Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger will sich mit den Ländern auf eine Bildungsstrategie einigen. Wie die aussehen könnte und was passieren muss, bevor der Bund dauerhaft Geld gibt: Ein Interview über Schule, Hochschule und Chancengerechtigkeit, über neue Formen der Forschungsförderung, die Exzellenzstrategie und "#IchbinHanna".
Bettina Stark-Watzinger. Foto: BMBF/Hans-Joachim Rickel.
Frau Stark-Watzinger, Sie stehen seit zwei Monaten an der Spitze des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Wie nennen Sie sich eigentlich selbst? Bildungsministerin? Forschungsministerin?
Ich bin beides. Und so verstehe ich mich auch. Im Forschungsbereich können wir als Bund eigenständiger handeln, allerdings ist der Bildungsbereich vielen Menschen näher. Er betrifft das alltägliche Leben, insbesondere in der Corona-Pandemie. Darauf ist die öffentliche Wahrnehmung derzeit fokussiert. Doch arbeiten wir als Chancenministerium über die Krise und ihre unmittelbare Bewältigung hinaus, davon zeugt der Koalitionsvertrag.
In der Bildung haben Sie als Bundesministerin weniger Macht, aber dafür mehr Öffentlichkeitswirkung. Welche Schlussfolgerung ziehen Sie daraus?
Wir sollten zwischen Bund und Ländern noch einmal über die Rollenverteilung sprechen und auch die Kommunen miteinbeziehen. Weil die Menschen nicht zuerst auf die Zuständigkeiten schauen, sondern darauf, dass das Bildungssystem funktioniert – und zwar besser. Die diesjährige Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien, hat als KMK-Oberthema für 2022 "Lernen aus der Pandemie" gewählt. Bund und Länder können schon jetzt zusammenarbeiten, vielfach aber eben über Umwege. Das macht vieles schwieriger, komplizierter, auch intransparenter.
"Ich will niemandem etwas wegnehmen,
sondern als Bund mehr beitragen."
Bei welchen konkreten Themen wollen Sie als Bund stärker mitreden?
Sagen wir lieber: stärker und dauerhafter Verantwortung übernehmen. Ich will niemandem etwas wegnehmen, sondern als Bund mehr beitragen, Hand in Hand mit den Ländern und Kommunen, im Rahmen einer klaren Aufgabenteilung. Ich denke da an Themen wie die Digitalisierung, aber auch die Qualität insgesamt.
Sie haben den Koalitionsvertrag als Orientierung angesprochen, darin steht: "Soweit erforderlich, bieten wir Gespräche über eine Grundgesetzänderung an." Sie haben sich für die Erkenntnis, dass dies nötig ist, nicht viel Zeit gelassen.
Weil ich glaube, dass wir das Zeitfenster, das sich uns nach dieser Krise öffnet, nutzen müssen. Das ist ein Angebot an die Länder.
Das Angebot, den Bildungsföderalismus neu zu ordnen?
Das Angebot, eine gemeinsame Grundlage für mehr Kooperation zwischen Bund und Ländern zu entwickeln. Und das Grundgesetz entsprechend anzupassen.
Was kaum weniger hochgegriffen ist.
Die Menschen in unserem Land erwarten, dass sich etwas ändert. Sie erwarten, dass sie sich nach einem Umzug in ein anderes Bundesland nicht völlig umstellen müssen. Sie erwarten, dass nicht nur überall vergleichbare Anforderungen an die Schüler gestellt werden, sondern dass auch die Qualität von Unterricht und Unterstützungsangeboten überall vergleichbar sind. Die Kultusminister haben selbst ein großes Interesse an Vergleichbarkeit, weil sie ein möglichst gutes Bildungssystem wollen. Und weil sie wissen, dass fast 80 Prozent der Menschen mehr Vergleichbarkeit wollen.
Bettina Stark-Watzinger, 53, ist FDP-Politikerin und seit 8. Dezember Bundesministerin für Bildung und Forschung. Bis zu ihrem Einzug in den Bundestag 2017 war die Volkswirtin Geschäftsführerin des heutigen Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE. 2018 bis 2020 hatte sie den Vorsitz im Finanzausschuss des Bundestages, anschließend war sie parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Fraktion. Foto: Bundesregierung/Guido Bergmann.
Exakt so hat auch ihre Vorgängerin im Amt, Anja Karliczek, argumentiert, als sie in der vergangenen Legislaturperiode einen Nationalen Bildungsrat installieren wollte. Am Ende gab es viel Ärger, und der Bund blieb außen vor. Was lässt Sie glauben, dass es Ihnen anders ergehen wird?
Weil wir in den vergangenen Monaten wie durch ein Brennglas die Schwachstellen in unserem Bildungssystem präsentiert bekommen haben. Die Pandemie ist ein Stresstest auch für Schulen und
Hochschulen und zeigt: So, wie es ist, kann es nicht bleiben. Dass die Bundestagswahl für den einen oder anderen überraschend ausgegangen ist, war auch Ausdruck des klaren Wunsches nach Aufbruch und Fortschritt. Gerade auch in unserem Bildungssystem.
Dann machen Sie es bitte konkreter.
Ich fange an mit den Dingen, die kurzfristig gelöst werden müssen. Viele Länder entwickeln ihre eigenen digitalen Plattformen für den Unterricht, das können wir gemeinsam besser machen und auch bündeln.
"Wir müssen raus
aus dem Klein-Klein."
Gemeinsame Schnittstellen schaffen die Länder doch längst über VIDIS & Co. Und die von Ihrer Vorgängerin mit großem Aufwand finanzierte Schul-Cloud des Hasso-Plattner-Instituts ist weit weg davon, zu einer bundesweiten Schul-Cloud zu werden.
Weil es nie wirklich eine Abstimmung gegeben hat, wie die übergreifende Nutzung gelingen kann. Wir müssen raus aus dem Klein-Klein. Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel. Wenn neue Apps für den Einsatz in Schulen entwickelt werden, müssen sie zertifiziert werden, vor allem in Hinblick auf den Datenschutz. Ein solches Zertifizierungsangebot kann der Bund zentral entwickeln, als ein Baustein unter vielen. Ein entsprechendes Projekt ist gerade gestartet. Und aus den vielen Bausteinen ergibt sich dann das große Bild.
Das große Bild müsste doch wohl eher sein, dass der Bund dauerhaft in die Finanzierung der digitalen Infrastruktur an den Schulen einsteigt.
In der Tat wollen wir mit dem Digitalpakt 2.0 den Ländern Verlässlichkeit bieten. Wenn die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik besser abgestimmt wäre, könnten wir wegkommen von den immer gleichen Anschubprogrammen, bei denen die Länder die Sorge haben, dass sie diese am Ende nicht weiterfinanzieren können.
Das hört sich schon stark nach einer Verstetigung an, während der Koalitionsvertrag beim versprochenen Digitalpakt 2.0 das Jahr 2030 als maximale Perspektive nennt. Insofern logisch, dass Sie auf eine Grundgesetz-Änderung drängen.
In einem ersten Schritt wollen wir den Digitalpakt so weiterentwickeln, dass wir auch Köpfe hinter den Geräten mitfinanzieren können, dass das ein für alle Mal verlässlich möglich ist.
Also Stellen für Systemadministratoren zum Beispiel.
Richtig. Und dann tun wir das, was man bei einem solchen Programm immer tun sollte. Wir führen eine ordentliche Evaluation durch. Das hat nichts mit Misstrauen gegenüber den Ländern zu tun, sondern ich sehe das als Gelegenheit zu lernen, wo die Schwierigkeiten sind, wo es hakt und besser werden muss.
"Wir müssen alles auf den Tisch legen. Die Herausforderungen. Die Daueraufgaben, die
sich daraus ergeben. Und die Frage, wer an
welcher Stelle am besten seine Ressourcen einsetzt."
Und wenn die Evaluation des Digitalpakts positiv ausfällt, gibt es das Geld auf Dauer?
Es ist eine wichtige Frage, die Sie da stellen. Und trotzdem nur der Ausschnitt in einer Gesamtbetrachtung.
Mit anderen Worten: Sie pokern. Und machen zur Voraussetzung für Dauer-Geld, dass die Länder vorher mit dem Bund einig werden bei dem, was Sie als "gemeinsame Grundlage für mehr Kooperation" bezeichnen.
Wir müssen weg vom Flickwerk. Wir müssen alles auf den Tisch legen. Die Herausforderungen, vor denen unser Bildungssystem steht. Die Daueraufgaben, die sich daraus ergeben. Und die Frage, wer an welcher Stelle am besten seine Ressourcen einsetzt. Das fängt an mit der frühkindlichen Bildung, deren Aufwertung ich für immens wichtig halte, das setzt sich fort mit der Schule und der beruflichen Bildung und reicht bis ins Studium. Das ist der Gesamtkontext der Bildungsstrategie, die ich anstrebe.
Und das klingt nach langwierigen und schwierigen Verhandlungen.
Sie wären die Mühe wert. An vielen Stellen ist der Bund finanziell bereits involviert, aber immer nur auf Zeit und unter wechselnden Bedingungen. Das würde ich mir anders wünschen.
Wird auch beim Thema Schulabschlüsse das Prinzip "mehr Geld für mehr Vergleichbarkeit" gelten?
Es ist richtig, dass Schule vor Ort gestaltet wird und die Bildungshoheit bei den Ländern liegt. Aber die Kehrseite dieser Dezentralität der Prozesse ist die Notwendigkeit einer gewissen Zentralität bei der Kompetenzfeststellung.
Was meinen Sie damit?
Ich meine die Definition von Standards, etwa bei Schulabschlüssen.
Die KMK hat längst einen länderübergreifenden gemeinsamem Abitur-Aufgabenpool.
Dessen Aufgaben aber nicht überall in gleichem Umfang und in gleicher Art genutzt werden. Und der auch nicht alle Fächer umfasst. Das ist zu wenig.
Wollen Sie wirklich alles on hold stellen, bis Sie den Ländern eine gemeinsame Bildungsstrategie abgetrotzt haben?
Keineswegs. Deshalb fangen wir mit einzelnen Schritten bereits an. Zum einen mit dem Digitalpakt 2.0, denn bei der Digitalisierung sind der Druck und die Erwartungshaltung weiter am größten. Zum anderen mit dem Startchancen-Programm.
"Bis Ende des Jahres werden wir mit den Ländern
die Eckpunkte zum Digitalpakt 2.0 verhandeln."
Bei dem der Bund laut Koalitionsvertrag massiv an 4000 Schulen mit besonders vielen sozial benachteiligten Schülern investieren will, in Gebäude, Ausstattung und Unterrichtsbedingungen. Weitere 4000 Schulen sollen zusätzliche Stellen für schulische Sozialarbeit bekommen. Ein Milliardenpaket, wenn Sie es wirklich so umsetzen.
Das Chancen-Budget nicht zu vergessen, das den 4000 Schulen zur freien Verfügung stehen soll. Sie sollen die Autonomie erhalten, weil sie am besten wissen, wo vor Ort die Probleme liegen und was mögliche Lösungen sind. Parallel zur Ausgestaltung von Digitalpakt 2.0 und Startchancen-Programm arbeiten wir an der Strategie. Wir werden mit allen Stakeholdern darüber sprechen, mit Schülerinnen und Schülern, mit den Lehrkräften und Eltern, mit den Kommunen.
Haben Sie schon einen Zeitplan?
Bis Ende März wollen wir klären, wie der Digitalpakt beschleunigt werden kann. Man kann niemandem erklären, dass die Mittel da nicht abfließen. Und dann werden wir bis Ende des Jahres mit den Ländern die Eckpunkte zum Digitalpakt 2.0 verhandeln.
Sie waren im Januar bei der Amtseinführung der neuen KMK-Präsidentin Karin Prien. Ein Statement?
Für mich eine Selbstverständlichkeit, wenn wir miteinander arbeiten wollen in der Bildung und die Länder die Kultushoheit haben. Karin Prien ist eine starke Frau. Ich freue mich auf den Austausch mit ihr und glaube, dass wir schon dieses Jahr gemeinsam viel erreichen können.
Jetzt haben wir lange über Bildung gesprochen, über Schule vor allem, obwohl Sie am Anfang gesagt haben, dass Sie in der Wissenschaft viel mehr selbst gestalten können. Woran liegt es, dass Wissenschaftspolitik in der Wahrnehmung oft hinten runterfällt?
Wissenschaft denkt in längeren Zyklen, Wissenschaftspolitik ist ebenfalls längerfristig angelegt und dadurch in ihren unmittelbaren Auswirkungen für viele Menschen abstrakter, schwerer greifbar. Aber sobald man anfängt, sich eingehender mit Wissenschaft zu beschäftigen, wird es unheimlich spannend. Genau diese Brücke wollen wir mit dem Wissenschaftsjahr 2022 unter der Überschrift "Nachgefragt" bauen.
"Die Leistungen erbringt die Wissenschaft, ich möchte helfen, die besten Voraussetzungen dafür zu schaffen."
Vor Ihrer Zeit im Bundestag haben Sie selbst als Wissenschaftsmanagerin gearbeitet, als Geschäftsführerin eines späteren Leibniz-Instituts. Wie stark prägt das Ihre Perspektive als Politikerin?
Durch meine persönliche Erfahrung kann ich die Probleme und Zusammenhänge besser verstehen. Außerdem habe ich selbst erlebt, welche Freude Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an ihrem Beruf haben und welchen hohen Einsatz sie bringen. Das treibt mich jetzt an. Die Leistungen erbringt die Wissenschaft, ich möchte dabei helfen, die besten Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Was sind denn für Sie die wichtigsten wissenschaftspolitischen Ziele? Der Koalitionsvertrag enthält so viele, dass fraglich ist, wie Sie die alle umsetzen wollen.
Zwei Stichwörter. Erstens: Die erkenntnisgetriebene Wissenschaft und die Lehre müssen gut finanziert sein. Deshalb finanzieren wir auch den Hochschulen wie bislang schon den Forschungsorganisationen künftig einen jährlichen Budgetzuwachs beim Bund-Länder-Programm Zukunftsvertrag. Zweitens: die Missionsorientierung. Wir wollen der Wissenschaft nicht vorschreiben, nur eine bestimmte Technologie voranzutreiben, etwa die E-Mobilität. Aber wir müssen eine engere Verbindung schaffen zwischen der erkenntnisgetriebenen Forschung und dem, was wir als die großen Herausforderungen unserer Zeit bezeichnen. Dazu haben wir Zukunftsfelder definiert – ähnlich zu denen, die es auf EU-Ebene bereits gibt.
Zugegeben: Das mit der Missionsorientierung ist ein schickes Schlagwort, das sich durch den Koalitionsvertrag zieht. Aber was soll es eigentlich bedeuten?
Es geht um eine bessere Verknüpfung. Vor allem müssen wir ran an das verbreitete Ressortdenken auch in den Bundesministerien. Viele große Herausforderungen lassen sich nur ressortübergreifend lösen. Dazu braucht es eine Innovations-Roadmap zwischen den Ministerien, und die gilt es zu erarbeiten.
Auch das hat man so ähnlich schon gehört. Nehmen Sie den grünen Wasserstoff, bei dem Deutschland besonders große Ambitionen hat – und das BMBF mit Stefan Kaufmann einen eigenen Beauftragten, den Sie sogar von Ihrer Vorgängerin übernommen haben. Der durfte sich nie Wasserstoffbeauftragter der Bundesregierung nennen, weil das Wirtschaftsministerium dagegen war. Obwohl auch die vorige Bundesregierung gelobt hatte, das Ressortdenken um der Sache willen zurückzudrängen.
Wir müssen neue Wege finden, das ist auch ein gemeinsamer Reifungsprozess.
"Wir werden jetzt nicht für jede Forschungsmission
eine eigene Agentur aufmachen."
Der warum genau bei der Ampel gelingen soll, wenn er bei der Vorgängerregierung im Gegeneinander der Ressorts steckenblieb?
Weil wir kein politisches Erbe von vielen Jahren mit uns herumtragen, sondern weil wir diesen Willen haben, jetzt wirklich etwas zu verändern.
Das heißt: Sie sind auch bereit, Leuten wehzutun, wenn es ankommt, wenn es an Besitzstände geht, auch in Ihrem Ministerium?
Wir können Zukunft nur durch Veränderung gestalten. Veränderung bedeutet immer Unsicherheit und die ist für einige Menschen nicht so leicht zu ertragen. Aber wir müssen die Veränderung trotzdem angehen.
Experten wie der Max-Planck-Innovationsforscher Dietmar Harhoff halten unabhängige Förderagenturen für eine Lösung, um aus dem Ressortdenken herauszukommen.
Wir werden jetzt aber nicht für jede der im Koalitionsvertrag definierten Missionen eine eigene Agentur aufmachen. Es geht um die Rahmenbedingungen insgesamt. Wir gehen über Forschungsanreize, die zum jeweiligen Themengebiet passen. Die Biotechnologie in diesem Land hat zum Beispiel enorme Stärken, sie hat nicht nur einen Corona-Impfstoff hervorgebracht, sondern ganz neue Krebstherapien. Im Klimaschutz sind wir ebenfalls vorn dabei, angefangen mit den von Ihnen erwähnten neuen Wasserstoff-Technologien bis hin zum Carbon Capture and Storage. Wir wollen Forscher anregen, dass sie sich mehr als bislang mit der Frage auseinandersetzen, wie sie ihre Erkenntnisse in anwendbare Lösungen umsetzen können.
Wie soll das gehen?
Wenn Sie als Wissenschaftler in ihrer Disziplin Anerkennung bekommen wollen, läuft das zurzeit vor allem über Publikationen in bestimmten Fachzeitschriften. Die Frage ist: Können wir neue Forschungsförderprogramme so aufsetzen, dass sie ähnlich interessant werden für Forscher als Quelle künftiger Reputation? Ich bin überzeugt: Das geht auch ohne weitere Agenturen.
"Die deutschen Investitionen in Innovationen gehen zurück, dasselbe gilt für den Output. Da muss etwas passieren."
Das heißt, die bereits bestehende Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) und die versprochene Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) werden die einzigen Neugründungen bleiben?
Es kommt nicht auf die Zahl der Agenturen an, sondern darauf, dass sie ihre Arbeit gut machen. Die deutschen Investitionen in Innovationen gehen zurück, dasselbe gilt für den Output. Da muss etwas passieren. SPRIND und DATI sind zwei immens wichtige Antworten darauf. Eine andere ist die Förderung von Unternehmertum unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die wir über die Einrichtung sogenannter Enterprise Zones wie in Großbritannien oder Frankreich erreichen wollen. Regionale Innovationsökosysteme, in denen die Freiheit größer ist, Ideen zu verfolgen und zu sehen, ob sich daraus Produkte entwickeln lassen. Weil nicht gleich die volle Last der Bürokratie und Steuern drückt.
Schon Ihrer Vorgängerin ist nachgesagt worden, Sie würde sich stärker für Transfer und Anwendung interessieren als für die Grundlagenforschung und deren Bedingungen. Wie ist das bei Ihnen?
Genau deshalb hatte ich die Grundlagenforschung als erstes genannt. Sie ist das Pfund, mit dem wir wuchern können. Ihre auskömmliche Grundfinanzierung, gerade an den Hochschulen und in Gleichwertigkeit mit den außeruniversitären Forschungsinstituten, ist das eine. Das andere sind die Arbeitsbedingungen, die wir bieten können, damit wir international anschlussfähig sind und gute Leute überhaupt zu uns kommen oder bei uns bleiben wollen.
Was bedingt das?
Das bedingt zum Beispiel, dass wir den Tenure Track als Karriereoption konsequent weiterentwickeln.
Als Regelzugang zur Professur?
Das werden wir nicht so schnell schaffen. Aber einen großen Schritt in die Richtung sollte es gehen, ja.
"Das Sonderbefristungsrecht in der Wissenschaft hat seinen Sinn, weil Wissenschaft von Erneuerung lebt."
Dass Sie das Thema Karriereentwicklung jetzt ansprechen: in allen Ehren. In Ihrer ersten Rede als Ministerin im Bundestag haben Sie es nicht getan. Manche haben das als Botschaft verstanden.
Ich hatte leider nur fünf Minuten! Ich kann versichern, dass ich genau weiß, wie sehr das Themas drängt, im Sinne einer größeren Verlässlichkeit in der Karriereplanung. Aber auch so, dass junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besser vor Willkür geschützt werden. Im Mai liegen die Evaluationsergebnisse zu den Auswirkungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vor. Ich will allerdings auch sagen: Das Sonderbefristungsrecht in der Wissenschaft hat schon seinen Sinn, weil Wissenschaft von Erneuerung lebt.
Was sollte sich denn Ihres Erachtens ändern?
Für Daueraufgaben muss es Dauerstellen geben. Und befristete Arbeitsverträge müssen an die Projektlaufzeiten gebunden werden, eine Stückelung in immer neue, aufeinander folgende Arbeitsverträge ist damit nicht vereinbar. Das ist die Grundlage, auf die wir uns in den Koalitionsverhandlungen verständigt haben. Mehr kann ich Ihnen nach der Evaluation sagen.
Haben Sie sich schon mit Vertreter*innen von "#IchbinHanna" getroffen, der Initiative, durch die die Debatte über Befristungen in der Wissenschaft so richtig Fahrt aufgenommen hat?
Das werde ich bald tun, im Laufe der Evaluation. Schon jetzt kann ich sagen, dass "#IchbinHanna" einiges dazu beigetragen hat, dass wir anders über das Thema reden. Und dass Einigkeit darüber besteht, dass wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz neu ausbalancieren werden.
Der von Ihnen verwendete Slogan "Dauerstellen für Daueraufgaben" hat es auch in den Koalitionsvertrag geschafft. Ursprünglich stammt er von der GEW. Was aber sind Daueraufgaben für Sie?
Grundsätzlich alles, was nicht an bestimmte Projekte gebunden ist. Wir sehen, dass das Sonderbefristungsrecht derzeit so interpretiert wird, dass eine sehr hohe, eine zu hohe, Prozentzahl befristeter Stellen dabei herauskommt. Das gesamte Forschungsmanagement zum Beispiel ist eine Daueraufgabe. Umgekehrt nehme ich aber auch den Professor ernst, der mir neulich sagte: "Wir brauchen den Austausch, wir müssen weiter in der Lage sein, junge Leute für Lehre und Forschung zu uns zu holen für eine bestimmte Zeit, auch aus dem Ausland. Und es muss weiter in Ordnung sein, dass die auch wieder wechseln irgendwann."
"Wir müssen in der deutschen Wissenschaft
stärker in Teams denken."
Meckern einige junge Forscher*innen Ihnen zu sehr?
Jeder sollte meinungsstark seinen Punkt vertreten. Das hilft, um dann eine gemeinsame Basis zu finden.
Woran liegt es, dass Länder wie Großbritannien eine höhere Entfristungsquote in der Wissenschaft haben als Deutschland – selbst wenn sie gemeinhin aus wirtschaftsliberaler als Deutschland gelten?
Wir haben an den Unis in Deutschland eine Lehrstuhlstruktur und viel weniger "nackte" Professuren ohne eigene Mitarbeiter, wie sie in vielen anderen Ländern üblich sind, wo die Administration zentralisiert ist. Die Struktur hat sich bei uns historisch anders entwickelt. Und wir haben eine starke Selbstorganisation in den Hochschulen.
Ist sie aber auch erhaltenswert?
Ich sage mal so: In jedem Fall müssen wir in der deutschen Wissenschaft stärker in Teams denken.
Apropos Zusammenarbeit: Die sollte auch die Exzellenzinitiative und ihre Nachfolgerin, die Exzellenzstrategie, fördern. Vor zehn, 15 Jahren war "Exzellenz" DAS In-Thema. Und heute? Angesichts von Transfer & Co politisch unter "ferner liefen"?
Man sollte das eine nicht gegen das andere ausspielen. Wenn die Exzellenzstrategie gut gemacht ist, behält sie ihre Bedeutung – bis Deutschlands Universitäten in der internationalen Wahrnehmung ihrer Exzellenz da angekommen sind, wo sie hingehören.
"Wir können bei der Exzellenzstrategie
über alles reden, solange Wissenschaftlichkeit
und Wettbewerb erhalten bleiben."
Gerade verhandelt das BMBF mit den Ländern die Regeln der nächsten ExStra-Runde. Wird es Veränderungen geben?
Wir können über alles reden, solange die Wissenschaftlichkeit und der wettbewerbliche Charakter inklusive wissenschaftsgeleiteter Förderentscheidungen erhalten bleiben. Das ist der Rahmen. Für die Strukturförderung in den Ländern sind andere Töpfe vorhanden, die Mittel zum Kohleausstieg zum Beispiel.
Aus den Ländern gibt es die Forderung, eine größere Bandbreite an Clusterbewerbungen zuzulassen, vor allem damit auch kleinere und mittlere Universitäten am Wettbewerb teilnehmen und inter- und multidisziplinäre Projekte stärker in den Fokus kommen. Wäre das für Sie noch wissenschaftsgeleitet?
Die Exzellenz in der Wissenschaft ist das Kriterium und natürlich existiert eine gewisse Korrelation mit der Größe einer Einrichtung, allein schon wegen der Zahl der Wissenschaftler. Von neuen Förderlinien halte ich insofern nicht viel. Sehr wohl aber davon, dass die bestehenden möglichst gut funktionieren.
Wieviel mehr darf die nächste ExStra-Runde kosten?
Es gibt das Erbe aus der ersten Runde, dass deutlich mehr Cluster gefördert werden, als ursprünglich vorgesehen war. Woraus für mich folgt, dass die bestehenden Cluster sich wirklich bewähren müssen, um neuen eine faire Chance zu geben.
Die Länder wollen die Zahl der Cluster auf etwa 70 aufstocken. Der Koalitionsvertrag verspricht auch einmalig mehr Cluster.
Was das bedeutet, darüber verhandeln wir gerade. Eine genaue Zahl, auf die es hinauslauft, werde ich Ihnen heute nicht nennen. Aber wir sind in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz dran.
Lassen Sie uns zum Ende zu einem Kern-Narrativ der Ampel kommen. Sie will "Chancen-Koalition" sein. Woran liegt es, dass in Deutschland die Bildungschancen so ungleich verteilt sind, obwohl Bildung im Gegensatz zu Großbritannien oder den USA weitgehend gebührenfrei ist?
Ich wünsche mir kein System, in dem Familien sich verschulden müssen, damit ihre Kinder die gewünschte Bildung bekommen. Umgekehrt haben wir aber ein großes Problem bei der Qualität vieler Bildungsangebote. Die Statistiken sind eindeutig. Zu viele Schülerinnen und Schüler erhalten nicht die nötige Förderung, sie fallen durchs Raster. Das darf in einem reichen Land wie Deutschland nicht passieren. Der Schlüssel für vieles ist die frühkindliche Bildung. Bis zum Alter von fünf werden die Weichen für das ganze Leben gestellt. Wir brauchen eine bessere individuelle Förderung für alle Altersgruppen, ganz besonders aber in der Kita. Das ist ein weiterer Ansatzpunkt für ein dauerhaftes Engagement des Bundes.
"Das Antragsverfahren beim Bafög ist zu bürokratisch. Ich will demnächst selbst mal testweise einen Antrag ausfüllen."
Gehen wir ans andere Ende der Bildungskette. Warum ist das Bafög eigentlich so abgewirtschaftet, dass es jetzt ganz neu aufgestellt werden muss?
Das Bafög geht an der heutigen – zum Glück bunteren – Lebenswirklichkeit vorbei, das ist die wesentliche Botschaft, die ich aus den vielen Berichten junger Menschen mitnehme. Die Förderkriterien sind so gestaltet, dass viele von Anfang an ausgeschlossen werden. Die Altersbegrenzungen passen nicht mehr, die Beschränkungen beim Studienfachwechsel. Und dann ist das ganze Antragsverfahren zu bürokratisch. Ich will demnächst selbst mal testweise einen Antrag ausfüllen, von Anfang bis Ende.
Viel Spaß dabei.
Jedenfalls werden wir schon zum Wintersemester den ersten Teil der Reform haben. Und mit dem zweiten Teil führen wir dann eine elternunabhängigere Komponente ein, über die Kindergrundsicherung, die der Koalitionsvertrag vorsieht.
Wie stark werden die Erhöhungen bei den Einkommensgrenzen und Fördersätzen ausfallen?
Das Eckpunktepapier dazu befindet sich gerade in der Abstimmung. Bald kann ich Ihnen dazu Konkretes sagen.
In der vergangenen Legislaturperiode saßen Sie als Abgeordnete im Haushaltsausschuss und haben mit darüber gewacht, dass das BMBF sein Budget effizient ausgibt. Was bedeutet das für Ihre Arbeit als Ministerin?
Ich finde, es sollte in der Politik nie nur um die Summen gehen, die für dieses oder jenes ausgegeben werden. Sondern immer auch um die Frage: Wird damit ein echter Effekt erzielt? Natürlich ist mir die Debatte bewusst, ob und wie sich solche Effekte in der Bildung messen lassen. Aber diesen grundsätzlichen Blick, den möchte ich mir erhalten.
Blog-Barometer Februar 2022
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Dominik Esch (Mittwoch, 09 Februar 2022 10:35)
Sehr geehrte Damen und Herren,
Frau Ministerin sagt ziemlich am Ende des Interviews: "Bis zum Alter von fünf werden die Weichen für das ganze Leben gestellt." Richtig und falsch: Mentoringprogramme wie Balu und Du sowie wie RockYourLife! beweisen, dass auch noch in der Grundschule und weiterführenden Schule die Kinder und Jugendlichen die Weiche in eine glücklichere Richtung stellen können. Wenn denn Paten und Mentoren da sind.
Infos gerne bei dominik.esch@balu-und-du.de oder https://www.balu-und-du.de/programm/standortgruendung-1
Quellen:
https://www.balu-und-du.de/fileadmin/user_upload/Wirkung/Factsheet_Wirkung_2020.pdf
https://www.balu-und-du.de/fileadmin/user_upload/Wirkung/BuD_112_Acht_Argumente_f%C3%BCr_Mentoring.pdf
Ganz neu zum gender-pay-gap:
https://www.balu-und-du.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Boneva_Buser_Falk_Kosse_2021_origins-gender-diff-competiveness.pdf
Gruß
Dominik Esch
Vorstand Balu und Du e.V.
Klaus Diepold (Mittwoch, 09 Februar 2022 12:57)
Interessantes Interview, aus dem ich an einigen Stellen Hoffnung schöpfen kann, dass insbesondere im Bereich Bildung Fortschritte erzielt werden können. Ich bin gespannt ...
And now for something completely different ...
Ich verstehe, dass es ein Ziel der Politik ist Wissenschaftler in Richtung Innovation und Unternehmertum zu bewegen. Wenn das klappt. dann sollte es auch mit den Innovationen besser funktionieren.
Ich frage mich, wieviele Wissenschaftler es in Deutschland gibt, die hier ins Auge gefasst werden, wieviele davon wiederum an Themen mit einem kommerziell oder sozial verwertbaren Innovationspotential arbeiten und wieviele dieser Personen sich durch die Ermunterungen der Regierung verführen lassen unternehmerisch zu denken, wenn sie das vorher noch nie getan haben? Ist die dann resultierende Zahl groß genug, um darauf unsere bundesrepublikanischen Hoffnungen für eine gestärkte Innovationskraft zu bauen? Vielleicht hilft es, wenn wir Anreize schaffen, damit Politiker und Journalisten sich stärker einer wissenschaftlichen Tätigkeit widmen?
Vielleicht liegt das Innovationspotential darin, ganz andere Modelle und Mechanismen für Innovation in Betracht zu ziehen und nicht nochmal Dekaden und Milliarden in ein antiquiertes Innovationsmodell (Francis Bacon) zu investieren? Daran ändern auch keine Agenturen etwas, so lange auch diese dem gleichen Dogma folgen.
Investition in den Aufbau und den Betrieb eines leistungsfähigen, zukunftsfähigen und chancenfairen Bildungssystems von der Kita bis zur Promotion ist langfristige Innovationspolitik.
Erfinder (Donnerstag, 10 Februar 2022 09:37)
"Ich finde, es sollte in der Politik nie nur um die Summen gehen, die für dieses oder jenes ausgegeben werden. Sondern immer auch um die Frage: Wird damit ein echter Effekt erzielt?"
Richtig. Aber das hat die gelernte Haushälterin Karliczek auch schon oft gesagt, ohne daß ihren Worten je Taten gefolgt wären. Wenn es Frau Stark-Watzinger ernst meint, sollte die Evaluation ausgerechnet des umstrittensten Projektes, das vom BMBF aktuell gefördert wird, nicht verschleppt werden: SPRIND gehört jetzt auf den Prüfstand. Was Thomas Sattelberger hier im Blog vor einigen Tagen vorgeschlagen hat, ergibt doch keinen Sinn: Noch in diesem Jahr mit DATI die nächste Agentur gründen, aber SPRIND erst am Ende der Legislatur evaluieren. So bringt man sich um die Chance, aus Fehlern zu lernen.
Und die Evaluation sollte nicht nur durch 'Innovationsforscher' erfolgen, die als Sozialwissenschaftler dem Dogma des Empirismus anhängen. Sondern durch erfahrene Innovateure, die wissen wie der Hase praktisch läuft. Gebraucht werden Leute mit 'Track Record' als echte Erneuerer, nicht nur als Kopierer, Verbesserer (Schrittinnovationen) oder Selbstvermarkter.