Wie die rot-rot-grüne Koalition in Berlin eine ehrgeizige Personalreform in der Wissenschaft anstieß und jetzt vor den Schwierigkeiten ihrer Umsetzung zu erstarren droht. Ein Gastbeitrag von Larissa Klinzing.
Larissa Klinzing ist Vorstandsmitglied der Landesvereinigung akademischer Mittelbau und der Abteilung Wissenschaft der GEW Berlin. Foto: GEW Berlin.
KURZ VOR DER BESCHLUSSFASSUNG der umstrittenen Novelle des Berliner Hochschulgesetzes am 20. Juni stellt sich die Frage, ob die angekündigte Nachsteuerung des Gesetzes einen Durchbruch zur praktischen Umsetzung des Gesetzes ermöglicht – oder ob sie nur den bekannten "Fuß in der Tür" hält. Zugleich stehen die Durchsetzungsfähigkeit und die Glaubwürdigkeit von SPD, Linken und Grünen auf dem Spiel, die eine strukturelle Reform des wissenschaftlichen Personals angestoßen haben und jetzt vor den Schwierigkeiten derer Umsetzung erstarren.
Mit großem Schwung packte die seit 2016 in Berlin regierende Koalition längst überfällige Problemzonen der Stadt an. Bereits in ihrer ersten Koalitionsvereinbarung setzte sie die ehrgeizigen Ziele, Berlin zum Vorreiter nicht nur für Klima und Stadtentwicklung zu machen, sondern auch für eine moderne, chancengerechte Personalstruktur der Hochschulen. Die Hochschulen sollten ihre wissenschaftlichen Leistungsressourcen verlässlicher fördern, statt sie im unverantwortlichen Umfang zu verschwenden.
Nach langen Zeiten der Kleinreparaturen wurde das Berliner Hochschulgesetz dann in seinen wesentlichen Teilen im September 2021 reformiert. Nicht alle angebotenen Problemlösungen waren geglückt, andere wurden zurückgestellt und müssen in der zweiten Wahlperiode nachjustiert werden. Erheblich erschwert wurde die dringende Reform der Personalstruktur durch eine regelrechte Blockade der Uni-Leitungen, die zu dramatischen Verwerfungen in der Personalpolitik an den Unis im Wintersemester 2021/22 führte.
Unter dem Druck der Zeit, insbesondere im Exzellenzverbund der Berlin University Alliance (BUA), versprach die Koalition, das Gesetz schnell zu präzisieren, um die Umsetzung der neuen Personalreform zu befördern und die Rechtssicherheit bei offenen Fragen zu erhöhen.
Diesem Zweck soll der Senatsentwurf für ein "Gesetz zur Fortschreibung des Berliner Hochschulrechts" (DS 19/0310) dienen. Im Kern geht es hier um die umstrittene Regelung in Paragraph 110, Absatz 6, derzufolge künftig befristet beschäftigte Postdocs auf Haushaltsstellen eine verbindliche Anschlusszusage für eine unbefristete Beschäftigung erhalten müssen, wenn sie die im Arbeitsvertrag vereinbarten Ziele für die zusätzlichen Leistungen erfüllen. Um die notwendigen Voraussetzungen für die neue Personalstruktur zu schaffen, wurden die Fristen für die nötigen Hochschul-Satzungen zum qualitätsgesicherten Zugangsverfahren um ein weiteres Jahr verlängert, so dass diese Regelung erst ab dem 1. Oktober 2023 zur Anwendung kommen kann.
Die Gruppe der potenziell
Betroffenen wird sehr klein sein
Als einen Beitrag zur Rechtssicherheit in der Anwendung von Paragraph 110, Absatz 6 dient der Ausschluss der meisten Promovierten, deren Verträge aus der Zeit vor Inkrafttreten des Gesetzes am 25. September 2021 stammen. Durch das Gesetz selbst sind die Promovierten in Drittmittel-Projekten und in Bundes- und Landesprogrammen ausgeschlossen. Durch die neue Übergangsregelung dazu noch alle Promovierten, die bereits vor dem 1. Oktober 2023 – und sei es nur für einen Tag – an einer Hochschule beschäftigt waren. Somit ist es klar, wie klein die Gruppe der potenziell Betroffenen durch die Präzisierung des Gesetzes sein wird.
So dramatisch diese der Koalition hoffentlich bewussten Folgen sind, stellt die fehlende gesetzliche Klarstellung, wohin die angepriesene Anschlusszusage eigentlich führen soll, ein viel größeres Problem dar. Ihr Fehlen widerspricht der Verpflichtung des Gesetzgebers, die wesentlichen Regelungen im Gesetz selbst zu treffen. Darauf wiesen bereits die ehemalige Brandenburger Verfassungsrichterin Rosemarie Will und Rechtsanwalt Michael Plöse im GEW-Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Paragraphen 110 des BerlHG hin. Diese Übertragung der gesetzgeberischen Verantwortung an die Hochschulen ist nicht nur unzulässig, sondern führt in eine Sackgasse.
Die Hochschulen sollen für die Anschlusszusage nach einem erfolgreichen Tenure Track eine der Qualifikation angemessene Dauerbeschäftigung vereinbaren. Da es genau eine solche Personalkategorie im Gesetz nicht gibt, für die eine zusätzliche Qualifizierung nach der Promotion im Mittelbau notwendig wäre, und die Hochschulen wegen der Lehrverpflichtung und aus anderen Gründen solche nicht freihändig "backen" können, ist diese Regelung im wahrsten Sinne des Wortes nicht zielführend. Die versprochene Rechtssicherheit fehlt in dem zentralen Punkt für die Etablierung einer verlässlichen Perspektive für Hochqualifizierte außerhalb der Professur im Mittelbau. Damit wäre auch die entsprechende Ankündigung im Koalitionsvertrag von 2021 hinfällig.
Zu einer erfolgversprechenden Strategie gehört eine realistische Folgenabschätzung. Bleibt der Gesetzgeber hier auf halbem Weg stehen, würde sich in Berlin kaum etwas qualitativ und quantitativ an der bestehenden Personalstruktur ändern. Als Signal an andere Bundesländer, die ihre Hochschulgesetze reformieren, wäre das äußerst kontra-produktiv.
Der Berliner Weg zur neuen Personalstruktur in den Hochschulen hat viel Resonanz bundesweit und erst recht in den Berliner Universitäten erfahren. Oft sind die Hoffnungen überhöht, die Befürchtungen übertrieben geblieben. Nach den schwierigen Monaten der Blockade entsteht an den Universitäten gerade die Bereitschaft zur Mitarbeit an konstruktiven Lösungen. Diesen Geist muss die Politik unterstützen – mit rechtlichen Schritten und mit dem nötigen zusätzlichen Geld.
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Aus einer Berliner Universität (Mittwoch, 01 Juni 2022 10:54)
Das ist der ca. zehnte Beitrag (in verschiedenen Medien), in dem (a) erst den Berliner Hochschulen vorgeworfen wird, dass sie bei der Umsetzung des §110 aus scheinbar ruchlosen Gründen blockiert haben, um dann (b) genau zu beschreiben, warum der §110 vorher kaum umsetzbar war und es auch nach der "Reparatur" nicht ist.
Aus meiner Sicht folgt aber (a) zwingend aus (b) - man kann so schlampig und kurzsichtig formulierte Gesetzte kaum rechtssicher umsetzen. Das denken wohl auch Teile des Berliner Senats, die gerade die Entfristung von PostDocs mindestens in einigen Fällen blockieren (bzw. die Umwandlung der Stellenkategorien).
Die Hochschulen haben also genau richtig gehandelt. Wäre schön, dass dann auch zuzugeben.