Bis 2030 könnten mindestens 81.000 Lehrkräfte fehlen. Doch die Kultusminister verwalten lieber den Mangel, als das Lehramtsstudium endlich attraktiver und flexibler zu machen.
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ER HABE KLAUS KLEMM selten so frustriert und aufgewühlt erlebt, schrieb der Bildungsjournalist Armin Himmelrath vergangenen Mittwoch auf Twitter, versehen mit dem Link zum Text seiner Spiegel-Kollegin Silke Fokken. Und das heißt was, denn Himmelrath ist lange im Geschäft. Und der Bildungsforscher Klemm erst recht: Seit Jahrzehnten begleitet er die Personalpolitik der Kultusminister, berechnet den bundesweiten Bedarf an Lehrern und vergleicht seine Prognosen mit denen der Länder. Deren Vorhersagen schließlich haben große Auswirkungen auf die Universitäten und Lehramts-Studiengänge.
"In hohem Ausmaß unseriös" seien einige Annahmen der Kultusministerkonferenz, kritisierte Klemm vergangene Woche. Annahmen, auf deren Grundlage die KMK den Lehrermangel bis 2030 auf lediglich 14.000 Pädagogen schätzt. Klemm sagt: 81.000 Lehrkräfte könnten bis dahin fehlen. Was knapp zehn Prozent der Soll-Stärke aller deutschen Schulkollegien entspräche.
Der systematische Irrtum der Bildungsminister liegt dem Bildungsforscher zufolge nicht in der von ihnen prognostizierten Schülerzahl, auch nicht in dem daraus resultierenden Lehrerbedarf. Sondern an einer drastischen Überschätzung der Lehramts-Absolventen, die bis dahin aus den Hochschulen kommen.
Einfach mehr Studienplätze
werden es nicht richten
Deren Zahl ging zuletzt sogar noch zurück, obwohl die Länder seit Jahren mit einem immer krasseren Lehrermangel kämpfen und selbst alle Seiten- und Quereinsteiger nicht mehr reichen. Klar ist auch: Einfach mehr Studienplätze, die bitter nötig sind und bislang nur teilweise eingerichtet wurden, werden es nicht richten.
Weil es erstens rund sieben Jahre dauert, bis aus einer Studienanfängerin eine fertige Lehrerin wird. Weil es zweitens wenig bringt, wenn sich zum Beispiel mehr Abiturienten für Deutsch auf Gymnasial-Lehramt einschreiben, dann aber vor allem Mathe- oder Informatiklehrer an Sekundarschulen gebraucht werden.
Die entscheidenden Fragen lauten: Wie kann es gelingen, mehr technik-, zahlen- und naturwissenschaftsaffine junge Menschen für den Lehrerberuf zu begeistern? Und wie können sie schneller in den Schulen ankommen?
Das mit der Begeisterung wird nur gelingen, wenn aus dem Gerede über mehr Geld für Schulen etwas folgt, wenn die Länder (und der Bund!) endlich massiv und flächendeckend in die Gebäude, Ausstattung und didaktische Konzepte an den Schulen investieren. Wenn sie nicht nur vakante Lehrerstellen verwalten, sondern parallel Sozialarbeiter einstellen, Systemadministratoren und Verwaltungskräfte. Symbole eines bildungspolitischen Aufbruchs statt der immer gleichen Katerstimmung. Andernfalls werden viele hochqualifizierte Studienanfänger weiter einen Bogen um das Lehramt machen – erst recht, wenn künftigen MINT-Absolventen anderswo der rote Teppich ausgerollt wird.
Studienanfänger besser beraten,
das Studium flexibler machen
Dringend nötig ist zudem, dass die jungen Menschen, die sich fürs Lehramt interessieren, konsequenter beraten werden. Was trotz der Riesen-Pädagogenlücke bedeuten könnte, ihnen häufiger auch abzuraten. Schon damit weniger ihr Studium abbrechen oder im Beruf unglücklich werden: Gerade erst wieder bestätigte eine Umfrage des Stifterverbandes frühere Erkenntnisse, dass überdurchschnittlich oft jene Abiturienten Lehrer werden wollen, die schlechtere Noten haben und seltener ein hohes Selbstvertrauen, Resilienz gegenüber Rückschlagen oder die Fähigkeit, vor Gruppen zu reden, zu ihren besonderen Stärken zählen.
Hier helfen und zugleich die Lehrerbildung flexibler und schneller machen könnte zum Beispiel ein Modell, das der Ex-Wissenschaftsratsvorsitzende Manfred Prenzel schon 2017 als Teil des von ihm geforderten "Masterplans Lehramtsstudiums" vorgeschlagen hatte. Die Grundidee: Der eigentliche Übergang in die Lehrerbildung kommt erst im Masterprogramm an einer School of Education.
Für den könnten sich Bachelorabsolventen der unterschiedlichsten Fächer über ein Aufnahmeverfahren bewerben. Der zweijährige Lehramts-Master würde dann die fachlich bereits versierten Studierenden mit allen nötigen fachdidaktischen, pädagogischen und organisatorischen Kompetenzen versorgen. Auch das Referendariat ließe sich damit gut verzahnen.
Und dass dann später ein zweites Fach in relativ kurzer Zeit und berufsbegleitend hinzustudiert werden könnte, bezeichnete Prenzel bildungspolitisch "als sehr viel elegantere Möglichkeit, auf nicht absehbaren Lehrermangel in bestimmten Fächern zu reagieren". Wobei, wie Prenzel damals auch betonte, es natürlich die unterschiedlichsten denkbaren Reformmodelle geben könne.
Lieber jagen sich die Länder
gegenseitig die Lehrer ab
Das war vor fünf Jahren. Der Mangel ist stärker denn je. Doch die Lückenstopferei der Kultusminister ist immer noch alles Andere als elegant, und sie haben sich bislang auf gar kein Reformmodell eingelassen.
Dabei bilde die von ihm errechnete Lücke von 81.000 bis 2030 sogar nur das Minimum ab, sagt Bildungsforscher Klemm: weil sie den zusätzlichen Personalbedarf durch mehr Ganztag, Inklusion oder die verstärkte Unterstützung von Schulen in schwieriger sozialer Lage noch gar nicht berücksichtige.
KMK-Präsidentin Karin Prien versichert derweil, die Länder hätten die Entwicklung "im Blick", sie betonte die Anstrengungen der Bildungsminister und die kontinuierliche Weiterentwicklung der Prognosen.
Solange eine Ressortchefin wie Berlins neue Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse, um wieder konkurrenzfähig zu sein, die Wieder-Verbeamtung der Lehrkräfte für die wichtigste Reform für die nächsten Jahre hält, ist klar: Statt die Lehrerbildung bundesweit neu zu denken, jagen die Länder sich lieber weiter gegenseitig die zu wenigen Absolventen ab.
Dieser Kommentar erschien heute zuerst im Newsletter ZEIT WISSEN DREI.
Blog-Barometer Januar 2022
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Ruth Himmelreich (Montag, 31 Januar 2022 10:01)
Es muss einen nicht überraschen, dass es ingesamt in den Kultusministerien keinen Trend gibt, den sinnvolleren Weg eines Fachbachelors mit anschließendem Master of Education zu gehen. Hier hilft die Betrachtung, aus welchen Gruppen sich das Personal der Kultusministerien zusammensetzt und welche Interessen sie haben.
Zu einem großen Teil sind die Beamtinnen und Beamten der Ministerien und der Schulverwaltungen samt ihren zahlreichen Unterinstitutionen natürlich eines: Lehrerinnen und Lehrer, die durch die klassische Lehramtsausbildung gegangen sind. Vor allem, würde ich einmal die Behauptung aufstellen, kommen sie nicht aus dem MINT-Bereich.
Die Tendenz, den Weg in die doch (mindestens für Absolvent*innen der Geisteswissenschaften) sehr attraktiven Beamtenverhältnisse einer anderen Gruppen zu erleichtern, liegt ihnen nicht sehr nahe. Und man findet Gründe und Gründe, das auch den Quereinsteiger*innen auf der bürokratischen Ebene zu erschweren. Man gestaltet schließlich die Verwaltungsvorschriften für den Quereinstieg...
Würde man die Lehramtsausbildung grundlegend reformieren, stünden auch die Lehrerseminare zur Disposition. Und alles, was sonst noch dranhängt. Unser Schulsystem ist auch aufgrund der ziemlich ausufernden Schulbürokratie so teuer. Pro Schüler*in steht ja nicht einmal wenig Geld zur Verfügung, aber wenn davon ein guter Teil in Landesämter für Qualitätsentwicklung, Fortbildungsstätten undundund geleitet wird, die mit gutdotierten Beamtenstellen bestückt sind, bleibt vor Ort nicht mehr so viel übrig.
Die Beharrungskräfte sind außerordentlich groß - und wenn ein Bundesland einmal vorprescht, schließt sich die Front in den anderen Ländern, und man tut alles, um den/die Irregeleitete*n wieder auf den rechten Weg zurückzubringen.
Philonous (Dienstag, 01 Februar 2022 10:15)
Ja, die Beharrungskräfte sind immens stark. Hessen hat beispielsweise bis heute keine BA.-MA-Struktur für die Lehrkräftebildung. Natürlich aus Kostengründen - der Qualität tut das nicht gut.
Lehrerkind (Dienstag, 01 Februar 2022 10:48)
Die Interessen an den Universitäten selbst laufen nach meiner Erfahrung auch oft quer zu dem Desideratum einer bedarfsgerechten Ausbildung von Lehrkräften. Um Studiengänge, gerade in den Geisteswissenschaften, voll zu halten, wird fleissig über den Bedarf hinaus ausgebildet. Das passt sehr gut zu den Ausführungen der ersten Kommentatorin: die über den Bedarf hinaus ausgebildeten Lehrkräfte aus den Geisteswissenschaften sitzen dann in den Studienseminaren, Ministerien, und sonstigen Unterinstitutionen. In den MINT-Fächern sind die Lehramtsstudiengänge häufig eher Stiefkinder und stehen im Geruch einer reduzierten Fachlichkeit.
Michael Liebendörfer (Mittwoch, 02 Februar 2022 18:59)
Aha, ich lehre also dort, wo es am dringendsten ist: Mathematik für die Sekundarstufe I. Zwei Anmerkungen von dieser Warte:
Erstens könnte man über A13-Besoldung auch für diese Lehrkräfte nachdenken, wenn man mehr von ihnen haben will. Das wäre amtsangemessen. Nicht, weil das Studium deutlich weniger fordert als das Gymnasiallehramt, sondern weil der Job an einer Gesamtschule seine ganz eigenen Härten mit sich bringt.
Zweitens geht für meine Gruppe der Vorschlag von Herrn Prenzel ins Leere. Einen Mathematik-Bachelor würden die meisten Sek.I-Lehrkräfte nicht schaffen und müssen das auch nicht.
Vielmehr müssten wir dahin kommen, dass die wenigen, die Mathe an einer Hauptschule unterrichten wollen, mit all ihren Schwächen ernst genommen und an den Universitäten ordentlich ausgebildet werden. Mit etwas mehr Personal könnte man mehr als "One-size-fits-nobody" anbieten, etwa in Lernzentren individuelle Hilfe anbieten und die oft schüchterne Zielgruppe der First-Generation-Studierenden etwas betreuter in die Academia einführen.
Dass man gerade beim niederen Sekundarstufenlehramt den Karren schon länger absehbar gegen die Wand fahren lässt, wirft bei mir die Frage auf, ob die Bildungsbürokratie ihren Nachwuchs nicht doch noch immer ans Gymnasium gebracht hat, um derlei Probleme nicht wahrhaben oder gar erleben zu müssen...
Yellow Lemon (Donnerstag, 03 Februar 2022 10:55)
Ich finde, dass der Lehramtsmaster nach einem Fachbachelor eine Option sein soll, aber nicht der Königsweg ist. Der überwiegende Teil der Lehramtsstudierenden will meiner Erfahrung nach von Studienbeginn an Kompetenzen im Lehramtsbereich erwerben und so auch herausfinden, ob sie:er dafür geeignet ist.
Die Frage der Studienstruktur (Bachelor/Master oder Staatsexamen) finde ich nicht so entscheidend. Im Kontext der Umstellung in BaWü habe ich mich damit befasst und der Hauptunterschied besteht meiner Erfahrung nach hinsichtlich in der Flexibilität: Die Bachelor-Master-Struktur führt zu organisatorischen Herausforderungen und Verzögerungen, weil man zwei bzw. drei oder vier Disziplinen zeitlich in Einklang bringen muss und das zu zwei Zeitpunkten. Aufgrund der frei kombinierbaren Fächer überschneiden sich im Lehramt häufig Veranstaltungen. Wenn man eine Veranstaltung (im Bachelor) nicht besteht, muss man u.U. ein Jahr warten, was man im Staatsexamen durch den Besuch von anderen Veranstaltungen (aus dem Hauptstudium) kompensieren kann.
Ich glaube, dass qualitativ gute Fachdidaktik- und Bildungswissenschaftsveranstaltungen für die Motivation förderlich sind und hier erheblicher Verbesserungsbedarf besteht. Außerdem fände ich eine wirklich umfassendes Beratungsangebot sowohl im Hinblick auf ein reines Fachstudium, ein Lehramtsstudium aber auch mögliche Ausbildungen nach einem Bachelor sinnvoll. Auch sollte es für Studierende eines Fachbachelors möglich sein, anschließend einen Lehramtsmaster zu absolvieren.