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"Inkonsequent und wirkungsschwach"

Wie die alte Bundesregierung den Aufbruch bei Open Access
verschlafen hat und warum die Ampel jetzt dringend aufwachen muss. Ein Gastbeitrag von Petra Sitte und Simon Weiß.

Illustration: Sumik Kumar / Pixabay.

DIE ERGEBNISSE öffentlich finanzierter Forschung sollten allen zugänglich sein, wissenschaftliche Veröffentlichungen daher nicht hinter Bezahlschranken verschwinden. Das ist der Kerngedanke von "Open Access", und er ist nicht neu. Doch hat er gerade in den vergangenen Jahren eine besondere Dynamik entfaltet. So verhandeln die deutschen Wissenschaftsorganisationen im Rahmen von "Projekt Deal" mit den Großverlagen über neue Modelle für Zugang und Veröffentlichung.  Auf internationaler Ebene verfolgt ein Konsortium von Forschungsförderern (allerdings ohne deutsche Beteiligung) mit "Plan S" ebenfalls ein ambitioniertes Projekt, um Standards für Open Access zu setzen.

 

Ihnen allen geht es um mehr als nur um die einfache Entscheidung für eine andere Veröffentlichungsform. Mit der Debatte um Open Access ist die Debatte um die Zukunft wissenschaftlicher Publikationssysteme als Ganzes aufgerufen: Welche Rolle werden privatwirtschaftliche Wissenschaftsverlage in Zukunft spielen, mit welchem Geschäftsmodell – und mit welchen Folgen für den Wissenschaftsbetrieb? Kann ein von der Wissenschaft selbst getragenes Publikationssystem jenseits jeglicher Profitinteressen existieren? >>


Petra Sitte ist Sprecherin für Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

Simon Weiß ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Petra Sitte.

Fotos: Nancy Glor/privat.



>> Aus unserer Sicht: ja. Die Chance ist da und sie ist historisch. Aber mit ihr kommt die Gefahr, dass sich die Wissenschaft in neue Abhängigkeiten begibt.

 

Das Dramatische: Während all diese Fragen auf dem Tisch liegen und an allen Enden bereits Tatsachen geschaffen werden, schien sich die alte Bundesregierung seit Jahren im Tiefschlaf zu befinden. Und es ist zu befürchten, dass auch die Ampel nicht aufwachen wird.

 

Versandete Strategie

 

Die letzte überhaupt wahrnehmbare strategische Aktivität stammt aus der vorvergangenen Legislaturperiode einer Bundesregierung: die Open-Access-Strategie des BMBF von 2016. Seitdem gibt es verschiedene Fördermaßnahmen und eine Open-Access-Klausel in den Förderbedingungen des BMBF, die geförderten Projekte die Veröffentlichung unter Open-Access-Bedingungen aufträgt. Das ist alles richtig und gut, wird aber spätestens im Jahr 2022 den Anforderungen an eine strategische Sicht auf das Thema nicht mehr gerecht.

 

Die vorige Bundesregierung hatte große Pläne, aber bei denen blieb es auch. Im Koalitionsvertrag von 2018 wurde eine nationale Open-Access-Strategie angekündigt, mit der unter anderem Open-Access-Klauseln in der Förderung aller Ressorts eingeführt werden sollten – da es ja auch außerhalb des BMBF öffentlich geförderte Forschungsvorhaben gibt. Eine solche Strategie wurde aber nie vorgelegt, Nachfragen danach blieben erfolglos.

 

Als Linke haben wir daher zu Beginn der neuen Legislaturperiode mit Hilfe einer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Als Ergebnis der jetzt vorliegenden umfangreichen internen Unterlagen aus dem BMBF lässt sich festhalten: Auch wenn man dort auf Arbeitsebene ernsthaft bemüht war, das Thema voranzubringen, ist das Vorhaben letztlich am fehlenden politischen Willen gescheitert, tatsächlich ressortübergreifende Vorgaben im Sinne des Koalitionsvertrags zu machen. Somit war nicht mehr möglich als eine Abfrage bei den anderen Ministerien und ein ressortübergreifender Austauschprozess, der allerdings erst Ende 2021 angelaufen ist.

 

Dabei hat diese Abfrage zum Vorschein gebracht, dass das Thema längst nicht in allen Ressorts angekommen ist und Open-Access-Klauseln, wie das BMBF sie vorsieht, keinesfalls Standard sind. Eine interne Bewertung des BMBF fasst das als "inkonsequent und wirkungsschwach empfundene Umsetzung des OA-Ziels" zusammen.

 

Dennoch wurde unter der Ägide der ehemaligen Bundesforschungsministerin Anja Karliczek bewusst darauf verzichtet, über einheitliche Vorgaben nachzudenken, so dass das Ziel einer nationalen Open-Acess-Strategie faktisch "vom Tisch" war. Hier kann man nur von einem politischen Führungsversagen reden: Die alte BMBF-Leitung hat sich das Thema nicht zu eigen gemacht, wie es der Koalitionsvertrag erfordert hätte – und diesen damit sabotiert.

 

Wie weiter?

 

Natürlich muss man hoffen, dass die Ampelkoalition den Faden wieder aufnimmt und das Thema Open Access weiter voranbringt. Doch bereits der Blick in den neuen Koalitionsvertrag ist enttäuschend. Hier ist lediglich zu erfahren, dass man Open Access "stärken" will und "als gemeinsamen Standard etablieren" (für wen?). Weit weniger konkret als das, was im vorhergehenden Koalitionsvertrag vereinbart  und dann nicht gehalten worden war. Auf unsere explizite Nachfrage will sich die neue Bundesregierung auch nicht dazu bekennen, die 2017 von ihren Vorgängern formulierten Ziele weiten. zu verfolgen. Wo die letzte Bundesregierung gescheitert ist, schafft es die neue nicht einmal mehr zu Bekenntnissen.

 

Dabei ist der erfolglose Versuch, sich auf einheitliche Forschungsklauseln zu einigen, nur symptomatisch für ein allgemeines politisches Desinteresse an Open Access. Es zeigt sich auch daran, dass das 2014 eingeführte wissenschaftliche Zweitveröffentlichungsrecht von Anfang an kaum praktikabel war. Es sollte ermöglichen, Open Access im Sinne des "grünen" Wegs auch parallel zu einer nicht-offenen Publikation zu schaffen. Und trotz seiner Fehlerhaftigkeit wurde es seitdem in zwei großen Reformpaketen des Urheberrechts nicht nachgebessert.

 

Wer schon an solchen Einzelfragen scheitert, kann sich nicht strategisch zu einem in Umwälzung begriffenen Wissenschaftsbetrieb verhalten. Keiner verlangt oder erwartet von der Bundesregierung, dass sie diese Transformation steuern soll.  Aber wenn Wissenschaftseinrichtungen und -organisationen, die Länder und die internationalen Akteure Schritte nach vorn gehen, wäre es wünschenswert, dass die Bundesregierung sich zumindest Gedanken macht. Darüber, wie das wissenschaftliche Publikationssystem in zehn oder 20 Jahren aussehen kann – und welche Rolle sie selbst auf dem Weg dahin spielen sollte.



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Kommentare: 2
  • #1

    René Krempkow (Mittwoch, 27 April 2022 18:14)

    Danke für diesen klaren Standpunkt. Wenn ich das noch halbwegs richtig in Erinnerung habe, dann kann man nach dem von Ihnen erwähnten 2014 eingeführten Zweitveröffentlichungsrecht ein halbes Jahr nach Erstveröffentlichung eine nicht-offene Publikation als auch Autor selbst als OA-Publikation ins Web stellen (idealerweise in entspr. Repositorien) - sofern mit dem Verlag der Erstpublikation nichts anderes vereinbart wurde.

    Dies empfinden viele im mir bekannten wiss. Umfeld persönlich durchaus als praktikabel bzw. zumindest praktikabler als zuvor. Und es wird auch schonmal bei Verlagen mit "Knebelverträgen" nicht oder nur einmal und nie wieder publiziert, insbesondere von Personen, die nicht nur um der Publikation selbst willen veröffentlichen, sondern die eine Weiterentwicklung des jeweiligen Feldes mit anstoßen wollen und daher Wert auf eine breitere Diskussion mittels Zugänglichkeit über kostenfreie Online-Publikationen nach einer gewissen "Schonfrist" legen.

    Deshalb wäre ich daran interessiert zu erfahren: Wo sehen Sie im Einzelnen die Unpraktikabilität und Fehlerhaftigkeit, und welche konkreten Vorschläge hätten Sie zu deren künftiger Vermeidung? (Falls Sie dazu detaillierte Ausführungen an anderer Stelle haben, gern auch hier einfach als Link!)

  • #2

    Open Access zeigt, wer Geld hat und wer nicht (Donnerstag, 28 April 2022 08:13)

    Open Access ist unendlich teuer für die Wissenschaftler*innen. Bis zu 4.000 € werden pro Artikel fällig. In Zeiten knapper Kassen ist es da schwierig. Open Access publiziert, wer es sich leisten kann. Da entsteht dann auch eine Schieflage. Gerade Promovierende oder auch Postdocs, die über keine eigenen Budgets verfügen, haben keine Chance.