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Die entscheidende Frage beim Wissenschaftsjahr der Fragen

Wissenschaft und Politik feierten den Start ins "Wissenschaftsjahr 2022 – Nachgefragt!" Doch ist unklar, wie weit das gemeinsame Verständnis des Kampagnenziels sie tragen wird.

Logo des Wissenschaftsjahres 2022. Quelle: www.wissenschaftsjahr.de/BMBF.

DAS WISSENSCHAFTSJAHR 2022 steht unter der Überschrift "Nachgefragt" und ist dem Stellen und Beantworten von Fragen gewidmet, dem Dialog zwischen Gesellschaft und Wissenschaft. Die wichtigste Frage allerdings kann die Wissenschaft nur allein beantworten: Wie ernst ist es ihr wirklich mit diesem Anliegen?

 

Wobei mit "die Wissenschaft" an dieser Stelle vor allem die großen und einflussreichen Wissenschaftsorganisationen gemeint sind. Und unter denen ganz besonders die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die dieses Jahr den Vorsitz in der sogenannten Allianz der Wissenschaftsorganisationen führt. DFG-Präsidentin Katja Becker ist außerdem Vorsitzende der Gesellschafterversammlung von "Wissenschaft im Dialog", einer im Jahr 2000 von den Wissenschaftsorganisationen gegründeten Initiative für mehr Wissenschaftskommunikation. 

 

WID bemüht sich mit seiner sehr agilen und rasant gewachsenen Geschäftsstelle seither um neue Formen der Partizipation, die weit mehr sind als ein Informieren der geneigten Öffentlichkeit, die zum Mitdenken, zum Begeistertsein und Spaßhaben an Wissenschaft und immer stärker auch zum Mitgestalten von Forschung anregen wollen.

 

Also genau die Ausrichtung, die jetzt auch das vergangene Woche gestartete Wissenschaftsjahr haben soll, das 21., in einer ebenfalls im Jahr 2000 gestarteten Tradition: "Ziel des Wissenschaftsjahres 2022 ist es, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am politischen und wissenschaftlichen Entwicklungsprozessen zu stärken und neue Zukunftsfelder für Forschung und Forschungspolitik zu erschließen", steht auf der dazu gehörenden Website. 

 

Wissenschaftskommunikation: nahtloser Übergang 
zwischen Karliczek und Stark-Watzinger

 

Zentraler Bestandteil ist der sogenannte "IdeenLauf", bei dem die Öffentlichkeit bis Mitte April Forschungsfragen stellen kann, die dann von Wissenschaftlern und ausgewählten Bürgern "diskutiert, gebündelt und durch ergänzende Texte in ihren fachlichen Zusammenhang gesetzt" werden sollen. Um sich dann wiederum unter Einbindung der Öffentlichkeit zu einem "Pool voller neuer Ideen" zu entwickeln, der im Herbst an Politik und Forschung übergeben werden soll. Die dann was genau damit tun? Das ist die wichtigste, die offene Frage. 

 

Finanziert wird das Wissenschaftsjahr vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das schon unter der früheren Ressortchefin Anja Karliczek (CDU) stark Richtung mehr (und anderer) Wissenschaftskommunikation gepusht hatte. Karliczeks Nachfolgerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), die sich in Stil und Wissenschaftsnähe schon in den ersten Wochen abhebt von ihrer Vorgängerin, scheint zumindest an dieser Stelle nahtlos anknüpfen zu wollen. 

 

Dieser Umstand ist wichtig, um die Äußerungen von DFG-Chefin Becker bei der Pressekonferenz zum Auftakt des neuen Wissenschaftsjahres besser einordnen zu können. Anders als bei ihrer 2020-Jubiläumskampagne "Für das Wissen entscheiden" hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft es beim Wissenschaftsjahr nicht allein in der Hand, dessen Verlauf mit ihren eigenen Vorstellungen einzuhegen. 

 

Becker sagte bei der Pressekonferenz, es sei immer noch die Zeit der Pandemie, ebenso sei es die Zeit großer gesellschaftlicher Herausforderungen wie der Klima- und Biodiversitätskrise. Eine progressive Politik, die sich diesen Aufgaben proaktiv und integrativ stelle, brauche zu ihrem Gelingen alle verfügbaren Ressourcen. "Dazu gehört ganz besonders die Erkenntniskraft bester Forschung, aber ebenso nicht nur gesellschaftliche Akzeptanz, sondern Begeisterung für dieses Wissen."

 

Ist echter Dialog nicht mehr
als geschicktes Marketing?

 

Es brauche Bürgerinnen und Bürger, die nachfragen, die verstehen wollten. "Die auch Vorbehalte formulieren und kritische Fragen stellen. Und es braucht umgekehrt Forschung, die sich nicht damit begnügt, Wissen bereitzustellen, sondern die Sorge dafür trägt, wie dieses Wissen in der Gesellschaft wirkt. Die Verantwortung für das Gemeinwohl übernimmt. Und die ebenso beherzt, wie sie forscht, auch in den Dialog über diese Forschung mit Bürgerinnen und Bürgern eintritt."

 

So weit, so gut. Doch wenn man genau hinhört, was sagte Becker da eigentlich? Besteht das vorrangige Ziel der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft darin, Akzeptanz und Begeisterung für Forschung zu erzeugen? Was sicherlich ein berechtigtes Anliegen wäre, aber ist ein echter Dialog, ein gesellschaftlicher Diskurs, nicht mehr als geschicktes Marketing mit dem Ziel zusätzlicher Sympathiepunkte?

 

Einerseits blinkte Becker durchaus in die Richtung dieses "Mehr", indem sie weiter formulierte, die Chancen eines echten Dialogs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft lägen auf der Hand: "Er ist wechselseitig und erlaubt, Perspektiven zu weiten, sich auf neues Denken einzulassen, aber auch Unkenntnis zu teilen, Unwissen zu erkennen und bestenfalls gemeinsam neue Horizonte zu entdecken."

 

Andererseits beschrieb die DFG-Chefin eine deutliche rote Linie. Auf den Erfahrungen der bisherigen Wissenschaftskommunikation, sagte sie, "können wir aufbauen, um die grundsätzliche Freiheit der Forschung zu gewährleisten – etwa bei der Wahl der Themen – und wir können auf den Erfahrungen aufbauen und sie nutzen, um die Forschung zu öffnen und immer besser zu verbinden mit den Fragen und Anliegen, den Visionen der ganzen Gesellschaft."

 

Die Bremsklötze
herausgeholt 

 

Begeistert werden soll die Gesellschaft, sie soll ihre Fragen und Anliegen formulieren, wo es passt, auch als Datensammler dienen – aber wenn daraus etwas folgt für die Wahl der Forschungsthemen und Methoden, dann wird die Wissenschaft, so klingt es es bei Becker an, im Zweifel die Karte "Freiheit der Forschung" ziehen. Nachvollziehbar, berechtigt und eigentlich auch selbstverständlich.

 

Warum dann muss Becker es gleich bei der Auftakt-Pressekonferenz zum Wissenschaftsjahr betonen? Fürchten die Wissenschaftsorganisationen wirklich, ihre Forschungsagenda könnte, wenn sie nicht aufpassen, von Wissenschaftsjahr-Aktivisten gekapert werden? Fest steht: Das Betonen der Selbstverständlichkeit "Wissenschaftsfreiheit" bremst den angebotenen offenen Dialog mit der Öffentlichkeit, der dem BMBF so wichtig erscheint und den auch WID sich auf die Fahnen geschrieben hat, von vornherein ab. Weil hier Skepsis mitzuschwingen scheint. 

 

Und genau an dem Punkt stellt sich dann die oben genannte Frage, wie ernst es Wissenschaftsorganisationen wie die DFG in ihren Führungsetagen tatsächlich damit meinen, die wissenschaftlich engagierte Öffentlichkeit nicht nur zuhören und Fragen stellen, sondern mitmachen zu lassen. Sei es bei Forschungsprojekten, Stichwort Bürgerwissenschaften, oder bei der Bestimmung künftiger Forschungsfelder. 

 

Becker persönlich hat sich nicht erst seit ihrem Amtsantritt als DFG-Präsidentin den Ruf einer modernen Wissenschaftsmanagerin erworben, die offen ist für Veränderungen und Neues. Trotzdem konnte man den Eindruck bekommen, sie habe bei der Start-Pressekonferenz zum Wissenschaftsjahr die rhetorischen Bremsklötze herausgeholt. Vielleicht ja auch, weil sie an der Stelle die gesamte Allianz und deren Breite an Vorstellungen zur Wissenschaftskommunikation vertrat.

 

Den Eindruck mit den Bremsklötzen schienen jedenfalls auch andere Akteure bei der Pressekonferenz zu teilen. Stefanie Molthagen-Schnöring zum Beispiel, Vizepräsidentin für Forschung und Transfer der Hochschule für Wissenschaft und Technik (HTW) in Berlin und eine der wichtigsten Stimmen im Diskurs um moderne Wissenschaftskommunikation. Sie sagte unter anderem:  "Die Wissenschaft unterschätzt immer noch das gesellschaftliche Innovationspotenzial, das die Bürgerbeteiligung und Bürgerforschung bietet." Molthagen-Schnöring ist Ko-Vorsitzende des sogenannten "Science Panels", 13 WissenschafterInnen, die den "IdeenLauf" mitgestalten.

 

Die Wissenschaftsorganisationen könnten 
trotzdem bereit sein, diesen Weg zu gehen

 

Ähnlich abwartend äußerte sich bei der Pressekonferenz Monika Buchenscheit. Sie gehört zu den 30 zufällig ausgewählten BürgerInnen im "Citizen Panel", das ebenfalls eine wichtige Rolle beim "IdeenLauf" spielt. Und sagte, sie sei "persönlich sehr neugierig, welche Fragen die Bevölkerung einreichen wird, und wie mit diesen Fragen umgegangen wird" – von Seiten des BMBF, "aber auch von Seiten von Wissenschaft und Forschung". Buchenscheit zeigte sich überzeugt, dass die Beteiligung von Bürgern die "Nutzung von kreativem Potential der Gesellschaft und die Mobilisierung von zusätzlichem Potential und Ressourcen" für die Forschung bedeute. "BürgerInnen bringen mit sehr viel Sachverstand ihre eigenen Erfahrungen und Erwartungen ein, die dann sowohl der Wissenschaft als auch der Forschung als Paradigma dienen können." 

 

Aber will die Wissenschaft in Person ihrer führenden Vertreter das wirklich? Worin sehen Becker und ihre KollegInnen der anderen Wissenschaftsorganisationen ihre Rolle im Wissenschaftjahr? Darin, die Transformation auch ihrer eigenen Einrichtungen und Forschungsformate voranzubringen? Oder dafür zu sorgen, dass das "Nachgefragt" gutes Wetter für Forschung macht, aber dass daraus nicht wirklich ein "Mitgemacht" und "Mitbestimmt" wird?

 

Die Entwicklung "ihres" WID in den vergangenen Jahren macht Hoffnung, dass die Wissenschaftsorganisationen doch bereit sein könnten, diesen Weg zu Mehr zu gehen. Dass sie verstanden haben, dass das kein Widerspruch, sondern eine Ergänzung zur freien Grundlagenforschung sein  kann. Und dass der Zug zu mehr Mitmachen und mehr Mitbestimmung durch die Gesellschaft ohnehin längst abgefahren ist. Also sollten sie die Bremsklötze einpacken und zeigen, was im Wissenschaftsjahr 2022 – "Nachgefragt" alles möglich ist. Gemeinsam zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. 



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Kommentare: 2
  • #1

    Enno Aufderheide (Donnerstag, 20 Januar 2022)

    ...vielleicht sollte WID der DFG-Präsidentin eher dankbar sein: Eine fast allgegenwärtige Erfahrung aus Partizipationsprozessen ist doch die Unzufriedenheit damit, dass am Ende nicht so viel umgesetzt wird, wie viele Beteilgte erwartet hatten. Auch hier sind die Erwartungen offenbar hoch, wenn postuliert wird, "Erfahrungen und Erwartungen" der Bürger sollten zum "Paradigma" für Wisssenschaft und Forschung werden. Die Interaktionen im Wissenschaftsjahr werden Einfluss auf die Forschung haben. Welche*r Wissenschaftler*in bliebe ungerührt von neuem Unbekanntem, von faszinierenden Fragen. Es werden Fragen, Forschungsziele, wenn man so will "Irritationen des Denkens" entstehen und nicht ohne Folgen bleiben. Aber wenn die Erwartung ist, dass die Wissenschaft dabei neue Paradigmen gesetzt bekommt, dann bin jedenfalls ich Frau Becker für ihr "Managing Expectations" dankbar.

  • #2

    Alexander Gerber (Donnerstag, 27 Januar 2022 10:43)

    Zu Ihrem Kommentar, lieber Herr Aufderheide: Ginge es wirklich nur um Erwartungsmanagement, wäre das mit Blick auf Jahrzehnte der Wissenschaftskommunikationforschung und -praxis aus meiner Sicht enttäuschend. Frühere Evaluationen der Wissenschaftsjahre beispielsweise haben gezeigt, dass ein breites Spektrum der Gesellschaft eben gerade nicht mit (thematischen) Wissenschaftsjahren erreicht wird, sondern vorrangig jene Gruppen, die ohnehin nicht mehr überzeugt oder aktiviert werden müssen. Eine Partizipation, die vielmehr inklusiv gedacht (und methodisch auch ebenso angelegt) ist, wäre demgegenüber eine echte Chance für dieses Wissenschaftsjahr, für die deutsche Wissenschaft und im Grunde für den Umgang unserer Gesellschaft mit Wissen allgemein.
    Statt Erwartungen zu senken wäre es insofern weitaus "progressiver" gewesen, wenn BMBF / DFG den Mut zu politischen Signalen (und idealerweise gleich entsprechenden Anreizsystemen) aufgebracht hätte, klar für eine Offenere Wissenschaft einzutreten. Das könnte ein enorm wichtiger Beitrag zur Transformation sein und entspräche in der Umsetzung weitaus mehr einem ergebnisoffenen "Nachgefragt" als einem potentiell ergebnislosen oder gar tokenistischen "Vorgeschlagen".