Alle drei großen Berliner Universitäten haben jetzt Präsident*innen mit maximaler Legitimation. Gemeinsam können sie den Wissenschaftsstandort aus seiner Ratlosigkeit holen.
DASS GÜNTER ZIEGLER die Wiederwahl zum Präsidenten der Freien Universität (FU) gewinnen würde, hatten viele, wenn nicht erwartet, so doch für gut möglich gehalten. Dass der 58 Jahre alte Mathematiker nach den Querelen der vergangenen Monate einen so deutlichen Sieg einfuhr, ganz ohne Zittern, überraschte die meisten dann aber doch. 46 von 60 gültigen Stimmen im ersten Wahlgang. 77 Prozent. Eine Quote, die fast an die von Julia von Blumenthal heranreichte, die einen Tag zuvor mit 44 von 56 gültigen Stimmen (79 Prozent) zur neuen Präsidentin der Humboldt-Universität gekürt worden war. Aber in dem Fall als einzige verbliebene Kandidatin – während Ziegler sich gegen eine starke Mitbewerberin, die Kölner Prorektorin Beatrix Busse, durchsetzen musste.
Der Tagesspiegel berichtet, dass Zieglers Bewerbungsvortrag "pointierter und rhetorisch versierter" als der Busses gewesen sei, der Applaus am Ende allerdings nicht wesentlich stärker. Trotzdem scheint er auf der Zielgeraden noch einige Skeptiker überzeugt zu haben mit dem Versprechen, mit "Wumms" und Freude einen Neustart für sich und für die FU insgesamt zu wagen. Inklusive einem neuen Vizepräsidentenamt für Universitätskultur (von der TU Dresden abgeschaut) und einer "Kultur der Wertschätzung", die er der vorhandenen "Kultur des Kleinhaltens" entgegenstellen wolle. Vielleicht war Busses mutig-offene Analyse einer Uni in desolatem Zustand für einige dann doch zu offen.
Spannend wird, wie Ziegler das mit der Kultur der Wertschätzung hinbekommen will im Umgang mit Kanzlerin Andrea Bör, mit der er sich einen jahrelangen Machtkampf lieferte, der irgendwie symbolisch wurde für die Spaltung der Universität insgesamt. Womöglich muss er das aber auch gar nicht mehr, denn spätestens mit seiner deutlichen Wiederwahl ist der Machtkampf zu seinen Gunsten entschieden. Bör hatte sich schon im Herbst mit ihrem Stunt, per Agentur, aber ohne Kenntnis der Unigremien Gegenkandidaten zu Ziegler zu suchen, eine Misstrauensbekundung des FU-Senats eingehandelt. Während Ziegler jetzt eine breite Stimmenmehrheit im Rücken hat, die nicht für viele verbliebene Unterstützer Börs spricht und für keine breite Opposition mehr gegen Ziegler. Vergessen auch die Selbstkritik an der eigenen Durchsetzungsfähigkeit oder sein massiv (auch von mir) kritisiertes Handling der Giffey-Plagiatsaffäre.
Ziegler ist jetzt der Präsident
mit dem stärksten Führungsanspruch
Es ist das wahrscheinlich überraschendste Ergebnis der Berliner Superwahlwochen: Ziegler, der vielen als führungsschwächer galt im Vergleich zur zurückgetretenen HU-Präsidentin Sabine Kunst und an der eigenen Uni als umstrittener als der abgewählte TU-Chef Christian Thomsen, ist nicht nur der einzig verbliebene in dem langjährigen Führungstrio der großen Berliner Universitäten. Im Zusammenspiel mit seinen neuen Kolleginnen von HU und TU ist er jetzt auch der Präsident mit der größten Amtserfahrung, dem deutlichsten Wahlbonus und, daraus resultierend, mit dem stärksten Führungsanspruch innerhalb der "Berlin University Alliance", dem Exzellenzverbund der Berliner Universitäten.
Und das soll etwas heißen angesichts zweier neuer Präsidentinnen, die mit viel Verve und ebenfalls starken Wahlergebnissen in ihr Amt starten werden: Für die 51 Jahre alte Julia von Blumenthal, die seit 2018 amtierende Präsidentin der Viadrina und langjährige Dekanin an der Humboldt-Universität, ist es eine Rückkehr. In Frankfurt/Oder wurde sie laut Märkischer Oderzeitung für ihre offene Art geschätzt, mit Konflikten umzugehen und Lösungen zu suchen. Als Erfolg angerechnet werde ihr auch die Eröffnung der "European New School of Digital Studies". Allerdings zitierte die Zeitung auch Kritiker: Die Zahl der Studierenden sei gesunken und von Blumenthal hätte das Profil der "Europa-Universität" noch mehr schärfen können – etwa durch mehr pointierte Äußerungen zu den zahlreichen aktuellen Krisen in Europa.
Nach ihrer Wahl an der HU kündigte Blumenthal an, die Präsenzlehre zu stärken, zugleich aber dauerhaft mit mehr digitalen Angeboten zu begleiten und die Personalstrukturen in Richtung von mehr unbefristeter Beschäftigung zu verändern. Allerdings sagte sie auch, dass sie die von ihrer Vorgängerin Kunst angestrengte und an der HU umstrittene Verfassungsbeschwerde gegen das neue Hochschulgesetz für notwendig halte.
Und dann ist da die erst 39 Jahre alte neue TU-Präsidentin Geraldine Rauch, bislang Prodekanin für Lehre an der Charité, die sich im Januar ebenfalls schon im ersten Wahlgang gegen den 22 Jahre älteren, mit acht Jahren Amtsbonus ausgestatteten Thomsen durchsetzte. In der Deutlichkeit fast schon eine Sensation, die im Nachhinein aber erklärbar war: weil Thomsen in seiner bedächtigen Art vielen dann doch zu sehr den Eindruck vermittelte, nicht mit der nötigen Verve die anstehenden Veränderungen angehen zu können. Von der überfälligen Verwaltungsreform bis hin zur Rückkehr der TU aus dem Pandemiebetrieb. Rauch hingegen machte bei vielen großen Eindruck, weil sie einerseits intelligent, versiert und meinungsstark rüberkam, andererseits aber offen und nicht so abgeklärt wie viele, die schon lange im Betrieb von Hochschulleitungen stecken.
Gemeinsam gegen
die Krise
Berlin befindet sich als Wissenschaftsstandort in einer Krise. Es ist eine Krise der Transformation, wie sie Hochschulen überall in Deutschland gerade erleben. Sie ist aber verstärkt durch Berliner Sondereffekte. Das Geschiebe in der "Berlin University Alliance", das dem seit Anfang bestehenden Verdacht, für die beteiligten Unis mehr Beutegemeinschaft als Leidenschaft zu sein, Nahrung gegeben hat. Oder durch den Paragraphen 110 des neuen Hochschulgesetzes, der verlässlichere Karrierewege an den Universitäten verpflichtend machen wollte, aber in der Art seines Zustandekommens und seiner Formulierung für viel Verunsicherung gesorgt hat.
Jetzt treffen drei frisch gewählte Berliner Unipräsident*innen mit großem Stimmenbonus und entsprechender Legitimation und Motivation auf eine ebenfalls neue Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne). Das ist eine große Chance. Sie alle können gemeinsam ohne zu viel Ballast des "Das haben wir halt so entschieden" oder des "So haben wir das immer gemacht" auf die Widersprüche der universitären Identitätskrise schauen. Das verspricht interessant zu werden. Nicht nur für Berlin.
Nachtrag am 24. Februar:
Spätestens mit seiner deutlichen Wiederwahl sei der Machtkampf zwischen FU-Präsident Ziegler und Kanzlerin Bör faktisch zu Zieglers Gunsten entschieden, schrieb ich vergangene Woche. Jetzt schafft auch die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege Tatsachen, wie heute der Tagesspiegel berichtet. Auf deren Veranlassung "wird Kanzlerin Dr. Andrea Bör ihre Amtsgeschäfte an der Freien Universität Berlin mit sofortiger Wirkung für die kommenden drei Monate nicht wahrnehmen", zitiert die Zeitung aus einer Mail der Universitätsleitung, die am Mittwochnachmittag an alle FU-Mitarbeitende gegangen sei. Und weiter: Die Unileitung werde informieren, "sobald sich zur weiteren Tätigkeit der Kanzlerin Frau Dr. Bör an der Freien Universität Berlin ein neuer Sachstand ergibt."
Die Wissenschaftsverwaltung bestätigte den Vorgang auf laut Tagesspiegel und nannte "zwingende dienstliche Gründe für die Entscheidung." Die Funktionsfähigkeit der FU müsse erhalten werden. Weitere Details könnten, da es sich um eine Personaleinzelangelegenheit handle, nicht genannt werden.
Für Ziegler dürfte die Erleichterung groß sein. Dass Bör eigenmächtig eine Personalagentur beauftragt hatte, Gegenkandidaten zu Ziegler zu suchen, war nur der Höhepunkt eines jahrelangen Machtkampfs zwischen den beiden. Die Kanzlerin soll viele wichtige Entscheidungen blockiert haben. Jetzt hat Ziegler, gestärkt durch seine deutliche Wiederwahl und ohne prominente Gegenspielerin, die Chance zu beweisen, dass er die FU erfolgreich führen und alle wesentlichen Akteure dabei mitnehmen kann.
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Lothar Moesefred (Donnerstag, 17 Februar 2022 13:10)
Da kann man dem besonnenen Mathematiker an der TUB
nur gratulieren zur Wahl. Ob er eventuell eine glückliche Hand an der Spitze der BUA hat, ist eine andere Frage. Die
skeptische Haltung des Bloggers zur Exzellenz-Initiative
schaut ja von Zeit zu Zeit durch. Mit Recht !
bregalnica (Donnerstag, 17 Februar 2022 18:06)
Mit Geraldine Rauch als erste Frau an der Spitze der TUB verspricht es, sehr spannend zu werden!
Andere Frage: Ist es üblich, dass im Senat der FUB Presse anwesend ist? Siehe den Artikel vom Tagesspiegel?