Welche Regelungen nötig sind, damit die Novelle des WissZeitVG ein Erfolg wird. Ein Gastbeitrag von Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon.
NICHT ALLE PROBLEME von "#IchBinHanna" lassen sich durch ein verändertes Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) lösen? Stimmt! Und genau deshalb sollte die Novellierung des Gesetzes sich auf diejenigen Probleme konzentrieren, die dadurch behoben werden können – und nicht darüber hinausgehen, weil sonst Verschlimmbesserungen drohen.
Konkret heißt das: Als Gesetz zur wissenschaftlichen Qualifizierung muss sich das neue WissZeitVG auf die Promotionsphase beschränken und dafür angemessene Mindeststandards festlegen. Die Postdoc-Phase hingegen, die sich nicht mehr sachgerecht als Qualifikationsphase verstehen lässt, muss im Gesetz außen vor bleiben.
Kristin Eichhorn ist Literaturwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Paderborn. Amrei Bahr ist Philosophin und Juniorprofessorin an der Universität Stuttgart. Sebastian Kubon ist Mediävist und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg (von links). Fotos: privat.
Nur so wird das Potential des WissZeitVG zur von der Bundesregierung in Aussicht gestellten Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Wissenschaftler*innen gezielt entfaltet. Denn für die Promotionsphase ist das Gesetz zweifelsohne ein entscheidender Hebel, um eine Verbesserung der Bedingungen herbeizuführen. Für die Postdoc-Phase hingegen braucht es andere Ansatzpunkte, die die Verantwortlichen gesondert anpacken müssen.
Wir müssen uns auf die
Ziele der Novelle einigen
Aber der Reihe nach. Denn: Die dringend nötige Reform des deutschen Wissenschaftssystems, bei der die Novellierung des WissZeitVG ein Element ist, bedarf zunächst einer Verständigung über ihre Ziele. Wer ohne Zielsetzung drauflosreformiert, riskiert, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen und zahlreiche nicht kohärente Reförmchen mit zweifelhaften Effekten hervorzubringen. Was also sollten die Ziele sein?
Erstens bedarf es einer Reduzierung der ausufernden Befristung in der Wissenschaft in Form von angemessenen Vertragslaufzeiten für die Promotionsphase und von dauerhaften Perspektiven für die Postdoc-Phase.
Arbeit in der Wissenschaft sollte zweitens familienfreundlich und diversitätsfördernd gestaltet werden, statt wie jetzt Personen(gruppen) systematisch auszuschließen. Bis hierhin entsprechen die Ziele denen, die auch der Koalitionsvertrag der Bundesregierung konkret als solche benennt (vgl. S. 23).
Drittens sollten die durch prekäre Arbeitsbedingungen hervorgerufenen negativen Auswirkungen auf die Wissenschaft (wie die Vernachlässigung von Lehre und Transfer, kaum mehr Möglichkeiten, längerfristige Forschungsprojekte durchzuführen, Forschungsruinen, Brain Drain) eingedämmt werden. Auch das dürfte im Sinne der Bundesregierung sein – im Sinne unseres Landes ist es ohne Frage.
Wie sich diese Ziele
erreichen lassen
Wir schlagen folgende Regelungen vor, um die genannten Ziele zu erreichen:
1. Mindeststandards für die Promotion: Erstverträge für Promovierende müssen eine Laufzeit von mindestens vier Jahren haben. Anschließend kann zum Abschluss der Promotion oder des Promotionsverfahrens eine Verlängerung um weitere zwei Jahre gewährt werden. Laut offizieller WissZeitVG-Evaluation hat sich eine Vertragslaufzeit von drei Jahren als möglicher Orientierungspunkt herauskristallisiert, der unter den Verantwortlichen auf breite Zustimmung gestoßen ist. Ein stabiler Handlungsrahmen für die Befristungspraxis läge damit jedoch längst noch nicht vor. In der Evaluation heißt es, so können etwa "Finanzierungsbedingungen Anlässe der Vertragsgestaltung liefern, die für die wissenschaftliche Qualifizierung ggf. unsachgemäß sind" (gemeint ist zum Beispiel der Restmittelverbrauch). Drei Jahre gehen zudem an der Realität vorbei: Laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN) dauern Promotionen im Schnitt 5,7 Jahre (Medizin und Gesundheitswissenschaften ausgenommen). Eine Mindestlaufzeit von vier Jahren, die im Bedarfsfall um zwei weitere Jahre erweitert werden kann, erscheint vor diesem Hintergrund als erforderliches Minimum.
Nach den sechs Jahren muss eine Verlängerung möglich sein, wo diese aus diversitätspolitischen Gründen erforderlich ist: Die familien- und behindertenpolitische Komponente des WissZeitVG muss beibehalten werden und auf Wunsch der Beschäftigten in einem verbindlichen Angebot zur Vertragsverlängerung resultieren. Denn mit einer Verlängerung der Höchstbefristungsdauer allein ist wenig gewonnen, wenn Arbeitgeber keinen entsprechenden Vertrag ausstellen.
Promotionen müssen regulär auf 100-Prozent-Stellen erfolgen; die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit auf eigenen Wunsch (etwa zu Vereinbarkeitszwecken) sollte bestehen, aber eben als Möglichkeit, nicht als Zwang.
2. Ersatz des Begriffs "Qualifikation" durch "Promotion", Streichung der Qualifikationsbefristung für Promovierte: Wie das jüngste Urteil des Bundesarbeitsgerichts (AZ 7 AZR 573/20) bekräftigt hat, ist der im WissZeitVG aktuell verwendete Qualifikationsbegriff so weit gefasst, dass jede wissenschaftliche Tätigkeit, "die in irgendeiner Form zu einer beruflichen Karriere, auch außerhalb der Hochschule, befähigt", unter den Geltungsbereich des WissZeitVG fällt und nach seinen Regelungen befristet werden kann. Damit ist keine hinreichende Abgrenzung zwischen Qualifikation (im Sinne des Erwerbs berufsqualifizierender Fähigkeiten) und allgemeiner Berufserfahrung gegeben. Darum muss die Novelle den Qualifikationsbegriff abschließend regeln und enger fassen. Wir schlagen vor, dies zu tun, indem das Wort "Qualifikation" durch das Wort "Promotion" ersetzt wird und entsprechend die Postdoc-Phase nicht mehr in den Geltungsbereich des WissZeitVG fällt.
Dies ist zunächst terminologisch sinnvoll, weil sich in der Promotionsphase die Art der Qualifikation klar benennen lässt, und unabhängig von der Form (Buch oder kumulativ) ist die Promotion der gemeinsame Nenner. Für eine Beschränkung des WissZeitVG auf die Promotion spricht noch ein starker inhaltlicher Grund: Die wissenschaftliche Ausbildung ist mit der Promotion abgeschlossen. Die Hochschulrektorenkonferenz mag dies bestreiten, die Regeln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) tun es nicht: Nach Abschluss ihrer Promotion sind Wissenschaftler*innen bei der DFG antragsberechtigt. Außerdem ist die Promotion der letzte akademische Abschluss, der auch für Tätigkeiten außerhalb des Wissenschaftssystems qualifizieren kann, und die höchste Stufe im Deutschen Qualifikationsrahmen. Damit ist der generelle Bildungsauftrag der Hochschulen erfüllt.
Der Erwerb zusätzlicher Meriten, etwa im Rahmen einer Habilitation oder habilitationsäquivalenter Leistungen, ist einzig für eine Tätigkeit innerhalb der Wissenschaft von Bedeutung und dient zugleich der Deckung des systeminternen Bedarfs an geeignetem Führungspersonal. Es handelt sich also um einen innerinstitutionellen Prozess der Karriereentwicklung, für den Konzepte entwickelt werden müssen, wie sie in anderen Branchen längst existieren. Hier ist das deutsche Wissenschaftssystem am Zug.
Gelingensbedingungen für
neue Personalstrukturen
Ein entsprechender Prozess muss dringend angestoßen werden, wozu die Streichung der Postdoc-Befristung aus dem WissZeitVG ein erster notwendiger Schritt ist. Denn dass die wissenschaftlichen Arbeitgeber sich ohne gesetzgeberischen Druck nicht auf diesen Weg begeben werden, zeigt die gegenwärtige Situation. An die Stelle des derzeit primär auf die Professur beschränkten Wettbewerbs muss ein strategischer, nachhaltiger Aufbau von Kompetenzen treten, der die Arbeitsleistung sämtlicher Mitarbeiter*innen auf unbefristeten Stellen unter Berücksichtigung ihrer je spezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten passend einsetzt und ihnen gezielt Möglichkeiten zur Weiterentwicklung eröffnet.
Die Eckpunkte einer Personalstruktur-Reform sollten unter anderem umfassen:
o den Abbau von Hierarchien und Abhängigkeiten (die Schaffung echter Departmentstrukturen;
o neue flexible Personalkategorien, die eine Weiterentwicklung auf unbefristeten Stellen ermöglichen;
o die systematische Personalentwicklung durch wissenschaftliche Arbeitgeber, damit diese ihr vorhandenes Personal bestmöglich fördern und einsetzen sowie auf die Übernahme neuer Aufgaben vorbereiten.
Beschränkt man sich auf Änderungen am WissZeitVG oder scheut vor weitreichenden Eingriffen (insbesondere der Streichung der Postdoc-Phase aus dem WissZeitVG) zurück, werden sich die derzeitigen Probleme nicht zufriedenstellend lösen lassen. Der Gesetzgeber braucht deshalb Mut. Vor allem aber braucht er die Vision von einer Wissenschaft der Zukunft, die das alte System mit seinen gravierenden Problemen für Beschäftigte, Wissenschaft, Studierende und Gesellschaft transformiert. In ein so nachhaltiges wie zukunftsfähiges Wissenschaftssystem.
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René Krempkow (Freitag, 08 Juli 2022 10:08)
Vielen Dank für diesen Beitrag! Ich finde, die Initiator*innen von #IchBinHanna stellen die richtigen - grundsätzlichen - Fragen. Und ich finde ihren Vorschlag, den Geltungsbereich des WisszeitVG und dies mit der Schaffung von Mindeststandards künftig allein auf die Promotion zu beschränken, richtig. Dies ist zwar für das deutsche Wissenschaftssystem geradezu ein radikaler Vorschlag, denn damit würde künftig für Promovierte bzw. Postdocs im Grundsatz das im "Rest" der deutschen Arbeitswelt geltende (und funktionierende) Arbeitsrecht anzuwenden sein. Dies wäre übrigens m.E. prinzipiell durchaus auch mit den Vorschlägen (bzw. in Berlin: Gesetzesregelungen) vereinbar, denjenigen, die nach der Promotion in der Wissenschaft bleiben wollen, mit einer eigenen Entfristungs-Zielvereinbarung (z.B. als Anlage zu einem zunächst auf 2 Jahre befristeten Postdoc-Vertrag) zugleich die Perspektive auf eine unbefristete Stelle zu eröffnen. Dass dies rechtlich möglich ist, zeigen bereits existierende praktische Beispiele dafür (eines habe ich sogar selbst erlebt, bin dann aber aufgrund eines Wechsels in der Hochschulleitung dennoch lieber woanders hin gegangen).
Allerdings müssten die zu vereinbarenden Ziele dann dem Zeitraum von 2 Jahren angemessen und realistisch in dieser Zeit erfüllbar sein, wofür sich aber bei entspr. Willen Beispiele finden ließen (z.B. einen DFG-Antrag oder anderen Drittmittelantrag von Anfang bis Ende konzipieren, erstellen und einreichen). Dies ist zudem vor dem Hintergrund zu sehen, dass sich die betr. Promovierten bereits bis zu 6 Jahre lang in der Promotionszeit bewähren mussten (was übrigens nach wie vor weit über die sonst im deutschen Arbeitsrecht zulässige Probezeit hinausgeht, aber dies finde ich an dieser Stelle i.O.). Ich würde sogar im Zusammenhang mit einer solchen Beschränkung des WissZeitVG auf die Promotion zugleich (noch einmal verstärkt) fordern wollen, die Qualitätssicherung der deutschen Promotion deutlich zu verbessern, indem z.B. endlich die Trennung von Betreuung und Bewertung angegangen wird. ;-)
Ansonsten ist m.E. die Initiator*innen von #IchBinHanna in der Argumentation für ihren Vorschlag zur Reform des WissZeitVG zuzustimmen, dass die wissenschaftliche Ausbildung mit der Promotion abgeschlossen ist. Denn die Promotion der letzte akademische Abschluss, der auch für Tätigkeiten außerhalb des Wissenschaftssystems qualifizieren kann, und die höchste Stufe im Deutschen Qualifikationsrahmen für Hochschulabschlüsse. Ich würde dies Argument sogar noch stärken wollen, indem ich hierzu auch auf den Europäischen Qualifikationsrahmen verweise; und indem ich auf die bessere Anschlussfähigkeit und die dann mögliche höhere Attraktivität für internationale Forschende verweise.
An einer Stelle muss ich jedoch deutlich Bedenken anmelden (wobei ich nicht weiß, ob dies evtl. von den Initiator*innen von #IchBinHanna beeits mitbedacht wurde, aber aus Platzgründen wieder entfallen musste): Wenn etwas in der Richtung ihres Vorschlags umgesetzt würde, bräuchten wir - ähnlich wie es die Berliner Rektor*innen und Präsident*innen für das novellierte BerlHG erfolgreich forderten - großzügige Übergangsregelungen für die jetzt im Wissenschaftssystem befindliche Postdocs, damit hier nicht evtl. doch noch eine oft beschworene Lost Generation entstünde. Aber darum könnte man sich dann ja noch genügend kümmern, wenn sich der #IchbinHanna-Vorschlag im parlamantarischen Verfahren befindet - was ich ihm sehr wünschen würde. :-)