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61, männlich, westdeutsch

Das Durchschnittsalter deutscher Hochschulrektoren steigt immer weiter, der Anteil der Hochschulrektorinnen dagegen nur langsam, und die Lebensläufe der Chefs ähneln sich. Was bedeutet das für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wissenschaft?

Bild: Designed by rawpixel.com / Freepik

ALS ICH vor drei Jahren über die bundesweit erste Analyse der Demographie deutscher Universitätsleitungen berichtete, lautete die Überschrift über meinem Artikel: 59, männlich, westdeutsch. Ein Durchschnittsalter an die 60, nur 23,5 Prozent der staatlichen Universitäten wurden von Frauen geleitet, und kein einziger Unipräsident stammte Ende 2018 aus Ostdeutschland. "Uns hat erstaunt, wie stark Klischee und wirkliche Demographie immer noch übereinstimmen", sagte damals Isabel Roessler vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), die zusammen mit Kollegen die Vollerhebung aller 81 Unichef-Lebensläufe durchgeführt hatte. Einen Trend zu mehr Diversität sehe sie noch nicht, fügte Roessler hinzu, "aber ein positives Signal" – weil ein größerer Teil der freiwerdenden Chefposten mit Frauen besetzt werde.

 

Die Überschrift über diesem Artikel drei Jahre später haben Sie gelesen. Die Ergebnisse der diesjährigen Neuauflage des CHE-Checks sind kaum weniger ernüchternd. Durchschnittsalter der Unipräsidenten und Rektoren: 60,9. Anteil weiblicher Leitungen: 27,5 Prozent. Vier wurden in Ostdeutschland geboren. Bedeutet im Umkehrschluss: Immer noch stammen weit über 90 Prozent der in Deutschland geborenen Unichefs aus Westdeutschland. 

 

Wenn es also in den vergangenen drei Jahren einen grundlegenden Trend zu mehr Vielfalt in den universitären Führungsetagen gegeben haben sollte, versteckt er sich ziemlich gut unter der Oberfläche der Kennziffern. 

 

Die Annahme, dass die Präsidenten und Rektoren der staatlichen HAWs ein bunteres Bild abgeben, ließ sich schon 2019, als das CHE deren Demografie erstmals analysierte, kaum aufrechterhalten. Damals waren sie im Schnitt 57 und 23,8 Prozent von ihnen waren weiblich. Neun von 101 in die Studie eingegangenen HAW-Chefs stammten damals aus dem Osten (inklusive Berlin). Immer noch wenig, aber mehr als die null bei den Unipräsidenten. 

 

CHE: Es braucht Rollenvorbilder
für mehr Diversität an der Hochschulspitze

 

Und seitdem? Seitdem sind auch die deutschen HAW-Leitungen ein Jahr älter geworden, im Schnitt sind sie jetzt 58. Der Anteil der Chefinnen ist sogar noch gesunken, um einen Punkt auf 22,8 Prozent. Zehn stammen aus Ostdeutschland. Und CHE-Forscherin Roessler kommentiert diplomatisch, im Unterschied zu den Studierenden seien die deutschen Hochschulleitungen "weiterhin eine recht homogene Gruppe". Um, schon weniger diplomatisch hinzuzufügen: "Wenn wir auch künftig die besten Führungskräfte für Hochschulen in Deutschland haben wollen, brauchen wir mehr Diversität auf den Chefsesseln." Es brauche "Rollenvorbilder", um der nächsten Generation zu signalisieren, "dass man es unabhängig von Herkunft und Geschlecht im Wissenschaftsbetrieb bis an die Spitze schaffen kann."

 

Verhalten optimistisch stimmt, dass sich unterhalb der demographischen Durchschnittswerte doch etwas tut. So hat im Vergleich zum Herbst 2020 die Gruppe der Chefs, die nach 1970 geboren wurden, an den Unis zwar nur um eine einzige Person zugenommen, an den HAWs aber sind es sieben mehr. Dass sich das beim Altersmittel nicht abbildet, liegt daran, dass mehr als die Hälfte der HAW-Präsidenten bereits seit mindestens fünf Jahren im Amt ist – und in vielen Fällen offenbar vorhat, dort noch lange zu bleiben: Der Chef einer HAW mit der längsten Amtszeit kommt zurzeit auf 21 Jahre. 



An den Unis gibt es zwei Präsidenten bzw. Rektoren, die seit 20 Jahren an der Spitze sitzen. Hier war die Fluktuation seit 2017 insgesamt etwas höher als an den HAWs: 45 Prozent der Chefs sind an den Unis seit mindestens 2017 im Amt. Das heißt im Umkehrschluss: In den vergangenen fünf Jahren kamen 55 Prozent neu in die Leitung, allein 2021 wurde jede achte Führungsstelle an Unis neu besetzt. 

 

Was die Vermutung nahelegt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem höheren Dienstalter der HAW-Spitzen und dem niedrigeren Frauenanteil. Was wiederum mit dem Fächerzusammensetzung an HAWs, sprich: ihrem höheren Anteil an Ingenieurwissenschaften, zu tun haben dürfte. In denen Frauen als Studierende und Lehrende noch immer deutlich unterrepräsentiert sind. 

 

Tatsächlich ergibt die entsprechende Analyse des CHE, dass 29 Prozent der HAW Rektoren Ingenieure sind, an den Unis liegt ihr Anteil weniger als halb so hoch. Und während an den Universitäten 14 Prozent der Hochschulleitungen Geisteswissenschaftler sind, traf dies laut CHE nur auf sieben Prozent der HAW-Rektoren zu. Allerdings verschiebt sich auch hier gerade etwas: Vor zwei Jahren waren nur drei Prozent der HAW-Chefs Geisteswissenschaftler, bei den Uni-Rektoren waren es zu dem Zeitpunkt 22 Prozent. 

 

Nicht einmal ein
müdes Glimmen

 

Spannend wäre es, mehr über die soziale Herkunft der Hochschulleitungen zu erfahren, etwa wie viele Kinder von Erstakademikern und Einwanderern unter ihnen sind. Dazu kann die CHE-Analyse nichts sagen, weil sie auf einer Recherche öffentlich verfügbarer Lebensläufe beruht.

 

Was sich indes sagen lässt: Die internationale Strahlkraft, die Deutschlands Wissenschaft gern für sich behauptet, findet sich in die Führungsetagen der Hochschulen nicht einmal als müdes Glimmen wieder. Nur sieben der 181 Chefs staatlicher Unis und HAWs wurden im Ausland geboren. Das entspricht unter vier Prozent. Mehr als die Hälfte weniger als der ohnehin schon sehr niedrige Anteil internationaler Professoren. Weil die Wege nach oben in der deutschen Wissenschaft für von außen Kommende systematisch versperrt sind? Weil, vielleicht unter anderem genau aus diesem Grund, deren Interesse zu kommen, von vornherein gering ist?

 

Fragen, mit der sich Deutschlands Hochschulleitungen abseits gern erzählter Narrative dringend konfrontieren sollten. Damit ihre Nachfolger endlich die Vielfalt – in jeder Dimension – repräsentieren, die ein Ausdruck von Fairness wäre. Und eine strategische Voraussetzung für die deutsche Wissenschaft, um mit einer absehbar nicht weniger vielfältigen und komplexen Zukunft umgehen zu können. 

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Kommentare: 6
  • #1

    Mf (Donnerstag, 17 März 2022 13:18)

    Ich teile die Einschätzungen und die Schlussfolgerung dieses Beitrags und bedanke mich, dass Sie dieses wichtige Thema bearbeiten. Allerdings frage ich mich, warum gerade bei diesem Thema nicht eine inklusivere Sprache gewählt wurde. Schließlich sitzt gedanklich auf einem 'Chefsessel' auch ein Chef und keine Chefin...

  • #2

    Klaus Diepolld (Donnerstag, 17 März 2022 15:49)

    wenn das CHE die öffentlichen Lebensläufe der Präsidien anschaut, dann sollte doch auch ersichtlich sein, welche internationale Erfahrung diese Personen haben. Waren sie irgendwann im Ausland und wenn ja wie lange?

    Internationale Erfahrung steht auf der Anforderungsliste für viele ausgeschriebene TT-Professuren. Erfüllen Präsident:innen diese Anforderungen selbst?

  • #3

    na ja (Donnerstag, 17 März 2022 22:36)

    Und wieder einmal wird die "Diversity-Sau" durchs Hochschuldorf getrieben. Warum und in welchem Sinne sollten deutsche Hochschulen besser agieren, wenn mehr Frauen sie leiten?
    Gibt es dafür irgendeinen empirisch belastbaren Anhaltspunkt? Oder handelt es sich eher um eine politische Forderung? Letzteres ist ja vertretbar, aber dann sollte man das auch offen vertreten und nicht - wie der Untertitel suggeriert - die Zukunftsfaehigkeit der deutschen Universitäten in Gefahr sehen.

  • #4

    René Krempkow (Freitag, 18 März 2022 13:36)

    @na ja: Es gibt zwar leider - u.a. aufgrund der erst vor einigen Jahren begonnenen systematischen Auswertungen der Diversität der Hochschulleitungen in Deutschland - nicht viele empirische Analysen zum Thema, aber es gibt sie! Und man fände Sie mit etwas Suchgeschick. Ein Beispiel ist die Analyse von:
    Hattke, F. & Blaschke, S. (2015). Striving for excellence: the role of top management team diversity in universities. In: Team Performance Management: An International Journal 21 (3/4), pp. 121 - 138. (Permanent link:
    http://dx.doi.org/10.1108/TPM-03-2014-0019).

    Findings: "Our results indicate that disciplinary and educational diversity of upper echelons has a positive effect on the outcomes. Other top management team characteristics (age, gender, etc.) show no significant effects. Besides top management team composition, we find that a high number of faculties and a broad inclusion of internal status groups (students, tenured faculty, academic and administrative staff) and external stakeholders in decision making processes may enhance academic excellence of universities."

    Diese Analyse wurde übrigens vom BMBF gefördert (FKZ: 01PW11018). Interessant ist auch, dass der Erstautor der Studie inzwischen - wie so viele, die über eher selten beforschte Themen arbeite(te)n, inzwischen einem Ruf ins Ausland folgte. Darüber würde m.E. auch nachzudenken lohnen... ;-)

    Und wie es auf den Stufen darunter bzw. neben der Professur in Deutschland aussieht, sollte immer als Ausgangsbasis mit betrachtet werden. Dann würde man festsstellen, dass Diversität und Bestenauswahl in der Wissenschaft Deutschlands - gerade im Vergleich mit anderen hochentwickelten Ländern - nicht erst bei Berufungen noch "große Potenziale" insbes. bzgl. Geschlecht, internationaler und sozialer Herkunft aufweisen, wie ein Vortrag mit einer Übersicht über vorhandene Daten und Fakten (s. DOI: 10.13140/RG.2.2.11012.48009) auf der letzten bundesweiten Präsenz-Jahrestagung des Netzwerkes Wissenschaftsmanagement zeigte.

    Neben den Potenzialen in der Wissenschaft(skarriere) gibt es aber auch Bereiche, die sich bzgl. Diversität nicht verstecken müssen: So ist in Leitungspositionen im Hochschul- und Wissenschaftsmanagement insgesamt (also auch jenseits von Hochschulleitungen) die Diversität deutlich größer - mit rund 2/3 Frauen (entspricht fast dem Anteil im Wissenschaftsmanagement insgesamt) und der Hälfte Nichtakademiker-Kinder (entspricht etwa dem Anteil bei HSA in Deutschland).

    Und zur Diversität von Beschäftigten in der Wissenschaft insgesamt und dem Zusammenhang mit ihrer Leistungsfähigkeit gibt es dann noch so einige weitere Veröffentlichungen, wonach überwiegend positive Performanz-Effekte erwartbar sind (vgl. z.B. Überblicke dazu in Grözinger/Matiaske 2014; Richter 2014; Krempkow/Sembritzki 2019).
    Als Fazit lässt sich daraus formulieren: Bei mehr Meritokratie in der Personalauswahl (tatsächlich, nicht nur dem Schein nach) steigt die Diversität, & vice versa.

  • #5

    HGH (Sonntag, 20 März 2022 17:06)

    Die Erhebung des CHE und der aktuelle Artikel zeigen einmal mehr, dass Statistiken helfen, Fragen zu stellen, aber nur selten belastbare Antworten bereitstellen. Es ist schon ein fragwürdiger Ansatz, den Geburtsort zum Anlass für schlichte Repräsentationsfragen zu nehmen. Müssen sich Menschen aus Hamburg oder Bremen nach der CHE Statistik Fragen, ob sie bei der Besetzung von Leitungspositionen in HAWs systematisch benachteiligt werden, weil in diesen Positionen niemand mit Geburtsort Hamburg oder Bremen zu finden ist? Was sagt uns das wirklich, wenn ein Mensch mit Geburtsort in Thüringen nicht mehr im Amt einer HAW-Hochschulleitung ist? Wie lange wird es noch dauern, dass verdiente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nach 1990 die Hochschulen in Ostdeutschland mit aufgebaut haben, dort Familien gegründet, ihre Kinder zur Schule geschickt haben, auf Gleichstellung hoffen dürfen, statistisch und auch sonst. Ich würde mir hier doch mehr Sensibilität wünschen, damit jeder Anschein von Identitätspolitik in der Wissenschaft vermieden werden kann.

  • #6

    Mike (Donnerstag, 24 März 2022 07:03)

    Solche Statistiken sind naturgemäß immer eine gewisse Verkürzung.

    Welcher Anteil der Männer ist denn offen oder versteckt homosexuell, also ein Teil einer diversen Gruppe?
    Welche Gruppen gibt es innerhalb der Männer? Mann ist nicht gleich Mann.

    Meine Erfahrung ist, dass händeringend Bewerberinnen und diverse Personen für solche Posten gesucht werden. Hier stellt sich die Frage warum es zu wenig Bewerberinnen gibt? (Ein paar Statistiken zu den Verteilungen bei Bewerbungen wären hilfreich.)

    Warum entscheiden sich Frauen und Männer sich ungleichmäßig für bestimmte Studiengänge einzutragen. Diese Ungleichverteilung dürfte sich später zum Teil wiederfinden.

    Bei hohen Posten muss man meist über Jahrzehnte Erfahrungen vorweisen. Ein Ansatz wäre es endlich eine flächendeckende, lange Kinderbetreuung sicherzustellen. Dann hätten Karrierefrauen mehr Chancen sich voll zu entwickeln.
    Die Männer könnten zurück stecken. In der Praxis sind Frauen mit Promotion und Forschungserfahrung länger in befristeten Jobs, wie die Männer. Familien mit kleinen Kindern entscheiden sich dann eher, dass der Partner mit Befristung zurücksteckt. Das ist leider eher die Frau als der Mann. (Zumindest meine Erfahrung.) Schön ist das nicht.
    Im Ausland findet man übrigens oft Kindermädchen. Ein Vorteil für Frauen. (Ob man das gut findet, ist eine eigene Diskussion.)

    Was mir auch aufgefallen ist. Viele Männer leben eher für ihre Arbeit. Selbst in höherem Alter und sogar in der Rente können viele Männer nicht aufhören zu arbeiten, im Vergleich zu Frauen. Hier wäre ein Statistik interessant. Auch was die Gründe dafür sind.

    Diversität ist immer schön. Letztendlich müssen Personen in hohen Posititionen funktionieren. Vielen ist es egal, aus welcher Gruppe eine Führungskraft kommt. Hauptsache die Arbeit wird gut gemacht.