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Großer Aufwand für wenige Vertragsmonate

Die Erkenntnisse der offiziellen Evaluation des WissZeitVG sind wichtig. Das gilt allerdings auch für die Fragen, die sie auslässt. Ein Gastbeitrag von Lisa Janotta und Tilman Reitz.

Foto: form/Pxhere, CCO.

DIE VOM BMBF beauftragte Evaluation des 2016 erneuerten Wissenschaftszeitvertragsgesetzes beantwortet eine begrenzte Frage mit großer Detailtiefe. Gemäß Ministeriumsvorgabe hat die Studie "Erkenntnisse über die Vertragslaufzeiten" befristet beschäftigten wissenschaftlichen Personals "sowie über die Gestaltung der individuellen Vertragsdauer in der Praxis" gewonnen. So sollte vor allem geprüft werden, ob die mit der Novelle bezweckte Reduktion extremer Kurzzeitbefristungen erreicht worden ist.

 

Weitere Fragen wurden dezidiert ausgeschlossen, da sie nach Ansicht der Autor*innen vom HIS-Institut für Hochschulentwicklung und der InterVal GmbH "weit über den Wirkungsrahmen des WissZeitVG" hinausreichten. Das Kernthema wurde dagegen mit einer Erhebung von Verwaltungsdaten und ergänzenden Befragungen umfassend untersucht. Wir haben die Ergebnisse näher betrachtet und mit einer eigenen Evaluation verglichen, die aus unserem Netzwerk hervorgegangen ist. Zu dieser alternativen Evaluation hatten wir uns entschlossen, weil uns schon in der Ausschreibung die Fragestellung des BMBF deutlich zu eng schien.

 

Uns interessiert daher nicht nur, inwiefern die offizielle Evaluation unsere eigenen, für das WissZeitVG eher ungünstigen Ergebnisse bestätigt und was sie darüber hinaus ans Licht bringt, sondern auch, welchen politischen Effekt sie mit ihrer begrenzten Fragestellung erzeugt. 

 

Einsichten: Kurzzeitverträge, Qualifikationsfassaden, nichtnachhaltige Verbesserung

 

In einem wichtigen Punkt konnten wir aus der offiziellen Evaluierung hinzulernen: Die Realität, die sie aus den Verwaltungsdaten rekonstruiert, sieht noch dramatischer aus, als es unsere umfragebasierte Erhebung erkennen lässt. Im Vergleich mit unseren Daten belegt die InterVal/HIS-Studie nicht nur durchschnittlich niedrigere Vertragslaufzeiten, sondern auch deutlich mehr Kurzzeitverträge. Laufzeiten von weniger als einem Jahr bilden ihr zufolge weiterhin einen festen "Sockel" wissenschaftlicher Beschäftigung in Deutschland, im Fall der Universitäten etwa "ein Drittel […] der befristeten Arbeitsverträge, die innerhalb eines Jahres abgeschlossen werden".

 

Zudem stellt die vom BMBF beauftragte Evaluation (ähnlich wie zuvor Freya Gassmann und wir) verlängerte Laufzeiten nach der WissZeitVG-Novelle 2016 fest, bemerkt aber, dass sich der Trend in den letzten Jahren wieder umgekehrt hat. Während der Anteil der Dreijahresverträge seit einem Höchststand von 2017 wieder deutlich gesunken ist, hat die Zahl kürzerer und sogar "unterjähriger" Verträge wieder zugenommen. Es ist also zu befürchten, dass das novellierte WissZeitVG nur einen kurzfristigen psychologischen Effekt hatte.

 

In anderen Punkten unterscheiden sich die Ergebnisse nur in der Formulierung. Die InterVal/HIS-Evaluation ist wie wir darauf gestoßen, dass die Laufzeiten befristeter Verträge den Beschäftigten zumeist nicht ausreichend erscheinen, um das Ziel der Befristung, die Qualifizierung zu erreichen: 39,5 Prozent der entsprechend "Beschäftigten halten es für realistisch, innerhalb der Laufzeit des aktuellen Arbeitsvertrags das vereinbarte bzw. verfolgte Qualifizierungsziel zu erreichen", 49,6 Prozent jedoch nicht. Wir hatten eindeutiger nur danach gefragt, ob die Vertragslaufzeit angemessen sei, um das vereinbarte Ziel zu erreichen, aber ganz ähnliche Antworten erhalten: 47 Prozent unserer Befragten antworteten mit "Nein", nur 38 Prozent mit "Ja".

 

In beiden Studien zeigt sich auch deutlich die Problematik, dass Wissenschaftler*innen, die längere Zeit an Universitäten arbeiten, eine große Anzahl Verträge ansammeln: "Im ersten Jahr", so die offizielle Evaluation, "erhält man im Durchschnitt 1,1 Verträge, wenn man acht Jahre und länger dabei ist, steigt die Vertragszahl auf sieben bis acht im Mittel." Unsere eigene Erhebung hat ähnliche Ergebnisse; schon bei den insgesamt drei bis sechs Jahre Beschäftigten kommen durchschnittlich vier Verträge zusammen. Die offizielle Evaluation nutzt jedoch nicht den einschlägigen Begriff der Kettenbefristung, um diese Anhäufung zu analysieren – sie schreibt nur dem WissZeitVG die Absicht zu, mit seiner Begrenzung der Gesamtbefristungszeit auf zweimal sechs Jahre Kettenverträge zu vermeiden.

 

Schlussfolgerungen: Stabiler Befristungskompromiss
oder starker Reformbedarf?

 

Generell sind nicht nur die Erkenntnisse der offiziellen Evaluierung wichtig, sondern ebenso die Fragen, die sie auslässt. Wir haben eine Reihe solcher Fragen gestellt: Inwiefern unterläuft das WissZeitVG arbeitsrechtliche Standards? Wie wirkt es sich auf das Leben der Beschäftigten aus? Was bedeutet es für die Attraktivität und die Qualität professionell betriebener Wissenschaft? Die Antworten können Sie in unserer Evaluation selbst nachlesen.

 

Die InterVal/HIS-Studie ist demgegenüber nicht nur begrenzt, sondern auch unentschieden. Die Unklarheiten, die der Bericht schon in der Analyse erzeugt, verdichten sich in der Bewertung. Kritische Akzente fehlen dort nicht. "Aus der Perspektive der Beschäftigten" wird festgestellt, dass man für eine Promotion eher vier- bis fünfjährige Verträge bräuchte als zwei- oder dreijährige – und für eine Habilitation noch einmal längere. Auch der Umstand, dass Forschungsprojekte kaum Rücksicht auf die Qualifizierungsziele der Beschäftigten nehmen, wird immer wieder berührt, abschließend aber nur höchst unklar als "ein Verhältnis zweier unbestimmter Variablen" zusammengefasst.

 

Im Resultat neigt der Bericht dazu, faktische Kompromisse mit nachhaltigen Lösungen zu verwechseln: "Wie die Evaluation zeigt, haben sich zwei- und insbesondere dreijährige Laufzeiten herauskristallisiert, die die Erwartungen auf den unterschiedlichen Ebenen ([…] Landes- und Einrichtungsebene, Verwaltung, fachliche Betreuung) miteinander verkoppeln und einen gemeinsamen Handlungsrahmen erzeugen." Die Beschäftigtenperspektive ist hier fortgefallen, und kurz darauf wird der Kompromiss des Hochschulmanagements mit sich selbst normativ (vage) bestätigt: "Daraus lässt sich ableiten, diesen Handlungsrahmen zu stärken, im Sinne der Qualifizierungsfunktion weiterzuentwickeln und nachhaltig zu etablieren."

 

Wenn die vom BMBF beauftragte Evaluation das Ziel hatte, den Status quo zu festigen, ohne weitere kosmetische Korrekturen am WissZeitVG auszuschließen, hat sie ihr Ziel erfüllt. Führende Vertreter*innen des Hochschulmanagements haben bereits erklärt, dass sich aus ihr keine eindeutigen Handlungsimpulse ableiten ließen.

 

Anders sieht die Sache aus, wenn man die detaillierten Ergebnisse der Studie in den größeren Kontext stellt, den unsere Evaluation ausgeleuchtet hat: Das WissZeitVG macht atypische Beschäftigung in der Wissenschaft zur Norm, beeinträchtigt neben der Lebensqualität der Beschäftigten auch ihre wissenschaftliche Arbeits- und Kritikfähigkeit, wird von den Betroffenen mit übergroßer Mehrheit abgelehnt – und es hat, wie jetzt die offizielle Evaluation zeigt, selbst in seiner 2016 novellierten Form nicht einmal nachhaltige Schritte in Richtung angemessener Beschäftigungsdauern gebracht.

 

Lisa Janotta ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Rostock. Tilman Reitz ist Professor für Soziologie an der Universität Jena. Beide sind Mitglieder des Netzwerks Gute Arbeit in der Wissenschaft. Eine längere Fassung dieses Gastbeitrages finden Sie hier: https://mittelbau.net/statement-zur-bmbf-evaluation/



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Kommentare: 3
  • #1

    Ein Wissenschaftssoziologe (Mittwoch, 25 Mai 2022 11:08)

    Liebe Frau Janotta, lieber Herr Reitz, mal ganz unabhängig davon, dass man einer empirischen Untersuchung (und die "offizielle" Evaluation ist so eine) nur schwer vorwerfen kann, dass sie keine oder unzureichende Antworten auf Fragen enthält, die gar nicht ihr Gegenstand waren: besteht Ihrerseits die Absicht, Ihre empirische Untersuchung einem Peer Review zu unterziehen? Viele Grüße und herzlichen Dank für Ihren Beitrag hier und mit der "alternativen" Untersuchung.

  • #2

    Ein anderer Wissenschaftssoziologe (Mittwoch, 25 Mai 2022 17:13)

    Das wäre wohl die erste Evaluation, die einem "Peer Review" unterzogen wird. Mir wäre neu, dass es eine solche bei den "offiziellen" Evaluationen jemals gegeben hätte. Sonst wäre einem begnadeten Wissenschaftssoziologen vielleicht aufgefallen, dass die Grundaussage, ein Gesetz zur Befristung von Arbeitsverträgen ermöglicht die Befristung von Arbeitsverträgen, wenig zu dem eigentlich zu evaluierenden Sachverhalt beiträgt: ob ein Sonderbefristungsrecht in Wissenschaft und Forschung seinen vermeintlichen Zweck, die Qualität der Wissenschaft zu steigern, erfüllt. Aber nur zu: Sie können gerne peer reviewen.

  • #3

    Michael Liebendörfer (Donnerstag, 26 Mai 2022 00:13)

    Spannend wäre ja schon gewesen, die nur zwischenzeitlich etwas länger laufenden Verträge genauer zu untersuchen. Ich kenne die Lückenstopferei, bei der man verdiente Mitarbeitende, die über die 6-Jahres-Grenze gekommen sind, zwischen Drittmittelprojekten hin- und herschiebt, weil man nicht einfach noch drei Jahre aus Landesmitteln dranhängen kann. Vielleicht hat die etwas damit zu tun? Geänderte Regeln verlangen ja manchmal nach gesteigerter Kreativität.

    Im Übrigen lassen beide Evaluationsperspektiven außer acht, wie sich das Gesetz für jene auswirkt, die die Wissenschaft verlassen haben. Angesichts des großen Überangebots an wissenschaftlichem Nachwuchs in einigen Fächern regelt das WissZeitVG doch, dass diese Leute nicht dauerbefristet konkurrieren sollen. Anders gesagt: Es sollte denen geholfen haben, die aus der Wissenschaft aussteigen (mussten) und in den Daten einfach nicht mehr auftauchen.