Für Kinder galten in dieser Pandemie stets härtere Regeln als für Erwachsene. Wirft die Ampel ihre Pläne nicht noch einmal um, wird das auch nach dem 19. März so sein.
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DAMIT SIE MICH nicht falsch verstehen: Eine bundesweite Corona-Inzidenz von fast 1600 ist ein starkes Argument dafür, die Masken- und Testpflicht in Innenräumen beizubehalten. Und zwar über den 19. März hinaus. Tatsächlich nimmt die Kritik an den Plänen der Ampel-Koalition gerade massiv zu. Den Plänen, schon nächste Woche die meisten Corona-Regeln abzuschaffen. Und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ermutigte die Bundesländer am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin, die im Änderungsentwurf des Infektionsschutzgesetzes vorgesehene Übergangsfrist zu nutzen. Nach dem Motto: "Wir verlängern fast alles, was wir haben, und dann nehmen wir die neuen Hotspot-Regelungen."
Über Lauterbachs sehr freizügige Interpretation der Hotspot-Regelungen dürfte es indes noch Ärger mit dem FDP geben. Zumal man mit Verweis auf andere Länder (Kanada, Dänemark, Großbritannien) durchaus immer noch dafür plädieren kann, am 19. März auch in Deutschland den Schritt zurück zu mehr Normalität zu wagen. Dafür spräche zum Beispiel auch die trotz immer neuer Rekord-Zahlen bei den Neuinfektionen seit Dezember stark gesunkene Auslastung der Intensivstationen mit Corona-Patienten (mit zuletzt allerdings leichtem Aufwärtstrend).
Aktualisierung vom 18. März
siehe am Ende des Artikels
Selbst die heute erreichten Höchststände bei den Krankenhaus-Einweisungen sind als Gegenargument zu den Lockerungen wacklig – weil sie auf notorisch unzuverlässigen Statistiken beruhen, die nicht trennscharf nach Covid-19 als Haupt- (selten) oder Nebenbefund (offenbar die Mehrheit) unterscheiden.
Doch um diese Debatte geht es mir heute gar nicht. Mir geht es um eine Feststellung: Sollten die Ampel-Pläne für die Zeit nach dem 19. März tatsächlich so bleiben, wie sie sind, würde Deutschland den vielen Beispiele für die Ungleichbehandlung von Kindern in der Pandemie ein weiteres hinzuzufügen.
Der vergangene Woche vorgestellte Kabinettsentwurf zur anstehenden Gesetzänderung räumt den Bundesländern nämlich die Möglichkeit ein, in den Schulen weiter Pflichttests anzuordnen. Die Kultusminister kündigten zwar kurz danach eine Abschaffung von Masken- und Testpflicht "bis Mai" an – wollen sich aber offenbar nach dem 20. März je nach Bundesland ordentlich Zeit mit der Umsetzung lassen. Zwei Wochen Übergangsfrist hätten sie wie gesagt durch die vorgesehene Übergangsregel für die Beibehaltung aller geltenden Corona-Regeln, übrigens auch in Einzelhandel & Co. Beim Testen an Schulen könnten sie indes, siehe oben, noch länger machen.
Auch zur Arbeit gehen
ist nicht freiwillig
Wie gesagt, kann man machen bei einer Inzidenz von 1500 und höher. Dass man gleichzeitig, wenn das Gesetz so bleibt, je nach Bundesland (und dessen Nutzung der Übergangsphase) bald ohne Maske einkaufen oder in Clubs tanzen gehen kann, irritiert allerdings schon. Wobei die Kultusminister dieser Gegenüberstellung zumindest entgegenhalten könnten (und sie tun es auch), dass Schule im Gegensatz etwa zum Einkaufen nicht freiwillig sei.
Doch ist die Ampel dabei, genau dieses Argument an anderer Stelle ad absurdum zu führen. So plant Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) laut Nachrichtenagentur dpa, die Arbeitgeber vom Durchsetzen einer Testpflicht für Beschäftigte zu entbinden. Außerdem sollen sie, wenn es bei den Plänen bleibt, künftig lediglich das regionale Infektionsgeschehen berücksichtigen und "prüfen", ob sie ihre Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten lassen wollen, ob sie ihnen einen Coronatest pro Woche und Schutzmasken anbieten und welche Hygiene-Regeln ansonsten sinnvoll sein könnten. In beengten und Großraumbüros soll aber wohl weiter eine Maskenpflicht gelten können.
Mit anderen Worten: Der Besuch von Büro und Fabrik ist auch nicht freiwillig, aber hier wird es für die allermeisten Erwachsenen trotzdem demnächst keine Masken- und Testpflicht mehr geben. Es sei denn, die Ampel kippt den Gesetzentwurf doch nochmal.
Das passt nicht zusammen – und lässt sich nur damit erklären, dass die Politik mit der Freiheit und den Rechten von Kindern in der Pandemie anders umgeht als mit denen Erwachsener.
Die Regeln richten sich nicht
nach dem tatsächlichen Risiko
Was weder fair noch unter Gesundheitsgesichtspunkten sinnvoll ist. Denn Erwachsene tragen seit Beginn der Pandemie ein deutlich höheres Risiko, wegen einer schweren Corona-Infektion ins Krankenhaus zu müssen, als Schulkinder. Je älter, desto größer ist der Unterschied. Das gilt für Geimpfte übrigens immer noch.
Doch scheint die Perspektive der Politik in Wirklichkeit eine andere zu sein. Erstens: In Bezug auf Schulen ist die Corona-Debatte besonders emotional gewesen, also lassen wir die Kinder lieber noch länger Maske tragen. Dass die Inzidenzen von Schülern vorrangig wegen der Pflichttests relativ gesehen höher liegen als bei den Erwachsenen, war öffentlich nie wirklich zu vermitteln. Zweitens: Wenn wir künftig etwas über den Verlauf der Pandemie wissen wollen, muss zumindest eine Bevölkerungsgruppe noch regelmäßig getestet werden. Und an welche kommt man institutionell am besten ran, welche kann sich am wenigsten wehren? Richtig, die Kinder und Jugendlichen. Was das für die öffentliche Debatte über Schulen und die Einschränkung von Kindern bedeutet, wenn ihre Inzidenzen dann demnächst noch stärker herausstechen, kann man sich, nebenbei bemerkt, schon ausmalen.
Ja, es gibt starke Argumente für eine Beibehaltung von Masken- und Testpflichten in Innenräumen. Für Erwachsene. Für ältere Menschen. Und wenn diese verpflichtet sind, als nächstes auch für Kinder. Aber bitte in dieser Reihenfolge. Doch schickt sich unsere alternde Gesellschaft mal wieder an, es umgekehrt zu machen.
Nachtrag am 18. März:
Bundestag und Bundesrat haben das Infektionsschutzgesetz am Freitag mit den erwarteten Änderungen beschlossen. Damit ist es amtlich: Kinder werden auch künftig in der Pandemie strenger behandelt als Erwachsene. Kurz zuvor hatte unter anderem noch einmal die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) davor gewarnt, mit der vorgesehenen Änderung des Gesetzes sei "eine Teilhabe an Bildung, Kultur und anderen Aktivitäten des sozialen Lebens nicht in gleicher Weise wie Erwachsenen möglich". Zudem gebe der Bund mit den Änderungen "ein besonders wichtiges Instrumentarium zur schnellen Einleitung von Schutzmaßnahmen in der Pandemiebekämpfung aus der Hand.
Unter anderen kritisierte die DGKJ, dass künftig im Infektionsschutzgesetz allgemein geltend für einen vollständigen Impfschutz drei Impfungen oder zwei Impfungen und ein positiver Antikörpertest aufgrund einer Infektion anerkannt würden. "Das ist für jüngere Kinder nicht umsetzbar." Es gebe für Kinder unter 5 Jahren keinen zugelassenen Impfstoff, für 5- bis 11-Jährige liege keine allgemeine Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) für die ersten beiden Impfungen vor. Eine Boosterimpfung sei in dieser Altersgruppe weder empfohlen geschweige denn zugelassen. "Somit bleibt ihnen nach der gewählten Formulierung definitionsgemäß der Status 'vollständiger Impfschutz' verwehrt."
Corona-Dynamik ist bei Erwachsenen erneut
stärker als bei den unter 15-Jährigen
Der Anteil der Kinder und Jugendlichen an allen gemeldeten Neuinfektionen geht weiter zurück. Nach vorläufigen Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) entfielen in der vergangenen Kalenderwoche bundesweit rund 17,4 Prozent aller Positivbefunde auf unter 15-Jährige. In der Woche davor waren es noch 18,1 Prozent – gegenüber gut 28 Prozent Ende Januar. Ein enormer Rückgang. Und das bei vollständigem Präsenzbetrieb an (laut KMK-Statistik) rund 97,5 Prozent aller Schulen in Deutschland.
Auch der Anteil der Schüler an den Krankenhaus-Einweisungen sinkt weiter. Nach vorläufigen Zahlen wurden in der Woche bis zum 6. März (neuere Werte gibt es noch nicht) 502 corona-positive Kinder und Jugendliche stationär aufgenommen, was 7,8 Prozent aller Fälle entsprach. Für die Woche davor wies die RKI-Statistik in ihrem vergangenen Bericht noch 633 neu eingewiesene unter 15-Jährige aus – 8,1 Prozent aller neuen Patienten.
Absolut kletterten allerdings die gemeldeten Corona-Neuinfektionen auch bei Kindern und Jugendlichen zuletzt wieder. Jedoch um mehrere Prozentpunkte langsamer als bei den Altersgruppen über 15. Auffällig ist indes, dass die Zahlen gerade bei den 15- bis 29-Jährigen besonders abheben – und bei den über 60-Jährigen.
Die bundesweite 7-Tages-Inzidenz lag heute Morgen um 21 Prozent höher als vergangenen Dienstag. Rekord. Und in allen 16 Bundesländern gab es teilweise deutliche Anstiege. Die Auswirkungen der Omikron-Variante BA.2, verbunden mit der Lockerung von Regeln und Verhalten? Lockerungen übrigens ausschließlich außerhalb von Schulen.
Auch die Zahl der Corona-Intensivpatienten erhöhte sich zum ersten Mal seit längeren in der vergangenen Woche wieder etwas deutlicher: innerhalb von sieben Tagen bis gestern Mittag um 105 (4,8 Prozent) auf 2.261.
Starke Verluste der Lesekompetenz
von Viertklässlern durch die Pandemie
Währenddessen berichtet ein Forschungsteam der TU Dortmund, dass die Lesekompetenz von Viertklässlern in Deutschland 2021 nach einem Jahr Pandemie deutlich geringer ausfiel als bei Gleichaltrigen vor Corona. Konkret: 2016 seien Viertklässler etwa ein halbes Lernjahr weiter gewesen. "Wird die Veränderung in der Zusammensetzung der Schülerschaft berücksichtigt, wird die Lücke zwar etwas kleiner, der signifikante Rückgang der mittleren Lesekompetenz bleibt jedoch", sagt Ulrich Ludewig vom TU-Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS), Co-Leiter der Studie. Die Forscher nutzen für ihre Untersuchung repräsentativen Daten einer Schulpanelstudie mit insgesamt über 4.000 Kindern an 111 ausgewählten Grundschulen in Deutschland.
Der Anteil an Grundschülerinnen und -schülern, die gut bis sehr gut lesen konnten, sei im Vergleich zum Jahr 2016 um rund sieben Prozentpunkte auf 37 Prozent gesunken. Der Anteil derjenigen, die Probleme mit dem Lesen und dem Textverständnis hatten, nahm dagegen um sechs Prozentpunkte auf insgesamt 28 Prozent zu. Da Lesen eine zentrale Kompetenz darstelle, habe dieses Ergebnis Auswirkungen auf alle anderen Schulfächer, betonte Studienleiterin Nele McElvany.
Die Kompetenzrückgänge betrafen Jungen und Mädchen in etwa gleich stark, das gleiche galt für Kinder unterschiedlicher sozialer Herkunft – wobei die ähnlich ausgeprägten Trends bedeuten, dass der relative Vorsprung von Mädchen gegenüber Jungen und von Kindern aus bildungsnahen Elternhäusern erhalten blieb. Und wo Kinder unter schlechteren Rahmenbedingungen lernen mussten – ohne eigenen Schreibtisch und ohne Internetzugang – war der Kompetenzverlust allerdings mehr als anderthalbmal so groß wie bei Kindern mit guten Rahmenbedingungen. Was dafür spricht, dass vor allem der Distanzunterricht die Verschlechterung der Leistungen bedingt hat. Auch Kinder aus Einwandererfamilien waren laut Studie überdurchschnittlich stark betroffen. Ob dies auch an den Folgen der Pandemie liege, könne statistisch zwar nicht abgesichert werden, liege aber nahe.
Die Forscher bezeichneten die Ergebnisse als alarmierend. "Die hier untersuchten Kinder besuchen aktuell die fünfte Klassenstufe – neben den Grundschulen müssen für die Leseförderung also auch die weiterführenden Schulen systematisch mitgedacht werden", forderte McElvany.
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Michael (Dienstag, 15 März 2022 14:25)
Das hier geschilderte liegt auch an den Interessen der Lehrer, wenn man sich diesen Bericht hier anschaut https://www.news4teachers.de/2022/03/der-verharmlosungskurs-der-kultusminister-manoevriert-die-schulen-in-die-sackgasse-corona-ohne-ende-droht/
sieht man, dass es große Interessen gibt, dass die Schulen und Schüler weiter am meisten leiden.
JW (Dienstag, 22 März 2022)
... auch für die außerschulische Bildung, die in Teilen ebenfalls verpflichtend ist, gelten mit Auslaufen der Übergangsfrist und vorbehaltlich einer Hotspotregelung keine Vorgaben mehr. Überdies wird gerne übersehen, dass auch dort, wo die Erwachsenen ohne Restriktionen ihr Freizeitleben verbringen Menschen arbeiten, also Rechtspflichten nachkommen....