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"Ja, da steckt eine gewisse Hybris drin"

Innerhalb weniger Wochen haben Berlins große Universitäten ihre Führung neu gewählt. Gelingt Julia von Blumenthal, Günter Ziegler und Geraldine Rauch gemeinsam ein neuer Aufbruch für die Wissenschaft der Hauptstadt?

Drei Präsident*innen sollt ihr sein: Julia von Blumenthal, Günter M. Ziegler und Geraldine Rauch (von links). Foto: Stefanie Terp.

Frau von Blumenthal, Frau Rauch, Herr Ziegler, Sie zu dritt in einem Raum: Ist das eine Premiere?

 

Ziegler: Frau von Blumenthal kenne ich natürlich, wobei es eine Weile her ist, dass wir uns persönlich getroffen haben. 

 

von Blumenthal: Wir sehen uns regelmäßig bei der HRK. Ganz normal.

 

Ziegler: Und Ihnen, Frau Rauch, bin ich zweimal bei Treffen der Berlin University Alliance (BUA) kurz begegnet. Ansonsten kenne ich Sie bislang leider vor allem nur als Online-Kachel. 

 

Rauch: Aber im echten Leben waren wir drei noch nie zusammen. Toll, dass das heute geklappt hat!

 

Herr Ziegler, hätten Sie sich das vor einem halben Jahr vorstellen können: Zwei der drei großen Berliner Unis mit neuen Chefinnen, nur Sie bleiben im Amt?

 

Ziegler: Ganz ehrlich: nein. Ich habe Sabine Kunst an der Humboldt Universität als gesetzt gesehen und ging davon aus, dass Christian Thomsen an der Technischen Universität wiedergewählt wird. 

 

Frau von Blumenthal, Sie kennen die HU gut. Hier waren Sie bis 2018 Professorin und Dekanin, danach wurden Sie Uni-Präsidentin an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Wie hat sich der Wissenschaftsstandort Berlin seitdem aus der Außenperspektive gemacht? 

 

"Aus der Distanz einer kleineren Stadt erkennen
Sie die politische Dynamik und die mediale
Aufmerksamkeit in Berlin erst richtig. An der
Peripherie geht doch manches gelassener zu."

 

von Blumenthal: Vor allem habe ich eine funktionierende Berlin University Alliance gesehen. Als ich wegging, war weder sicher, dass sie kommt, noch dass sie in der Exzellenzstrategie erfolgreich sein würde. Und die wissenschaftlichen Kooperationen reichen ja weit über die BUA hinaus, sie verbinden die Universitäten untereinander und mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Das ist beeindruckend, vor allem wenn Sie aus der Distanz einer etwas kleineren Stadt darauf schauen. Dann erkennen Sie die ungeheure politische Dynamik und die mediale Aufmerksamkeit erst richtig – mit all ihren Vorzügen und auch mit den Herausforderungen. An der Peripherie geht doch manches gelassener zu.

 

Und trotz aller Dynamik hat ihre Vorgängerin als HU-Präsidentin, Sabine Kunst gesagt: Mir reicht es

 

von Blumenthal: Aber doch nicht, weil Berlin kein spannender Standort ist. Sondern weil sie für sich entschieden hat, dass sie jetzt in eine andere Lebensphase eintritt.

 

Oder weil sie das Gefühl hatte, dass ihr die Arbeit von der Berliner Politik unmöglich gemacht wurde?

 

von Blumenthal: Das müssen Sie sie schon selbst fragen.


Julia von Blumenthal ist Politikwissenschaftlerin und kam 2009 als Professorin für deutsche Politik an das Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Oktober 2018 wu rde sie Präsidentin der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Ihr Amt als Präsidentin der HU zu Berlin wird sie voraussichtlich zu Beginn des Studienjahres 2022/23 antreten. 
Foto: HU/Philipp Plum.



Frau Rauch, kurz nach dem Paukenschlag-Abschied von Sabine Kunst wurden Sie zur Präsidentin an der TU Berlin gewählt. Haben Sie je gedacht: Worauf habe ich mich da eingelassen?

 

Rauch: Nie! Ich wollte schon lange in die Hochschulpolitik, jetzt habe ich es versucht, und dass es so schnell geklappt hat, ist natürlich toll. Ich freue mich wirklich, dass wir jetzt gemeinsam für die Berliner Wissenschaft wirken können, zusammen mit Heyo Kroemer von der Charité. 

 

Haben Ihre Universitäten denn dieselben Probleme zu lösen?

 

Rauch: Wir alle haben einen großen Investitionsstau beim Bauen. Das Problem besteht nicht nur darin, dass irgendwo der Putz bröckelt, sondern dass ganze Fächer nicht mehr richtig untergebracht werden können. Das schadet dem Wissenschaftsstandort Berlin, darum müssen wir da alle gemeinsam wirksam werden. Konkret auf die TU bezogen heißt das: Unsere Physik braucht dringend einen Neubau! 

 

Bei der Frage nach den Problemen fällt Ihnen als erstes das Bauen ein? Viele würden sagen: Die Krise der Berliner Universitäten geht viel tiefer, in die Institutionen selbst hinein.

 

Rauch: Ich kenne keine große Universität, überhaupt keine große Organisation und keine große Stadt, wo alles nur schlecht oder alles nur gut läuft. Ich verstehe ja, dass es Aufgabe der Presse ist, nach den Problemen zu suchen. Aber es ist falsch, immer nur die Extreme herauszustellen. Insofern sehe ich unsere Universitäten nicht in einer tiefen Krise, sondern in einer spannenden Phase der Berliner Hochschulpolitik, in der gerade sehr viel passiert. Weil in Berlin und in der Welt viel passiert. 

 

"Man könnte auch sagen: Berlin steckt permanent
in einer Krise. Und weil das so ist, kann auch ich diesem Krisengerede nichts abgewinnen." 

 

Ziegler: Man könnte auch sagen: Berlin steckt permanent in einer Krise. Zuletzt in der Corona-Krise. Jetzt auch in der Ukraine-Krise. Und weil das so ist, kann auch ich diesem Krisengerede nichts abgewinnen. 

 

von Blumenthal: Und dann muss man auch noch innerhalb der Universitäten differenzieren. Die Forschung an der HU zum Beispiel sehe ich überhaupt nicht in einer schwierigen Situation, die Lehre durch die Pandemie dagegen schon. Nur dass die HU wie fast alle Universitäten in Deutschland diese spezifische Krise gut meistert. Ansonsten ist es genauso, wie Günter Ziegler sagt: Krise ist immer. Wenn ich irgendwann mein Amt als HU-Präsidentin verlasse, werden hoffentlich einige Dinge hervorragend funktionieren. Und bei anderen werden die Leute sagen: O Mensch, was für eine Krise, da muss man dringend mal ran. 

 

Nun ja. Wenn Sie Universitätsrektoren im Rest der Republik zum Beispiel über die BUA reden, werden Ihnen viele sagen: Ein Glück, dass ich so einen Verbund nicht am Hacken habe. 

 

Ziegler: Das habe ich auch schon anders gehört. Ministerpräsident Söder hat die BUA zur Bedrohung für Bayerns Wissenschaft erklärt. Am anderen Ende des Spektrums gibt es dann eben Stimmen wie die meines Vor-Vorgängers Dieter Lenzen, der die BUA von Anfang an für Unsinn gehalten hat. Die BUA ist mit einer Vision angetreten. Einer Berliner Vision, die sich von der eines Verbundes der Ruhr-Universitäten oder im Rhein-Main-Gebiet unterscheidet. Unser Anspruch ist ein integrierter Forschungsraum, und ja, da steckt eine gewisse Hybris drin, das spornt an und das ist gut so. Wir haben Gigantisches geleistet, dazu gehört auch der Impuls zur Gründung des neuen  Netzwerks BR50, das Berliner Forschungseinrichtungen und Hochschulen vereint. Dass wir bei der BUA auch nach meinem Eindruck im Aufbau die Strukturen etwas zu kompliziert und die Governance etwas zu behäbig gemacht haben: da werden wir sicherlich nachsteuern. 

 

Es gibt selbst in der BR50 Stimmen, die sagen: In der BUA schaut jede der beteiligten Universitäten vor allem darauf, dass sie ihren Teil vom Exzellenz-Geld abbekommt. 

 

von Blumenthal: Das ist nichts Neues. Dass die Universitäten sich mal zusammenraufen sollen, hören Sie von den außeruniversitären Forschungsinstituten immer. 

 

Ziegler: Diese frustriert vor allem, dass wir keine gemeinsamen BUA-Professuren hinbekommen. Das hat aber weniger mit den Egoismen der Universitäten zu tun als mit den defizitären Regeln der gemeinsamen Wissenschaftskonferenz, die in der ganzen Bundesrepublik gelten. 

 

Rauch: Ich verstehe die Kritik gar nicht. Es ist doch klar, dass jede Universität ihre Alleinstellungsmerkmale und Schwerpunkte pflegt. Dass man also eigene Interessen hat und trotzdem zugleich gemeinsame Ziele verfolgt. Das macht doch die Spannung aus und bedeutet nicht, dass der gute Wille fehlt. 


Geraldine Rauch ist Direktorin des Instituts für Biometrie und Klinische Epidemiologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Außerdem ist sie dort Prodekanin für Studium und Lehre mit lebens- und gesundheits-wissenschaftlichem Schwerpunkt. Im Januar setzte  sie sich im ersten Wahlgang gegen den Amtsinhaber Christian Thomsen durch und wird am 1. April neue Präsidentin der TU Berlin. Foto: Kielmann. 



Ist es in Wirklichkeit nicht so, dass die Universitäten die BUA gar nicht wollten, sondern die Politik?

 

Ziegler: Wenn, dann muss das vor meiner Zeit gewesen sein. Ich bin am 2. Mai 2018 zum Präsidenten der  Freien Universität gewählt worden und am 3. Mai in die BUA-Vorbereitungen eingestiegen, und da habe ich einen großen Enthusiasmus wahrgenommen. Nicht nur an meinem Wohnzimmertisch in Schöneberg, an dem Christian Thomsen, Peter Frensch und ich gesessen und am Konzept gefeilt haben – zusammen mit Karl-Max Einhäupl und all den anderen, die dazukamen. Dieselbe Aufbruchsstimmung haben die Leute geteilt, die sich später in der BR50 zusammengeschlossen haben. Einige von ihnen mögen sich jetzt ärgern, dass es nicht schnell genug vorangeht, aber so ein Ärger ist doch eigentlich auch großartig, weil auch er anspornen kann.  

 

Ihre nicht gewählte Gegenkandidatin bei der FU-Präsidentenwahl hat in ihrer Bewerbungsrede der BUA eine "aktuelle Lähmung" attestiert. Tatsächlich konnten wegen des neuen Hochschulgesetzes viele Forscherstellen vorerst nicht besetzt werden

 

Ziegler: Ich glaube, ich kenne die BUA viel besser von innen als meine Gegenkandidatin von außen. Solchen Zuschreibungen und Bewertungen kann ich mich nicht anschließen. 

 

von Blumenthal: Wenn es aber so leicht ist, die negativen Punkte bei der BUA aufzuzählen, müssen wir noch lauter werden beim Aufzählen ihrer Errungenschaften. Die ersten beiden Grand Challenges, die sich der Verbund zur gemeinsamen Bearbeitung ausgewählt hat, und zwar vor den aktuellen Krisen, könnten nicht besser in die Zeit passen: globale Gesundheit und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Der Anspruch ist, die gesamte Forschungsleistung aller Partner bei diesen Themen zu bündeln, unter Einschluss der Studierenden. Die BUA schlägt eine Brücke nach Oxford trotz Brexit, sie macht Berlins Wissenschaft sichtbarer. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie große asiatische Universitäten vor der BUA gelegentlich auf die einzelnen Berliner Unis herabgeschaut haben. Das ist vorbei.

 

Ziegler: Und was das neue Berliner Hochschulgesetz angeht: Das ist viel mehr als der Paragraf 110, Absatz 6, Satz 2, auf den Sie abheben. Der ist der bestimmende Faktor für die Verzögerungen von Projekten und Stellenbesetzungen, die Leute zu Recht frustriert haben. Aber das hat nichts mit der Frage zu tun, ob die BUA funktioniert. 

 

von Blumenthal: Der Paragraf 110 adressiert außerdem ein Problem, das nicht nur Berliner Universitäten haben, sondern das ein bundesweites ist. Die grundsätzliche Frage lautet: Wie bringt man die verschiedenen Interessen zusammen zwischen dem Wunsch vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach langfristigen, verlässlichen Karrierewegen und dem Bedürfnis der Forschung nach Flexibilität, auch in der Nachwuchsförderung? Die Antwort hat bislang keine Universität, kein Bundesland vollständig geben können. Auch der Paragraf 110 war nur eine überfallartige Scheinlösung. Ich bin aber optimistisch. Der Senat hat eine Reparaturnovelle angekündigt, die wird die Grundlage dafür schaffen, dass wir als Berliner Universitäten sinnvolle Veränderungen einleiten können. Hin zu mehr Verlässlichkeit und trotzdem flexiblen Strukturen. 

 

"Ich mag es nicht, dass oft so getan wird, als seien möglichst viele befristete Stellen die Voraussetzung für Exzellenz in der Wissenschaft. Exzellenz entsteht gerade auch dadurch, dass Wissen in der Institution gehalten wird über Personen." 

 

Rauch: Beides muss zusammengehen, das geht ja gar nicht anders. Ich mag es nicht, dass in der öffentlichen Darstellung oft so getan wird, als seien möglichst viele befristete Stellen die Voraussetzung für Exzellenz in der Wissenschaft. Exzellenz entsteht gerade auch dadurch, dass Wissen in der Institution gehalten wird über Personen, die auf Dauer da sind. 

 

von Blumenthal: Man darf aber auch nicht unterschätzen, dass wir es mit langlebigen Wissenschaftstraditionen zu tun haben. Es gibt Fächer, die zum Beispiel das Lehrstuhlprinzip mit seinen vielen abhängigen, befristeten Stellen schon vor 30 Jahren abgeschafft haben – und andere, die bis heute in dieser Form arbeiten. Das mag man kritisieren, aber das gehört auch zu einer bestimmten Wissenschaftsidentität, die können Sie nicht mit einem Fingerschnipsen hin zu mehr Dauerstellen ändern. Das erfordert einen längeren Entwicklungsprozess. 

 

Kann man eine Veränderung akademischer Kultur, die Sie da beschreiben, überhaupt von oben verordnen?

 

Rauch: Sie ist doch auch nur so geworden, weil die Anreize von oben so waren. Wie bei der Exzellenzstrategie: Die Drittmittel steigen seit langem schneller als der Landeszuschuss für die Universitäten – und bringen nicht genug oder teilweise gar keinen Overhead mit. Das kann nicht gut gehen, weil dann weder die Infrastruktur noch die IT noch die Verwaltung ausfinanziert sind. Und weil die Dauerstellen fehlen. Das ist nicht nachhaltig, doch Exzellenz bedingt für mich auch genau dies: Nachhaltigkeit und Konstanz. 

 

Und darum steuert man jetzt von oben mit einem Berliner Hochschulgesetz gegen und bestimmt, dass die Universitäten Postdocs auf Haushaltsstellen grundsätzlich auf Dauer einstellen sollen?

 

Rauch: Moment! Für mich ist der Paragraf 110 ein Paradebeispiel für eine Gesetzesinitiative, die eben nicht „da oben“ entstand, sondern als Reaktion auf eine starke Bewegung von unten, auf "#IchbinHanna". Ob die Umsetzung im ersten Anlauf gelungen ist, darüber kann man streiten. 

 

von Blumenthal: Vielleicht ist die ursprüngliche Umsetzung des Gesetzes gerade ein Beleg dafür, wie problematisch eine Steuerung von oben ist. Weil sie von außen die Komplexität des Feldes unterschätzt und zu nicht intendierten Folgen führt. So dass dann etwa bei der BUA geplante Arbeitsverträge doch nicht geschlossen werden. Die Alternative dazu ist ein Dialogprozess, wie ihn das Wissenschaftsministerium in Brandenburg aufgesetzt hat: von Anfang an auf zwei Jahre angelegt, unter Einbeziehung aller Stakeholder. Das bringt, glaube ich, die besseren Ergebnisse. Es dauert nur länger. Vielleicht aber nicht einmal das: Der zweite Anlauf zum Paragrafen 110 wird jetzt ja auch dialogisch ablaufen. 

 

Was bedeutet es eigentlich, eine Universität wie die HU zu führen, Frau von Blumenthal?

 

von Blumenthal: Das bedeutet wie an allen Universitäten eine hochkomplexe Aufgabe. Einerseits all die unterschiedlichen Interessen im Blick zu haben, andererseits eine eigene Linie hineinzubringen. Eine eigene Handschrift zu hinterlassen. Nur die Mischung ist überall ein wenig anders. An meiner augenblicklichen Universität, der Viadrina, ist der Wunsch nach Leitung durchs Präsidium sehr stark. An den Berliner Universitäten ist der Wunsch nach Partizipation ausgeprägter. Das hat alles Vor- und Nachteile. Ich habe oft im Viadrina-Senat gesagt habe: Ihr müsst euch häufiger treffen. Ihr müsst mehr mit mir diskutieren. Wenn alles allein entschieden wird, wird es nicht immer automatisch besser. 

 

"Ich spüre ganz viel positive Energie von Menschen,
die mir sagen: Wir wollen mit anpacken, um es besser
zu machen. Lasst uns doch endlich!"

 

Rauch: An der TU gibt es ein großes Bedürfnis, überhaupt mal gehört zu werden. Ich überlege gerade, wie ich das strategisch sinnvoll hinbekommen kann angesichts der Vielzahl der Menschen an der TU, schon der Studierenden. Jedenfalls reicht es nicht, ab und an zu sagen: Kommt, heute höre ich euch mal zu. Das soll aber nicht heißen, dass das alte Präsidium einen schlechten Job gemacht hat. Am Ende gibt es keine Person, die alle Bedürfnisse dieser Welt erfüllt. Jetzt aber spüre ich ganz viel positive Energie von Menschen, die mir sagen: Wir wollen mit anpacken, um es besser zu machen. Lasst uns doch endlich!

 

Sie wollen aber schon auch selbst führen?

 

Rauch: Das ist doch Führen: viel zuhören, viel kommunizieren. Und wenn man viele Meinungen eingeholt hat, nach demokratischen Prinzipien und bestem Wissen und Gewissen Entscheidungen treffen – und dann dazu stehen. Das geht natürlich nur, wenn Sie eine Fehlerkultur zulassen. Dass man Fehlentscheidungen eingestehen, um Entschuldigung bitten und sie korrigieren kann. 

 

Herr Ziegler, in den Monaten vor Ihrer Wiederwahl gab es Kritik an Ihrem Führungsstil. Haben Sie sich vorgenommen, künftig Dinge anders zu machen?

 

Ziegler: Es gab Kritik, und ich will Dinge anders machen. Aber die Verknüpfung ist nicht so einfach, wie es sich bei Ihnen anhört. Ich würde meinen Führungsstil ganz ähnlich beschreiben wie Frau Rauch: sehr dialogisch. Auf Augenhöhe. Lieber in Präsenz als über Kacheln. Deshalb habe ich in der Vergangenheit vieles lange ausdiskutiert. Und wenn wir im Präsidium keinen Konsens hinbekommen haben, haben wir zusätzliche Meinungen eingeholt Manchmal verging darüber zu viel Zeit. Das haben manche als Führungsschwäche interpretiert. Künftig werde ich den Zeitfaktor mehr im Auge behalten und auch mal schneller sagen: Jetzt haben sich alle geäußert. Jetzt treffen wir eine Entscheidung. Das ist eine Veränderung, ja, aber die verdanke ich meiner gewachsenen Erfahrung und nicht dem Druck einiger Kritiker aus dem Akademischen Senat.

 

Würden Sie sich manchmal eine andere Governance an Ihrer Universität wünschen, eine andere Machtverteilung zwischen den Gremien, Herr Ziegler?

 

Ziegler: Überhaupt nicht! Die Governance finde ich so, wie sie ist, hervorragend. Sie lässt übrigens auch alle Veränderungen zu, die wir jetzt angehen. Dafür müssen wir weder unsere Grundordnung umschreiben noch brauchen wir dazu ein anderes Hochschulgesetz. 

 

Was wollen Sie denn ändern?

 

Ziegler: Wir werden die Ressortverteilung im Präsidium so gestalten, dass für jedes Thema, das der Kanzler oder die Kanzlerin verantwortet, auch beim Präsidenten oder den Vizepräsidentinnen und -präsidenten klare Zuständigkeiten liegen. Natürlich führt diese Leitungsperson, bei uns einfach K abgekürzt, die Verwaltung weiter und ist in dem Sinne verantwortlich für das Personal. Aber es wird zum Beispiel gleichzeitig eine Vizepräsidentschaft für "Universitätskultur" geben, die damit auch für die Themen Personal, Gleichstellung und Internationales zuständig ist. 

 

"Es handelt sich um eine Grundsatzfrage der Balance zwischen Präsidenten und zukünftiger Kanzlerin oder dem zukünftigen Kanzler. Eine Spannung zwischen beiden Ämtern besteht ja nicht nur an der Freien Universität."

 

Als Konsequenz aus Ihrem Dauerkonflikt mit der bisherigen Kanzlerin, Andrea Bör?

 

Ziegler: Es handelt sich um eine Grundsatzfrage der Balance zwischen Präsidenten und zukünftiger Kanzlerin oder dem zukünftigen Kanzler. Eine Spannung zwischen beiden Ämtern besteht ja nicht nur an der Freien Universität, sondern an fast jeder Universität, sie ist in die Governance eingebaut. " Ich möchte es mal einfach darstellen: Natürlich ist der Präsident mit seinem Präsidium dafür verantwortlich, sich lauter schöne und nützliche Dinge auszudenken, die viel kosten. Und die Kanzlerin oder der Kanzler ist dafür zuständig zu sagen, was von alldem finanzierbar ist. Das kann produktiv ablaufen. Das ist unser Ziel. Und das werden wir auch hinbekommen. 

 

Gehen Sie davon aus, dass Frau Bör, die laut Senatsverwaltung für zunächst drei Monate ihre Amtsgeschäfte an der FU nicht wahrnimmt, gar nicht mehr zurückkehrt?

 

Ziegler: Davon gehe ich aus. 


Günter M. Ziegler ist Mathematiker und Leibniz-Preisträger. Er war 16 Jahre Professor an der TU Berlin, bevor er an die Freie Universität wechselte. Dort wurde er 2018 zum Präsidenten gewählt, im Februar gelang ihm die Wiederwahl im ersten Wahlgang. Ziegler war von 2018 bis 2020 der erste Sprecher der Berliner Universitätsallianz (BUA), seit September 2020 ist er stellvertretender Vorstand von German U15. 
Foto: Freie Universität Berlin / David Ausserhofer.



Wie sieht das an der HU aus, Frau von Blumenthal: Ist deren Governance zukunftsträchtig? 

 

von Blumenthal: Die Governance einer Institution ist ein sehr filigranes Zusammenspiel zwischen geschriebenen Regeln und unterschiedlichen Persönlichkeiten. Als Politikwissenschaftlerin war ich immer davon überzeugt, dass der institutionelle Rahmen entscheidend ist. Doch je länger ich mich an Universitäten in Leitungspositionen befinde, desto deutlicher wird mir, wie stark der menschliche Faktor ist. Desto mehr glaube ich, dass wir den Einfluss formaler Regeln überschätzen. Das heißt nicht, dass ein funktionierender institutioneller Rahmen im Konfliktfall nicht sehr förderlich sein kann.

 

Ist er es an der HU?

 

von Blumenthal: An der HU hat der Akademische Senat eine starke Stellung. Nimmt er seine Rolle selbstbewusst im Sinne der Universität ein, kann das sehr gut funktionieren.

 

Und tut es das?

 

von Blumenthal: Ich bin seit Jahren in keiner seiner Sitzungen dabei gewesen, daher kann ich nur von außen sagen: Ich glaube schon. Die Protokolle, die ich mir zur Vorbereitung meiner Bewerbung angeschaut habe, lasen sich jedenfalls ganz anders als das, was ich vor 2018 persönlich erlebt habe.  

 

Frau Rauch, im Vergleich zu Frau von Blumenthal und Herrn Ziegler haben Sie die geringsten Erfahrungen in universitären Führungspositionen. 

 

Rauch: Man kann auch durchs Beobachten Erfahrung sammeln. Ich glaube, dass wir als Präsidium ein gutes Team sein werden. Mit tollen Vizepräsidenten und einem tollen Kanzler, aber ohne allzu starre Grenzen bei den Ressortzuständigkeiten. Klar, die einen haben mehr Erfahrung in Haushalts- und Budgetfragen, andere haben besondere Kommunikationsfähigkeiten, wieder andere können einen Blick von außen auf die TU bieten. Diese Diversität ist wichtig, denn gute Führung ist immer ein Gemeinschaftswerk. 

 

Wie meinen Sie das?

 

Rauch: Gute Führung reicht übers Präsidium hinaus. Denn was bringt es, wenn sich Kanzler und Präsidium in einer Frage einig sind, aber der Akademische Senat komplett dagegen ist? Wir müssen zu einem Verständnis kommen, dass es nicht den oder die eine Expertin für einen Sachverhalt gibt, und alle anderen können ihn eh nicht richtig bewerten. Am Ende fügen sich die vielen Meinungen zu einem Gesamtbild zusammen. Es mag einen für IT zuständigen Vizepräsidenten geben, aber vielleicht gibt es auch andere Personen in der Verwaltung, die Wichtiges dazu zu sagen haben. 

 

"Wir stehen bei den IT-Experten in Konkurrenz mit anderen staatlichen Verwaltungen, wo man in derselben Stadt für mehr Geld vielleicht sogar weniger arbeiten kann." 

 

Apropos Verwaltung. Wie stellt man die denn modern auf? Das scheint eine der Fragen gewesen zu sein, an der Herr Thomsens Wiederwahl gescheitert ist. 

 

Rauch: Also erstmal mag ich es gar nicht, von "der Verwaltung" zu sprechen, weil die Mitarbeitenden in Technik, Service und Verwaltung genauso zur TU-Gemeinschaft gehören wie alle anderen. Dieses Gegenüberstellen der Verwaltung hier und der Wissenschaft da, davon halte ich nichts. Alle wollen gleichermaßen Gutes für ihre Universität, sie arbeiten nur unter unterschiedlichen Bedingungen. Und diese Bedingungen sind in vielen Bereichen schlecht, weil auch bei uns viel zu wenig Geld da ist für Verwaltungsstellen, für Technik und Service. Wenn Mitarbeiter dann noch denken, dass sich sowieso nie etwas ändern wird, weil ihnen keiner je zugehört hat, ist das das Schlimmste.  

 

Was kann man da tun?

 

Rauch: Wir müssen es schaffen, die Menschen einzubeziehen, ihnen zuzuhören. Das ist die eine Form der Wertschätzung. Die andere ist, ihnen Möglichkeiten zur Weiterbildung und Weiterqualifizierung zu geben. Und schließlich müssen wir unser Tarifsystem so ausschöpfen, wie es nur geht. Zum Beispiel durch eine Neubewertung von Stellen, bei denen sich die Aufgaben geändert haben über die Jahre. Damit sind wir aber wieder am Anfang: Das geht nicht, wenn alle immer nur nach dem nächsten Drittmittelprojekt in der nächsten Exzellenzstrategie streben, die Grundfinanzierung aber nicht Schritt hält. Darüber müssen wir mit der Politik reden.

 

von Blumenthal: Sie haben völlig Recht, Frau Rauch! Eine funktionierende Verwaltung ist ein Schatz und die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Leistungen in Forschung, Lehre, Transfer erbringen können. Die Neubewertung von Stellen ist aber ein ganz heikles, ein schwieriges Thema. Das bekommen wir nur hin, wenn wir gleichzeitig gezielt Personalentwicklung betreiben. Vor allem, wenn da gleichzeitig dieses Riesenthema Digitalisierung der Verwaltung ist. Wir stehen bei den IT-Experten in Konkurrenz mit anderen staatlichen Verwaltungen, wo man in derselben Stadt für mehr Geld vielleicht sogar weniger arbeiten kann. 

 

Ziegler: An der Freien Universität kommt die Dezentralität dazu. Bei uns sitzt die Wissenschaft nicht auf der einen Seite der Straße und die Verwaltung auf der anderen. Sondern wesentliche Teile der Verwaltung finden direkt in den Fachbereichen statt. Das gibt auch direkte Möglichkeiten zur Planung und wenn nötig zur Nachsteuerung, wenn was schiefläuft. Wenn zum Beispiel die Lehrkräftebildung ausgebaut wird, aber die dazu gehörenden Prüfungsbüros dafür nicht oder nicht ausreichend ausgestattet sind. Und zu der Konkurrenzsituation beim Gehalt kommt die Hauptstadtzulage, die ist ein echtes Problem. Und dass Beamte, wenn sie über 65 sind und weiterarbeiten, 20 Prozent mehr Gehalt bekommen, war einfach keine gute Idee. 

 

Klingt ja ganz so, als seien die goldenen Zeiten der Berliner Hochschulpolitik schon wieder vorbei, Herr Ziegler. 

 

Ziegler: Es war beeindruckend anzusehen, wie der ehemalige Regierende Bürgermeister Michael Müller und sein Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach gewirbelt haben, wie sie neue Projekte auf den Weg gebracht und Akteure miteinander vernetzt haben. Das aber jetzt zu den vergangenen goldenen Zeiten der Berliner Hochschulpolitik hochzustilisieren, hilft uns nicht. Auch wenn die finanziellen Rahmenbedingungen schwieriger werden, keine Frage. Aber so, wie ich die neue Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote und ihre Staatssekretärin Armaghan Naghipour kennengelernt habe, sind auch sie sehr engagiert unterwegs. Natürlich auch mit eigener Agenda. In ihnen haben wir hervorragende Sparringspartnerinnen – und auch Fürsprecherinnen in der nächsten Runde der Exzellenzstrategie. Ich bin mir sicher, dass wir auf sie zählen können.

 

"Genau so eine Rede muss nächstes Mal Frau Gote halten, natürlich mit ihrer ganz eigenen Perspektive."

 

Da ist dann wieder eine Show gefragt vor den Gutachtergremien.

 

Ziegler: Ich weiß noch, wie Michael Müller im Exzellenzwettbewerb in der Schlusspräsentation aufstand und gesagt hat: "Meine Damen und Herren, jetzt erkläre ich Ihnen mal als einer, der nicht studiert und kein Abitur hat, warum ich unbedingt Wissenschaftssenator in dieser Stadt werden wollte." Und genau so eine Rede muss nächstes Mal Frau Gote halten, natürlich mit ihrer ganz eigenen Perspektive. Als Gesundheitssenatorin kann sie die Rolle der Wissenschaft sehr glaubhaft aus der Pandemie heraus definieren. Letztlich waren deutsche Universitäten maßgeblich daran beteiligt, die weltweite Krise zu meistern: mit den ersten Corona-Tests, mit den Impfstoffen. Dasselbe Potential haben unsere Berliner Universitäten auch in der Forschung zum Klimawandel, zur Nachhaltigkeit, zu Frieden und Konflikten. Zu den großen Themen unserer Zeit. 

 

Wird Frau Gote überhaupt Zeit bleiben, sich neben dem Mega-Thema Gesundheit um das Thema Wissenschaft zu kümmern? Und wie überwindet Staatssekretärin Naghipour das Misstrauen in der Wissenschaft? In der vergangenen Legislaturperiode war sie die persönliche Referentin von Justizsenator Dirk Behrendt– der der Wissenschaft möglichst viele Tierversuche untersagen wollte.

 

von Blumenthal: Ich weiß nicht, ob ich die Bedeutung von Frau Gote für die Berliner Wissenschaft an den aufgewandten Zeiteinheiten messen würde. Herr Ziegler hat gerade beschrieben, wie wichtig der richtige Einsatz in der Schlussrunde der Exzellenzstrategie sein kann. Vielleicht ist beim nächsten Mal genau diese Kombination von Wissenschaft und Gesundheit das entscheidende Argument für den Standort. Und was Frau Naghipour angeht: Ich kenne sie noch nicht persönlich, aber als Politikwissenschaftlerin sage ich: Ämter verändern die Menschen. Auch bei Frau Naghipour gilt: Unser Erfolg ist jetzt ihr Erfolg. 

 

Rauch: Ich muss wirklich sagen, dass ich diese viele negative Berichterstattung zu Frau Gote und Frau Naghipour unangemessen finde. Die ging schon los, als die beiden noch gar nicht im Amt waren. Frau Gotes Ressort besteht nicht aus zwei getrennten Teilen, Medizin gehört zur Wissenschaft dazu. Und nur weil Frau Nagiphour etwas mit dem Tierschutzgesetz zu tun hatte, ist sie nicht wissenschaftsfeindlich. Die beiden stehen für Themen, die Berlin entscheidend prägen werden: Gesundheit, Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Stadtentwicklung. Das kann uns doch optimistisch stimmen!

 

von Blumenthal: Eine Senatorin, eine Staatssekretärin, zwei Unipräsidentinnen, ein Unipräsident und ein Charité-Vorstandsvorsitzender: Ich finde, wir werden zusammen für die Berliner Wissenschaft ein sehr gutes Bild abgeben.



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Kommentare: 11
  • #1

    Fragezeichen (Dienstag, 22 März 2022 09:30)

    Wünsche allen Dreien viel Erfolg - die Berliner Universitäten können es brauchen.
    Bei Frau von Blumenthal bin ich etwas skeptisch - wenn ich mir ihren Lebenslauf ansehe, entdecke ich wenig Forschung (fast nur Veröffentlichungen in - deutschen - Sammelbänden), wenig Innovation, aber viele Posten. Ob das den nötigen Innovationsschub für die HU bringt? Mal abwarten, vielleicht hat sie gute Hochschul-Management-Qualitäten.

  • #2

    Friedrichshainer (Dienstag, 22 März 2022 10:10)

    Gibt es eine "Boston University Alliance"? Nein. Dito für die Bay Area, etc. Die Unis dort sind exzellent geworden durch Wettbewerb. Zweitens ist es schon im Ansatz falsch, daß Verwaltungsbeamte in einer Zentrale -die selbst nicht forschen- Forschern vorschreiben sollen, an welcher "grand challenge" sie zu arbeiten haben und wie. Innovation entsteht bottom up in Freiheit, nicht umgekehrt durch Planwirtschaft.

  • #3

    Alter Grieche (Dienstag, 22 März 2022 10:57)

    "und ja, da steckt eine gewisse Hybris drin, das spornt an und das ist gut so."

    @Günter Ziegler

    Haben Sie jemals eine griechische Tragödie auf der Bühne gesehen?

    Wikipedia definiert "Hybris" übrigens so: "Man verbindet mit Hybris häufig den Realitätsverlust einer Person und die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, Leistungen oder Kompetenzen, vor allem von Personen in Machtpositionen."

  • #4

    Berliner (Dienstag, 22 März 2022 12:26)

    Schönes Interview zur richtigen Zeit. Mir gefallen die Aufbruchstimmung, die Einordnung der Themen und das dialogische Miteinander.

    Der Kommentar #2 offenbart Halbwissen über die Organisation des Berliner Exzellenzverbundes. Weder ist der Wettbewerb zwischen den Unis ausgeschaltet, noch wurden die Grand Challenges von Verwaltungsbeamten vorgegeben. Einzelne Aspekte angelsächsischer Wissenschaftslandschaften punktuell mit Eigenheiten des deutschen Wissenschaftssystems vergleichen zu wollen, halte ich ebenfalls für zu kurz gesprungen.

  • #5

    45 (Dienstag, 22 März 2022 13:49)

    @Friedrichshainer - "Innovation entsteht bottom up in Freiheit, nicht umgekehrt durch Planwirtschaft."

    Gähn. Ideologischer Ladenhüter, der vielleicht für FDP-Parteitagsreden taugt, aber wissenschaftsgeschichtlich nicht haltbar ist. Vielmehr ist eine nüchterne, Bestandsaufnahme gefragt. Frau Rauch stellt in diesem Zusammenhang eine interessante These auf: "Ich mag es nicht, dass in der öffentlichen Darstellung oft so getan wird, als seien möglichst viele befristete Stellen die Voraussetzung für Exzellenz in der Wissenschaft. Exzellenz entsteht gerade auch dadurch, dass Wissen in der Institution gehalten wird über Personen, die auf Dauer da sind." Leuchtet sofort ein - Unternehmen bemühen sich doch auch darum, gute Leute langfristig zu halten. Das wäre mal ein interessanter Ausgangspunkt für eine Debatte, und nicht noch mehr Wettbewerb um Drittmittel, der dafür sorgt, dass die größten Haufen noch größer werden.

  • #6

    Working Mum (Mittwoch, 23 März 2022 16:01)

    Eine Korrektur: Für gemeinsame Berufungen sind nicht "defizitäre Regeln" der GWK einschlägig, sondern das Landeshochschulgesetz. Dieses Wissen sollte man bei Unileitungen voraussetzen dürfen.

  • #7

    #7 (Mittwoch, 23 März 2022 17:50)

    @Friedrichshainer und auch @Fragezeichen

    Es zeigt sich m.E. mehr und mehr, dass die Hybris der akademischen Selbstverwaltung aka Forschende und Lehrende an ihre Grenzen stößt, wenn es darum geht, in der Wissenschaftspolitik zu bestehen.
    Ein:e gute:r Forscher:in ist bei weitem kein:e gute:r Manager:in! Das komplexe Zusammenspiel, Zug- und Fliehkräfte der Politik und Strategien zu verstehen, dabei haushälterische Fähigkeiten zu besitzen, ohne nach der Amtszeit die Uni auf die nächsten 15 Jahre in den Konkurs zu schicken - dazu braucht es mehr als forscherische Freiheit.
    Und es zeigt sich leider mittlerweile zu oft, dass Unileitungen meinen, sie können das alles und sowieso besser. Mittlerweile gibt es Hochschulmanagerstudiengänge - deren Absolvent:innen dann eben in den zentralen Verwaltungen sitzen, oft promoviert sind, also und von Forschung durchaus Ahnung haben, meist aber dennoch keine Beamten sind - und dann die Rahmenbedingungen setzen, damit die Forscher:innen die "grand challenge" auf die Reihe kriegen, um erfolgreich zu sein...
    Und das kann in Berlin tatsächlich funktionieren - denn da sitzen recht gute Manager:innen, während andere eben noch immer wie in den 1990er meinen, wenn man ein:e gute:r Prof ist, ist man auch ein:e guter Rektor:in - nope, ist man/frau nicht (mehr) automatisch!

  • #8

    Friedrichshainer (Donnerstag, 24 März 2022 09:25)

    @#7

    Haben Sie sich schon einmal aus der Nähe (!) angesehen, wie Universitäten funktionieren, die tatsächlich international als exzellent anerkannt sind? Stanford zum Beispiel. Die haben eine ganz schlanke Verwaltung, aus gutem Grund. Mir ist auch kein Präsident oder keine Führungskraft dort bekannt, die "Hochschulmanagement" studiert hätte: Man kann nämlich gute Forschung überhaupt nicht "managen" im klassischen Sinn. Ich empfehle Ihnen, einmal dringend über den staats- und funktionärslastigen Berliner Tellerrand hinaus zu schauen.

    @45

    Von Wissenschaftsgeschichte scheinen Sie wenig Ahnung zu haben. Ein Beispiel aus der Glanzzeit der deutschen Wissenschaft: Sind etwa Hilberts Durchbrüche auf dem Mist einer "Göttingen University Alliance" gewachsen? Oder nehmen Sie, als aktuellstes Beispiel für einen echten Durchbruch, die therapeutische Nutzung von mRNA: Katalin Kariko und andere konnten ihre Forschungen anfangs nur vorantreiben, weil sie Nischen fanden in Philadelphia und anderswo, abseits der damaligen Mehrheitsmeinung. Und das war schwer genug, eben weil sie dem Konsens ihrer Zeit weit voraus waren. Hätten Bürokraten oder Politiker sie, oder Derrick Rossi in Harvard, in "University Alliances" oder "einheitliche Forschungsräume" (was für ein verräterischer Begriff!) gezwungen, ihnen zeitgeistige Modethemen vorgeschrieben, würden wir noch heute auf die Impfstoffe von Biontech oder Moderna warten.

    Es gibt in der Innovationsgeschichte ganz seltene Gegenbeispiele, z.B. das Manhattan Project. Aber da bescherten besondere Umstände der Sache eine ganz seltene Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit (Krieg gegen Nazideutschland), weit entfernt von Berliner Beutegemeinschaften wie der BUA. Und die führenden Leute damals (Oppenheimer, Groves et al.) hatten ein Kaliber, das ich in Berliner Unileitungen oder -verwaltungen nirgends auch nur ansatzweise gesehen habe. Stattdessen wimmelt es dort von Politiker-Typen, denen es vor allem um die eigene Macht geht. Der Typus also, den man auch unter "Managern" in der innovationsschwachen deutschen Wirtschaft zuhauf findet (z.B. Josef Käser bei Siemens). Der Kontrast zu echten Pionieren wie den Biontech Gründern Sahin & Türeci spricht für sich. (CureVac hingegen ist genau an dieser Deutschland AG-style "corporate disease" a la Siemens gescheitert.)

  • #9

    Bedenken (Freitag, 25 März 2022 19:54)

    Nach dem Lesen des Interviews mit den 3 neuen Präsidenten/innen musste ich an einen Buchtitel denken : „Das Licht, das erlosch“

  • #10

    naja (Sonntag, 27 März 2022 12:45)

    @Friedrichshainer

    Genauso ist es, wie Sie es beschreiben. Top-Ideen und Top-Resultate in der Wissenschaft sind noch nie vom Wissenschaftsmanagement initiiert worden. Diese irrige Idee kann sich nur bei Leuten halten, die noch nie selbst oder erfolgreich geforscht haben. Das sind dann typischerweise dieselben, die sich im Wissenschaftsmanagement tummeln.

  • #11

    McFischer (Donnerstag, 07 April 2022 12:49)

    "Man kann nämlich gute Forschung überhaupt nicht "managen" im klassischen Sinn."
    Nun ja, aber ein europäischer Förderantrag schreibt sich nicht so nebenher, nur weil man auf dem Fachgebiet ein*e gute*r Forscher*in ist. Das ist mittlerweile dermaßen komplex und sie brauchen zig Partner aus Hochschulen, Wirtschaft, Politik... das geht ohne entsprechende Professionalisierung nicht.
    @Friedrichshainer:
    David Hilpert ist ein schlechtes Beispiel, würde ich meinen. (a) ein Forschungs- und Uni-Kontext, der vor über 100 Jahren bestand, ist mit heute kaum mehr vergleichbar; (b) gerade die Mathematik ist ein Fach, in dem noch stark die individuelle Forschungsleistung möglich ist, das lässt sich kaum auf andere Fächer übertragen, egal ob z.B. Technik- oder Sozialwissenschaften.