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"Noch einiges draufgesetzt"

Schleswig-Holsteins Wissenschaftsstaatssekretär Oliver Grundei über Hochschulautonomie, Zukunft der Exzellenzstrategie, Wissenschaftlerkarrieren – und die Unterschiede zu Berlin.

Campus der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, der Oliver Grundei in der nächsten ExStra-Runde gute Chancen einräumt. Foto: Marvin Radke (Ichwarsnur), CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.

Herr Grundei, Berlin hat ein neues Hochschulgesetz verabschiedet, Bayern steht kurz davor. In Berlin protestierten dagegen die Hochschulleitungen, in Bayern die Hochschulmitarbeiter. Was ist mit der Gesetzesnovelle, die Sie gerade in Schleswig-Holstein durchgebracht haben? Eher Berlin oder eher Bayern?

 

Ich würde sie irgendwo dazwischen einordnen. Wobei ich für die Ambitionen von Bayerns Wissenschaftsminister Sibler, die Hochschulautonomie weiter zu stärken, deutlich mehr Sympathien habe. Bei unserer jetzigen Novelle waren daher auch die Hochschulgesetze Vorbild, die Vorreiter in Sachen Hochschulautonomie waren und meines Erachtens noch immer sind, wie das baden-württembergische und das nordrhein-westfälische Hochschulgesetz. Ob jetzt noch wirklich viel Zusätzliches in Bayern herauskommt, schaue ich mir gespannt an, bin aber auch ein wenig skeptisch. Da haben uns die verschiedenen Verfassungsgerichtsurteile zur Kompetenzverteilung zwischen Hochschulräten, Präsidien und Senaten in den vergangenen Jahren doch deutliche Grenzen gesetzt.

 

Deshalb haben Sie sich in Schleswig-Holstein gar nicht erst so stark aus dem Fenster gelehnt?

 

Dafür, dass wir in Kiel eine Drei-Parteien-Koalition aus CDU, FDP und Grünen haben, konnten wir viel erreichen. Wir haben umgesetzt, was wir im Sommer 2017 in langen Nächten der Koalitionsverhandlungen vereinbart haben, gerade noch rechtzeitig auf der Zielgeraden dieser Legislaturperiode. Und noch einiges draufgesetzt.


Oliver Grundei, CDU, ist seit 2017  Staatssekretär für Wissenschaft und Kultur im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein. Vorher war der Rechtswissenschaftler zehn Jahre lang Kanzler der Universität zu Lübeck. Foto: Frank Peter.


Warum erst so spät?

 

Weil wir schon der Meinung waren, dass wir dem erst Anfang 2017 von der Vorgängerregierung beschlossenen Hochschulgesetz vorher die Gelegenheit geben mussten, sich zu bewähren, um dann aus den Erfahrungen für unsere Novelle zu lernen. Das haben wir getan, 2020 erste Eckpunkte aufgestellt, mit den Hochschulen diskutiert, im Sommer durchs Kabinett gebracht und seit September 2021 durch den Landtag. 

 

Und was verstehen Sie darunter, dass Sie "viel erreichen" konnten?

 

In einem ersten Schritt haben wir die sogenannte Optionsklausel eingeführt, die schon so im Koalitionsvertrag stand und besagt, dass das Land die Verantwortung für Personal, Finanzen, Bau und Weiteres an die Hochschulen übertragen kann – wenn der 


jeweilige Hochschulsenat das mit einer qualifizierten Mehrheit so will. In einem zweiten Schritt haben wir eine Innovationsklausel verabschiedet, die über den Koalitionsvertrag hinausgeht. Sie ermöglicht es den Hochschulen, ihre interne Governance zu verändern, also die Befugnisse von Präsidium, Senat, Fachbereichen oder Hochschulrat und ihr Verhältnis zueinander anzupassen. Wenn sie es wollen.

 

"Unser Vertrauen in die Gestaltungskraft

der Hochschulen scheint größer zu sein

als in der Berliner Landesregierung."

 

In Berlin gab es viel Streit um die bereits länger bestehende Innovationsklausel, die ihre Kritiker bei der jüngsten Gesetzesnovelle am liebsten wieder ganz gestrichen hätten.

 

Ja, das war schon bemerkenswert, dass wir nach Berliner Vorbild eine Innovationsklausel einführen, während ihr in Berlin die Abschaffung drohte. Bei uns gab es keine vergleichbaren Diskussionen, zumindest haben wir uns in der Koalition nicht von ihr leiten lassen. Unser Vertrauen in die Gestaltungskraft und die Eigenverantwortung der Hochschulen scheint aktuell größer zu sein als in der Berliner Landesregierung.

 

In Berlin haben die Regierungsfraktionen kurz vor Verabschiedung des Gesetzes noch einen Passus eingefügt, demzufolge promovierte Wissenschaftler auf haushaltsfinanzierten Qualifikationsstellen grundsätzlich den Anspruch auf die Anschlusszusage einer unbefristeten Stelle haben. Was die damalige Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, zu ihrem Rücktritt und vorher noch zu einer Verfassungsbeschwerde veranlasst hat. 

 

Bei uns haben einzelne Regierungsfraktionen natürlich auch eigene Akzente gesetzt, zum Beispiel, dass die Diversitätsbeauftragten gestärkt werden oder dass die Erweiterten Senate erhalten bleiben. Aber das haben wir miteinander rechtzeitig klären können. Die genauen Umstände, die in Berlin zur Änderung des Hochschulgesetzes im parlamentarischen Verfahren quasi auf den letzten Metern geführt haben, kenne ich nicht und sollte ich auch nicht kommentieren. 

 

Sowas hätte Ihnen im Kieler Landtag nicht passieren können?

 

Unsere Hochschulen gehen mit ihren Möglichkeiten zur befristeten und unbefristeten Beschäftigung sehr verantwortungsvoll um. Außerdem nutzen sie die neuen Möglichkeiten für Dauerstellen, die wir ihnen mit dem Zukunftsvertrag "Studium und Lehre stärken", zum Teil auch schon vorher, eingeräumt haben. Da herrschte durch den befristeten Hochschulpakt der größte Druck, der ist jetzt weg. Ich denke deshalb nicht, dass wir in Schleswig-Holstein aktuell ein grundsätzliches Problem im Verhältnis von befristeten und unbefristeten Stellen an den Hochschulen haben. 



Das ist eine selbstbewusste Ansage.

 

Die vergangene Landesregierung hatte an den Hochschulen schon sogenannte Codizes für gute Beschäftigung etabliert, und die scheinen zu funktionieren. Anderswo mag das anders sein. Vielleicht ist die Problemlage in Berlin aber auch deshalb drängender, weil es dorteinen viel größeren Anteil geisteswissenschaftlicher Fächer gibt. Mein Eindruck ist, dass sich in denen der größere Frust aufgestaut hat. 

 

"Das Problem mit den vielen befristeten Stellen ist,
dass sie besonders Menschen, die für eine Familie
zu sorgen haben, abschrecken."

 

Wollen Sie sagen, in Schleswig-Holstein gibt es keinen Frust unter Wissenschaftler*innen über fehlende Karriereperspektiven?

 

Bestimmt gibt es den hier und da. Aber wo Probleme bestehen, handeln wir. Wir haben den Tenure Track jetzt als reguläres Verfahren im neuen Hochschulgesetz etabliert, da war das entsprechende Bund-Länder-Programm ein wichtiger Impuls. Das führt zu transparenten Verfahren. Und das stärkt auch die Chancengleichheit.

 

Wie meinen Sie das?

 

Das Problem mit den vielen befristeten Stellen ist doch, dass sie besonders Menschen, die für eine Familie zu sorgen haben, abschrecken. Solange überwiegend Frauen die Erziehungsarbeit leisten, betrifft das auch überwiegend Frauen. Tenure-Track-Verfahren können die nötige Planbarkeit und Struktur bringen. Und sie zwingen die Hochschulen gleichzeitig zu ehrlichen und früheren Aussagen, ob wissenschaftliche Mitarbeiter wirklich für eine langfristige wissenschaftliche Karriere geeignet sind – oder ob man sie nur als Arbeitskraft auf Zeit schätzt. 

 

Fehlte es bislang an dieser Ehrlichkeit?

 

Nicht überall. Ich habe selbst während meiner Doktorandenzeit drei, vier befristete Uni-Stellen gehabt, obwohl ich recht früh wusste, dass ich wohl nicht zum Juraprofessor tauge. Weil mir das so kommuniziert wurde, musste und konnte ich parallel anders planen. Ich rede also ganz stark von einem professionelleren Personalmanagement an den Hochschulen. Anderswo sind schon lange regelmäßige Vorgesetzten-Mitarbeiter-Gespräche üblich, dazu müssen wir auch an den Hochschulen kommen. Daran haben die Hochschulleitungen meines Erachtens ein starkes Eigeninteresse. Keiner wünscht sich unglückliche Mitarbeiter. Tatsächlich hat sich, seit ich 2005 erstmals Kanzler einer Hochschule wurde, viel getan. Und in Wettbewerben wie der Exzellenzstrategie wird das Vorhandensein einer tragfähigen Personalstrategie immer ausschlaggebender und kritischer überprüft. 

 

Heißt das in letzter Konsequenz, dass Deutschland weg muss vom Lehrstuhlprinzip? Mit Tenure Track als Hauptweg zur Professur?

 

Ich finde, Vielfalt tut der Wissenschaft gut. Noch haben wir in Schleswig-Holstein nicht sehr viele W3-Professuren, die auf einen Tenure Track zurückgehen. Je mehr es werden, desto stärker werden sie vom wissenschaftlichen Output her im Vergleich stehen mit den Lehrstuhl-Professuren. Mit anderen Worten: Wenn der Tenure Track hält, was viele sich davon versprechen, wird sich das im Wettbewerb erweisen. Die Hochschulen wollen erfolgreich sein, deswegen wird sich der geeignete Berufungsweg durchsetzen. Hier liegt für mich auch der eigentliche Unterschied unseres Hochschulgesetzes etwa zum neuen Berliner Ansatz.

  

Und der wäre?

 

In Berlin, so scheint mir, dient die Hochschulgesetz-Novelle vor allem dazu, bestimmte Statusgruppen und ihre Mitglieder an den Hochschulen zu stärken. Das kann ein Ansatz sein. Unser Ansatz ist, die Hochschule insgesamt als Institution zu stärken in dem Sinne, dass sie ihre Aufgaben für Wissenschaft und Gesellschaft besser erfüllen kann. 

 

"Gemessen an dem, was Schleswig-Holstein in die Hochschulen investieren konnte, sind wir eines der erfolgreichsten Länder in der Exzellenzstrategie"

 

Wie passt zu Ihrer Kritik an Berlin, dass die Stadt als Wissenschaftsstandort in den vergangenen Jahren so erfolgreich war – wesentlich erfolgreicher als Schleswig-Holstein zum Beispiel? 

 

Das passt sehr gut. Berlin ist ja deshalb so erfolgreich gewesen, weil es angefangen mit Jürgen Zöllner bis zu Michael Müller und Steffen Krach Politiker gab, die wussten, was die Hochschulen brauchen, um sich als Ganzes positiv zu entwickeln. Natürlich hatte der Erfolg auch mit der sagenhaften Qualität und Dichte der Berliner Wissenschaftslandschaft zu tun, hinzu kam der Hauptstadtfaktor, was ich ohne Neid sage. Die entscheidende Frage aber ist: Setzt der neue Senat die erfolgreiche Politik der vergangenen Jahre fort, oder geht er einen anderen Weg?

 

Ob man sich im in der Exzellenzstrategie erfolgsverwöhnten Berlin so etwas aus Schleswig-Holstein wird sagen lassen?

 

Moment! Gemessen an dem, was Schleswig-Holstein als nicht besonders wirtschaftsstarkes Land in unsere Hochschulen investieren konnte, sind wir eines der erfolgreichsten Länder im Wettbewerb. Mit zwei Clustern und zwei Graduiertenschulen in der Exzellenzinitiative. Mit zwei Clustern in der Exzellenzstrategie, darunter unser Medizin-Cluster, der zu den nur elf Verbünden gehört, die seit Beginn der Exzellenzinitiative dabei sind. Und das alles auch vor dem Hintergrund, dass wir nur eine Volluniversität im Land haben, ein Max-Planck-Institut und erst zwei Fraunhofer-Einrichtungen.

 

Aber zwei Helmholtz-Zentren und vier Leibniz-Institute. 

 

Trotzdem haben wir Nachholbedarf. Und richtig ist auch, dass der ganz große Preis bei der Exzellenzstrategie noch aussteht. Allerdings haben wir 2026, wenn die Zahl der Exzellenzuniversitäten auf bis zu 15 erweitert wird, eine Riesenchance. Hätte es 2019 schon 15 gegeben, wäre Kiel drin gewesen. Jetzt geben wir der Universität Kiel so viel Rückenwind, wie wir nur können. Auch mit dem Hochschulgesetz. 

 

Wäre nicht der beste Rückenwind, den schleswig-holsteinischen Hochschulen eine bessere Grundfinanzierung zu gönnen? 

 

Das ist mir zu einfach. Seit 2016 erhalten die Hochschulen jedes Jahr einen Aufwuchs von fünf Millionen Euro oben drauf. Das hat lobenswerterweise unsere Vorgängerregierung gestartet, das haben wir fortgesetzt. Zusätzlich zur Übernahme aller Tarif- und Besoldungssteigerungen. Dazu kommen Sonderprogramme, die zum Beispiel zusätzliche zwölf Professuren für Künstliche Intelligenz finanzieren oder die digitale Infrastruktur an unseren Hochchulen stärken. Oder unsere Initiative für den Hochschulbau, mehr als 250 Millionen extra in dieser Legislaturperiode, mit denen wir den Sanierungsstau von über einer Milliarde verringern. Das mögen alles noch keine bayerischen Verhältnisse sein, wohl auch keine hessischen, aber verstecken müssen wir uns nicht. 

 

Was halten Sie von Bestrebungen einiger Wissenschaftsminister, die Regeln bei der Exzellenzstrategie zu ändern, damit mehr unterschiedliche Cluster-Bewerbungen eine Chance bekommen?

 

Schleswig-Holstein ist ein Beleg dafür, dass alle Länder und Hochschulen bereits jetzt eine realistische Chance auf Erfolg haben. Es stimmt also nicht, dass alles immer nur auf den größten Haufen geht. Natürlich ist die Exzellenzstrategie ein Wettbewerb der finanziellen Grundausstattungen, genauso ist sie aber ein Wettbewerb der Rahmengesetzgebung in den Bundesländern. Über diesen Zusammenhang sollten wir mehr sprechen! Warum haben sich denn Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder bislang Berlin so erfolgreich in der vergangenen ExStra-Runde behauptet? Das war weder ein Zufall noch vor allem eine Frage des Geldes, sondern der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der jeweiligen Entwicklungsfreiheit geschuldet, die die Hochschulen hatten. 

 

"Ich würde von einer ExStra 2.1 sprechen,

keinesfalls von einer ExStra 3.0. Sonst laufen wir Gefahr,

die Marke Exzellenzstrategie zu verwässern." 

 

Also alles so lassen, wie es ist?

 

Die Regeln des Exzellenzwettbewerbs haben sich über mehrere Runden eingeschliffen. Schon jetzt sind alle möglichen Kooperationsformen erlaubt, bei uns im Medizin-Cluster ist zum Beispiel auch unsere  Kunsthochschule dabei. Sicherlich schadet es nicht, in der nächsten Ausschreibung das Ziel einer Breite von Disziplinen und beteiligten Hochschulen noch einmal zu betonen, aber dafür braucht man keine grundlegenden Veränderungen. Daher würde ich eher von einer ExStra 2.1 sprechen, keinesfalls von einer ExStra 3.0. Sonst laufen wir Gefahr, die Marke Exzellenzstrategie zu verwässern. 

 

Nicht einmal mehr geförderte Cluster als bislang?

 

Das ist etwas Anderes. Eine einmalige Erhöhung ist sinnvoll, damit der Aufwand der Antragstellung für neue Bewerber noch in einem angemessenen Verhältnis steht zu den Erfolgschancen. 

 

Man könnte auch sagen: Die ältesten Cluster müssen endlich mal raus aus dem Wettbewerb. Also die elf, von denen Sie vorhin sprachen und von dem einer aus Schleswig-Holstein ist.

 

Irgendwann muss es da in der Tat ein Ende geben, zumindest im Sinne einer Förderung durch die Exzellenzstrategie. Aber was dann? Müssen sich langjährig erfolgreiche Clusterstrukturen dann zwanghaft neu erfinden, nur weil sie andernfalls das System verstopfen? Oder sollten sie nicht übergehen in eine institutionelle Förderung? Das ist eine schwierige Diskussion – vor allem, weil es da um viel Geld geht und unklar ist, wo dieses Geld herkommt und welche Förderstrukturen dafür die Richtigen wären. Aber ich finde, es wäre die Diskussion wert. Es ist doch keinem gedient, wenn die alten Cluster sich neu verpacken, als scheinbar neue Cluster anstellen und dann die wirklich neuen Initiativen verdrängen. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Josef (Mittwoch, 02 März 2022 10:08)

    "Berlin hat ein neues Hochschulgesetz verabschiedet, Bayern steht kurz davor. In Berlin protestierten dagegen die Hochschulleitungen, in Bayern die Hochschulmitarbeiter."
    Das ist doch etwas (zu sehr) verkürzt: an der bayerischen Hochschulnovelle gab es sehr wohl auch deutliche Kritik vonseiten "Universität Bayern e.V." als Interessenvertretung aller bayerischen UniversitätspräsidentInnen...