Am Dienstag haben die Länder ihren Zwischenbericht zum Corona-Aufholprogramm veröffentlicht – und damit den besten Beleg geliefert, warum sich im Bildungsmonitoring dringend etwas ändern muss. Genau das forderten zeitgleich führende Bildungsforscher in einer Stellungnahme.
EINE MILLIARDE EURO steckt allein die Bundesregierung in das Aktionsprogramm "Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche". Heute haben die Kultusminister einen Zwischenbericht eröffnet, der alle bis zum 31. März 2022 damit ergriffenen Maßnahmen der Länder aufführt. Sie reichen von Sommer-Lerncamps über Schwimmanfänger-Kurse und, ja, den "Ausbau der Niederdeutsch- und Saterfriesischförderung" bis hin zur Ausbildung von Schülern zu Lese-Scouts. Fast 200 unterschiedliche Programme und Projekte insgesamt. Im Schnitt ein Dutzend pro Bundesland. Doch wer glaubt, auf den 126 Seiten Tabellen und Text Hinweise für den Erfolg der einzelnen Maßnahmen zu finden, der irrt. Dazu macht der Zwischenbericht keinerlei Aussagen. Wird der Abschlussbericht aber auch nicht, denn in vielen Projekten ist eine Evaluation nicht vorgesehen. Erst recht keine nach schon vorher festgelegten qualitativen Kriterien. Selbst wie viele Schüler in Summe pro Bundesland oder bundesweit von dem Programm profitieren, wird nicht angegeben.
Und genau das, sagen die beiden Ko-Vorsitzenden der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz, sei typisch für Deutschlands Bildungspolitik. "Der Zwischenbericht dokumentiert vor allem eines: die enorme Heterogenität der Maßnahmen", sagt die Schulpädagogik-Professor Felicitas Thiel von der Freien Universität Berlin. Wirkungsanalysen könne man jetzt nicht mehr machen, "denn dafür hätte man vorab die Ziele genauer definieren und Erfolgsindikatoren festlegen müssen." Olaf Köller, Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN), ergänzt, im Detail gebe es allerdings große Unterschiede zwischen den Ländern. "Einige haben das Geld klüger eingesetzt als andere, indem sie eine vernünftige Begleitforschung vorgesehen haben – so wie wir es ihnen als SWK empfohlen hatten."
Mahnungen der Forscher
in den Wind geschlagen
Das war im Juni 2021. Die SWK existierte damals seit kaum einen Monat, als sie bereits ihre erste Empfehlung vorlegte. So groß waren die Bedenken der Bildungsforscher angesichts dessen, was die Länder eilig an Maßnahmen zusammengezimmert hatten, nachdem der Bund ihnen im April 2022 den Milliardenzuschuss in Aussicht gestellt hatte. "Unsere Empfehlung gibt ihnen die Möglichkeit, diese Programme und Konzepte noch einmal zu schärfen", sagt Köller damals angesichts der Vielzahl der angekündigten, häufig keiner klaren Strategie folgenden Projekte.
Es sieht nicht so aus, siehe die Auflistung im Zwischenbericht, als hätten die meisten Länder die ihnen gebotene Chance genutzt. Auch die damalige Hauptforderung der SWK, "das wenige Geld, das da ist, auf diejenigen Kinder und Jugendlichen zu konzentrieren, die es wirklich brauchen" (Köller), schlugen die meisten Kultusminister in den Wind. Und so, wie sich viele Ministerien nicht bei der Auswahl der Maßnahmen durch die Wissenschaft beraten ließen, vernachlässigten sie auch die Vorbereitung einer systematischen Evaluation.
Heißt das, dass die Milliarde zwangsläufig verpufft? Nein, sagen Thiel und Köller. "Aber es wird in vielen Fällen bedeuten, dass wir es nicht genau wissen werden", sagt Köller. "Weshalb die Bildungspolitik auch nichts davon wird lernen können."
Die ernüchternden Erfahrungen der Bildungsforschung mit dem Aufholprogramm hatten denn auch fraglos einen entscheidenden Anteil am Zustandekommen des neusten Impulspapiers der SWK, das die Wissenschaftler – ein Zufall? – ebenfalls heute veröffentlicht haben. Darin kritisieren sie, dass in Deutschland zwar "zahlreiche Programme" existierten, um den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen zu steigern und soziale Ungleichheiten zu reduzieren, dass deren Wirkung jedoch "häufig kaum geprüft" werde. Weshalb die SWK die "Entwicklung von Leitlinien für das Monitoring und die Evaluation von Förderprogrammen im Bildungsbereich" empfehle.
"Große Skepsis gegenüber
der empiriebasierten Forschung"
Gemeint sei ein Monitoring "auf der Basis aussagekräftiger Indikatoren" und beruhend auf der "Nutzung methodischer Verfahren" – ähnlich, wie es in den USA, aber auch in Österreich und anderen Länder längst üblich sei. Und hierzulande in anderen Politikfeldern wie der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. In der Bildungspolitik auf Bundes- und Länderebene sei dies bislang hingegen "kaum etabliert."
Entscheidend sei für das Funktionieren eines solchen Monitoring, dass die Bildungsforschung schon vor Beginn von Programmen, also "ex ante", einbezogen werde, um zu analysieren, welche Bedarfe wo tatsächlich vorhanden seien und welche Maßnahmen deshalb ergriffen werden sollten. Zu der Entwicklung der Maßnahmen gehörten dann auch gleich die "Definition und Operationalisierung von Output-, Prozess- und Kontextindikatoren", heißt es im neuen SWK-Impulspapier, das als ersten Schritt in diese Richtung einen Workshop vorschlägt, den die KMK gemeinsam mit SWK unter Einbeziehung des Bundes ausrichten solle.
Klingt alles logisch und stimmig. So sehr, dass man sich fragt, warum die Bildungspolitik nicht schon längst in diese Richtung unterwegs ist, warum sie, im Gegenteil, immer wieder entsprechende Forderungen der Wissenschaft ignoriert hat.
Felicitas Thiel sprach heute von "einer großen Skepsis und Vorbehalten gegenüber der empiriebasierten Forschung", die bei Teilen der Lehrkräfte, der Bildungsadministration, aber auch in der universitären Pädagogik selbst vorhanden sei. Aber eben nicht überall gleichermaßen: Köller nannte explizit Bildungspolitiker wie Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) und Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), die sich stark für eine evidenzbasierte Bildungspolitik einsetzten. "Davon würden wir uns mehr wünschen."
Zugute halten muss man den Kultusministern auch, dass sie mit der SWK (obgleich, wenn man sich deren Vorgeschichte ansieht, nicht ganz freiwillig) ein Gremium gegründet haben, das ihnen wie heute immer wieder den Spiegel vorhält. Was es denn auch wahrscheinlicher macht, dass diese x-te Mahnung der Bildungsforschung nicht ganz so schnell verpuffen wird wie all die vorhergehenden. Den geforderten Workshop, teilten Thiel und Köller mit, habe die Kultusministerkonferenz ihnen schon zugesagt.
"Blaupause" für weitere Bund-Länder-Programme?
Während die Bildungsforscher eine Monitoring-Wende forderten, drückten sich die Bildungspolitiker um Aussagen zur Wirksamkeit des Aufholprogramms herum. "Ausweislich des Zwischenberichts der Länder" seien mit der Bundesmilliarde "eine Vielzahl von Aktivitäten zu den gemeinsam vereinbarten Maßnahmen möglich gemacht" worden, sagte Bundesbildungs-ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). "Nun sollten wir die Anstrengungen bei der Umsetzung weiter erhöhen."
Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, Koordinator der Bildungspolitik in Ländern mit SPD-Regierungsbeteiligung, sagte: Um Corona-Rückstände aufzuholen und allen Schülern eine erfolgreiche weitere Bildungslaufbahn zu ermöglichen, hätten Länder und Kommunen "umfangreiche und vielversprechende Förderangebote geschaffen. Gleichwohl bedarf es eines langen Atems, bis die Corona bedingten Folgen überwunden werden können".
Schleswig-Holstein Bildungsministerin Karin Prien (CDU), die zurzeit auch KMK-Präsidentin ist, verwies auf das zusätzliche Personal, das über das Bundesprogramm, aber auch über verschiedene Landesprogramme in die Schulen gekommen seien. "Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland sorgen gemeinsam mit vielen anderen unterstützenden Kräften und Professionen an den Schulen dafür, dass die Schülerinnen und Schüler gut aus der Pandemie kommen."
Währenddessen sieht Hessens Kultusminister Alexander Lorz, der die CDU-Bildungspolitik koordiniert, in der von Bildungsforschern so kritisch beäugten Systematik des Corona-Aufholprogramms (es wird über zusätzliche Umsatzsteuer-Anteile für die Länder finanziert) sogar eine "Blaupause für weitere Programme", mit denen Aufgaben im Bildungsbereich künftig finanziert werden können" – und den Zwischenbericht als "eindrucksvollen Beleg" dafür.
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Dominik Esch (Mittwoch, 11 Mai 2022 09:53)
Es gibt Mentoringprogramme, die sich schon seit vielen Jahren messen lassen. Balu und Du ist seit vielen Jahren nachweislich erfolgreich in der außerschulischen Förderung von Grundschulkindern tätig. Diese Förderung zeigt sehr positive Effekte für die weitere Schullaufbahn der Patenkinder. Wir koordinieren ein Netzwerk aus Hochschulen, weiterführenden Schulen und Wohlfahrtsverbänden. Von dort gewinnen wir Mentorinnen und Mentoren für Grundschulkinder. Mehr Informationen über messbare Wirkung und Mitmachmöglichkeiten finden Sie in den Links: https://www.balu-und-du.de/fileadmin/user_upload/Wirkung/BuD_91_Factsheet_Wirkung_2022.pdf; https://www.balu-und-du.de/programm/standortgruendung-1; https://www.eleven.ngo/media/pages/media/298d5edb70-1614875819/eleven_policy_paper_mentoring.pdf
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Dr. Dominik Esch
Geschäftsführender Vorstand
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