Man bedauere den Unmut durch die "kurzfristigen Verschiebungen", sagt eine Sprecherin. Was laut Ministerium auf die Projekte zukommt – während sich die Proteste der Wissenschaftsszene weiter verstärken.
DAS BUNDESFORSCHUNGSMINISTERIUM schafft Klarheit – ein wenig zumindest. Auf Anfrage teilte eine Sprecherin Einzelheiten zu den von Kürzungen betroffenen Förderlinien und Programmen mit. In den vergangenen Tagen hatte es immer mehr Wortmeldungen von Forschenden gegeben, die von nicht verlängerten Projekten, Verzögerungen bei Bewilligungen oder gar der Rücknahme mündlich zugesagter Förderungen berichteten.
Woraufhin unter anderem die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), Paula-Irene Villa Braslavsky, in einem offenen Brief an Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) die "große Unklarheit und Verunsicherung hinsichtlich der Forschungsförderung durch das BMBF" kritisiert und "maximale Transparenz" gefordert hatte.
Das Ministerium verweist auf die schwierigen Rahmenbedingungen für das Haushaltsjahr 2022 durch die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, die 2023 in verstärkter Form fortgelten würden, wenn zusätzlich die seit zwei Jahren ausgesetzte Schuldenbremse im Bundeshaushalt wieder uneingeschränkt gelten werde. Dennoch müssten auch 2023 keine aktuell laufenden Forschungsvorhaben aus Kostengründen abgebrochen werden. "Im Einzelfall kann es jedoch vorkommen, dass Anschlussprojekte nicht oder nicht im bisherigen Umfang gefördert werden können."
Was laut BMBF aus den
Anträgen und Projekten wird
Was heißt das im Einzelnen bezogen auf die BMBF-Förderpraxis, und inwiefern zeigt das Ministerium Bedauern? Konkret nennt das Ministerien die folgenden Förderlinien, die von Einschränkungen oder Verzögerungen betroffen seien.
o "Innovative Frauen im Fokus": Es sei gegenüber den Antragstellungen "frühestmöglich" kommuniziert wurden, dass sich die Bewilligungen verzögern würden, weil der Bundestagshaushalt erst am 22. Juni veröffentlicht wurde und bis dahin die vorläufige Haushaltsführung gegolten habe. Doch seien im 2. Call der Förderrichtlinie keine Bewilligungen aufgehoben bzw. aufgehoben worden. Und das Ministerium verspricht: "Derzeit werden die Bewilligungen vorbereitet", der Projektbeginn werde im Rahmen der Bewilligung mit den Zuwendungsempfängern individuell abgestimmt.
o "Kulturelle Vielfalt und kulturelles Erbe": In der Förderrichtlinie "Sprache der Objekte" könnten zwei geplante Anschlussvorhaben, mit denen Ergebnisse der vorangegangenen Arbeiten im Rahmen von Ausstellungen vermittelt werden sollten, "nicht wie geplant gefördert werden", teilt die Ministeriumssprecherin mit. Damit bestätigt das BMBF indirekt den Bericht der Düsseldorfer Kunsthistorikerin Julia Trinkert. Sie hatte getwittert, dass die im Februar zugesagte Finanzierung einer Ausstellung zum seit 2018 geförderten Forschungs-Verbundprojekt "Parvenue" zurückgezogen worden sei. "Zuwendungsbescheid sollte bis 1.7. kommen, am Montag dann überraschend Absage", schrieb Trinkert und ergänzt: "Wir sind sprachlos". Das Ministerium betont zwar, dass es "einen Widerruf bereits durch Zuwendungsbescheid zugesagter Förderung" in "keinem Fall" gegeben habe. Womit es jedoch nicht den Berichten vieler Forschenden widerspricht, dass es bereits mündliche Zusagen gegeben habe. Alle laufenden Forschungsvorhaben, fügt das BMBF hinzu, würden ohne Anpassungen bis zum vorgesehenen Projektlaufzeitende weitergeführt.
o BioTip/GlobalTip: "Im Rahmen der zu treffenden Haushaltsentscheidungen" habe sich das BMBF "unter anderem gegen neue Projekte im Förderschwerpunkt BioTip" entschieden, sagt die Sprecherin. Die laufenden Projekte seien davon nicht beeinträchtigt, ihre Laufzeit bis Ende Februar 2023 sei gesichert. Anders gesagt: Danach ist Schluss. Dennoch betont das BMBF: Es handle sich nicht um eine Beendigung der Förderung, "sondern um den Verzicht auf neue Projekte im Rahmen dieser Förderlinie." Oder wiederum anders formuliert: die Komplett-Streichung des Förderschwerpunkts "BioTip" nach Februar 2023, zwei Jahre früher als eigentlich vorgesehen.
o "Aktuelle und historische Dynamiken von Rechtsextremismus und Rassismus" und "Gesellschaftliche Auswirkungen der Corona-Krise": Hier spricht das BMBF von "Verzögerungen bei den Bewilligungen", wovon auch die Richtlinie zur Förderung von Nachwuchsgruppen im Rahmen der Rechtsextremismus- und Rassismusforschung betroffen sei. Als Grund nennt das BMBF ebenfalls die verspätete Verabschiedung des Haushalts 2022, nimmt aber auch hier für sich in Anspruch, es sei den Antragstellungen "frühestmöglich" kommuniziert worden, "dass sich die Bewilligungen... verzögern werden. Als Bundesministerium für Bildung und Forschung bedauern wir diese Verzögerungen und können gut nachvollziehen, dass die kurzfristige Verschiebung von geplanten Laufzeiten von Projekten für Unmut gesorgt hat."
Gesellschaft für Soziologie: "Politik
auf Kosten von jungen Forschenden"
Wobei "Unmut" gelinde ausgedrückt ist. Gudrun Hentges und Nicole Bögelein von der Universität zu Köln etwa warten auf die Bewilligung ihres Projekts in der Förderlinie zur Rechtsextremismus-Forschung, das ebenfalls am 1. Juli hätte starten sollen. Die Förderlinie adressiere den lange ignorierten institutionellen Rassismus in Institutionen und sende ein wichtiges Zeichen, dass alle Gruppen gleichberechtigter Teil unserer Demokratie seien und Diskriminierung angegangen werde, sagen Hentges und Bögelein und fügen empört hinzu: "Nun wird aber die Lebensrealität von Menschen, die von Rassismus betroffen sind, wiederholt marginalisiert."
Hinzu kommt: Viele Projektleiter fürchten, dass schon durch die Verzögerungen irreparabler Schaden entsteht, weil Forschende sich andere Stellen suchen oder ganz aus der Wissenschaft abwandern könnten.
Die Vorsitzende der DGS, Villa Braslavsky, schreibt in ihrem Brief an Ministerin Stark-Watzinger, die aktuelle Unklarheit sei auch für den Wissenschaftsstandort Deutschland verheerend. "Sie treibt junge Forschende aus Forschung und Lehre heraus, die hervorragend ausgebildet, hoch motiviert und überaus engagiert sind." Es komme erschwerend hinzu, dass derzeit zahlreiche Projekte nicht einmal kostenneutral, etwa wegen Elternzeiten oder Krankheit verlängert oder zu Ende geführt würden. "Das ist Politik auf Kosten von jungen Forschenden und ihren Familien."
Währenddessen betont das BMBF erneut, das Rahmenprogramm "Gesellschaft verstehen – Zukunft gestalten" für die Geistes- und Sozialwissenschaften, das noch bis 2025 laufe, werde auch "unter den neuen finanziellen Rahmenbedingungen in seinen Grundlinien umgesetzt". Was das konkret bedeutet, bleibt indes abzuwarten. Der Forschungsfördertitel für die Geistes- und Sozialwissenschaften im BMBF-Haushaltsentwurf für 2023 soll wie berichtet um zehn Prozent auf knapp 95 Millionen Euro sinken.
Als eine der ersten Wissenschaftler*innen hatte sich die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), Jutta Allmendinger, schon Mitte Juni mit deutlicher Kritik zu Wort gemeldet. Die vom BMBF zu den sozialen Folgen von Corona "genehmigten Forschungsprojekte sollten ab 1.7. starten. Nun droht das Aus", twitterte die Soziologin und forderte die "liebe Frau Ministerin" Stark-Watzinger auf: "Bitte ermöglichen Sie diese wichtige Forschung. Die Pandemie ist nicht vorbei und wir wissen zu wenig über ihre Folgen."
Auf Kosten der
Grundlagenforschung?
Nimmt man das BMBF beim Wort, dürfte auch das WZB bald Bewilligungs-Post bekommen. Ob dann noch alle Wissenschaftler*innen da sind, deren Stellen ab Juli starten sollten? Zumal das Ministerium immer noch und anders als von DGS-Präsidentin Villa Braslavsky gefordert, keinen genauen Zeitpunkt nennt, wann die Corona-Förderlinie zugewiesen wird, wann also bewilligte Projekte "tatsächlich starten" können.
Eine Deutung im Zusammenhang mit der BMBF-Förderpolitik, die in den vergangenen Tagen zu hören war, trifft allerdings nicht so klar zu. Begründet werde der Förderstopp mit "aktuell geringeren zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln und neuen Schwerpunktsetzungen hin zu Forschungsaktivitäten, die einen schnellen Impact erzeugen", kritisierte zum Beispiel Regine Schöneberg, wobei sie sich auf ein entsprechendes Schreiben des BMBF an einen Projektträger, das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR), bezog. Schöneberg ist Politikwissenschaftlerin am Lateinamerika-Institut der Freien Universität in Berlin und Leiterin eines BioTip-Teilprojekts.
Doch sind ja auch die betroffenen Förderlinien Forschungsprojekten gewidmet, die einen deutlichen und oft kurzfristigen (wenn auch meist nicht wirtschaftlichen) Impact erzielen sollen. Außerdem stehen den rund zehn Millionen Euro, die 2023 im Forschungsfördertitel für die Geistes- und Sozialwissenschaften eingespart werden sollen, allein rund 55 Millionen Euro gegenüber, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) nächstes Jahr zusätzlich erhalten soll. Hauptsächlich für die Grundlagenforschung. Und über den Zukunftsvertrag Studium und Lehre steigt die grundmittelähnliche Bundesfinanzierung der Hochschulen 2023 um 57 Millionen Euro.
Für die Wissenschaftler*innen in den betroffenen Projekten und Förderlinien wird dies indes ein schwacher Trost sein.
Von "#StopTheCuts" bis "#IgotFundedByDAAD"
Die Kritik an den Sparplänen der Bundesregierung setzt sich fort, unter anderem in den sozialen Medien über den Hashtag "#StopTheCuts". In den vergangenen Tagen unterzeichneten Wissenschaftler*innen und Hochschulangehörige aus dem In- und Ausland auch einen offenen Protestbrief gegen die vom Auswärtigen Amt geplanten Kürzungen beim Deutschen Akademischen Austauschdienst(DAAD) und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH).
Die Kürzungen stünden in eklatantem Widerspruch zur im Koalitionsvertrag angekündigten Erhöhung der institutionellen Förderung von DAAD und AvH um 3 Prozent pro Jahr. Zusammen mit den BMBF-Sparplänen untergrüben "gerade die kurzfristigen Einschnitte in laufende bzw. angekündigte Förderungen das Vertrauen zwischen den Institutionen und in die damit verbundene Rechts- und Verfahrenssicherheit". Auch zeichne sich mit diesen massiven Einschnitten in die Wissenschaftsförderung ein "Kahlschlag der
bisherigen Hochschullandschaft ab, insbesondere in ihrer internationalen Ausrichtung".
Unter dem Hashtag "#IgotFundedByDAAD" berichten unterdessen Wissenschaftler*innen, was ihnen die DAAD-Förderung bedeutet hat und wie dramatisch der Wegfall von Stipendien wäre.
AvH-Präsident Hans-Christian Pape bezeichnete die Kürzungen für Philipp- Schwartz-Initiative, ein Stipendienprogramm für verfolgte Wissenschaftler*innen, als "besonders schmerzlich". Während in diesem Jahr noch Sondermittel für den Schutz Forschender aus der Ukraine vorhanden seien, müssten diese im nächsten Jahr weiterlaufenden Stipendien dann zu Lasten von Bewerbungen aus anderen Ländern finanziert werden. "Der Schutz für Forschende aus der Ukraine geht auf Kosten von genauso schutzbedürftigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus anderen Ländern. Was ein starkes Signal der Solidarität sein sollte, wird so in der Mehrheit der Länder zu einer Schwächung der Wissenschaftsfreiheit führen."
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naja (Freitag, 15 Juli 2022 18:09)
Im offenen Brief von Frau Villa-Braslavsky heisst es, dass die in Frage stehenden Forschungsprojekte in einem "hochkompetitiven Prozess" vom BMBF bewilligt worden waren. Hochkompetitiver Prozess?? Wirklich? Nicht vielleicht eher ein politischer Prozess? Na ja, die Kollegen koennen ihre fachliche Qualitaet ja dann demnaechst im Auswahlverfahren der DFG unter Beweis stellen. Ich bin gespannt, was dann noch uebrig bleibt.
Positive Corona (Sonntag, 17 Juli 2022 09:21)
Mir scheint, daß viele es einfach nicht wahrhaben wollen, daß die paradiesischen Zeiten der Förderung der Forschung unter den eingetretenen Krisenbedingungen nicht mehr zu halten sind. Man muß sich nicht nur beim Gas und anderen elementaren Dingen auf grundlegende Änderungen einstellen.
Düsentrieb (Montag, 18 Juli 2022 09:48)
Die Kritik an Stark-Watzinger hat auch eine parteipolitische Dimension. Frau Allmendinger verdankt ihren Posten der SPD, wie so viele am WZB.
LSB (Montag, 18 Juli 2022 14:46)
Es gibt wenige Länder auf der Welt, die sich selbst willkürlich gesetzte Schuldengrenzen auferlegen, um dann in Krisenzeiten prozyklische Sparmaßnahmen umzusetzen, welche wiederum die Attraktivität des Landes und die Stabilität der demokratischen Institutionen untergraben. Und dann wird dies auch noch von der Seitenlinie mit einem gewissen Verständnis resignierend aufgenommen. Ich sehe als junger Mensch in diesem suizidalen politischen Setting keine vielversprechende Zukunft.
FoRef (Mittwoch, 20 Juli 2022 11:54)
Bitter. Aber die Folgen der "Zeitenwende". 100 Mrd. für Aufrüstung ist nicht #TINA, sondern eine politische und sehr erstaunliche Entscheidung. Was man so alles für Verteidigung schnell mobilisieren kann!? Pflege, Bildung und Forschung fallen da einfach mal hinten runter.
Operativ ist es leider so, dass man sich für mündliche Zusagen nix kaufen kann. Es gilt de jure nur der Zuwendungsbescheid, davor ist man auf offener See. Und auch der kann im Worst Case zurückgezogen werden.
Operativ (wenn auch off-topic) ist es auch so, dass die BMBF-bzw. Bundes-Förderung immer stärker durch eine überzogene Prüf- und Audit-Kultur geprägt ist. Was da auf der Ebene und mit den vorgeschalteten Projektträgern passiert, ist ohne Worte und kaum mehr auszuhalten.
Da wird mit unverhältnismäßigem Aufwand um jeden Cent gefeilscht und rumgekürzt. Ein bürokratischer und ineffizienter Albtraum, wenn man an die 100 Mrd. denkt, die mal so als Sondervermögen rausgehauen werden. Oder was sonst noch so in der Politik geht (Maut-Disaster, Cum Ex, Tankrabatt etc.).