Heute haben die EFI-Wissenschaftsweisen ihr Jahresgutachten vorgestellt. Der Kommissionsvorsitzende Uwe Cantner über die Folgen des Ukraine-Krieges für deutsche Innovationspolitik, die Ambitionen der Ampel-Koalition und Deutschlands Rückstand bei Spitzentechnologien.
Foto: David Ausserhofer.
Herr Cantner, heute Mittag haben Sie und die übrigen Mitglieder der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) Ihr Jahresgutachten an Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger überreicht. Normalerweise wäre die Übergabe schon vor zwei Wochen fällig gewesen und an Bundeskanzler Olaf Scholz, dann musste der Termin wegen des drohenden Angriffs Russlands auf die Ukraine abgesagt werden. Werfen der Krieg und seine globalen Auswirkungen auch Ihre im Gutachten abgegebenen Prognosen und Empfehlungen über den Haufen?
Nein, das tun sie nicht. In wesentlichen Punkten werden sie sogar verstärkt. So etwa die von uns betonte Notwendigkeit, stärker in Innovationen bei erneuerbaren Energien zu investieren und diesen gegenüber fossilen Energien und Technologien zum Durchbruch zu verhelfen – die offensichtlich äußerst kritische Energieabhängigkeit von Russland bestärkt uns hier nachdrücklich. Gleiches gilt unserer Sorge um die (technologische) Souveränität Deutschlands und Europas im Kontext neuer geopolitischer Machtkonstellationen: Wir erkennen gerade unmittelbar, wie eine große einseitige Abhängigkeit Handlungsspielräume stark einschränkt, spürbar heute, ganz real, bei der Energie und morgen möglicherweise bei digitalen Technologien.
Was bedeutet die Krise konkret und kurzfristig? für die Forschungs- und Innovationspolitik der Bundesregierung?
Durch die Ukraine-Krise wird urplötzlich das Thema der militärischen Sicherheit ganz oben auf die Agenda befördert. Dafür einzurichtende Budgets und Ressourcen mögen den finanziellen Spielraum auch der Forschungs- und Innovationspolitik verengen. Die Dimensionen ihres Spielfelds sollten darunter jedoch nicht leiden. Zwar müssen nun die Förderziele neu bewertet und priorisiert werden. Doch sollte das nicht dazu führen, dass große Ziele wie die Nachhaltigkeit oder die Digitalisierung aus der ersten Reihe verschwinden. Schließlich sehen wir ja gerade, wie eng Fragen der militärischen Sicherheit mit nachhaltiger Energieversorgung und digitalen Fähigkeiten zusammenhängen. Veränderte und klug verlängerte Zeitschienen der Zielerreichung müssen dies berücksichtigen, auch um mögliche budgetäre Engpässe zu überwinden. Ferner ist zu bedenken, dass die mit militärischer Sicherheit einhergehende Militärforschung oft neue Technologien hervorbringt, die auch dem zivilen Bereich zu Gute kommen und dort weitere Innovationspotenziale schaffen, nicht nur, aber gerade im Bereich der digitalen Technologien.
Uwe Cantner, 61, ist seit Mai 2019 Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). An der Universität Jena hat er eine Professur für VWL/Mikroökonomie, seit 2014 ist er Vizepräsident seiner Universität.
Die EFI wurde 2006 per Kabinettsbeschluss eingerichtet und legt der Bundesregierung jedes Jahr ein Gutachten zur "Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands" vor. Die weiteren Kommissionsmitglieder sind Irene Bertschek, Holger Bonin, Till Requate, Carolin Häussler und Katharina Hölzle.
Das heute an Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger überreichte Gutachten ist auf der Website der EFI abrufbar. Foto: FSU/ A. Günther.
Kommen wir zu dem, was im heute vorgelegten Gutachten steht, Herr Cantner. Wie geht das eigentlich: die Forschungspolitik einer neuen Bundesregierung bewerten, die bislang nur aus wohlklingenden Versprechungen besteht?
Die alte Regierung zu kritisieren, ergibt auch keinen Sinn mehr. Jetzt sind neue Kräfte am Werk. Immerhin können wir die Ankündigungen im Ampel-Koalitionsvertrag dem gegenüberstellen, was wir als EFI in den vergangenen Jahren und besonders 2021 gefordert haben.
Aber es sind doch nur Ankündigungen!
Und Papier ist geduldig, schon klar. Es ist, wie Sie sagen: Was da an Zielen steht, klingt gut. Da kann man zu fast nichts nein sagen, die richtigen Stichwörter sind gefallen: die ökologische Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft, die Förderung neuer Technologien und
soziale Innovationen. Das ganz große Paket. Allerdings bestehend aus so vielen Einzelteilen, dass das Fehlen einer sie verbindenden Strategie doch sehr auffällt. Die Ampelkoalition behauptet, es gebe eine solche "Zukunftsstrategie", aber dann soll sie sie bitte konkret machen. Und zwar möglichst schnell.
Was muss eine solche Strategie leisten?
Vor allem muss sie priorisieren: Wer tut was, wann, mit wem zusammen und mit wieviel Budget? Und die Erstellung einer solchen Forschungs- und Innovationsstrategie muss anders laufen, als das zum Beispiel bei der "Hightech-Strategie 2025" der Fall war. Die einzelnen Elemente müssen inhaltlich und zeitlich stärker aufeinander aufbauen. "Ressortübergreifend" ist das Stichwort – bei der Konzeption der Strategie und bei ihrer Umsetzung. Alle, von denen der Erfolg abhängt, müssen mit am Tisch sitzen: Je nach Thema BMBF, Justiz-, Wirtschafts-, Finanzministerium und andere mehr.
"Die Ministerien und das gesamte staatliche Handeln
müssen sich ändern: neue Strukturen und Prozesse,
neue Formate, neue Vergütungsschemata. Das
hätte man alles in einem neuen Digitalministerium ausprobieren können. Wollte man aber nicht."
Wäre eine solche Strategie dann nicht erst recht von Anfang an tot?Als EFI haben Sie vergangenes Jahr akribisch die Schwächen – man könnte auch sagen: das Nichtfunktionieren – staatlicher Steuerung analysiert. Sie haben die gegenseitige Blockade ministerieller Prozesse durch Eigeninteressen beklagt und einen "agileren Staat" gefordert. Nach der Bundestagswahl schlugen Sie dann die Einrichtung eines Digitalministeriums vor, ein Ministerium neuen Typs, als Blaupause für künftiges Regierungshandeln. Aufgenommen davon hat die Ampel: nichts.
Den Begriff vom "agilen Staat" haben SPD, Grüne und FDP in den Koalitionsvertrag schon reingeschrieben, gleich ein paar Mal. Aber das ist erst einmal eine Absichtserklärung, da haben Sie Recht. So, wie die Ministerien derzeit agieren, sehe ich noch wenig ressortübergreifende Kollaboration und entsprechend auch kaum Ansatzpunkte zu kreativen Lösungen. Die Ministerien und das gesamte staatliche Handeln müssen sich ändern: neue Strukturen und Prozesse, neue Formate, neue Vergütungsschemata. Das hätte man alles in einem neuen Digitalministerium ausprobieren können. Wollte man aber nicht, nun sind verteilte Strukturen angelegt. Die Frage ist nun, wer beim Thema Digitalisierung künftig den Hut aufhat. Das muss rasch geklärt werden, denn sonst lebt jedes Ministerium weiter seine Idiosynkrasien aus.
Ihr Vorgänger als EFI-Vorsitzender, Dietmar Harhoff, hat deshalb gefordert, eine Reihe unabhängige Agenturen rund um die Ministerien zu bauen, zur Förderung neuer Ideen und Technologien, die strategisch selbstständig agieren.
Ja, und Thomas Sattelberger, der neue parlamentarische Staatssekretär im BMBF, hat angekündigt, das ganze Ministerium, seine Prozesse und Strukturen zu modernisieren. Ein bestehendes Ministerium wie das BMBF umzustrukturieren, das ist Herkulesarbeit, und man sollte hier schrittweise vorgehen. Trotzdem sehen wir das mit den Agenturen und ganz konkret mit der "Deutschen Agentur für Transfer und Innovation" (DATI), die die Ampel einrichten will, skeptisch.
Warum?
Agenturen können dann sinnvoll sein, wenn sie bei einem Problem ansetzen, das die Privatwirtschaft allein nicht lösen kann und für das es noch keine staatliche Förderstruktur gibt. Wie die Agentur für Sprunginnovationen (SprinD), die einzigartige, hochriskante und finanzintensive Ideen voranbringen soll. Was sonst nur Leute wie Elon Musk tun, aber von denen gibt es nun einmal nicht so viele. Und weil das Risiko so hoch ist, passen da auch keine gewöhnlichen staatlichen Förderprogramme, die eine viel höhere Erfolgsquote voraussetzen. Im Gegensatz zu SprinD soll die DATI aber im Kern nichts Neues tun, sondern bestehende Förderprogramme bündeln oder besser machen. Dafür sollten aber schon die Ministerien selbst zuständig bleiben und, wie schon jetzt, die Umsetzung an die bestehenden Projektträger delegieren.
"Wenn wir jetzt eine neue Förderagentur aufsetzen,
ohne dass sich zugleich die Ministerien verändern,
hätten wir einfach nur einen Projektträger mehr."
Aber Sie sagen doch: Den Ministerien fehlt das Kreativpotenzial.
Daran ist zu arbeiten, über kluge Formate, wie etwa Reflexionsräume, durchaus ressortübergreifend. Und dann muss eben auch das Projektträger-Modell reformiert werden. So ist etwa von der ursprünglichen Idee, dass die miteinander um die Aufträge der Ministerien konkurrieren, nicht viel geblieben. Da machen viele einfach das, was sie schon immer gemacht haben, und warten auf den nächsten Auftrag, der dann schon kommt. An die Umstrukturierung der Projektträger sollten wir deshalb auch dringend dran. Wenn wir stattdessen aber jetzt eine neue Agentur aufsetzen und die Leute von den Projektträgern dort ein neues Betätigungsfeld finden, ohne dass sich zugleich die Ministerien verändern, hätten wir einfach nur einen Projektträger mehr. Und dann haben wir an sich nichts gewonnen.
Vielleicht doch. Die Freiheit einer strategisch unabhängigen Agentur von den ministeriellen Eigenlogiken.
Aber ohne demokratische Legitimation.
Das würde dann doch auch für die SprinD gelten?
Deren Gründung ist legitimiert durch einen Parlamentsbeschluss, und in ihren Gremien sitzen Ministeriumsvertreter und Abgeordnete.
Was man bei der DATI und anderen Agenturen genauso machen könnte.
Aber wozu? Die Ampel nennt unter anderem die schwedische Innovationsagentur Vinnova als Vorbild. Ja, glauben Sie denn wirklich, dass die strategisch unabhängig ist? Wenn die schwedische Wirtschaftsministerin verlangt, dass dieses oder jenes gefördert wird, dann machen die das. Ein politisch vorgegebener Jahresplan ist auch da einzuhalten, Punkt.
Ähnlich skeptisch sehen wir die Ankündigung von Innovationsregionen nach britischem Vorbild. Die hat man in den Koalitionsvertrag reingeschrieben, und jetzt muss man sich dringend etwas einfallen lassen, damit das fliegt. Es ist doch illusorisch zu denken, dass in der heutigen Zeit Sonderwirtschaftszonen mit regional begrenzten Steuererleichterungen die Lösung sind. Damit würde man nur schwerwiegende Verzerrungen im Innovationswettbewerb erzeugen – und keine neuen Ideen für die Transformation.
"Immerhin reagiert die Automobilindustrie jetzt. Wenn sie bei alternativen Antriebstechnologien Boden gut macht, wenn der Schwenk zu Batterieantrieben und autonomen Systemen klappt, dann ist mir um Deutschlands künftige wirtschaftliche Stärke nicht allzu bange."
Apropos Transformation: So schonungslos Sie über Ministerien, Agenturen und die DATI sprechen, so zögerlich-unkonkret formuliert das EFI-Gutachten an anderer Stelle. Deutschland müsse technologische Rückstände bei den Schlüsseltechnologien "aufholen" oder "vermeiden". Es bestehe zum Beispiel bei der Digitalisierung "die Gefahr, den Anschluss zu verlieren". Im Ernst? Der Satz hätte ins EFI-Gutachten von 2012 gepasst. Inzwischen haben wir den Anschluss doch längst verloren.
Vermutlich stand er 2012 schon drin. Wir mahnen das seit vielen Jahren an, ob bei Robotik, Künstlicher Intelligenz, autonomen Systemen oder E-Government: Leute, so schaffen wir das nicht. Die Statistiken zu den Schlüsseltechnologien sind dramatisch. Südkorea und China sind rasend schnell an uns vorbeigezogen. Fast alle Digital-Standards, an die wir uns dann halten müssen, werden heute in Peking entschieden. Mit den USA halten wir in einigen Bereichen gerade noch mit. Also ja, eigentlich ist es hier schon fünf nach 12. Deshalb kommen wir hier allein mit unserer traditionellen Förderlogik nicht mehr weiter. Wir brauchen auch staatliche Eingriffe in den Markt – zeitlich befristet und damit eben katalytisch.
Vier Themen haben Sie dieses Jahr in Ihrem Gutachten besonders intensiv betrachtet. Schlüsseltechnologien, die Plattformökonomie, die Digitalisierung im Gesundheitswesen und die Zukunft des Individualverkehrs. Warum gerade diese vier Themen?
Zum einen betreffen sie Bereiche, die für die zukünftige wirtschaftliche Stärke ausschlaggebend sind, zum andern ist es das Thema Digitalisierung. Verbindendes Element ist der notwendige Schwenk aus dem Alten in das Neue. Beispiel Individualverkehr: Die Automobilindustrie, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, steht extrem unter Druck. Immerhin reagiert sie jetzt. Wenn sie bei alternativen Antriebstechnologien Boden gut macht, wenn der Schwenk zu Batterieantrieben und autonomen Systemen klappt, dann ist mir um Deutschlands künftige wirtschaftliche Stärke nicht allzu bange. Geht die Automobilindustrie aber unter, dann haben wir als Gesellschaft ein Riesenproblem. Und jetzt nehmen Sie die Digitalisierung des Gesundheitswesens und die digitale Patientenakte, an der seit zehn, 15 Jahren erfolglos geschraubt wird. Das hat die Qualitäten des Berliner Flughafenbaus, blamabel. Bei E-Health gilt im Grunde dasselbe wie bei E-Government und der Digitalisierung des Bildungssystems: Wenn es uns nicht gelingt, selbst die einfachsten digitalen Technologien zum selbstverständlichen Bestandteil gesellschaftlicher Systeme und Institutionen zu machen, dann finden wir als Gesellschaft nicht den Weg in die Zukunft.
Mein Eindruck ist, wir haben an der Stelle kein technologisches Problem, sondern ein gesellschaftliches. Weil wir keinen politischen Konsens hinbekommen, wie sich Digitalisierung und Datenschutz produktiv vereinbaren lassen.
Das ist das große Problem, ja. In unserem Gutachten machen wir sehr deutlich: Wir brauchen ein Datennutzungsgesetz, das regelt, unter welchen Voraussetzungen welche Daten frei für andere verfügbar sind. Und diese Voraussetzungen müssen pragmatisch und nutzerfreundlich sein. Amerika und China tun sich da leichter, aber das sind auch nicht unsere Rollenvorbilder. Wir können und müssen das in Europa und Deutschland hinbekommen. Auf Basis unserer Werte, mit den richtigen Datenkonzepten und eben mit hohen Standards bei der Anonymisierung und Pseudonymisierung.
Mein Eindruck ist: Man scheut die dafür nötigen Konflikte.
Das mag sein. Jedenfalls ist nichts passiert.
"Manchmal werden das Datenschutz-Argument und moralische Bedenken aber auch vorgeschoben, weil man schlicht den Aufwand der Digitalisierung scheut. Dann schickt man halt lieber weiter ein Fax."
Wie erklären Sie sich das?
An der Wissenschaft liegt es nicht. Die Forscher wünschen sich möglichst viele Daten und sind auch bereit, ihre eigenen Daten zu teilen. Die Klarnamen und die Identität der Menschen interessieren uns Forscher dabei doch gar nicht. Aber als Gesellschaft sind wir da irgendwie schizophren unterwegs. Bei Amazon und Facebook geben wir für kleinste Gratifikationen alles Mögliche von uns preis. Doch sobald es offizieller wird, zum Beispiel eine Behörde um Informationen bittet, wird sofort geschrien: Aber meine Daten! Da ist ehrliche Empörung dabei. Manchmal werden das Datenschutz-Argument und moralische Bedenken in Behörden, Betrieben oder Bildungseinrichtungen aber auch vorgeschoben, weil man schlicht den Aufwand der Digitalisierung scheut. Dann schickt man halt lieber weiter ein Fax.
Was ist die Lösung?
Schwierig. Es braucht eine wirkliche ressortübergreifende Koordination. Ich kann nur hoffen, dass irgendwann – möglichst bald – ein kluger Geist daherkommt und sich da herantraut. Ein Digitalisierungsministerium wäre auch in der Hinsicht eine Chance gewesen.
Sie haben gerade schon Amazon und Facebook angesprochen. Die digitalen Plattformen sind noch so ein Thema, wo wir den Anschluss längst verpasst haben, oder?
Ja und nein. Das Thema Business-to-Customer, B2C, ist abgefrühstückt. Wir bekommen keinen deutschen oder europäischen Amazon mehr. Da können wir durch Regulierung der vorhandenen Plattformen nur noch den größten Schaden abwenden. Mit GAIA-X hat Europa versucht, Amerika und China etwas entgegenzusetzen. Mit enorm viel Geld. Aber 130 Akteure, die sich auf gemeinsame Standards einigen sollen, wie soll das gehen? Das kriegt man doch bei fünf Leuten schon kaum hin. Trotzdem haben wir als EFI GAIA-X am Anfang gelobt. Weil wir es mutig fanden.
Und jetzt?
Jetzt sagen wir: Evaluiert GAIA-X richtig. Dann werden wir sehen, ob es weiter gehen kann oder man sich ein Scheitern eingestehen muss. Anders ist die Lage bei Business-to-Business, B2B. Da fangen auch die Amerikaner und Chinesen gerade erst an, das Feld ist noch offen. Da haben wir mit unseren eigenen starken Plattformen wie XOM Materials von Klöckner, MindSphere von Siemens und Data Intelligence Hub von der Deutschen Telekom schon jetzt einen Fuß in der Tür.
"Als wir gehört haben, dass im
Koalitionsvertrag der Behörden- und
Forschungsschiffbau als Schlüsseltechnologie
bezeichnet wird, haben wir geschmunzelt."
Sie sagen im Gutachten auch, Deutschland müsse für sich erst einmal definieren, was es unter Schlüsseltechnologien versteht, um sich dann auf einige wesentliche zu konzentrieren. Wie meinen Sie das?
Aus wissenschaftlicher Perspektive heraus ist es relativ einfach, Schlüsseltechnologien zu definieren. Als solche nämlich, die ein besonders hohes innovatives Potenzial haben, in sich selbst und dann vor allem für die Entwicklung anderer Technologien. Schwierig wird es, wenn die Politik mit ihren Einzelinteressen dazukommt. Als wir gehört haben, dass im Koalitionsvertrag der Behörden- und Forschungsschiffbau als Schlüsseltechnologie bezeichnet wird, haben wir geschmunzelt. Schlüsseltechnologien sind nicht das, was wir aus sozialen oder sonstigen Gründen fördern und erhalten wollen, sondern das, was weitreichenden und grundlegenden Einfluss auf die technologische Entwicklung und den Wohlstand von morgen erzeugt. Welches aktuell die Schlüsseltechnologien sind, lässt sich wissenschaftlich gut bestimmen. Deutlich schwieriger ist es, die potenziellen Schlüsseltechnologien, also die Schlüsseltechnologien von in fünf oder zehn Jahren, zu identifizieren. Dafür müssen wir ein regelmäßiges Monitoring etablieren, das die Technologieentwicklung systematisch verfolgt.
Sie meinen jetzt aber nicht Beratergremien wie das Hightech-Forum?
Solche Gremien haben weder die Kapazitäten, ein solches Monitoring zu machen, noch die Freiheit von Eigeninteressen ihrer Mitglieder. Wir denken bei dem Monitoring eher an etwas mit der Konjunkturberichterstattung Vergleichbares. Das schreibt man aus und beauftragt dann nationale und europäische Forschungseinrichtungen für einen Zeitraum von vier oder fünf Jahren. Deren Bericht arbeitet anschließend ein ebenfalls unabhängiges Beratungsgremium durch und gibt Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung.
Ein zusätzliches Aufgabenfeld für die EFI?
Das habe ich nicht gesagt. Ich denke eher an eine beim Bundeskanzleramt angesiedelte Instanz so ähnlich wie der Chief Innovation Officer in Israel oder der Chief Scientist in Australien.
Anfangs sprachen Sie vom ganz großen Paket der Ideen im Koalitionsvertrag. Was macht Sie optimistisch, dass die Ampel trotz der fehlenden Priorisierung und jetzt im Angesicht einer völlig unerwartet hereingebrochenen internationalen Krise ihr Modernisierungsversprechen einlösen und damit schaffen wird, woran ihre Vorgänger gescheitert sind?
Zunächst: Die Ziele im Koalitionsvertrag sind so zahlreich, da würde eine ganze Dekade nicht reichen, sie alle umzusetzen. Aber maximale Ambitionen haben den Vorteil, dass auch die Erwartungen, dass überhaupt etwas passiert, maximal sind. Und ich sehe Leute in der Koalitionsregierung, ganz ungewöhnliche Typen, die mit viel Energie Vorschläge machen und Dinge sagen, die man von Regierungsvertretern so noch nicht gehört hat. Die wollten jetzt mal richtig loslegen, sich an die großen Ideen und Visionen wagen. Und nun kommt ihnen die Ukraine-Krise dazwischen, ein Ende erst mal nicht abzusehen, mit hohen Budgets für Verteidigung und Konfliktbegleitung und -bewältigung, mit engeren Budgets für Anderes, darunter F&I sowie Bildung. Kassensturz machen, Ziele neu bewerten und runterfahren, wenn nicht aufgeben, Schmalspur weiterfahren – so könnte ein Reaktionsszenario aussehen. Besser wäre, aus der Not eine Tugend zu machen, so meine Hoffnung. Strategien klarer aufsetzen, Maßnahmen besser justieren und aufeinander abstimmen, Koordination stark verbessern, Fehler zulassen und daraus lernen – also insgesamt agiler werden. Dann lässt sich auch mit engeren Budgets sehr viel erreichen. Den ungewöhnlichen Typen traue ich das zu.
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Franka Listersen (Donnerstag, 10 März 2022 07:41)
Letztlich müssen Politik und Ministerien unternehmerischer werden, sowohl in Mentalität als auch und vor allem in Methoden. Für den Staat heißt das natürlich in den Zielen (Mehrzahl!) etwas anderes als für ein Privatunternehmen - quasi VWL statt BWL. Ob dafür noch ein Monitoringbericht, top-down, nötig ist, würde ich eher bezweifeln.
Klaus Diepold (Donnerstag, 10 März 2022 09:21)
kleine Anmerkungen:
Es ist durchaus möglich verbindliche, gemeinsame technische Standards zu entwickeln wenn mehr als eine handvoll Partner involviert sind. Als Beispiel blicke man auf Standards für Mobilfunk (3GPP, GSM, UMTS, LTE, 5G,...) oder Multimedia (MPEG-2, -4, -7, DVB, etc.). Bei diesen Standardisierungen arbeiten hunderte von Unternehmen über die ganze Welt verteilt mit und es kommt etwas brauchbares dabei raus.
Für eine staatlich initiierte digitale Platformstrategie gab es aus der Acatech heraus in den letzten zwei Jahren auch schon konkrete Vorschläge, die auf staatlicher Seite nicht einmal ignoriert wurden. Dabei agiert der Staat als sicherer Anbieter für staatliche Dienste und bringt die Digitalisierung der staatlichen Dienste (Meldewesen, Steuern, Sicherheit, etc) nachhaltig auf den Weg. Die entstehende (sichere und offene) Plattform steht dann auch für kommerzielle Dienste zur Verfügung. Vielleicht kann die Ampel diese Vorschläge noch einmal herausziehen?
Agenturen sind keine Lösung, sondern bestenfalls eine Verschiebung für bestehende Probleme. Die beste Politik zur Förderung der nationalen/regionalen Innovationskapazität ist eine zukunftsorientierte Bildungspolitik. Ich begrüße die kritische Haltung der EFI zur Einrichtung von weiteren Agenturen.
Hans Georg Gemünden (Donnerstag, 10 März 2022 11:10)
Uwe Cantner und sein Team haben die richtigen Themen angepackt. Das ist gut. Er hat auch überzeugend klar gemacht, dass Schlüsseltechnologien schlüssig abgeleitet werden müssen und nicht der Logik von parteipolitischen Opportunismen folgen dürfen. Was mich bestürzt ist die Aussage über klug verlängerte Zeitschienen. Leute, wir müssen endlich in die Gänge kommen! DAS war die Kernaussage der Grünen. Und deshalb muss in den nächsten sechs Monaten ein signifikanter Fortsprung erzielt werden. Brandenburg hat eine ministeriumsübergreifende Taskforce für das Tesla-Projekt eingerichtet. Es ist genehmigt. Biontech hat das COVID-Medikament in Rekordzeit in die Fläche gebracht. Genau das müssen unsere Bundesministerien JETZ leisten. Nur dann können wir in zwei Jahren sagen: wir sind endlich auf dem richtigen Weg. Wenn wir nichts ändern - dann wird es schlimm. Das nächste BER-Projekt wird zehn mal teurer - wenn wir wieder nichts daraus lernen - top die Wette gilt.