Das neue Hochschulgesetz schade der Berliner Wissenschaft, sagte der renommierte Hochschulmanager zur Begründung.
Ludwig Kronthaler ist seit 2017 Vizepräsident für Haushalt, Personal und Technik der Humboldt-Universität zu Berlin. Foto: HU Berlin.
ERST SEINE CHEFIN, jetzt er selbst: Der für Haushalt, Personal und Technik zuständige Vizepräsident der Berliner Humboldt-Universität, Ludwig Kronthaler, hat im HU-Kuratorium am Freitag seinen Rücktritt angekündigt. Aus Protest gegen das Berliner Hochschulgesetz (BerlHG), und zwar ausdrücklich in seiner Gesamtheit, nicht nur gegen den besonders umstrittenen Paragraph 110.
Die frühere HU-Präsidentin Sabine Kunst hatte im Herbst ebenfalls mit Hinweis auf das Hochschulgesetz und speziell auf den Paragrafen 110 ihren Rücktritt verkündet. Als eine ihrer letzten Amtshandlungen hatte sie dann kurz vor Jahresende noch eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingereicht.
Kunst war es auch gewesen, die Kronthaler, zuvor Generalsekretär der Max-Planck-Gesellschaft in München, 2017 an die Humboldt-Universität geholt hatte.
Die HU-Pressestelle bestätigte Kronthalers Rücktritt, den dieser erst zum 30. September vollziehen will, um genügend Zeit für die Suche eines Nachfolgers oder einer Nachfolgerin zu lassen. "Ich bin fest davon überzeugt, dass die BerlHG-Novelle vom 14. September 2021 der Wissenschaft schadet", teilte Kronthaler mit. Die Hochschulautonomie werde eingeschränkt, die Wissenschaftsfreiheit beschnitten und neue Bürokratie in großem Umfang werde die Wissenschaft behindern. "Seit etwa 25 Jahren habe ich mich für die Verbesserung der Rahmenbedingungen der Wissenschaft eingesetzt. An der Umsetzung von Verschlechterungen will ich mich jetzt nicht beteiligen müssen."
Senatsverwaltung arbeitet an einer Reparatur-Novelle
des Hochschulgesetz-Novelle
Der neue Paragraph 110 schreibt grundsätzlich Dauerstellen für Postdoktoranden vor, die sich für eine Professur qualifizieren. Nach Kunsts Rücktritt und der Debatte um die Hochschulgesetz-Novelle hatte der wiedergewählte rot-grün-rote Senat dann eine "Präzisierung" dieses Passus angekündigt.
Laut Referentenentwurf, über den zuerst der Tagesspiegel berichtete, besteht diese Präzisierung im Wesentlichen aus zwei Dingen. Erstens: Der Paragraph tritt erst für alle nach dem 1. Oktober 2023 eingestellten Postdoktoranden in Kraft. Zweitens: Die Regelung gilt nicht für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die "überwiegend aus Drittmitteln oder aus Programmen des Bundes und der Länder oder des Landes Berlin finanziert werden".
Letzteres ist aus Sicht der Universitäten besonders wichtig. Im Dezember hatte Kunst nämlich kritisiert, der Paragraph 110 gelte auch für Neueinstellungen im Rahmen der Exzellenzstrategie, da die Bundesregierung "auf ausdrücklichen Wunsch der Länder" die Mittel für die zweite ExStra-Förderlinie, über die der BUA-Verbund gefördert wird, als Haushaltsmittel deklariert habe. Weshalb der Exzellenzverbund "Berlin University Alliance" (BUA) vorübergehend die Besetzung von Stellen gestoppt hatte. Mit der Klarstellung im Gesetz, sollte sie so kommen, könnte die BUA den Stellenstopp also aufheben. Die GEW wiederum hatte in ihrer Reaktion auf die Entschärfung des Paragraphen 110 von einer "kompletten Enttäuschung" gesprochen.
Bemerkenswert ist, dass Kronthaler mit der Begründung seines Rücktritts nun deutlich über den engen Bezug zu der Postdoc-Regelung hinausgeht.
Senatorin und HU-Leitung äußern ihr Bedauern, sagen
aber zu Kronthalers Rücktrittsgründen kein Wort
Die erste Reaktion von Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) fiel am Nachmittag sehr knapp aus und vermied jeden Bezug auf die von Kronthaler genannten Rücktrittsgründe. Sie bedaure die Entscheidung Kronthalers, der in den zurückliegenden Jahren wertvolle Arbeit für die Humboldt-Universität und damit auch für den gesamten Berliner Wissenschaftsstandort geleistet hat", sagte Gote. "Hierfür gebührt ihm mein Dank."
Der GEW-Vizevorsitzende Andreas Keller, selbst Mitglied im HU-Kuratorium, kommentierte unterdessen auf Twitter: Die Förderung von Mitbestimmung, Teilhabe, Chancengleichheit und Gleichstellung schadeten der Wissenschaft nicht, "sondern stärken sie".
Der kommissarische HU-Präsident Peter Frensch sagte, er bedaure die Entscheidung Kronthalers "außerordentlich", und zählte die aus seiner Sicht bedeutendsten Verdienste des Vizepräsidenten auf – von der Weiterentwicklung der Verwaltung über die Einführung von SAP und eines Personalentwicklungskonzepts bis hin zu Kronthalers "Einsatz für die Etablierung einer Körperschaft öffentlichen Rechts für die rechtssichere Konstituierung der Berlin University Alliance". Worauf Frensch in seinem ausführlichen Statement indes mit keinem Wort einging: auf die von Kronthaler genannten Gründe für seinen Rücktritt.
Die im Februar gewählte künftige HU-Präsidentin Julia von Blumenthal äußerte ebenfalls ihr Bedauern und sagte, sie hätte ab Oktober gern mit Kronthaler gearbeitet. Sein Weggang werde erst einmal eine Lücke hinterlassen. "Gemeinsam mit Herrn Frensch werden wir den Übergang so organisieren, dass die wichtigen Projekte dieses Ressorts weiter vorangehen und die Ergebnisse für die Humboldt-Universität sichtbar und erlebbar werden." Auch von Blumenthal verzichtete darauf, Kronthalers Beweggründe zu kommentieren.
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Exzellenzmittel und Haushaltsmittel (Freitag, 01 April 2022 15:52)
Was genau bedeutet es denn, dass "die Millionen aus der Exzellenzstrategie als Haushaltsmittel deklariert behandelt werden"? Exzellenzmittel sind Mittel aus einem Bund-Länder-Programm. Unterscheiden kann man da nochmal zwischen Projekt- und Overheadmitteln, wobei letztere durchaus in kreativen Lösungen in Haushaltmittel umgetauscht werden können. Aber die Projektmittel? Als Haushaltsmittel? Das muss ja eine sehr interessante Waschung sein, die da in Berlin stattfindet.
Jan-Martin Wiarda (Freitag, 01 April 2022 17:28)
Vielleicht handelt es sich aber auch um ein Missverständnis, weil ich den Satz undeutlich formuliert hatte? Ich habe ihn, um es hoffentlich klarer zu fassen, jetzt wie folgt geändert:
"Letzteres ist aus Sicht der Universitäten besonders wichtig. Im Dezember hatte Kunst nämlich kritisiert, der Paragraph 110 gelte auch für Neueinstellungen im Rahmen der Exzellenzstrategie, da die Bundesregierung "auf ausdrücklichen Wunsch der Länder" die Mittel für die zweite ExStra-Förderlinie, über die der BUA-Verbund gefördert wird, als Haushaltsmittel deklariert habe. Weshalb der Exzellenzverbund "Berlin University Alliance" (BUA) vorübergehend die Besetzung von Stellen gestoppt hatte. Mit der Klarstellung im Gesetz, sollte sie so kommen, könnte die BUA den Stellenstopp also aufheben."
Wird es jetzt klarer?
Beste Grüße!
Th. Klein (Montag, 04 April 2022 18:43)
Ja, Mittel aus einem Bund-Länder-Programm. Doch die Frage ist doch, wie die Mittel an die geförderten Universitäten kommt. Wenn die Mittel dem Land zur Verfügung gestellt werden, und dieses wiederum die Mittel den Universitäten, dann kann man das ggf. so deklarieren. Die Landesmittel in diesem Programm sind ja auch Eigenmittel des jeweiligen Sitzlandes und kein Mix aus Ländermitteln.
Früher war es allerdings so, dass alle Mittel über die DFG verteilt wurden. Dann ginge das nicht. Da die DFG die zweite Linie aber nicht betreut, sondern der Wissenschaftsrat, der m.W. die Mittel nicht durchleitet, könnte es ggf. so sein.
Exzellenzmittel und Haushaltsmittel (Dienstag, 05 April 2022 14:36)
Danke für die Ausführungen, Herr Wiarda und Th. Klein! Dass Mittel aus der Förderlinie Exzellenzuniversitäten als Haushaltsmittel bei den Universitäten ankommen, macht in der Tat in vielerlei Hinsicht Sinn. Über die Vor- und Nachteile, die Haushalts- vs Drittmittel mit sich bringen, lässt sich trefflich streiten, hier hat man wohl die Vorteile der Haushaltsmittel erst mal als wichtiger erachtet. In der Clusterlinie wird das Geld immer noch über die DFG verteilt, das sind ganz klar Drittmittel, die EXU-Mittel waren das früher auch.
Sabine B. (Mittwoch, 06 April 2022 10:58)
Ein Blick auf das Geburtsdatum von Herrn Kronthaler (28. Juni 1957) verrät, dass seine Pensionierung/Renteneintritt ohnehin sehr sehr bald ansteht - insofern ist der Rücktritt ja kein sehr bedeutender Schritt.
Ein Postdoc der HU (Mittwoch, 06 April 2022 15:50)
Ja, die innere Verrentungs-Uhr tickte auch nach anderen Eindrücken bei ihm ohnehin schon. Und er ist ja demnächst der dienstälteste Vizepräsident der HU, müsste also dann evtl. noch mehr als bisher ran an die Probleme der HU, die bislang nicht gelöst oder mit Verweis auf akute immer wieder neue Sondersituationen gar nicht erst angegangen wurden.
Da kann man jetzt seine eigenen Schlüsse daraus ziehen, dass er just in dem Zeitraum, in dem der Referentenentwurf mit einer stark den Machterhalts-Interessen der Professor*innen entgegenkommenden "Präzisierung" der von ihnen als solche bezeichneten "Reparaturnovelle" zur jüngsten BerlHG-Novelle zurücktritt (und dies auch noch mit der hier auch im Wiarda-Blog genannten Begründung wg. BerlHG). Ob es da wirklich von Verantwortung übernehmen zeugt, wenn man noch bis zum Antritt der bereits gewählten neuen Präsidentin im Herbst übergangsweise einige Monate weiter sein Amt ausübt? Letztlich ist es aber angesichts dieser für mich offensichtlich werdenden Amtsauffassung vielleicht doch ganz gut, dass er seinen Rücktritt erklärte.
Möge die neue Präsidentin ein gutes Gespür für die*den neue*n Vizepräsident*in Haushalt haben (und/oder eine gute, wissenschaftserfahrene Headhunting-Agentur)!