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Den Wandel schaffen Bund und Länder nur gemeinsam

Gute Wissenschaft braucht verlässliche Arbeitsbedingungen.
Wie die Ampel-Versprechungen umgesetzt werden sollten: 
Ein Gastbeitrag von Wiebke Esdar und Carolin Wagner.

FÜNFZEHN ZEILEN widmet der Ampel-Koalitionsvertrag den Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. 15 Zeilen, in denen von Promotions- über Dauerstellen bis zum Professorinnen-Programm alle Karrierestufen in der Wissenschaft adressiert werden.

 

Als wohl schärfstes Schwert kündigen SPD, Grüne und FDP eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) an und wollen bestehende Förderprogramme stärken. Zusätzlich wollen wir mit einem neuen Bund-Länder-Programm Hochschulen unterstützen, die ihre Personal- und Organisationsstrukturen modernisieren und zum Beispiel Departmentstrukturen einführen wollen. Unter dem Strich stehen da also zwei ambitionierte Absätze im Koalitionsvertrag, die auf ihre Umsetzung warten. Wie kann das gelingen? 

 

Die aktuelle Debatte um das Berliner Hochschulgesetz zeigt zunächst einmal vor allem eines: Im Alleingang geht es nicht. Der Hauptvorwurf der Kritiker*innen des neuen Gesetzes lautet, die Berliner Hochschulen seien im Wettbewerb um die besten Köpfe benachteiligt. Auch wenn wir diese Bedenken nicht teilen, zeigen sie doch: Um den Arbeitsplatz Wissenschaft in Deutschland attraktiver zu machen, brauchen wir eine föderale Gesamtlösung.


Wiebke Esdar ist SPD-Bundestagsabgeordnete und Hauptberichterstatterin ihrer Fraktion für den BMBF-Etat im Haushaltsausschuss. Bei den Ampel-Koalitionsverhandlungen gehörte sie der Arbeitsgruppe Innovation, Wissenschaft und Forschung an. Bevor sie 2017 in den Bundestag einzog, arbeitete sie als Postdoc in der Wissenschaft. Foto: privat.

Carolin Wagner ist seit 2021 Mitglied des Bundestages und stellvertretende Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Vorher leitete sie acht Jahre lang die zentrale Studienberatung einer regionalen technischen Hochschule. 

Foto: Photothek.



Kein einzelnes Bundesland kann diesen Wandel für sich allein umsetzen, und auch der Bund wird den Wandel nicht allein ohne Zutun der Länder herbeiführen können. Denn deren Sache ist und bleibt die Grundfinanzierung der Wissenschaft, also die primäre Steuerung der Hochschulen. Doch wird es Zeit, dass der Bund aus seiner Lethargie erwacht und endlich den Anspruch stellt, diesen Wandel mit zu koordinieren und zu organisieren. Mit dem WissZeitVG, den Förderprogrammen von Tenure-Track über Professorinnenprogramm bis hin zum Zukunftsvertrag Studium und Lehre hat der Bund große Einflussmöglichkeiten. Gerade weil er aber immer mehr Geld in die Hochschulen gibt, sollte er seinen Einfluss auch nutzen.

 

Eine gemeinsame Vorstellung
vom Arbeitsplatz Wissenschaft

 

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass wir eine gemeinsame Vorstellung davon brauchen, wie der Arbeitsplatz Wissenschaft in Deutschland attraktiver und leistungsfähiger wird. Dabei geht es auch darum, im internationalen Wettbewerb bestehen zu können und genauso in Konkurrenz zu Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb der Wissenschaft. Um Spitzenleistungen in Forschung und Lehre auf allen Karrierestufen zu ermöglichen, ist eines mehr als alles Andere erforderlich: mehr Verlässlichkeit. Nur wer den Kopf frei für Inhalte hat, kann wirklich gut lehren und forschen. 

 

Deshalb wollen wir erstens die Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Postdoc-Phase deutlich erhöhen und zugleich frühere Perspektiven für Berufe außerhalb der Wissenschaft schaffen. Nur so endet das, was vermutlich das größtes Hindernis für viele leidenschaftliche Wissenschaftler*innen auf dem Weg zu einer erfüllten Karriere ist: im Durchschnitt noch bis in das fünfte Lebensjahrzehnt mit befristeten Arbeitsverträgen leben zu müssen. Das benachteiligt besonders Frauen und gerade in der Phase der Familiengründung. Außerdem verursachen viele Jahre beruflicher Unsicherheit einen sozialen Brain Drain, weil besonders diejenigen Menschen die Wissenschaft verlassen, die finanziell nicht durch Familie oder Partner*in abgesichert sind oder mit ihrer Erwerbstätigkeit die eigene Familie ernähren und absichern müssen. 

 

Zweitens sollen Vertragslaufzeiten in der Promotionsphase künftig der erwarteten Promotionsdauer entsprechen. Wer eine Wissenschaftlerkarriere startet, wird in Forschung und Lehre keine besseren Ergebnisse erzielen, wenn ihre oder seine Arbeit immer wieder von existenziellen Fragen wie Vertragsverlängerungen oder dem Einwerben neuer Drittmittel unterbrochen wird. Das Druckmittel „Neuer Arbeitsvertrag nur bei nachgewiesenem Arbeitsfortschritt“ ist aus der Zeit gefallen. Übrigens könnte das Bundesministerium für Bildung und Forschung hier schnell mit gutem Beispiel vorangehen: indem alle Drittmittelprojekte, die Promotionsstellen vorsehen, eine Mindestlaufzeit von vier Jahren erhalten.

 

Balanceakt zwischen Hochschulautonomie
und staatlicher Steuerung

 

Drittens braucht es mehr Dauerstellen für Daueraufgaben. Dass dadurch die Abläufe und die Planbarkeit in Lehre und Forschung profitieren würden, zugunsten vieler Fakultäten und Arbeitseinheiten, ist seit langem breiter Konsens. Doch gestaltet sich der Weg dorthin schwierig, weil es sich um einen Balanceakt zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Steuerung handelt.

 

Daueraufgaben fallen im regulären Hochschulbetrieb an und sind darum eigentlich durch die Grundfinanzierung der Länder zu finanzieren. Schon deshalb wird und kann der Bund keine feste Anzahl oder prozentuale Quote unbefristeter Stellen gesetzlich festschreiben. Umgekehrt wird es aber auch nicht reichen, die Hochschulen freundlich um mehr oder weniger verbindliche Personalentwicklungskonzepte zu bitten, in denen sie darlegen, wie sie mehr Dauerstellen schaffen wollen. Was also bleibt dem Bund? 

 

Vor allem das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Klarer als bisher muss es abgrenzen, wo und wie sich Nachwuchswissenschaftler*innen auf dem Weg zur Professur befinden und an welcher Stelle sie diesen Weg verlassen, sodass sie nicht mehr unter die Sonderbefristungstatbestände fallen. Nicht alle Promovierten werden in der Wissenschaft bleiben können und wollen es auch gar nicht.  Für alle aber, die sich nach maximal sechs Jahren Promotionszeit erfolgreich um eine Postdoc-Stelle bewerben, müssen Tenure Track oder ein Dauervertrag die Regel werden – und zwar wesentlich schneller als bisher. 

 

Wir sind optimistisch, dass sich Bund und Länder auf eine solche gemeinsame Vorstellung von guter Arbeit in der Wissenschaft verständigen können. Dabei hilft der Zukunftsvertrag Studium und Lehre, über den allein der Bund bisher 1,88 Milliarden Euro jährlich in die Hochschulen investiert. Damit ist er bereits in die dauerhafte Hochschulfinanzierung eingestiegen. Vereinbart ist zusätzlich, dass schon ab 2022 diese Summe jährlich um weitere drei Prozent steigen soll. 

 

Raus aus den dunklen
Kaminzimmern

 

Um den Zukunftsvertrag zu einem Hebel für mehr Dauerstellen zu machen, müssen die Verwaltungsvereinbarungen von Bundes- und Landesregierungen endlich raus aus dem dunklen Kaminzimmer und rein in die Bundestagsdebatten. Die Klausel, dass der Vertrag "vorbehaltlich der Zustimmung des Haushaltsgesetzgebers" gilt, verbunden mit einer nachgelagerten Haushaltsberatung im Forschungsausschuss ist nicht genug. Das Parlament muss endlich selbst inhaltliche Ziele bestimmen können.

 

Zu diesen muss gehören, dass die Bundesmittel verlässlich an die Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen geknüpft werden, indem die durch Paktmittel finanzierten Stellen konsolidiert und entfristet werden. Und schließlich muss der Bundestag sicherstellen, dass es eine zielgerichtete Verwendung der Bundesmittel und eine angemessene finanzielle Beteiligung der Länder gibt.

 

In den 15 Zeilen Koalitionsvertrag steckt viel drin, um das Leben vieler Wissenschaftler*innen zu verbessern. Verlässliche Arbeitsbedingungen sind am Ende auch der Grundstein, um die Qualität von Studium, Lehre und Forschung zu verbessern. Darum gilt: Die 15 Zeilen sind der Maßstab, an dem sich das Handeln der Ampel-Koalition wird messen lassen.



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Kommentare: 4
  • #1

    Hanna (Mittwoch, 16 Februar 2022 10:50)

    "Nur so endet das, was vermutlich das größtes Hindernis für viele leidenschaftliche Wissenschaftler*innen auf dem Weg zu einer erfüllten Karriere ist: im Durchschnitt noch bis in das fünfte Lebensjahrzehnt mit unbefristeten Arbeitsverträgen leben zu müssen."
    - Es sollte vermutlich "mit befristeten Arbeitsverträgen" heißen, oder?

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 16 Februar 2022 10:51)

    @ Hanna
    Vielen Dank! Natürlich haben Sie Recht. Ist korrigiert.

  • #3

    Michael Zacherle (Mittwoch, 16 Februar 2022 13:01)

    Mir ist an dieser Stelle wichtig, den Blick auch ein mal über die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinaus zu wagen. Auch in der Verwaltung gibt es gerade durch die stark steigende Bedeutung von Drittmittelprojekten immer mehr befristet beschäftigtes Personal. Gerade mit Laufzeiten von einem oder zwei Jahren für Förderprojekte ergeben sich für Kolleginnen und Kollegen dann oft keinerlei verlässliche Perspektiven, so dass der Anreiz, sich während des laufenden Drittmittelprojektes (meist auch nach "außen") zu bewerben, zunimmt.
    Würde der Bund bei eigenen Ausschreibungen darauf drängen, dass die Hälfte des Personalbudgets für unbefristet beschäftigtes Personal (jeweils für in Wissenschaft und Verwaltung beschäftigte Personen getrennt) aufgewendet wird (mit Ausnahmen wie bei Graduiertenschulen), dann hätten viele Kolleginnen und Kollegen mit sofortiger Wirkung eine Chance zur Entfristung. Das kann auch ohne Zustimmung der Länder erfolgen.

  • #4

    René Krempkow (Donnerstag, 17 Februar 2022 15:20)

    Ich finde es ebenfalls wichtig, den Blick auch über die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinaus zu wagen, wobei ich dann den Blick über die Verwaltungen von Wissenschaftseinrichtungen hinaus zugleich auf das gesamte wissenschaftsunterstützende Personal inkl. Wissenschaftsmanagement als Bereich "zwischen Wissenschaft und Verwaltung" ausweiten würde (s. z.B. www.jmwiarda.de/2019/02/01/mit-korrekten-reiseabrechnungen-gewinnen-sie-keine-fördermittel).
    Hierfür hat zwar der Befristungsanteil in der vergangenen Jahren ebenfalls zugenommen und ist v.a. bei Neueinstellungen im Öff. Dienst deutlich höher als in der Privatwirtschaft. Anders als in der Wissenschaft betrifft es aber nicht die Mehrheit, sondern "nur" rund ein Viertel (s. z.B. Banscherus u.a. 2017, S. 74f.; Krempkow 2021, S. 12 bzw. www.researchgate.net/publication/356533066).

    Hier ist das größere Problem daher m.E. eher die oft wahrgenommene Unberechenbarkeit bei der Vergabe unbefristeter Stellen bzw. Entfristung. Wenn gefordert wird, dass der Bund bei eigenen Ausschreibungen als Förderkriterium mit aufnimmt, dass ein bestimmter Anteil des Personalbudgets für unbefristet beschäftigtes Personal (jeweils für wissenschaftliches und wissenschaftsunterstützendes getrennt) aufgewendet wird, kann dies allein vorauss. noch nicht zu berechenbareren Chancen führen. Hier wäre - was einzelne Hochschulen bereits tun - deshalb auch über Personalentwicklungs- inkl. Entfristungskonzepte für wissenschaftsunterstützendes Personal nachzudenken (z.B. indiviuelle Zielvereinbarungen zur Entfristung, mit nachprüfbaren Kriterien). Vielleicht könnte so etwas ja auch Bestandteil einer BMBF-Förderausschreibung sein, um solche Überlegungen zu unterstützen; und damit zugleich die Attraktivität und Leistungsfähigkeit des wissenschaftsunterstützenden Personals insgesamt in Deutschland...