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Berliner Spitzen

Die drei großen Universitäten der Hauptstadt bestimmen innerhalb weniger Tage ihre Leitungen neu. Wie es dazu kam und was den Ausgang so spannend macht.

Offener Ausgang. Am Dienstag ist Präsidentenwahl an der Humboldt-Uni (links), am Mittwoch ist die Freie Universität dran. Fotos: Jens Junge, Pixabay/Colin Smith, CC BY-SA 2.0.

2022 IST DAS SUPERWAHLJAHR der Berliner Wissenschaft. Alle drei großen Universitäten der Hauptstadt bestimmen ihre Leitungen neu. Die Technische Universität hat die Präsidentenwahl schon hinter sich. Die Humboldt-Universität ist am morgigen Dienstag dran. Die Freie Universität am Mittwoch.

 

Bemerkenswert für den Rest der Republik ist das nicht nur, weil die TU, HU und FU zusammen den Kern der "Berlin University Alliance" (BUA) ausmachen, die 2019 als einziger Verbund in der Exzellenzstrategie triumphierte. Spannend sind die Wahlen auch, weil sich alle drei Universitäten zum Wahltermin in einer jeweils ganz eigenen Krise befinden, die doch eine Gemeinsame ist und zugleich viel aussagt über den Zustand der deutschen Unilandschaft insgesamt. Doch der Reihe nach.

 

Die TU hat Mitte Januar schon im ersten Wahlgang ihren langjährigen Präsidenten Christian Thomsen aus dem Amt befördert und seine 40 Jahre alte TU-externe Herausforderin Geraldine Rauch gewählt. Zu den Gründen zählen Beobachtern zufolge eine verpasste Verwaltungsreform, lange und komplizierte Prozesse und ein Präsident, der mit seiner – je nach Perspektive – bedächtigen oder behäbigen Art das durch die Coronakrise verstärkte Gefühl der Lähmung nicht hat beseitigen können.

 

Während die Wahlen an TU und FU turnusgemäß sind,
musste die an der HU vorgezogen werden

 

Thomsens Schicksal könnte auch Günter Ziegler treffen. Er muss an der FU um seine Wiederwahl zittern. Zieglers Kritiker werfen ihm Führungsschwäche vor und eine unzureichende Kommunikation. Die Uni ist gespalten. Fast sinnbildlich dafür war, wie der Konflikt zwischen Ziegler und FU-Kanzlerin Andrea Bör eskalierte. Hinter dem Rücken der Unigremien beauftragte Bör eine Personalagentur, um für die bevorstehende Neuwahl Gegenkandidaten zu Ziegler zu finden. Der Akademische Senat entzog ihr deshalb das Vertrauen. Trotzdem geht Ziegler nicht als Favorit in die Wahl gegen Beatrix Busse, die bisher Prorektorin der Universität zu Köln ist. 

 

Während die Wahlen an TU und FU turnusgemäß stattfinden, musste die an der HU vorgezogen werden. Sabine Kunst war zurückgetreten – aus Protest gegen das neue Landeshochschulgesetz, wie sie sagte. Wobei zur komplexen Berliner Realität gehört, dass Kunst, eine der profiliertesten Wissenschaftsmanagerinnen überhaupt, an der HU schon vorher einen schweren Stand hatte. Trotz ihrer Wiederwahl nur ein Jahr zuvor. Wegen der vielen, auch untereinander in Konflikt stehenden universitären Interessengruppen. 

 

Einzig verbliebene Kandidatin zur Kunst Nachfolge ist die Viadrina-Präsidentin Julia von Blumenthal, nachdem DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee seine Kandidatur zurückgezogen hatte – weil er fürchtete, dass im Fall seiner Wahl ein rein männliches HU-Präsidium hätte entstehen können. Ein bemerkenswerter Schritt – erst recht, wenn man weiß, wie gern Mukherjee an die HU gekommen wäre. Von Blumenthal war viele Jahre Professorin und Dekanin an der HU. Sie sollte also wissen, was da auf sie zukäme.

 

Vor nicht einmal drei Jahren herrschte Hochstimmung in den Chefetagen von Berlins Wissenschaft, nachdem die "Berlin University Alliance" als einziger Uni-Verbund Sieger in der Exzellenzstrategie geworden war. Wie passt das zu dem Loch, in das die drei BUA-Universitäten gleichzeitig gestürzt sind?



Die Wahrheit ist: Sie sind nicht erst jetzt hineingestürzt. Nur wurden viele Probleme vorher unter der Decke gehalten, um die BUA nach außen hin schlagkräftiger dastehen zu lassen. Es sind Probleme und Fragen, denen sich Universitäten überall im Land stellen müssen. Die sich in Berlin nur gerade – auch wegen der besonders reformbedürftigen Hochschulverwaltungen und des Zutuns der Politik – besonders heftig manifestieren.

 

Wie gehen Exzellenzambitionen mit dem breiten Grundauftrag in Forschung und Lehre zusammen? Welchen Führungsanspruch haben die Präsidien, welche Art der Führung wird von ihnen erwartet? Passen die Rufe nach "Strategiefähigkeit" zu dem Selbstverständnis der Uni-Gremien und den Forderungen vieler Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nach mehr Dauerstellen und mehr Verlässlichkeit ihrer Karrierewege?

 

Hoffentlich stehen am Ende dieser Woche
drei Personen mit starkem Mandat

 

Das sind einige der Fragen, um die es geht. Mit Paragraph 110, Absatz 6 des neuen Hochschulgesetzes hatte die Politik, genauer: hatten die Regierungsfraktionen im Abgeordnetenhaus darauf eine Antwort geben wollen. Promovierte Wissenschaftler haben demzufolge künftig auf haushaltsfinanzierten Qualifikationsstellen grundsätzlich den Anspruch auf die Anschlusszusage einer unbefristeten Stelle.

 

Doch wurde der Passus in letzter Minute eingefügt und war handwerklich so schlecht gemacht, dass er womöglich dem Ziel – bessere Arbeitsbedingungen – in der öffentlichen Debatte eher geschadet hat. Akzentuiert durch Kunsts Rücktritt und eine vorher noch von ihr eingereichte Verfassungsbeschwerde dagegen.

 

Das ist die Ausgangslage vor der Berliner Uni-Superwahlwoche. An ihrem Ende werden hoffentlich drei Personen mit starkem Mandat stehen. Sonst wird das Loch noch tiefer.  

 

Dieser Kommentar erschien heute in leicht gekürzter Fassung zuerst im Newsletter ZEIT Wissen Drei.



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