lassen sich aus den aktuelle Corona-Zahlen einige Beobachtungen und Schlussfolgerungen ableiten. Meine aktuelle Analyse.

 

1. Bundesweit ist der offizielle Anstieg geringer als vermutet

Angesichts einer Zunahme der 7-Tages-Inzidenz von knapp 62 Prozent seit vergangenem Dienstag, die das Robert-Koch-Institut (RKI) heute Morgen für Deutschland gemeldet hat, mag diese Feststellung zunächst eigenartig klingen: Der Sprung um 148 Inzidenz-Punkte auf 387,9 ist erstaunlich wenig. Denn legt man die Erfahrungswerte des Vorjahres an, so lässt sich ableiten, dass allein der Meldeverzug die Inzidenz vergangene Woche noch um bis zu 80 Punkte gedrückt hat. Hinzu kommt, dass in einigen Bundesländern schon vergangene Woche die Schule wieder begonnen hat und die Rückkehr der Pflichttests die Melde-Inzidenz bei den Schülern nominell hebt. 

 

Ein gutes Zeichen? Kommt darauf an. Erstens ist unklar, wie stark die Zahlen jetzt durch die beschränkten Laborkapazitäten beeinflusst werden. Zweitens ist Omikron noch längst nicht in allen Bundesländern bestimmend, wie der Vergleich ihrer Corona-Zahlen zeigt. Also: Da kommt noch mehr.

 

2. Berlin: +157 Prozent; Thüringen: -20 Prozent

Die Bandbreite der Corona-Entwicklung ist im Moment extrem groß. Auf der einen Seite gibt es sogar drei Bundesländer mit einem Inzidenz-Minus. Thüringen: -19,8 Prozent auf 323,7; Sachsen-Anhalt: -4,3 Prozent auf 274,2; Sachsen: -2,9 Prozent auf 279,2. Womit Sachsen und Thüringen innerhalb weniger Woche von der Spitze der Corona-Falltabelle bis ans Ende gerutscht sind. Bemerkenswert. Noch bemerkenswerter ist, dass diese drei Ostländer einen Inzidenz-Rückgang berichten, obwohl auch bei ihnen parallel der Meldeverzug der Feiertage ausgeglichen wurde. In Wahrheit könnte das tatsächliche Minus zum Beispiel in Thüringen im Wochenvergleich also eher bei 40 Prozent liegen. 

 

Auf der anderen Seite explodieren die Zahlen in einigen Bundesländern regelrecht. Den mit Abstand größten Sprung machte Berlin. Innerhalb von einer Woche ging es rauf von 286,8 auf 737,8 (+157 Prozent). Und das Land mit der höchsten Impfquote, Bremen, hat in der zweiten Woche die mit Abstand höchste Inzidenz: 1.185,1 (+130 Prozent im Wochenvergleich). Auch Schleswig-Holstein kratzt mit einem Plus von 98,5 Prozent auf 587,3 an der Verdopplung  der Inzidenz-Punkte binnen einer Woche. Sehr hoch sind die Zuwächse in Rheinland-Pfalz (+92,8 Prozent auf 327,8), Niedersachsen (+76,2 Prozent auf 322,4), Nordrhein-Westfalen (+76,0 Prozent auf 381,7), Hessen (+73,5 Prozent auf 386,1) im Saarland (+73,0 Prozent auf 377,3) und in Bayern (+69,8 Prozent auf 339,5). Immer noch deutlich nach oben zeigt die Kurve in Hamburg (+48,9 Prozent auf 581,1), Mecklenburg-Vorpommern (+47,5 Prozent auf 419,4), Brandenburg (+36,2 Prozent auf 491,8) und Baden-Württemberg (+35,8 Prozent auf 324,1). 

 

Der Trend der Vorwochen, dass allein der Norden vorneweg zieht, ist also vorbei. Omikron hat in zahlreichen Bundesländern die Herrschaft übernommen, in etlichen dürfte die Dynamik in der laufenden Woche noch zunehmen. Nur Teile des Ostens haben noch eine Atempause nach den sehr hohen Delta-Zahlen vor Weihnachten.

 

3. Wie weiter?

Unabhängig davon, dass die Laborkapazitäten den offiziell gemeldeten Anstieg dämpfen könnten, geben Bremen und Berlin für die nächsten Wochen die Richtung vor. Selbst wenn dort die Welle schon ihren Scheitelpunkt erreicht haben sollte (wofür es zurzeit keine Anzeichen gibt), könnten viele Bundesländer im Westen und Süden der Republik kurzfristig ähnliche Wachstumsraten erreichen – vielleicht nicht ganz so hoch, weil die Feiertags-Nachmeldungen durch sind. Weil aber zugleich das Plus in mehr und mehr Ländern Omikron-Niveau erreicht, wäre es schon ein Erfolg, wenn die bundesweite 7-Tages-Inzidenz nächsten Dienstag nicht noch schneller gestiegen wäre als diese Woche. Was bedeutet: Bei nochmal rund 60 Prozent mehr könnte das RKI heute in einer Woche einen Wert zwischen 600 und 700 melden. Das ist aber wie gesagt die Unterkante und wäre positiv zu bewerten. 

 

4. Welche Altersgruppen besonders betroffen sind

Auch hier ist wegen der Ferien und Feiertage eine besondere Vorsicht angebracht bei der Interpretation der RKI-Zahlen. Was sich sagen lässt: Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist die Dynamik gerade außerordentlich hoch. In der am Sonntag zu Ende gegangenen Kalenderwoche 1/2022, die ein gesamtgesellschaftliches Plus von offiziell 57,3 Prozent brachte, kamen die 15- bis 19-Jährigen auf +100,3 Prozent und die 20- bis 29-Jährigen auf +95,2 Prozent. Obwohl schon 55 Prozent der 12- bis 17-Jährigen zweimal geimpft sind und 80 Prozent der über 18-Jährigen.

 

Dass der Anstieg bei den unter 5-Jährigen bei deutlich geringeren 39,8 Prozent und bei den 5- bis 14-Jährigen bei 39,1 Prozent lag, lässt sich noch mit dem Rückgang der Tests in den Weihnachtsferien erklären. So hat sich der Anteil der Schulkinder an allen gemeldeten Neuinfektionen innerhalb von zwei Wochen von fast 20 auf aktuell 11,7 Prozent fast halbiert.

 

Was nicht als besondere Schutzwirkung der Schulferien zu interpretieren ist. Denn der größte Teil des offiziellen Rückgangs passierte in der ersten vollständigen Ferienwoche ab 27. Dezember, was inklusive der Wartezeiten für einen PCR-Test und die verzögerten Infektionsmeldungen ans RKI bedeutet, dass der zugrundeliegende Infektionszeitraum in den meisten Bundesländern noch vor den Ferien gelegen haben dürfte. Die Wirkung der Ferien wird man sicher erst in der laufenden, teilweise sogar erst in der nächsten Kalenderwoche erkennen können. Und es ist davon auszugehen, dass die Pflichttests an den Schulen den Anteil der Kinder und Jugendlichen an allen Corona-Fällen wieder Richtung 20 Prozent bringen, weil das Dunkelfeld wieder ausgeleuchtet wird. Übrigens dann wieder so gut wie bei keiner anderen Altersgruppe. 

 

Erfreulich ist, dass in der vergangenen Woche nur noch 9,9 Prozent aller gemeldeten Neuinfektionen über 60-Jährige betrafen – nach 12,1 Prozent in der Vorwoche. Allerdings ist die Freude nur relativ. Denn der Anstieg der Corona-Fälle in dieser Altersgruppe betrug trotzdem noch mehr als ein Viertel im Wochenvergleich.

 

5. Rätselraten über den Omikron-Hebel

Es ist die zweite entscheidende Frage zurzeit: Wie stark schlagen die drastisch höheren Corona-Inzidenzen auf die Krankenhaus-Einweisungen durch? Dass Omikron individuell ein geringeres Risiko bedeutet, schwer an Covid-19 zu erkranken, könnte überkompensiert werden durch die schiere Masse an Infizierten. Derzeit lassen sich die Auswirkungen jedoch nur vermuten. Die Zahl der auf den Intensivstationen behandelten Corona-Infizierten sank in den vergangenen sieben Tagen bis gestern so schnell wie lange nicht mehr – um 14,4 Prozent auf 3.253. Gegenüber dem bisherigen Winter-Peak in der ersten Dezember-Hälfte (4.937) ein Rückgang um ein gutes Drittel. Größtenteils spiegelt sich in den Zahlen freilich noch die abflauende Delta-Welle wider. In den nächsten Tagen schon könnte hier eine Seitwärts-Bewegung einsetzen. Und dann kommt es darauf an. Positiv und äußerst erfreulich: Gestern wurden fast 2.000 Corona-Infizierte weniger auf den Intensivstationen behandelt als vor genau einem Jahr. 

 

Bei den Krankenhaus-Einweisungen taugen die aktuellen RKI-Zahlen wieder einmal nur zum Vergleich der Altersgruppen. Und da zeigt sich wenig Bewegung. Erkennbar ist immerhin, dass die Infektionslage vor Weihnachten (also noch in der Schulzeit) einen deutlichen Rückgang des Anteils der Schulkinder an allen Hospitalisierungen gebracht hat. In Kalenderwoche 52, also der ab 27. Dezember, waren 1,7 Prozent der Patienten mit Coronainfektion im Krankenhaus zwischen 5 und 14. 0,4 Prozentpunkte weniger als eine Woche zuvor. Auffällig ist dagegen seit der Wochen anhaltende Anstieg bei den Kleinkindern bis 4 auf aktuell 2,4 Prozent aller Anweisungen. Allerdings hatten viele von ihnen nicht Covid-19 als Aufnahmebefund, die Infektion wurde durch die Routinetests festgestellt.

 

Um die Dimension dieser Zahlen zu bewerten, muss man sich außerdem vor Augen halten, dass weiter mehr als 58 Prozent aller Krankenhauseinweisungen über 60-Jährige Corona-Infzitierte betreffen. Erfreulicherweise sinkt ihr Anteil aber: Vor zwei Monaten lag er noch bei gut zwei Dritteln. Offenbar ein Erfolgsbeleg für die Booster-Impfungen.

 

6. Beobachten und nachsteuern

Man muss konzedieren: Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in den Krankenhäusern scheint das Votum des Corona-Expertenrats von vergangener Woche angemessen. Es lautete, die Entwicklung aufmerksam zu beobachten, die kritischen Infrastrukturen abzusichern und das Gesundheitssystem auf einen möglichen Ansturm vorzubereiten. Eine Verschärfung der bestehenden Corona-Maßnahmen hatte der Rat vorerst nicht verlangt.

 

Persönlich hätte ich mir zwar an der einen oder anderen Stelle mehr Konsequenz von der Politik gewünscht, weil die Dynamik der Omikron-Welle, wie der Blick ins Ausland zeigt, extrem sein kann. Umgekehrt hatte Deutschland aber schon länger relativ strenge Maßnahmen, so dass es vielleicht gar nicht erst zu Inzidenzen von 2000 und mehr wie zurzeit etwa in Dänemark kommt. Als Gegenargument könnte man indes anführen, dass die Impf- und Boosterquoten dort sogar noch etwas höher sind. Kurzum: Wir wissen es nicht. Vor allem gibt es keine international gültige Formel zur Umrechnung der Omikron-Inzidenzen in schwere Fälle. Beobachten und, wenn nötig, sehr schnelles Nachsteuern ist also angesagt. 




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Kommentare: 1
  • #1

    Robert Moesner (Dienstag, 11 Januar 2022 12:33)

    Die aktuelle Dynamik der Omikron-Entwicklung läßt sich
    leider auch in diesem Bericht nur schwer abbilden, weil die Datenlage so schlecht ist. Selbst die öffentlichen Medien kritisieren diese unhaltbare Situation schon zunehmend deutlich. Warum schaffen es Länder wie Dänemark, ihre
    Statistiken auch über die Feiertage aktuell zu halten? Das
    ist leider ein Armutszeugnis für Deutschland.