Die Regierungschefs versprechen, dass Kitas und Schulen in künftigen Corona-Wellen offen bleiben. Was zeigt: Zumindest eine Lektion aus der Pandemie haben sie gelernt. Andere stehen dagegen noch aus. Welche zugunsten von Kindern besonders wichtig wären.
ES IST EIN VERSPRECHEN, das Schlagzeilen machen sollte. Am besten auf Seite 1 der Tageszeitungen. Denn es bedeutet, dass Bund und Länder eine Lektion der Corona-Pandemie gelernt haben. Zumindest diese eine.
Die Regierungschefs von Bund und Ländern haben gestern im Protokoll ihrer Sitzung festgehalten: "Wir werden Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen offenhalten." Punkt. Kein Wenn und Aber. Kein "Möglichst". Kein Abhängigmachen von Inzidenzen mehr oder von möglichen neuen Virusvarianten. Und auch kein: "Aber flächendeckender Wechselunterricht ist in Ordnung."
Bund und Länder räumen
mit ihrem Beschluss einen Fehler ein
Zu dieser Eindeutigkeit haben sich zuvor vor allem die Länder nie durchringen können. Sie räumen damit zugleich ein: Es war ein Fehler, bei der Eindämmung der Neuinfektionen immer wieder zuerst und vor allem die junge Generation in ihren Rechten und sozialen Bedürfnissen einzuschränken. Besonders krass war die Schieflage in den ersten Wellen, als die Kinder und Jugendlichen wochenlang zu Hause hockten, während die – im Schnitt viel stärker gefährdeten Erwachsenen – jeden Tag ins Büro und in die Fabrik gehen konnten. Oft genug sogar mussten.
Das Versprechen von Kanzler und Ministerpräsidenten bedeutet freilich nicht, dass nie wieder Kitas und Schulen wegen Corona Einschränkungen erleben werden. Aber eben nicht aufgrund einer bundesweiten Vereinbarung, sondern nur wenn es das konkrete und akute Infektionsgeschehen in einer Einrichtung vorübergehend erfordert. Auf Grund der Einschätzung der lokalen Gesundheitsbehörden. Und selbst dann bietet der Satz der Regierungschefs Orientierung: Komplettschließung? No way. Das wäre der Bruch des Versprechens.
Jetzt müssen die Regierungschefs aber auch bei den weiteren Lektionen aus der Pandemie konsequent sein. Drei sind aus Sicht der Kinder und Jugendlichen und ihrer Familien besonders wichtig.
Stimmige Schutzkonzepte: ja. Aber nicht
als Voraussetzung fürs Offenhalten
Erstens: Die Schutzkonzepte an Kitas und Schulen sind und dürfen nie mehr Voraussetzung sein für ihr grundsätzliches Offenhalten, weil diese Forderung – wie in der Vergangenheit – doch wieder als Vorwand für Schließungen genutzt werden könnte, die in Wirklichkeit der allgemeinen Pandemiekontrolle dienen. Die Schutzkonzepte müssen aber um der Kinder und Jugendlichen willen stimmen und stimmig sein. Deshalb ist auch der Arbeitsauftrag, den die Regierungschefs gestern ihren Gesundheits- und Kultusministern erteilt haben, so wichtig: Die Länder, so ist im Protokoll zu lesen, würden "in den Konferenzen der zuständigen Fachministerinnen und Fachminister frühzeitig vorhandene oder bewährte Konzepte auswerten und wo nötig überarbeiten oder anpassen und dabei ihre Erfahrungen länderübergreifend austauschen."
Hier muss die Politik jetzt liefern, und anstatt sich von Lehrergewerkschaften und Elterninitiativen in obsolet gewordene Grundsatz-Schließungsdebatten zerren zu lassen, werden die Minister jetzt an den Taten gemessen werden. Die übrigens auch im "Nein" sagen zu unsinnigen Scheinlösungen wie flächendeckenden Luftfiltern oder überbordenden Quarantäne-Bestimmungen bestehen können.
Vor allem die Erwachsenen
in die Pflicht nehmen
Zweitens: Keiner weiß, wie die Pandemie sich im Herbst entwickelt. Es kann sein, dass wieder Einschränkungen nötig werden. Aber dann wären zuerst, vor allem und schärfer als in früheren Wellen die Erwachsenen in die Pflicht zu nehmen. Und, abhängig von der dann aktuellen Wirksamkeit von Impfungen, noch einmal stärker die ungeimpften Erwachsenen.
Insofern ist die Ankündigung der Regierungschefs richtig, rechtzeitig die Rechtsgrundlagen für "gegebenenfalls nötige Maßnahmen für den Herbst/Winter" zu schaffen. An der Ernsthaftigkeit zweifeln lässt allerdings, dass an der Stelle neben dem Infektionsschutzgesetz das Arbeitsschutzgesetz lediglich in eckigen Klammern genannt wird. Nachdem die Politik sich schon zu einer allgemeinen Impfpflicht für Erwachsene nicht hat durchringen können.
Endlich gute Daten gegen
den falschen Fokus
Drittens: Dass Kinder und Jugendliche immer wieder fälschlicherweise in den Fokus der Corona-Einschränkungen gerieten, während ältere Erwachsene, sobald sie geimpft waren, viel zu lange rhetorisch in Sicherheit gewogen und trotz ihres weiter viel höheren Krankheitsrisikos weitgehend in Ruhe gelassen wurden, wurde in seiner Einseitigkeit verstärkt durchs deutsche Datenchaos.
Das bedingt war durch das bis heute andauernde Fehlen eines repräsentativen Infektions-Monitorings. Denn gleichzeitig unterlagen Kinder und Jugendliche der strengsten, über lange Strecken sogar der einzigen Testpflicht aller Altersgruppen. Was ihre Dunkelziffer ungleich kleiner und ihre offiziellen Inzidenzen deutlich höher als bei den Erwachsenen werden ließ. Und siehe da: Seit die obligatorischen Tests in Kitas und Schulen bis auf in Berlin überall abgeschafft wurden, liegt die Quote der Neuinfizierten bei der jungen Generation trotz offener Bildungseinrichtung im durchschnittlichen Bereich.
Die Lehre für Bund und Länder sollte sein, möglichst schnell doch noch ein repräsentatives Monitoring einzurichten. Da dafür aber – aus nicht nachvollziehbaren Gründen – das politische (und
teilweise auch das wissenschaftliche) Interesse zu fehlen scheint, ist auch diese Ankündigung der gestrigen Ministerpräsidentenkonferenz kaum mehr als ein Hoffnungsschimmer. "Bund und Länder
werden dafür sorgen, dass die nötigen Daten zur Einschätzung des Infektionsgeschehens und der Situation in den Krankenhäusern tagesaktuell zur Verfügung stehen". Dazu seien kurzfristig weitere
Schritte bei der Digitalisierung "auf allen Ebenen" nötig. Halbherzig und neblig klingt das.
Worüber wir jetzt
hoffentlich reden können
Das Versprechen des Offenhaltens der Bildungseinrichtungen sollte auf Seite 1 der Tageszeitungen stehen. Doch da standen Kitas und Schulen in der Pandemie eigentlich immer nur, wenn wieder
einmal von den Rekordinzidenzen unter Kindern und Jugendlichen die Rede war – ohne deren statistische Einordnung (Stichwort Pflichttests und Dunkelziffer), dafür aber mit dem mehr oder minder
offenen Unterton: Wann wird endlich geschlossen?
Wie wenig das oft mit den konkreten Sorgen um die junge Generation zu tun hatte, zeigt, dass für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nicht weniger folgenschwere Erkrankungswellen von Grippe, Gastroenteritis oder RSV keine auch nur in Ansätzen vergleichbare mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit genossen und genießen. Und erst recht nicht die massive und gesundheitsgefährdete Unterausstattung von Kinderkliniken und Therapie-Einrichtungen.
Das Reden über Schulschließungen ist jetzt hoffentlich endlich vorbei. Dafür sollte das Reden über die systematische und seit vielen Jahren bedrückende Vernachlässigung kindlicher Belange durch Gesellschaft und Finanzpolitik endlich einmal anfangen.
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Heinicke (Freitag, 03 Juni 2022 18:46)
...den Inhalt des Artikels wünschte ich mir auch in jeder Zeitung/Fernsehen etc. aber/und
ich möchte vor allem auf den letzten Absatz wie folgt antworten: Allein der Glaube fehlt mir". Aus eigener Erfahrung als aktive Mutter/mittlerweile Oma sehe ich, wie immer mehr die Schulen einschl. Personal kaputtgespart werden und dieses sehe ich seit über 30 Jahren. Es wurde durch die Pandemie nur sichtbarer. In den Schulen fiel/ fällt der Schwimmunterricht , die Klassenfahrten und viele Angebote aus und es ist seit vielen Jahren eine Mangelwirtschaft. Allein in NRW können mindestens 1 Million Kinder nicht schwimmen. Wartezeit, 3-5 Jahre in den kommunalen Schwimmbädern. Kein Personal, Schwimmbäder wurden/werden geschlossen weil zu teuer.....und und. Ich glaube auch nicht mehr an die "Versprechen" der "Politik". Im Gegenteil. Die Nachricht, dass in Schulen und Sportstätten die warmen DUSCHEN aus KOSTENGRÜNDEN !!!!! nur noch kalt gestellt werden, hat mich fassungslos gemacht. "Und kein Ende in Sicht"
Heinicke (Freitag, 03 Juni 2022 19:54)
...sorry, mein Beitrag vo 1 Stunde muss korrigiert werden....
und zwar über 1 Million Kinder in Deutschland können nicht schwimmen..