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Teurer Paragraf

Was wird es kosten, wenn Berlin in einer bundesweit einzigartigen Initiative Postdoc-Stellen im Regelfall entfristet? Eine Stellungnahme aus der Wissenschaftsverwaltung liefert unklare Zahlen. Klar ist aber: Alles hängt davon ab, für welche Lösung man sich entscheidet.

Ansicht der Berliner Humboldt-Universität. Foto: jensjunge/Pixabay.

BERLINS WISSENSCHAFTSSENATORIN Ulrike Gote (Grüne) hat schon angekündigt, dass sie den umstrittenen Paragraf 110 im neuen Berliner Hochschulgesetz nachbessern will. Seinetwegen hatte die ehemalige Präsidentin der Humboldt-Universität (HU), Sabine Kunst, ihren Rücktritt erklärt und als letzte Amtshandlung eine – in der eigenen Uni umstrittene – Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. 

 

Doch auch wenn Gote nochmal rangehen will an den Passus, den Abgeordnete der SPD, der Grünen und der Linken auf den letzten Drücker ins Gesetz geschrieben hatten, übrigens ohne Abstimmung mit Gotes Vorgänger, dem auch als Wissenschaftssenator amtierenden Ex-Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) – im Kern, so haben es die neuen alten Koalitionspartner nach ihrem Wahlerfolg von Ende September vereinbart, bleibt das Ziel: Postdocs, Juniorprofessoren und Hochschuldozenten sollen künftig grundsätzlich Anspruch auf eine unbefristete Beschäftigung haben. Ein wissenschaftspolitisches Tribut an die "#IchbinHanna"-Bewegung, die seit Monaten an Kraft gewinnt und die eben jene Revolution – weg von Kettenverträgen, hin zu mehr Dauerstellen, zu transparenten und verlässlichen Karrierewegen – fordert. 

 

Aber wie genau weiß der Senat eigentlich, wie viele Wissenschaftler von Paragraf 110 profitieren werden? Wie hat sich die Befristungssituation an den Universitäten schon in den Jahren vor dem neuen Gesetz verändert? Was werden die neuen Entfristungsregeln kosten?  Und reichen dafür die 3,5 Prozent Budgetplus, das der Senat den Berliner Hochschulen zunächst für ein weiteres Jahr zugesagt hat?

 

Adrian Grasse, forschungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, wollte es genauer wissen und hat 13 diesbezügliche Fragen an den Senat gestellt. Die von Gotes Staatssekretärin Armaghan Naghipour unterzeichneten Antworten auf die parlamentarische Anfrage zeigen: Die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung gibt zwar in ihrer Kostenschätzung einen scheinbar exakten Betrag an, bleibt zugleich aber im Ungefähren, wie sie auf diesen Wert kommt.

 

Zehn Millionen pro Jahr, sagt der Senat.
Wie genau er darauf kommt, sagt er nicht

 

Der Senat, heißt es in der Antwort an Grasse, halte an der Schätzung fest, dass die Entfristungsregel alle Berliner Hochschulen zusammengenommen pro Jahr rund zehn Millionen Euro zusätzlich kosten werde. Zur Erläuterung der zehn Millionen betont die Senatsverwaltung lediglich, dass a) sich die Kosten durch die unterschiedlichen "Ausgangspositionen" nicht gleichmäßig auf die Hochschulen verteilen würden und dass b) vor allem die Einrichtung zusätzlicher Stellen zu Buche schlagen würden, wofür Personalkosten und "ein angemessener Sachmittelanteil" berechnet worden seien. Dann betont die Senatsverwaltung noch, dass sie sich auf Angaben aus den betroffenen Universitäten stützen müsse, denen wiederum, wie Nagiphour schreibt, zur Abschätzung der Auswirkung des Gesetzes wichtige Erfahrungswerte fehlten. 

 

Wie genau der Senat auf die zehn Millionen kommen, lässt sich so jedenfalls nicht nachvollziehen. Das sei das, was ihn am meisten ärgere, sagt Oppositionspolitiker Grasse. "Die Intransparenz – um nicht zu sagen: Verschleierung – der Senatsverwaltung für Wissenschaft, die Zahlen offen zu legen." Entweder wisse es die Senatsverwaltung tatsächlich nicht, was die Reform kosten werde. "Oder sie will es nicht sagen, weil die Hochschulen auf den Kosten sitzen bleiben." Das sei seine Vermutung. Jedenfalls sei die Kommunikation nicht zeitgemäß" und eine deutliche Verschlechterung zu Müller und seinem Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach in der vorigen Legislaturperiode. Grasse gibt sich überzeugt: Die Zehn-Millionen-Schätzung falle "deutlich zu konservativ" aus, da sie sich auf sämtliche mit dem Hochschulgesetz beschlossene Regelungen und deren Auswirkungen beziehe. 

 

Hat Grasse Recht? Steigt man etwas tiefer in die von Nagiphour gelieferten Zahlen ein, dann findet man die bereits aus früheren Senatsauskünften bekannten Schätzwerte von jeweils etwas über 200 Wissenschaftlern an HU und Freier Universität (FU), die mittelfristig betroffen sein würden, an der Technischen Universität etwa 100, an der Universität der Künste (UdK) gut zehn, an der Charité etwa 60 pro Jahr. Macht rund 570 insgesamt.

 

Und was würde es kosten, wenn diese 570 Stellen einfach umgewidmet würden, also künftig schlicht 570 zusätzliche unbefristete Jobs zur Verfügung stünden und 570 befristete weniger? Weil unbefristete Mitarbeiter im Gegensatz zu befristeten regelmäßig in den Gehaltsstufen aufsteigen, laut Senat langfristig etwa ein Siebtel mehr – was bei durchschnittlich 85.000 bis 87.000 Euro pro Stelle derzeit auf gut 12.000 Euro hinausliefe. Ergibt mal 570 gut sieben Millionen, wobei ein solch explizites Zusammenrechnen in Naghipours Antwort nicht vorgenommen wird. Doch ganz offenbar ist das der Betrag, den die Verwaltung plus dem "angemessenen Sachmittelanteil" für die zehn Millionen angesetzt hat.

 

Es könnten auch bis zu 60 Millionen werden – wenn
alle befristeten Qualifikationsstellen bleiben sollen

 

Allerdings hat die Sache mehrere Haken. Vor allem diesen: Mit den zehn Millionen wäre noch keine einzige neue Stelle bezahlt, um weiter genauso vielen jungen Wissenschaftler den Einstieg ins Wissenschaftssystem zu eröffnen – denn von den dafür vorgesehenen Jobs würden bei Umsetzung des Paragrafen 110 ja rund 570 fehlen. Droht dann, wie manche warnen, eine Verstopfung der wissenschaftlichen Karrierwege? Dazu sagt der Senat nichts. Aber er schreibt in seiner Antwort: Sollten auch künftig im selben Umfang wie bislang Stellen zur befristeten Qualifikation zur Verfügung stehen, müssten zur Umsetzung der unbefristeten Beschäftigung "folglich jeweils neue Stellen zusätzlich eingerichtet werden". Kostenpunkt bei besagten 85.000 bis 87.000 also im Extremfall: nochmal 50 Millionen Euro im Jahr. Nicht sofort indes, weil die Stellen ja nur nach und nach umgewandelt würden und die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits beschäftigten Postdos nicht von der Neuregelung profitieren sollen. 

 

Dafür würden die bis zu 50 Millionen zusätzlich pro Jahr dann aber auf Dauer anfallen. Auch diese Zahl schreibt die Senatsverwaltung allerdings nicht in ihre Antwort. Stattdessen betont sie, es gebe noch "keine Erfahrungswerte, zu welchem Anteil die zu vereinbarenden Qualifikationsziele tatsächlich erreicht werden" (die laut Paragraf 110 Voraussetzung für eine Entfristung sein sollen) und "wie viele Personen von der Möglichkeit der unbefristeten Beschäftigung Gebrauch machen werden". Wie viele Stellen also tatsächlich zusätzlich nötig würden. 

 

Klar ist indes: Wenn die Berliner Universitäten die Entfristungsregel umsetzen und gleichzeitig den Einstieg in die Karrierewege im gleichen Umfang offenhalten wollen wie derzeit, wird der dafür nötige Betrag irgendwo zwischen 10 und 60 Millionen pro Jahr. Was freilich weniger exakt klingt als die von Gotes Senatsverwaltung angegebene Kostenschätzung. Und enorme politische Implikationen hat: Die 3,5 Prozent zusätzlich, die die Berliner Universitäten inklusive Charité pro Jahr erhalten, summieren sich 2022 zwar immerhin auf knapp 50 Millionen Euro – werden aber komplett von der Inflation aufgefressen. Spielraum: gleich null. Und dann kostet die Umsetzung des Gesetzes mittelfristig auch noch bis zu einer kompletten Jahreserhöhung?

 

"Kürzungen kaum
vermeidbar"?

 

Die Kürzung von Mitteln und Qualitätseinbußen in anderen Bereichen seien kaum vermeidbar, sagt jedenfalls CDU-Politiker Grasse, "sollte der Senat an der Gesetzesnovelle tatsächlich festhalten".

 

Oder man stockt die Stellen einfach nicht auf, womit man mit den zehn Millionen mehr auskommen könnte. Der linke Hochschulpolitiker Tobias Schulze, einer der Initiatoren des neuen Paragrafen 110 im Hochschulgesetz, hatte im Dezember betont, dass je nach Uni überhaupt nur fünf bis acht Prozent der insgesamt über 12.000 WiMi-Stellen von der Regelung betroffen wären. "Von Verstopfung kann keine Rede sein."

 

Dafür, dass die umgewandelten Stellen eher nicht ersetzt werden, spricht auch die Lage der öffentlichen Haushalte in Berlin und anderswo: Derzeit wäre es wohl als Erfolg Gotes zu verbuchen, wenn sie es überhaupt schafft, die 3,5 Prozent Erhöhung über 2024 hinaus für die dann fälligen neuen Hochschulverträge zu sichern. Die politische Absichtserklärung dazu hatte zwar bereits ihr Vorgänger Michael Müller abgegeben – doch sollten die neuen Verträge eigentlich schon ab 2023 gelten. Jetzt spielt man auf Zeit: Die Verhandlungen darüber hat der Senat erstmal um ein Jahr verschoben und nennt als Gründe die "Vielzahl komplexer aktueller Herausforderungen, darunter die Bewältigung der pandemiebedingten Auswirkungen auf den Hochschulbetrieb, die Neuwahl einiger Hochschulleitungen sowie der Krieg in der Ukraine, dessen Auswirkungen Politik wie Hochschulen sehr fordern wird". 

 

Interessanterweise hat sich schon vor dem neuen Gesetz in der Personalpolitik der Universitäten einiges getan. Laut Senatsantwort stieg der Anteil unbefristet beschäftigten WiMis auf Haushaltsstellen an der FU zwischen 2018 und 2021 von 15 auf 19,2 Prozent, an der TU von 11,3 auf 15,5 Prozent, an der Charité von 30,5 auf 32,6 Prozent und an der HU zwischen 2018 und 2020 von 25,3 auf 26,4 Prozent. Macht insgesamt etwa 170 unbefristete Stellen mehr. Innerhalb von drei Jahren. Allerdings nennt der Senat auch diese Zahl nicht explizit, man muss sie selbst errechnen.

 

Der Zuwachs ist kein Zufall: Die Universitäten hatten sich in den laufenden Hochschulverträgen zu einer Steigerung des unbefristeten Stellenanteils verpflichtet. Da immer noch Stellen geschaffen und besetzt würden, lasse sich die letztendliche Vertragserfüllung der Universitäten noch nicht bewerten, sagte Gotes Senatsverwaltung – klar scheint aber: Das Instrument Hochschulverträge hat auch ohne eine Neufassung des Paragrafen 110 zu wirken begonnen.

 

Die Sinnhaftigkeit der mit dem Paragrafen 110 verbundenen Zielsetzung – mehr dauerhafte Beschäftigung an den Hochschulen und eine bessere Planbarkeit von Wissenschaftlerkarrieren – wird übrigens nicht Frage gestellt durch all die Unklarheiten, die nach der Antwort der Senatsverwaltung bleiben. Allerdings muss man fragen, welchen Gefallen die rot-rotgrüne Landesregierung der Sache tut – wenn sie nicht sehr schnell ihr eindeutiges Commitment erklärt: dass die Universitäten nicht auf den zusätzlichen Kosten sitzenbleiben. Egal, wie hoch sie am Ende ausfallen. Trotz der absehbaren Haushaltsnöte. Gute Beschäftigung und sparen – das wird jedenfalls nicht zusammenpassen. 



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