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Und, geht das mit der Maskenpflicht?

Zwei Gerichtsverfahren, zwei unterschiedliche Entscheidungen: Warum in Marburg ein Student jetzt ohne Mund-Nasen-Schutz in die Uni darf und ein anderer in Mainz weiter nur mit Maske Zutritt hat. Ein Gastbeitrag von Sibylle Schwarz.

Sibylle Schwarz ist Rechtsanwältin und kümmert sich in der Wiesbadener Kanzlei "else.schwarz" vor allem um Schul- und Verwaltungsrecht. Foto: privat.

IM NEUEN INFEKTIONSSCHUTZGESETZ ist sie nicht mehr enthalten, viele Schulen und Hochschulen haben sie dennoch weiter angeordnet: die Maskenpflicht für Schüler, Studierende und Lehrende. Was die einen erleichtert zur Kenntnis nahmen, löste bei anderen Empörung aus. Etliche entschieden sich gar, gegen die Regelungen vor Gericht zu ziehen. Aber ob sie damit Erfolg haben würden?

 

Jetzt liegen erste Gerichtsbeschlüsse vor: aus Rheinland-Pfalz und aus Hessen. Beide kommen auf den ersten Blick zu unterschiedlichen Ergebnissen. So lehnte das Verwaltungsgericht Mainz (Beschluss vom 26. April 2022, 1 L 220/22.MZ) den Eilantrag eines Studierenden ab, der verlangt hatte, ohne Mund-Nasen-Bedeckung Zutritt zur Universitätsbibliothek zu bekommen – obwohl das Präsidium der Johannes-Gutenberg-Universität eine Maskenpflicht für alle Innenräume der Hochschule angeordnet hatte. Während das Verwaltungsgericht Gießen (Beschluss vom 2. Mai 2022, 3 L 793/22.GI) entschied, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs eines Studenten wiederherzustellen, den er bei der Universität Marburg schon erhoben hatte.

 

Um zu verstehen, warum das eine Gericht so, das andere so entscheiden hat, muss man sich die Fälle etwas genauer anschauen. 

 

Zuerst der Blick nach Marburg: Das Verwaltungsgericht Gießen hatte abseits des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) mögliche Rechtsgrundlagen für die Anordnung einer Maskenpflicht in den Gebäuden der Universität geprüft: Sozialgesetzbuch in Verbindung mit Unfallverhütungsvorschriften, die Corona-Arbeitsschutzverordnung und das Hausrecht des Präsidenten. Sie alle kämen als Rechtsgrundlage nicht in Frage, befanden die Richter. Eingriffe in subjektive Rechte bedürften einer sie rechtfertigenden Grundlage in einer Vorschrift des objektiven Rechts. Jede solche Rechtsgrundlage wiederum verfolgten ihren ganz eigenen Zweck. An diesem seien dann jegliche Ermessensentscheidungen der Behörde oder allgemein der Verwaltung auszurichten. 

 

So seien Unfallverhütungsvorschriften dazu da, einen individuellen Unfall möglichst zu verhindern. Hingegen diene das IfSG der Verhinderung von unzähligen Infektionen in Deutschland, die das Gesundheitssystem lahmlegen könnten. Der bisherige Titel des IfSG "Seuchengesetz" ist hier, wenn man dem Gericht folgt, deutlich aussagekräftiger hinsichtlich des Zwecks.

 

Die Masken-Anordnung werde sich voraussichtlich als rechtswidrig erweisen, befindet das Gericht in Gießen

 

Nur wer den Zweck des Gesetzes kennt, könne daran ausgerichtet eine fehlerfreie und damit zulässige Ermessensentscheidung treffen. Sie sei auch zu begründen. Zudem gelte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser verlange, dass zur Erreichung eines legitimen Zwecks das gewählte Mittel geeignet, erforderlich und angemessen ist. Wörtlich heißt es im Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen: "Allerdings wird sich nach der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die in der vorgenannten Verfügung geregelte Maskenpflicht voraussichtlich als rechtswidrig erweisen." 

 

Die Universität berufe sich auf das Sozialgesetzbuch, diese berechtigte die Universität jedoch nicht zur Regelung einer Maskenpflicht gegenüber ihren Studenten. Tatsächlich ermächtige der Paragraf den Unfallversicherungsträger, in diesem Fall die Unfallkasse Hessen, eine Unfallverhütungsvorschrift zu erlassen. "Gleiches gilt im Ergebnis im Übrigen für Paragraf 2 Corona-Arbeitsschutzverordnung, den die Antragsgegnerin in Bezug auf ihre Mitarbeiter anwendet. Die Vorschrift betrifft offensichtlich privatrechtliche Arbeitsverhältnisse und enthält denknotwendig keine Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten gegenüber Studenten."

 

Ob die Anordnung über das Hausrecht möglich gewesen wäre? "Hat die Kammer vorliegend nicht zu entscheiden", heißt es zwar im Beschluss. Doch fügt das Gericht schnell hinzu: Es sei fraglich, ob die per Hausrecht festgesetzte Maskenpflicht überhaupt bekannt gemacht werden könnte in den Uni-Gebäuden. Jedenfalls ersetze die von der Antragsgegnerin lediglich benannte Veröffentlichung der amtlichen Mitteilungen im Internet nicht die herkömmliche Bekanntmachung.

 

Direkte Folgen für
andere Studierende: keine

 

Welche Folgen hat die Gießener Entscheidung für die übrigen Studierenden an der Universität Marburg? Kurz gesagt: keine. Zumindest keine direkten. Denn der Student hatte nur persönlich und individuell Widerspruch gegen die von der Universität angeordnete Maskenpflicht eingelegt – weshalb es sich auch dann nur um einen individuellen Rechtsstreit zwischen Student und Universität handelte. Entsprechend gilt auch die Entscheidung nur für den Einzelfall. Anders war es, wenn in der Vergangenheit gegen eine in einer Landesverordnung enthaltene Maskenpflicht geklagt wurde im Rahmen einer sogenannten Normenkontrolle vor den Oberverwaltungsgerichten. Wurde die Verordnung eines Bundeslandes nach Prüfung des Oberverwaltungsgerichts vorläufig außer Vollzug gesetzt, galt dies für "alle".

 

Und wie argumentiert das Verwaltungsgericht Mainz in seinem Beschluss?

Um diese Frage zu beantworten, muss man sich auch hier zunächst die Art der Anordnung der Maskenpflicht ansehen. Diese stützt die Universität Mainz auf das Hausrecht gemäß Paragraf 80, Absatz 3, Satz 1 des Hochschulgesetzes, und zwar in Verbindung mit der Corona-Arbeitsschutzverordnung in der Fassung vom 17. März). Diese Corona-Bundesverordnung  gilt – wie viele andere (Landes-) Verordnungen auch – immer nur für wenige Wochen. In der Verordnung selbst ist ein Enddatum genannt, danach sind die Regelungen nicht mehr gültig.

 

Über nicht mehr gültige Regelungen fällt das Gericht keine Entscheidung. Eine Situation, die in der Corona-Pandemie mit dreiwöchiger Laufzeit von (Landes-) Verordnungen häufig anzutreffen war. Mit diesem Aspekt des Ablaufs musste sich das Gericht aber gerade in einem Eilverfahren (= vorläufiger Rechtsschutz) wie diesem befassen, weil bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Verordnung schon längst abgelaufen wäre. "Dabei", schreibt das Gericht, "ist es unerheblich, dass die Anordnung keine formale Befristung enthält, da mit dem (teilweisen) Wegfall der Rechtsgrundlage eine Zäsur eintritt, die eine erneute Prüfung der Maßnahmen erforderlich machen dürfte."

 

Das Verwaltungsgericht Mainz drückt sich allerdings – anders als das Verwaltungsgericht Gießen – um einen echten Richterspruch zu der Rechtsgrundlage herum. "Abschließend bedarf auch die Frage keiner näheren Erörterung, ob die Maskenpflicht nur auf Grundlage des § 2 Corona-ArbSchV (ggf. in Verbindung mit dem Hausrecht) angeordnet werden oder davon losgelöst aus einer allgemeinen Fürsorgepflicht gegenüber Beschäftigten und Studierenden (hausrechtlich) erfolgen konnte."

 

"Kein unzumutbarer Nachteil", der vorläufigen Rechtsschutz rechtfertigt, sagen die Richter in Mainz

 

Auf welcher Rechtsgrundlage die Maskenpflicht denn nun zulässigerweise ergehen dürfe, bedarf dem Verwaltungsgericht Mainz deshalb keiner abschließenden Erörterung, weil hier der antragstellende Studierende nämlich nicht aufgezeigt habe, dass es ihm unzumutbare Nachteile beschwere, wenn er keine Maske in der Bibliothek trage und deswegen ihm der Zutritt zu den Räumen verweigert wird.  

 

Das Verwaltungsgericht Mainz führt aus: "Die Verpflichtung zum Tragen einer Maske während des Aufenthaltes in einer Bibliothek ist ohne das Hinzutreten weiterer Umstände kein unzumutbarer Nachteil, der die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigt. Es ist zudem nicht ersichtlich, dass der Antragsteller durch die Maskenpflicht in seiner allgemeinen Studienorganisation wesentlich eingeschränkt wäre; auf eine Beeinträchtigung seiner Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) beruft er sich auch nicht ausdrücklich." Mit anderen Worten: Eine Vorschrift schlicht blöd zu finden, reicht in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes also nicht aus. 

 

Abschließend die beiden Verfahren in der Gesamtschau: Der Student vor dem Verwaltungsgericht Mainz "wollte etwas haben", nämlich vorläufigen (einstweiligen) Rechtsschutz. Dazu muss ein Bedürfnis auf dessen Gewährung bestehen. Dieses Bedürfnis ist anzunehmen, wenn ohne den vorläufigen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, später nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden. Diese schweren und unzumutbaren Nachteile hat der Studierende nicht aufgezeigt. Daher durfte das Verwaltungsgericht Mainz den zweiten Prüfungspunkt "Rechtsgrundlage" offen lassen.

 

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Gießen hat der Student bei der Universität Marburg selbst bereits Widerspruch eingelegt. Es ging es daher ausschließlich um die Frage der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs, die andere Seite der Medaille ist die Vollziehung von Vorschriften durch die Universität. In einer solchen Fragestellung wird lediglich eine grobe Einschätzung auf den Ausgang einer Hauptsacheentscheidung vorgenommen. Ist einer Prognose folgend die Vorschrift in der Hauptsache als wahrscheinlich rechtswidrig einzustufen, so hat die Universität kein sogenanntes Vollziehungsinteresse und der Student erhält spiegelbildlich die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs. Wie in diesem Fall geschehen. Auf einen Nachteil kam es hier nicht an.

 

Korrektur: Im Text war ursprünglich von den Universitäten Mainz und Gießen die Rede. Tatsächlich waren es aber die Universitäten Mainz und Marburg – das Verwaltungsgericht, das über den Marburger Fall entschieden hat, befindet sich lediglich in Gießen. Ich bitte um Entschuldigung!




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