Seit vier Jahren herrscht offiziell Funkstille zwischen dem weltgrößten Wissenschaftsverlag Elsevier und dem deutschen Wissenschaftskonsortium DEAL. Kommt bald Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen?
KOMMT DA NOCH WAS? Seit Juli 2018 sind die Verhandlungen zwischen den deutschen Wissenschaftsorganisationen und dem weltgrößten Wissenschaftsverlag Elsevier ausgesetzt. Den Abbruch der Gespräche verkündete der damalige Verhandlungsführer, Horst Hippler, zu der Zeit Präsident der Hochschulrektorenkonferenz und Sprecher des DEAL-Lenkungsausschusses. Man sehe sich zu der Unterbrechung gezwungen durch "die überhöhten Forderungen" von Elsevier, sagte Hippler zur Begründung. Woraufhin der Verlag allen Hochschulen und Forschungseinrichtungen, deren demonstrativ nicht verlängerten Verträge teilweise seit vielen Monaten abgelaufen waren, den kostenlosen Zugang sperrte.
Vier Jahre später herrscht immer noch Funkstille. Hipplers Nachfolger als HRK-Präsident, Peter-André Alt, ist fast ebenso lange im Amt und hat kürzlich seinen Abschied zum nächsten Frühjahr verkündet. Hipplers Nachfolger als DEAL-Verhandlungsführer, der im Februar wiedergewählte Präsident der Berliner Freien Universität (FU), Günter Ziegler, bekräftigt auf Anfrage: "DEAL hat weiterhin das Ziel, die deutsche Wissenschaft mit dem Zeitschriften-Portfolio des Verlags zu versorgen und gleichzeitig die von den Forschenden an deutschen Einrichtungen publizierten Artikel Open Access zu schalten, wie das bei Wiley und Springer Nature gelungen ist."
2014 gestartet, formulierte der Projektname zugleich den Anspruch: Einen DEAL wollten die deutschen Wissenschaftsorganisationen mit den großen Wissenschaftsverlagen aushandeln. Nationallizenzen, die an die Stelle teurer Einzelabos treten und den dauerhaften Zugriff auf die gesamten Zeitschriften-Portfolios der Verlage erlauben sollen. Parallel wollten die Hochschulen und Forschungseinrichtungen wie von Ziegler erwähnt den Umstieg auf Open Access erreichen – was bedeutet, dass nicht mehr die Leser einer wissenschaftlichen Publikation zahlen, sondern die Institutionen, die hinter den Autoren stehen.
"Konstanter Dialog",
aber keine Verhandlungen
Mit den beiden anderen Großverlagen, erst mit Wiley, dann mit Springer Nature, sind sich die DEAL-Organisationen auch tatsächlich einig geworden. Nach teilweise zähen Verhandlungen. Durch diese Vertragsabschlüsse sieht Ziegler "belegbare Erfolge". Die Open-Access-Quote bei den beiden Verlagen sei in großem Maße gesteigert worden, dadurch habe man "die weltweite kostenfreie Verfügbarkeit und die internationale Sichtbarkeit der deutschen Wissenschaft und somit ihr Impact signifikant erhöht". Zugleich hätten die Forschenden der teilnehmenden deutschen Einrichtungen umfassenden Zugriff auf das Zeitschriftenportfolio der beiden Verlage, laut Ziegler eine deutlich bessere "Versorgung der Wissenschaft mit Content".
Wann aber gehen die Verhandlungen mit Elsevier weiter? Beim Verlag heißt es, man befinde sich mit DEAL "seit über zwei Jahren in einem konstanten Dialog". Dabei habe Elsevier immer wieder seine Bereitschaft bekundet, offizielle Verhandlungen "mit sofortiger Wirkung aufzunehmen, sobald Projekt DEAL dazu bereit ist." Und weiter: "Wir verstehen, dass DEAL zunächst noch einige formelle und institutionelle Voraussetzungen zu klären hat, was wir selbstverständlich respektieren."
Wie nett vom Verlag. Man könnte das Statement aber auch so verstehen, dass Elsevier sämtliche Verantwortung für die jahrelangen Verzögerungen allein DEAL und der HRK zuschiebt. Und bei allem demonstrativen Verständnis macht der Verlag, wiederum in nette Worte verpackt, auch noch ordentlich Druck, und zwar gleich doppelt.
Erstens: In den vergangenen drei Jahren, betont Elsevier, habe man "mit mehr als 2.000 Institutionen weltweit Transformationsverträge abgeschlossen". Tatsächlich landeten zeitweise im Monatstakt Pressemitteilungen aus der Amsterdamer Konzernzentrale in den Postdächern deutscher Journalisten. Thema: erfolgreich abgeschlossene Deals mit großen Wissenschaftskonsortien in Japan, Österreich, Dänemark, der Schweiz oder den USA. Die wenig subtile Botschaft: Mit den anderen klappt's doch auch.
Zweitens: Der Verhandlungsabbruch und weitere Boykottmaßnahmen durch DEAL hätten Elsevier gar nicht sonderlich geschadet, will der Verlag offenbar mit Verweis auf die folgenden Zahlen belegen: Seit 2017 hätten sich "mehr als 15.000 deutsche Autor*innen" für eine Veröffentlichung ihrer Arbeit in Elsevier-Zeitschriften entschieden. Und: "Weiterhin sind derzeit über 5.000 deutsche Wissenschaftler*innen in Editor-Funktion bei diesen Zeitschriften tätig, um bei der Bewertung, Bearbeitung und Veröffentlichung der neuesten Forschungsergebnisse nationaler und internationaler Autor*innen mitzuwirken."
Wer hat hier
den Schaden?
Was dann schon bemerkenswert wäre, denn DEAL hatte 2018 öffentlichkeitswirksam den Ausstieg zahlreicher und namhafter deutscher Wissenschaftler als Elsevier-Editoren verkündet. Tatsächlich gingen die Editor-Zahlen laut Elsevier zwischen 2017 und 2019 jedoch nur von 4.922 auf 4.834 zurück, um seitdem auf zuletzt 5.277 anzusteigen.
Ist die DEAL-Strategie gescheitert, oder sind die zitierten Statistiken eine Finte des Verlags, um die Geschlossenheit des Konsortiums zu schwächen? DEAL-Verhandlungsführer Ziegler sagt, es sei "bezeichnend, dass Elsevier die Zahl der Editor*innen bemüht, obgleich diese für den DEAL-Kontext in keiner Weise aussagekräftig ist, denn sie besagt nichts über Publikationsanteile, Open-Access-Quoten oder Erlöse." Laut einer Studie unter Federführung des ZBW Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft sei der Marktanteil von Elsevier bei Artikeln von DEAL-Institutionen "deutlich rückläufig", konkret von 25,3 Prozent 2015 auf 20,6 Prozent 2020 – mit einem Rückgang um allein 2,7 Prozentpunkte zwischen 2018 und 2020.
Ziegler sagt: "Man muss konstatieren, dass sich die deutschen Forschenden mit der gegenwärtigen Situation bezüglich Elsevier gut arrangiert haben." Soll wohl heißen: Sie kommen auch ohne Elsevier-Abo an die Literatur, die sie brauchen. Zu nicht höheren Kosten. Während, fügt der FU-Präsident hinzu, die Unterbrechung der Verhandlungen für Elsevier von Nachteil gewesen sei. Mit den Marktanteilen habe der Verlag auch Einnahmen verloren. Jetzt sei DEAL in einer sehr guten Ausgangsposition, "da die deutsche Wissenschaft nur bereit sein wird, einen Vertrag mit Elsevier zu akzeptieren, wenn die Konditionen ihren Interessen entsprechen".
Wenn das aber so ist, warum passiert dann nichts? Warum kann Elsevier gönnerhaft Verhandlungsbereitschaft anbieten und zugleich darauf verweisen, dass das DEAL-Konsortium sich im Modus der Selbstbeschäftigung befinde?
DEAL ist ordentlich
durchgerüttelt worden
Weil DEAL, auch wenn Ziegler das so nicht formulieren würde, stark durchgerüttelt worden ist als Konsortium in den vergangenen Jahren. Fragt man Bibliothekare, sehen viele vor allem das noch 2018 von Zieglers Vorgänger ausgegebene Ziel, "der für die Bibliotheken ruinösen Preisentwicklung bei den wissenschaftlichen Zeitschriften" ein Ende zu machen, verfehlt. Vieles sei eben doch teurer geworden durch die neuen Verträge mit Wiley und SpringerNature. Auch über die dauerhafte Aufteilung der Kosten zwischen den Wissenschaftseinrichtungen gab es lange Streit. Und kleinere Verlage kritisieren, dass DEAL den Wettbewerb zugunsten der Großen noch verzerre.
Bei Ziegler klingt das so: DEAL konsolidiere "die Prozesse zur Umsetzung der zwei laufenden Verträge mit Wiley und SpringerNature. Dazu gehört unter anderem eine Auswertung der Erfahrungen mit den laufenden Verträgen und der intensive Dialog mit vielen der Einrichtungen, die an den DEAL-Verträgen teilnehmen. In diesem Kontext spielen auch die Erwartungen der Einrichtungen bezüglich der Verfahren und finanziellen Rahmenbedingungen künftiger Verträge eine große Rolle."
Wobei der DEAL-Sprecher betont, die Verträge mit Wiley und SpringerNature hätten (anders als vielfach behauptet) "auf der Gesamtebene definitiv zu Kostenreduktionen geführt", es seien Preisanstiege vermieden oder reduziert worden, unter anderem in Form von Rabatten und Preisobergrenzen für Artikel-Publikationsgebühren. "Gleichzeitig wurde der Leistungsumfang signifikant ausgedehnt, so dass Einsparungen auf konsortialer Ebene klar nachgewiesen werden können."
Wohlgemerkt spricht aber auch Ziegler von Kostenreduktionen lediglich "auf der Gesamtebene". Das Problem: Von dort, wo Geld gespart wurde (bei den Staats- und Landesbibliotheken etwa), kam es oft nicht bei denen an, die mehr zahlen müssen. So hatten die Präsidenten aller Allianz-Wissenschaftsorganisationen schon im Frühjahr 2021 in einem Brandbrief an die Landes- und Bundeswissenschaftsminister gewarnt, durch Open Access verschöben sich die Publikationskosten und würden zu einer finanziellen Belastung derjenigen, "die in besonderer Weise für die Produktion und die Entwicklung des wissenschaftlichen Wissens und das internationale Ansehen der deutschen Forschung stehen." Und im Gegenteil zu Ziegler heute beklagten sie damals die "substanziellen" Mehrkosten insgesamt, die "im Rahmen guter Verhandlungsergebnisse" durch DEAL nur teilweise gemindert werden könnten.
Ziegler hofft auf Vertrag
schon für das nächste Jahr
Ziegler erklärt den im Allianz-Brief durchscheinenden wissenschaftsinternen Konflikt allerdings für nicht "von Relevanz" für die Vertragsverhandlungen mit Elsevier, "weil DEAL ein Preisniveau mit Elsevier anstrebt, das Entlastungen für die überwältigende Mehrheit der Einrichtungen in Deutschland gegenüber der Zeit vor DEAL bedeutet, ohne dass ein Kostenausgleich zwischen Institutionen notwendig ist."
Stattdessen liege ein weiterer Schwerpunkt des Konsortiums derzeit darauf, die MPDL Services GmbH von einer gewerblichen in eine gemeinnützige GmbH umzuwandeln. MPDL ist das rechtliche Konstrukt für DEAL, um überhaupt als Vertragspartner für die Wissenschaftsverlage auftreten zu können. Mit der Umwandlung solle die MPDL "eine angemessene Form" erhalten. Ein "aufwändiger Vorgang", so Ziegler, der aber bereits "weit fortgeschritten" sei.
Wie auch immer: Es bleibt in der Gesamtschau der Eindruck, dass DEAL derzeit noch hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt ist. Aber nicht mehr lange, wenn man Ziegler Glauben schenkt: "Die HRK hat gegenüber ihren Mitgliedshochschulen signalisiert, dass aktuell Vorbereitungen für Gespräche mit Elsevier laufen, die bei günstigem Verlauf in einem Vertrag für das Lizenzjahr 2023 resultieren könnten."
Dafür müsste DEAL allerdings den HRK-Mitgliedshochschulen, die sich so erstaunlich gut mit dem Status Quo arrangiert haben, auch nochmal deutlich machen, welchen Vorteil genau sie durch die Beendigung des vertragslosen Zustand mit Elsevier haben werden. Zumal sie das mit der baldigen Verhandlungsaufnahme so ähnlich schon häufiger gehört haben in den vergangenen zwei Jahren. Also: Auf Wiedervorlage für Ende 2022.
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