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"Bedrohlich und folgenschwer"

In ihrem Koalitionsvertrag betonten die Ampel-Parteien, wie wichtig internationale Kooperationen in der Wissenschaft seien. Trotzdem will die Regierung den Organisationen, die sie umsetzen, drastisch die Haushalte kürzen. DAAD, Humboldt-Stiftung und Goethe-Institut warnen, Hochschulen und Studierende protestieren.

Drohen "gravierende Schäden" bei den internationalen Kooperationen deutscher Hochschulen mit Partnern in aller Welt? Foto: Jacqueline Macou / Pixabay.

VERGANGENES JAHR war sie in den Ruhestand gegangen, jetzt wollte sich die langjährige Didaktik-Professorin in ein neues akademisches Abenteuer stürzen. Als Gastdozentin an einer südamerikanischen Hochschule, finanziert über ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). "Gerade nach Corona und angesichts der internationalen Konflikte betonen doch alle, wie essentiell die Pflege internationaler Wissenschaftskontakte sind", sagt die 69-Jährige. Umso konsternierter war sie, als sie schon Ende März auf der Website des DAAD unter "Kurzzeitdozenturen im Ausland" den Hinweis fand: "Die finanziellen Mittel für dieses Programm stehen aufgrund von Haushaltskürzungen für das Jahr 2022 leider nicht mehr zur Verfügung." Daher könnten "bis auf Weiteres" keine Bewerbungen mehr eingereicht werden.

 

Haushaltskürzungen beim DAAD? Hatte der Ampel-Koalitionsvertrag nicht betont, "nie" sei internationale Kooperation wichtiger gewesen, weshalb SPD, Grüne und FDP ihr "einen hohen Stellenwert" einräumten? Stand da nicht sogar das Versprechen, die institutionelle Förderung von DAAD und Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH) "analog zum Pakt für Forschung und Innovation zu erhöhen"? Also drei Prozent pro Jahr mehr Grundhaushalt für Deutschlands große wissenschaftliche Austauschorganisationen – und das von jetzt an jedes Jahr, genau wie bei Helmholtz, Max Planck & Co?

 

Ja, das stehe im Koalitionsvertrag, sagt DAAD-Sprecher Michael Flacke. "Stattdessen haben wir im Jahr 2022 und im Jahr 2023 Kürzungen bzw. Kürzungspläne zu verzeichnen." Und das nicht zu knapp. Dieses Jahr senkt das für die DAAD-Grundfinanzierung zuständige Auswärtige Amt seine Zahlungen um acht auf nur noch 193 Millionen. Fast vier Prozent weniger statt drei Prozent plus. Womit die Lücke zwischen Versprechen und Wirklichkeit rund 14 Millionen Euro beträgt, Tendenz steigend: "Nach den uns vorliegenden Informationen ist eine weitere Absenkung bei der Grundfinanzierung für 2023 angedacht", sagt Flacke, "möglicherweise in einem ähnlichen Umfang".

 

2022 schlecht,
2023 noch schlechter?

 

Konkret zeigen die Haushaltsplanungen des Auswärtigen Amts, dass das Kürzungstempo sich sogar noch beschleunigen könnte. Der DAAD soll, Stand heute, im kommenden Jahr nochmal 10,4 Millionen Euro abgeben, über fünf Prozent der institutionellen Förderung in 2022.

 

Bei der AvH sieht es nicht besser aus. Die Eckwerte für den Bundeshaushalt 2023 sähen eine Kürzung des ebenfalls über das Auswärtige Amt gezahlten institutionellen Betriebs- und Programmhaushalts der Stiftung um 9,2 Millionen Euro vor. "Dies entspricht einer Kürzung um rund 18 Prozent gegenüber dem bereits um drei Prozent gekürzten Haushalt des Jahres 2022", sagt AvH-Pressereferentin Kristina Güroff. "Statt einer Stärkung stehen wir nun vor einer dramatischen und massiven Kürzung."

 

Mit nicht weniger starken Einschnitten sieht sich Deutschlands große kulturelle Botschafterorganisation, das Goethe-Institut, konfrontiert: Sieben Prozent weniger erhält es dieses Jahr an institutioneller Förderung vom Auswärtigen Amt, diese sinkt damit von rund 250 auf 233 Millionen Euro. Und nächstes Jahr? "Erste Signale", sagt Goethe-Sprecherin Jessica Kraatz Magri, "lassen befürchten, dass weitere Kürzungen der Institutionellen Grundförderung geplant sind und auch für die Folgejahre keine Besserung in Aussicht steht." Dass der Haushaltsausschuss des Bundestages in seiner Bereinigungssitzung für 2022 zusätzlich 2,7 Millionen Euro zweckgebunden für die Zentren für internationale Kulturelle Bildung an Goethe-Instituten in Deutschland bewilligt hat, ändert daran nichts.

 

Alle drei Organisationen warnen vor den Folgen. Kraatz Magri sagt, mit seinem Grundbudget finanziere das Goethe-Institut seine weltweiten Programme und sein gesamtes Netzwerk inklusive Personal und Liegenschaften in 98 Ländern, das durch die regional noch deutlich höher als in Deutschland liegende Inflation zusätzlich belastet werde. Die AvH prophezeit, die Kürzungen würden "zu drastischen, nach außen hin deutlich wahrnehmbaren Einschränkungen der Stiftungsarbeit führen". Und der DAAD spricht von einem "signifikanten Einschnitt", der sich nachteilig auf die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland und seiner Hochschulen auswirken werde. 

 

Was heißt das konkret? Laut DAAD weniger Stipendien für deutsche und internationale Studierende und Wissenschaftler, Vakanzen bei internationalen Lektoraten und Dozenturen (die, siehe oben, teilweise schon Realität sind). Noch dazu sei ja nicht nur die Grundfinanzierung bedroht, sondern nächstes Jahr liefen auch mehrere große, vom Bundesbildungsministerium finanzierte Programme etwa zur Integration von Flüchtlingen an deutschen Hochschulen (Integra) oder zur Digitalisierung der Hochschulzusammenarbeit (IMKD) aus. Fortsetzung? Offen.

 

Die Alexander-von-Humboldt-Stiftung teilt mit, angesichts der geplanten Kürzungen müssten "hervorragende Bewerbungen" internationaler Wissenschaftler für Aufenthalte in Deutschland abgelehnt werden, weil weniger Stipendien vergeben werden könnten. "Dies wirkt sich negativ auf die Bewerbungszahlen in Zukunft aus", sagt Kristina Güroff. "Chancen, für Deutschland hervorragende Köpfe zu gewinnen, gehen langfristig verloren." Internationaler Austausch erfordere langjähriges Vertrauen. "Dieses Vertrauen würde bei einer so deutlichen Haushaltskürzung signifikant beschädigt."

 

Brandbrief von Hochschulen und Studierenden
warnt vor Wegfall von tausenden Stipendien

 

Die Befürchtungen in der Community sind entsprechend groß. Am Donnerstag verschickten die 242 DAAD-Mitgliedshochschulen und 104 Mitgliedsstudierendenschaften gleichlautende Brandbriefe an Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). "Wir wenden uns heute mit Bestürzung und in großer Sorge an Sie", heißt es darin, "weil wir fürchten, dass die avisierten Einschnitte in den DAAD-Haushalt zu gravierenden Schäden bei der internationalen wissenschaftlichen Kooperation deutscher Hochschulen mit Partnerinnen und Partnern in aller Welt führen, aber auch, weil sie die Präsenz und Integration von ausländischen Talenten auf unseren Campus gefährden und unweigerlich zu weniger Chancengerechtigkeit und Diversität unter unseren Studierenden führen." Unter anderem drohe der Wegfall von "tausenden Stipendien".

 

Es folgt die eindringliche Bitte an die Ministerinnen, sich dafür einzusetzen, "dass die beispiellosen Kürzungen und ihre dramatischen Folgen für die deutschen Hochschulen und ihre Studierendenschaften nicht Wirklichkeit werden." Sie stünden "in eklatantem Widerspruch zum Geist und Wort Ihrer Koalitionsvereinbarung" und seien für die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands eine "bedrohliche und folgenschwere Nachricht".  

 

Noch widersprüchlicher werden die Sparpläne dadurch, dass die Bundesregierung gleichzeitig immer neue Aufgaben an DAAD und AvH heranträgt. Was diese ja auch begrüßen und selbst forcieren: So hat der DAAD unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ein Fünf-Säulen-Programm vorgeschlagen, das Auswärtiges Amt und BMBF über zusätzliche Programmgelder finanzieren. Allerdings zurzeit nur gesichert bis Jahresende. Auch das Goethe-Institut hat über den Ergänzungshaushalt für die Ukraine gut 11,7 Millionen Euro erhalten – zweckgebunden und auf 2022 befristet für "Schutz- und Nothilfeprogramme für ukrainische Kulturschaffende, Sprachkurse für Personen aus der Ukraine und weitere Angebote zur langfristigen Stabilisierung der Kultur- und Bildungslandschaft in der Ukraine und ihrer Nachbarländer".  

 

Auch betreibt der DAAD die neue "Nationale Akademische Kontaktstelle Ukraine". Und um geflüchtete Wissenschaftler aus Afghanistan aufnehmen zu können, wurde unter anderem das "Hilde-Domin"-Programm ausgebaut. Schließlich steigen durch die inländische Bafög-Erhöhung auch die DAAD-Stipendien. Von den knapp 635 Millionen Euro, die der DAAD-Haushalt 2021 insgesamt umfasste, stammte nur noch weniger als ein Drittel aus der institutionellen Förderung. Der Rest waren Programm- und zeitlich befristete Projektmittel vorrangig der Bundesregierung.

 

Spannend wird sein, wie die Ministerinnen Baerbock und Stark-Watzinger auf den Brandbrief reagieren. 

 

Das nicht für die Grundhaushalte zuständige BMBF weist indes darauf hin, dass die aus dem Bundesbildungsministerium stammenden Mittel für den Studierenden- und Wissenschaftleraustausch von DAAD und AvH auf 194 Millionen Euro anstiegen, was einem Zuwachs um 16 Prozent entspreche. "Zutreffend ist, dass die im Zuge des Syrien-Krieges gewährten Sondermittel 2022 absinken. Gleichzeitig stehen aber Gelder in vergleichbarer Höhe (bis zu 13,8 Millionen Euro) aus dem Ergänzungshaushalt für die DAAD-Flüchtlingshilfe im Zuge des Ukraine-Kriegs bereit."

 

Aus dem Auswärtigen Amt heißt es derweil lediglich: "Die Frage, ob die Mittel für die Programme des DAAD für die Ukraine auch über das Jahr 2022 hinaus bereitgestellt werden, wird derzeit innerhalb der Bundesregierung geklärt." Und: Zum Haushalt 2023 liefen die regierungsinternen Beratungen noch, "so dass sich noch keine Aussage treffen lässt, wie hoch die Ansätze für den DAAD und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung am Ende ausfallen werden."

 

Hinweis: Ich habe den Artikel am 03. Juni um 15 Uhr und um 16.30 Uhr aktualisiert.



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