Nach den markigen Worten aus BMBF und Auswärtigem Amt wartet Deutschlands Wissenschaft weiter auf eine klare Aussage, was aus ihnen für die deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen folgen soll.
WIE SOLL ES weitergehen in den Wissenschaftsbeziehungen zu Russland?Auswärtiges Amt und Bundesforschungsministerium blieben bis heute Vormittag erneut die Antwort schuldig, was die angekündigten "massivsten Sanktionen" (Baerbock) und die Reaktion "mit aller Härte" (Stark-Watzinger) denn nun konkret für die Wissenschaft bedeuten sollen. Auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen konnte sich gestern nicht mehr auf die angestrebte gemeinsame Position verständigen. Die, initiiert offenbar von Leibniz-Präsident Matthias Kleiner, wohl hätte lauten sollen, die bestehenden Wissenschaftskooperationen mit Russland bis auf Weiteres auf Eis zu legen.
So ist es heute Morgen ein eher schwaches Bild, das Deutschlands Außenwissenschaftspolitik da gerade abliefert – was sich einbettet in die immer noch erstaunlich zögerlichen Reaktionen der Bundesregierung und der Europäischen Union insgesamt. Man hat viel zu verlieren, nicht nur in den in Deutschland ansässigen internationalen Großprojekten mit signifikanter russischer Beteiligung wie European XFEL und FAIR – was aber eigentlich angesichts der dramatischen Verletzung des Völkerrechts durch Russlands Präsident Wladimir Putin kein Argument sein dürfte. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: In der Krise wird sich zeigen, wie strategiefähig und ethikbasiert Deutschlands Wissenschaftspolitik tatsächlich ist.
Während Auswärtiges Amt und Bundesforschungsministerium zögern, handelt der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), offenbar aus Eigeninitiative heraus. Am Morgen teilte DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee mit, dass alle Bewerbungsmöglichkeiten für Russland-Stipendien gestoppt und Auswahlverfahren für DAAD-Stipendien nach Russland abgesagt werden. Auch bereits ausgewählte deutsche Stipendiatinnen und Stipendiaten könnten für einen geplanten Aufenthalt in Russland derzeit keine finanzielle Unterstützung erhalten. Und dann kommt ein unmissverständliche Aufforderung an die deutsche Wissenschaftscommunity: "Von den deutschen Hochschulen erwartet der DAAD, alle DAAD-geförderten Projektaktivitäten mit Partnerinstitutionen in Russland und Belarus auszusetzen."
"Mit einem Staat, der einen Angriffskrieg führt, kann es auch nicht in der Außenwissenschaftspolitik keine normalen Beziehungen geben", sagt der DAAD-Präsident
Mit einem Staat, der mitten in Europa einen Angriffskrieg gegen sein Nachbarland führe, "kann es keine normalen Beziehungen, auch nicht in der Außenwissenschaftspolitik geben", sagte Mukherjee am Morgen. Dem DAAD sei bewusst, dass die ergriffenen Maßnahmen auch Ungerechtigkeiten schafften und zahlreiche Wissenschaftler und Studierende träfen, die sich für friedliche und rechtsstaatliche Verhältnisse sowie gutnachbarschaftliche Beziehungen einsetzten. Und Mukherjee fügte hinzu: "Uns ist bewusst, dass viele unserer russischen Freundinnen und Freunde und unserer russischen Partnerinstitutionen den Feldzug gegen die Ukraine aus tiefstem Herzen ablehnen. Gleichzeitig halten wir es angesichts des Kriegs für unumgänglich, die Förderung von Austauschbeziehungen mit Russland kritisch zu überprüfen."
Derweil halten sich die meisten Chefs großer Wissenschaftseinrichtungen derzeit noch mit offiziellen Statements zurück – offenbar verunsichert dadurch, dass von der Bundesregierung so wenig kommt. Bisher hatte stets die Linie gegolten, auch in krisenhaften Zeiten mit Russland gerade die Wissenschaft zum Offenhalten von Kommunikationskanälen zu nutzen. Doch angesichts der Ereignisse der vergangenen Tage hören sich solche Sätze jetzt nicht mehr richtig an, finden viele offenbar.
Nicht so Johann-Dietrich Wörner, bis vor einem Jahr Esa-Chef und jetzt Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech). Er sagte dem Tagesspiegel, gerade jetzt müsse es aber "weitergehen". Bei aller Kritik an dem, was geschehe, müsse versucht werden, die Gesprächskanäle offenzuhalten. "Wenn die Raumfahrt und die Wissenschaft insgesamt das können, sollten wir die Chance nutzen." So habe man auch während des Kalten Krieges die Wissenschaftsbeziehungen aufrechterhalten und so den Eisernen Vorhang überwunden.
Nur dass Putin im Augenblick weit mehr als einen kalten Krieg führt.
Die Hochschulen seien autonom, weshalb auch in diesem Fall die Politik keine Weisungsbefugnis habe, sagte Peter-Andre Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz heute Morgen. Dennoch seien klare und auch öffentliche Aussagen der Ministerien wichtig. "Und ich würde es für richtig halten, dass die Hochschulen nach individueller Prüfung ihre Beziehungen zu Russland bis auf Weiteres auf Eis legen. Wir brauchen jetzt ein klares Signal."
Derweil betont DAAD-Präsident Mukherjee mit kaum verhohlener Ungeduld, auch die Außenwissenschaftspolitik müsse sich fragen, welchen Beitrag sie zur Gesamtstrategie der Bundesregierung und der Europäischen Union zur Isolierung Russlands leisten könne. Die nun getroffenen DAAD-Maßnahmen könnten, so Mukherjee, "in Abstimmung mit der Bundesregierung und nach Erörterung mit der Hochschulrektorenkonferenz und den deutschen Hochschulen" in den kommenden Tagen und Wochen weiter angepasst werden.
Wenn denn dann die Bundesregierung mal kommuniziert hat, was genau ihre wissenschaftspolitische Strategie angesichts des Ukraine-Kriegs ist.
Nachtrag am 25. Februar, 10.50 Uhr: Endlich: Die Bundesregierung will noch im Laufe des Vormittags Position zu den Wissenschaftskontakten zu Russland beziehen, heißt es gerade im Hintergrund.
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