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Wie wir die Exzellenzstrategie noch besser machen wollen

Durch mehr Vielfalt der Partner und Disziplinen wird
Deutschlands Wissenschaft noch konkurrenzfähiger – und wappnet
sich für den Wandel der Gesellschaft. Ein Gastbeitrag
von Angela Dorn und Manja Schüle.

Angela Dorn (Grüne) ist Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst in Hessen.
Manja Schüle (SPD) ist Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Brandenburg.
Fotos: kunst.hessen.de/MWFK.

WIR LEBEN IN ZEITEN des tiefgreifenden, vielgestaltigen Umbruchs. Ob Klimawandel und Artensterben, globale Migration, neue Technologien wie Genom Editierung, eine durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz veränderte Arbeits- und Lebenswelt oder das Auseinanderbrechen der Gesellschaft in globale Eliten und einen wachsenden Teil von "Fortschritts-Ausgeschlossenen": Die Zahl der Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, ist enorm.

 

Der Wissenschaft kommt in diesen Zeiten des Umbruchs eine Schlüsselrolle zu – die Pandemie hat es gezeigt. Doch um die großen gesellschaftlichen Herausforderungen noch besser aufgreifen und thematisieren zu können, muss Wissenschaft zukunftstauglich sein und über tragfähigere Strukturen verfügen. Wir, die Wissenschaftsministerinnen in Brandenburg und Hessen, Manja Schüle und Angela Dorn, treten daher für eine Stärkung der Erfolgschancen von einerseits kooperativen und andererseits interdisziplinären Exzellenzclusteranträgen in der nächsten Runde der Exzellenzstrategie ein. 

 

Alle sind sich einig, dass der wissenschaftliche Wettbewerb das zentrale Element der Exzellenzförderung ist. Basis der Exzellenzstrategie ist ein zweistufiges wissenschaftsgeleitetes Verfahren. Mehrere hundert international anerkannte WissenschaftlerInnen begutachten die Anträge. Die Entscheidung treffen dann 39 international herausragende Forschende als Mitglieder der Expertenkommission. Exzellenz in Forschungsfeldern ist in Deutschland weit verbreitet – an großen aber auch an vielen kleineren und mittelgroßen Universitäten. Die Potentiale verteilter Exzellenz stärker in neuartigen kooperativen Strukturen für das Wissenschaftssystem zu heben, ist eine zentrale Herausforderung für die nächste Runde der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern. 

 

Corona hat gezeigt: Wissenschaft
arbeitet exzellent im Netzwerk

 

Gewiss findet Kooperation auch bisher im Exzellenzwettbewerb schon statt, doch längst nicht ausreichend. Und die Beiträge der Kooperierenden werden nicht ausreichend sichtbar. Exzellente WissenschaftlerInnen an kleineren und mittleren Universitätsstandorten hatten bisher allenfalls die Chance, als PartnerInnen in Projekten großer antragstellender Universitäten mitzuwirken. Hier muss ein Wandel erfolgen: In kooperativen Exzellenzclustern sollten die kleinen und mittelgroßen Universitäten fortan als Mitantragsteller fungieren können – sofern auch sie Exzellentes zum Erfolg der Kooperation beitragen können. Die derzeit bestehende Begrenzung auf zwei und nur in Ausnahmefällen drei antragstellende Universitäten müsste deshalb für mehr PartnerInnen geöffnet werden. 

 

Gerade Corona hat gezeigt: Wissenschaft arbeitet exzellent im Netzwerk. Kaum hatte die Pandemie Deutschland im Frühjahr 2020 erreicht, schloss sich zu ihrer Bekämpfung – auf Wunsch von Bund und Ländern – das Netzwerk deutscher Universitätsmedizin unter der Leitung der Berliner Charité zusammen. Das sind alle 36 deutschen Universitätsklinika! Drei Jahre zuvor, 2017, hatte die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) gemeinsam mit forschungsstarken deutschen Universitäten und unterstützt durch den Bund die ersten drei Max-Planck-Schools ins Leben gerufen. Ziel: Deutschland soll auch in der Förderung junger herausragender Wissenschaftstalente als Standort neben bislang überwiegend angloamerikanischen Einrichtungen international attraktiv sein. Heute sind an einer School wie "Matter to life" 49 WissenschaftlerInnen von 20 großen wie kleineren universitären wie außeruniversitären Einrichtungen vertreten! Das zeigt klar: Die Topleute der deutschen Wissenschaft sitzen nicht an einer, sondern an vielen Forschungsstätten. 


In den 1990er Jahren mahnte der damalige DFG-Präsident Wolfgang Frühwald erstmals an, stärker an den disziplinären Grenzen zu forschen. Inzwischen gibt es viele Initiativen, inter- und transdisziplinär zu arbeiten. Auch in der Grundlagenforschung – so herausfordernd es für die ForscherInnen ist, eine gemeinsame Sprache zu finden. Auch diesen Prozess, disziplinübergreifender zu forschen, hat die Pandemie beschleunigt. Denn sie hinterlässt überall Spuren, die es wissenschaftlich zu beleuchten gilt: Corona hat deutlich gemacht, dass es zur Bewältigung einer Pandemie neben der unverzichtbaren Arbeit der Virologie auch Sozialwissenschaft, Pädiatrie, Informationstechnologie, Mathematik, Ökonomie und Verhaltenspsychologie braucht – eine optimale Verzahnung von der Analyse großer Datenmengen über die Abwägung empfohlener Schritte auf ihre Auswirkungen in Gesellschaft und Wirtschaft bis zur Übersetzung in echte Verhaltensänderung. Ein Wissenschaftsprojekt zu Corona muss all diese Aspekte integrieren.

 

Aber nicht nur Corona, Klimawandel, Migration, Energiewende, alle großen gesellschaftlichen Herausforderungen sind inter- und transdisziplinär zu thematisieren, um überhaupt in der Lage zu sein, kurz- bis langfristig Antworten aufzuzeigen. Gemäß der DFG-Statistik sind jedoch 30 der gegenwärtig 57 geförderten Exzellenzcluster in nur einem Wissenschaftsbereich tätig; nur zwölf decken drei Wissenschaftsbereiche ab und lediglich einer alle vier Bereiche, also Geistes- und Sozial-, Lebens-, Natur- sowie Ingenieurwissenschaften. Ganz klar: Wissenschaft ist und bleibt intrinsisch motiviert und folgt dem Prinzip der Bestenauslese. Dazu benötigt sie Freiheit und Verlässlichkeit. Doch soll sie strukturell so aufgestellt sein, dass sie auch für die großen Zukunftsfragen gerüstet ist. 

 

Stärker monodisziplinäre und interdisziplinäre Anträge müssen im Wettbewerb die gleichen Chancen haben. Antragstellende, die beispielsweise im Lichte der Energiewende versuchen, einen neuen Energieträger ganzheitlich auf sein Potential unter Gesichtspunkten der materialwissenschaftlichen Eignung, wirtschaftlichen Effizienz und gesellschaftlichen Akzeptanz zu untersuchen, sollten es nicht strukturell schwerer haben als jene, die sich rein mit den physikalisch-chemischen Eigenschaften desselben Energieträgers beschäftigten. 

 

Es geht um keine neue Förderlinie und
keine andere Architektur des Wettbewerbs

 

Auch hierzu bedarf es, genau wie im Fall der Forderung nach gleichberechtigten Chancen für kooperative Cluster, in der nächsten Runde der Exzellenzstrategie nicht mehr Geld oder einer neuen Förderlinie. Und schon gar nicht einer anderen Architektur des Wettbewerbs, auch wenn beides mitunter behauptet wird. Völlig ausreichend ist, dass den besonderen Anforderungen bei der Bewertung interdisziplinärer Forschungsvorhaben im Begutachtungs- und Entscheidungsprozess Rechnung getragen wird. Darauf weist übrigens auch das WR-Positionspapier zur Interdisziplinarität von 2020 hin.

 

Konkret: Die GutachterInnen solcher Anträge sollten selbst noch stärker über inter- und transdisziplinäre Forschungserfahrung verfügen und den Überblick über mehr als ein Forschungsfeld haben. Auch in der Expertenkommission sollte eine solche interdisziplinäre Expertise fest verankert sein. Es geht also um die Auswahl geeigneter GutachterInnen und das Formulieren transparenter Wettbewerbsregeln, nicht um Einflussnahme auf den Begutachtungsprozess.

 

Zu einer leistungsfähigen und innovativen Wissenschaft gehören Anreize für mehr Inter- und Transdisziplinarität und für mehr und sichtbarere Kooperation. Das Fortschreiten der Digitalisierung durch die Pandemie schafft dazu die Rahmenbedingungen. Es ist höchste Zeit für solche Netzwerke. Netzwerke zwischen Wissenschaft und Politik, wie es zurecht das Wissenschaftsratspapier "Impulse aus der COVID-19-Krise" im vergangenen Jahr einfordert, um als Regierungen in Bund und Ländern im Angesicht der großen gesellschaftlichen Herausforderungen auf der Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse Schlüsse zu ziehen und tragfähige Entscheidungen zu treffen. Ebenso aber bedarf es Netzwerke der Wissenschaft, um große gesellschaftliche Themen aufzugreifen.

 

Hier sehen wir, Manja Schüle und Angela Dorn, einen Lösungsweg in der Stärkung von inter- und transdisziplinären und von kooperativen Ansätzen bei der Ausgestaltung der Wettbewerbsregeln für die nächste Runde der Exzellenzstrategie, die 2023 mit der Einreichung der Cluster-Skizzen startet. Gemeinsam mit der Wissenschaftsministerin in Mecklenburg-Vorpommern, Bettina Martin, haben wir deshalb einen Änderungsvorschlag in die Gremien der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK) eingebracht. Deutschland benötigt den stärkeren Schulterschluss der Wissenschaft, um für den Wandel der Gesellschaft gewappnet zu sein.



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