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Jenseits des akademischen Tellerrands

Alle reden von Transfer in der Forschung. Wie aber geht eigentlich Transfer in der Lehre? Ein Gastbeitrag von Albert Kümmel-Schnur, Johanna Vogt, Karin Bürkert, Matthias Möller und Sibylle Mühleisen.

Stolpersteine in einem Gehwegpflaster (Symbolbild). Foto: Hans Braxmeier / Pixabay.

RAPHAELA BREISCH UND PIA EMMRICH, Studentinnen an der Uni Konstanz, freuen sich. Ihre Arbeit zu den 'Euthanasie' genannten Ermordungen geistig Behinderter in der Tötungsanstalt Grafeneck bei Tettnang hat dazu geführt, dass der Tettnanger Gemeinderat die Setzung eines ersten Stolpersteines diskutiert. Für die beiden Studentinnen ist das ein großer Erfolg: ihre aufwändige wissenschaftliche Recherchearbeit im Rahmen eines Lehrprojektes zur Neugestaltung des Tettnanger Stadtmuseums führte rasch zu einer politischen Diskussion und vielleicht, das zu glauben gibt es jeden Grund, zu einer Veränderung des öffentlichen Erscheinungsbildes Tettnangs.

 

Ein typisches, aber auch besonders eindringliches Beispiel für Hochschullehre an der Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Arbeit und gesellschaftlicher Relevanz. Eines, das die Studierenden motiviert und gleichzeitig persönlich voranbringt. Das Besondere an solchen Projekten des Lehrtransfers ist, dass sie nicht im Schutzraum Hochschule verbleiben, sondern die Hochschulen hierfür mit externen Partnern kooperieren.

 

Auch Lehrende, so konnte jüngst eine Umfrage des "Verbunds transferorientierter Lehre Baden-Württembergs" und des ebenfalls in Baden-Württemberg angesiedelten Strategieverbunds "KulturWissen vernetzt" festhalten, erfahren die Zusammenarbeit mit nicht-akademischen Partnern – Gemeinden, Museen, Vereinen – als sehr befriedigend. Das darf auch als wissenschaftspolitischer Erfolg gewertet werden: Seit 2016 sind Hochschulen in Deutschland aufgefordert, sich auch im gesellschaftlichen Raum zu engagieren. Transfer in Forschung und Lehre ist seitdem aus akademischen Strategiepapieren nicht mehr wegzudenken.

 

Lehre muss auch
scheitern dürfen

 

Allerdings kommt es dabei, gerade in der Lehre, auch manchmal zu Reibungsverlusten. Davon zeugt der Anruf des Intendanten eines deutschen Stadttheaters beim Leiter eines studentischen Videoprojektes. "Sie haben verhindert, dass wir zum Theatertreffen eingeladen werden!", schreit er in den Hörer. Was ist passiert? Studierende waren im Rahmen eines Lehrprojektes aufgefordert, kleine Videos von Inszenierungen zu machen. Das hatte in einem Fall nicht zum gewünschten Erfolg geführt: Ein Student hatte seine Arbeit nicht termingerecht abgegeben. Alltag in der Lehre. Für den nicht-akademischen Partner der Ausfall einer Leistung, auf die er sich verlassen hatte. Offenbar waren hier zu Projektbeginn wechselseitige Erwartungen und Produktionsbedingungen nicht gut abgestimmt worden. Lehre, das ist jedem an einer Hochschule Arbeitenden klar, muss scheitern dürfen. Sonst wäre es ja keine. Der Theaterintendant meinte indes, eine einklagbare Dienstleistung wie bei einer Medienagentur bestellt zu haben.

 

Die Umfrage der beiden lehrtransferbezogenen Verbünde zeigt deutlich, dass akademische und nicht-akademische Partner häufiger solchen Missverständnissen aufsitzen. Hochschulen sehen die Chancen, verstehen aber nicht immer die Grenzen, die außerakademischen Partnern aufgrund ihrer Arbeitsabläufe und Organisationsstrukturen gesetzt sind. Dass nicht jede:r beglückt die Arme öffnet, wenn Studierende in etablierte Funktionsabläufe integriert werden sollen, ist nachvollziehbar. Dabei kommt es allerdings sehr darauf an, mit wem man kooperiert. Ein Café für Geflüchtete oder ein ehrenamtlich geführtes Museum haben oft ein höheres Interesse an Unterstützung, aber auch nicht viel Zeit zur Einarbeitung und Begleitung. Was wiederum, wenn die Chemie stimmt, ein Vorteil für engagierte Studierende und Lehrende sein kann. Stimmt sie nicht, kann hier viel energetischer Abrieb entstehen und Frust.

 

Umgekehrt weiß jedoch auch nicht jeder externe Partner, wie eigentlich ein Seminar abläuft. Was von Studierenden erwartet wird, welche Fristen einzuhalten sind, was überhaupt zurecht erwartbar ist etc. Auch hier besteht also Nachholbedarf: Nicht nur die finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen müssen stimmen, damit Lehrtransfer funktioniert, sondern auch die Rollen der Beteiligten und ihr Selbstverständnis sind unabdingbar für einen Erfolg.

 

Checklisten und
Zielvereinbarungen

 

Wie könnte man das Verständnis der Kooperationspartner füreinander verbessern? Die Teilnehmenden des Workshops "Mission Possible? Gesellschaftliche Transformation als akademische Netzwerkaufgabe" machten folgende Vorschläge:

 

o Checklisten für die Partner, die im Vorfeld abzuarbeiten sind;

 

o möglichst große Präsenz des externen Partners schon in der Seminarplanung und im Seminar;

 

o klare und transparent diskutierte Zielvereinbarungen vor Projektbeginn

 

o eine Aufwandsabschätzung und ggf. Anpassung der realistisch erreichbaren Projektziele.

 

Als große Probleme wurden unterschiedliche technische Standards, das Fehlen gemeinsamer Kommunikationskanäle und immer wieder die ganz unterschiedlichen Auffassungen der benötigten Zeit zur Erarbeitung von Projektzielen genannt.

 

Doch auch die Hochschulen könnten, so meinen die Teilnehmenden der Umfragen, etwas zur Verbesserung der Situation solcher Projekte tun. Alle begrüßten die Einführung zentraler Unterstützungseinrichtungen, die inhaltlich beraten und begleiten können, aber auch mit entsprechenden Finanzmitteln ausgestattet sind. Lehrtransfer ist energetisch und zeitlich sehr aufwändig. Wollen Hochschulen, dass sich in Zukunft weiter engagierte Lehrende und begeisterte Studierende auf einen Weg aus den Mauern der Academia hinauswagen, müssen sie stabile Unterstützungs-, aber auch Anerkennungsstrukturen etablieren.  

 

Ist das also eine mögliche Mission? Wir würden sagen, diese Mission ist nicht nur möglich und machbar, sondern auch ein notwendiger Teil der Veränderung des Verhältnisses von Hochschulen und Gesellschaft.

 

Sibylle Mühleisen und Albert Kümmel-Schnur bilden das Team "Transfer Lehre" an der Universität Konstanz und die Geschäftsstelle des "Verbunds transferorientierter Lehre Baden-Württembergs". Karin Bürkert (Universität Tübingen) und Matthias Möller (Universität Freiburg) koordinieren den Strategieverbund "KulturWissen vernetzt". Johanna Vogt von der Stabsstelle Qualitätsmanagement an der Universität Konstanz hat die Projektgruppe bei der Befragung unter den beteiligten Transfer-Projektpartner*innen unterstützt. 



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