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Jetzt sollten die Richter entscheiden

Nach Humboldt-Universität und Opposition hält auch der wissenschaftliche Dienst des Berliner Abgeordnetenhauses das neue Hochschulgesetz in Teilen für verfassungswidrig. Eine juristische Klärung wäre wissenschaftspolitisch wünschenswert – und für ganz Deutschland von Interesse.

DER WISSENSCHAFTLICHE PARLAMENTSDIENST des Berliner Abgeordnetenhauses ist in einem Gutachten zu der Einschätzung gekommen, dass das neue Berliner Hochschulgesetz in Teilen verfassungswidrig sei. Die CDU, die das Gutachten in Auftrag gegeben hat, fühlt sich bestätigt. Für Sabine Kunst, die aus Protest zurückgetretene frühere Präsidentin der Humboldt-Universität, dürfte dasselbe gelten: Sie hatte als eine ihrer letzten Amtshandlungen Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingereicht.

 

Damit kommt zur Liste der Expertisen zu der umstrittenen Postdoc-Reform eine weitere hinzu. Die im auf den letzten Drücker geänderten Paragraf 110,6 enthaltene Regelung sieht vor, dass Hochschulen ihre Postdoc auf haushaltsfinanzierten Qualifikationsstellen grundsätzlich entfristen müssen, wenn sie die vorher vereinbarten Qualifikationsziele erfüllt haben.

 

Ein von Kunst in Auftrag gegebenes Gutachten des HU-Verfassungsrechtlers Matthias Ruffert hatte schon Anfang November ergeben, dass dem Land Berlin dafür die Gesetzgebungskompetenz fehle. Der Bund habe mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) in diesem Zusammenhang bereits umfassend und abschließend von seiner Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht. 

 

In der Ende Dezember beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereichten HU-Verfassungsbeschwerde hieß es dann zusätzlich, die Regelung im Gesetz greife zudem "unverhältnismäßig“ in die verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte der Universität ein. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits entschieden, "dass die Hochschulen ihrer Aufgabe, kontinuierliche Nachwuchsförderung zu betreiben, nur nachkommen können, wenn die beschränkt vorhandenen Stellen nach einer gewissen Zeit auch wieder frei werden".

 

"Ungerechtfertigter Eingriff in die akademische
Selbstverwaltung und die Lehre"

 

Genau diese beiden Argumente sind es nun auch, die im Gutachten des Parlamentsdienstes wieder auftauchen. Paragraf 110, Absatz 6, heißt es darin, bedeute eine strukturelle Gefährdung und einen "ungerechtfertigten Eingriff in die akademische Selbstverwaltung und die Lehre" der Universitäten, wie ihn Grundgesetz-Artikel 5, Absatz 3 untersage. 

 

Zwar seien nur Postdocs von der Regelung betroffen, aber schon so werde dadurch "ein erheblicher Teil der zur Verfügung stehenden Stellen der Fluktuation von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern entzogen". Mit dem Ergebnis, dass der Staat nicht mehr seine Pflicht erfülle, für funktionsfähige Institutionen des Wissenschaftsbetriebs und durch organisatorische Maßnahmen für eine freie wissenschaftliche Betätigung zu sorgen. 

 

Ebenso stellt das Gutachten fest: Es gebe "erhebliche Bedenken", dass das Land über den Paragrafen 110 unzulässig in die abschließende Gesetzgebungskompetenz des Bundes eingreife, weil die Auswirkungen der Regelung dem "erkennbaren" Ziel des Bundesgesetzgebers widersprächen, eine Fluktuation der wissenschaftlichen Mitarbeiter zu gewährleisten.  

 

Das von der GEW in Auftrag gegebene Gutachten
kam zu einem gegensätzlichen Ergebnis 

 

Ganz anders klang das in dem Rechtsgutachten, das im Frühjahr die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Auftrag gegeben hatte. Der Paragraf 110, Absatz 6 führe gar keine neuen Befristungsregelungen ein, sondern es handle sich um "eine landesrechtliche Regelung des Personalwesens im Hochschulbereich". Ergo sei das Land zuständig, befanden die Autoren des Gutachtens, die ehemalige Richterin am Landesverfassungsgericht Rosemarie Will und der Rechtsanwalt Michael Plöse. Insofern greife das neue Gesetz auch nicht in die Wissenschaftsfreiheit oder in die Zuständigkeit des Bundes ein, die dieser über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz wahrnimmt. 

 

Das WissZeitVG lasse im Gegenteil ausdrücklich auch die unbefristete Beschäftigung von wissenschaftlichem Personal zu. Außerdem bedeute die gesetzliche Regelung, dass nach der Postdoc-Phase ein neuer Arbeitsvertrag geschlossen werden müsse, der dann unbefristet sei. Insgesamt gehöre es "zur hochschulgesetzlichen Kompetenz der Länder, den Hochschulen vorzuschreiben, wie sie sich als Arbeitgeber zu verhalten haben", zitierte der Tagesspiegel Rosemarie Will. 

 

An mehreren anderen umstrittenen Stellen bescheinigt übrigens auch der Parlamentsdienst dem Gesetz, verfassungskonform zu sein. Dass nur eine statt zwei Lesungen stattgefunden habe, sei in Ordnung, da dabei nur die im Paragraf 110 eingefügte Änderung und nicht das Gesetz als Ganzes Gegenstand gewesen sei. Auch sei nicht zu beanstanden, dass im Gesetzgebungsverfahren weder Sachverständige noch Hochschulen angehört worden seien, weil dies im Ermessen des Parlaments liege. Und ein Verstoß gegen die in Grundgesetz-Artikel 33 vorgesehene Bestenauslese liege ebenfalls nicht vor, da die durch die Regelung entfallene Ausschreibung von Stellen "nicht zwingend die einzige Möglichkeit" darstellten, diesem Gebot nachzukommen. Gleichwohl sei Paragraf 110, Absatz 6 in der Hinsicht "nicht unproblematisch".   

 

Die CDU fordert die
Rücknahme der Gesetzesänderung

 

Vor wenigen Wochen hatten die Abgeordnetenhaus-Fraktionen von CDU und FDP ihre lange angekündigte Normenkontrollklage eingereicht. Adrian Grasse, der wissenschaftspolitische Sprecher der CDU, sprach angesichts des Gutachtens des Parlamentsdienstes von "Rückenwind" für die Klage. "Der umstrittene Gesetzes-Abschnitt hätte niemals verabschiedet werden dürfen. Das Berliner Hochschulgesetz ist in seiner aktuellen Fassung nicht verfassungskonform."

 

Grasse fügte hinzu, der rot-rot-grüne Berliner Senat solle das Gutachten "als letzten Warnschuss verstehen, den Paragrafen zu streichen und die Gesetzesänderung zurückzunehmen, um weiteren Schaden vom Wissenschaftsstandort abzuwenden".

 

Realistisch ist das nicht, das weiß auch Grasse. Zumal die Regierungsfraktionen gerade eine Reparaturnovelle ins Abgeordnetenhaus eingebracht haben. Damit, betonte die Verwaltung von Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) auf Anfrage, würden "einige Aspekte, die aus Sicht etwa der Berliner Hochschulen problematisch erschienen", behoben. Etwa durch die Einführung einer Übergangsregelung für verbindliche Anschlusszusagen oder die nochmalige Präzisierung, für welche Stellen die Regelung überhaupt gilt.

 

Und wirklich wissenschaftspolitisch sinnvoll wäre ein Einknicken von Rot-Rot-Grün zum jetzigen Zeitpunkt ebenso wenig. Eine höchstrichterliche Klärung scheint angesichts des bundespolitischen Stellenwerts der Debatte und so grundsätzlich gegensätzlicher Rechtsauffassungen inzwischen weit über Berlin hinaus wünschenswert: Wie kann, wie muss – verfassungsrechtlich gesehen – das Verhältnis zwischen einer zu Recht auch als institutionelle Flexibilität beschriebenen Wissenschaftsfreiheit austariert werden mit dem nachvollziehbaren Anspruch junger Wissenschaftler nach besser planbaren und vor allem transparenteren Karrierewegen? Inwiefern tragen auch mehr Dauerstellen zu einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Wissenschaft und ihrer Freiheit dar? Was sind mögliche Kipppunkte zwischen beidem? Was genau bleibt den Ländern an Gesetzgebungskompetenz, solange die Regeln im Wissenschaftszeitvertragsgesetz sind, wie sie sind? 

 

Rot-Rot-Grün will die Sache
durchziehen – gut so

 

Die Ampel-Koalition im Bund hat ihrerseits  angekündigt, nach dem Vorliegen der WissZeitVG-Evaluation nun sehr bald eine Reform des Gesetzes auf den Weg zu bringen, erklärtes Ziel bereits im Koalitionsvertrag: der von der GEW geprägte Slogan "Dauerstellen für Daueraufgaben". Hier geht es um eine politische Austarierung zwischen den beschriebenen Zielen von Wissenschaftsfreiheit und verlässlicheren Karrierewegen. Und auch dafür wäre es gut, wenn Karlsruhe sich bereits zum Berliner Gesetz geäußert hätte, damit in der Neuformulierung des WissZeitVG mögliche Fallstricke vermieden werden. So hängt alles mit allem zusammen.

 

Die Senatsverwaltung von Ulrike Gote teilt derweil mit, eine weitere Überarbeitung des Gesetzes halte man nicht für notwendig. "Die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind überaus komplex und am Ende auch verbindlich nur durch die dafür zuständigen Verfassungsgerichte zu beantworten." So sei nicht nur das Gutachten im Auftrag der GEW zu einem anderen Ergebnis gekommen als der Berliner Parlamentsdienst, sondern auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages habe in seinem Gutachten im Oktober 2021 den Ausgang eines entsprechenden Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht als "offen" eingestuft. 

 

Einer der Initiatoren des umstrittenen Paragrafen 110, der wissenschaftspolitische Sprecher der linken Abgeordnetenhaus-Fraktion, Tobias Schulze, hebt hervor, dass der Parlamentsdienst das parlamentarische Verfahren zur Neufassung des Gesetzes nicht beanstandet habe. Das Gutachten bestätige an der Stelle "auch unsere Auffassung, dass es für die Opposition, aber auch für die Fachcommunity diverse Möglichkeiten der Einbringung in das Verfahren gab." Die Kernposition des Parlamentsdienstes, dass durch eine Anschlusszusage die Wissenschaftsfreiheit angegriffen werde, kritisiert Schulze dagegen mit Hinweis auf die genau gegensätzliche Position im von der GEW beauftragten Gutachten als "nicht zeitgemäß". 

 

Rot-Rot-Grün will die Sache also durchziehen. Gut so. Denn daran sollten auch die ärgsten Kritiker des Paragrafen 110 ein Interesse haben. 



In eigener Sache


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Kommentare: 3
  • #1

    naja (Mittwoch, 15 Juni 2022 11:53)

    Wissenschaftliche Grundlagenforschung auf Universitätsniveau auf Dauerstellen zu betreiben ist und bleibt eine Aufgabe fuer extrem motivierte und fachlich extrem geeignete Persönlichkeiten. Bestenauslese eben. Wesentliche Leistungen werden nicht mit Büroschluss um 4 erbracht. Die übergroße Mehrheit der Personen, die sich unter hanna-hashtags versammeln, gehört sicher nicht zur Bestenauslese.
    Sollte der dilettantische Versuch des Berliner Senats, eine automatisierte Verstetigung bei Erfüllung von Qualifikationszielen einzuführen, zukünftig doch noch erfolgreich sein, muss man eben die Qualifikationsziele nach oben anpassen. Es promovieren ohnehin viel zu viele.

  • #2

    Gute Politik ist leider rar (Sonntag, 19 Juni 2022 11:45)

    @naja: Den ersten und den letzten Punkt des Kommentars kann man nur deutlich unterschreiben. Den Personen unter
    hanna-hashtags sollte man aber wirklich positive Absichten
    nicht abschreiben.

  • #3

    naja (Montag, 20 Juni 2022 14:46)

    @Gute Politik ist leider rar: Positive Absichten hat #hanna sicher (fuer sich selbst). Diese Absichten ändern aber nichts an den fehlenden fachlichen Qualitäten.