Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger wehrt sich gegen den Vorwurf, sie schichte ihren Haushalt zugunsten von "schnellem Impact" um. In Wirklichkeit steckt hinter dem geplanten Rekord-Zuwachs für die neue Transferagentur vor allem eines: eine Mogelpackung.
DAS SEI NICHT ihre Formulierung, schrieb Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger auf Twitter und reagierte damit auf einen Hashtag, der dort in den vergangenen Tagen Karriere gemacht hatte. Und zwar als Symbol für tatsächliche oder befürchtete Kürzungen des BMBF: "#schnellerimpact".
Der Verdacht vieler Wissenschaftler: Das BMBF wolle mit den Einsparungen vor allem das Budget der bestehenden Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) und der geplanten Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) auffüllen.
Es gebe keine Verschiebung hin zu Forschungsaktivitäten mit einem "schnellen Impact", versicherte indes die FDP-Ministerin. "Diese Formulierung ist nicht meine und entspricht weder meiner Haltung noch meiner Politik."
Mehrere Forschende berichteten allerdings, genau dieser Ausdruck sei in dem Schreiben des BMBF an einen Projektträger, das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR), enthalten gewesen, das alle Forschungsanträge für die geplante Phase 2 des BioTip-Förderschwerpunkt abgesagt hatte. Die Absage werde doch in dem Brief begründet mit "aktuell geringeren zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln und neuen Schwerpunktsetzungen hin zu Forschungsaktivitäten, die einen schnellen Impact erzeugen", reagierte denn auch der Fischereiwissenschaftler Robert Arlinghaus von der Berliner Humboldt-Universität auf Stark-Watzingers Tweet und ergänzte: "Missverständnis? Entscheidungsrücknahme?"
Das BMBF erklärte dazu auf Nachfrage des Tagesspiegels, bei der besagten Formulierung habe es sich um "eine missglückte Kommunikation auf Arbeitsebene" gehandelt.
Zehn Millionen weniger für die Geistes- und Sozialwissenschaften, 55 Millionen mehr für die DFG
Tatsächlich spricht vieles dafür, dass die Formulierung in dem Brief, ob abgesprochen mit der Ministerin oder nicht, vor allem eines war: unglücklich. Zumal sie die Realität nicht korrekt wiedergibt. Ja, das BMBF verzögert Bewilligungen oder sagt sie sogar ab (auch wenn das Ministerium Wert darauf legt, dass auch 2023 keine aktuell laufenden Forschungsvorhaben aus Kostengründen abgebrochen werden müssten). Ja, die Ampel hat angekündigt, ihre Forschungs- und Innovationspolitik mit der "Zukunftsstrategie Forschung und Innovation" neu auszurichten. Und ja, allein die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) soll 2023 rund 59 Millionen Euro mehr erhalten, von denen allerdings 20 Prozent vorerst gesperrt sind.
Trotzdem ist im Haushalt 2023 kein grundsätzlicher Trend hin zu mehr angewandter Forschungsfinanzierung zu erkennen. Erstens sind auch die von Verzögerungen und Kürzungen betroffenen Förderlinien überwiegend angewandten Forschungsprojekten gewidmet, die einen deutlichen und oft kurzfristigen (wenn auch meist nicht wirtschaftlichen) Impact erzielen sollen. Zweitens stehen die nächstes Jahr vorgesehenen Kürzungen von rund zehn Millionen Euro im Forschungsfördertitel für die Geistes- und Sozialwissenschaften allein rund 55 Millionen Euro gegenüber, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zusätzlich erhalten soll. Hauptsächlich für die Grundlagenforschung. Die ausschließlich auf Grundlagenforschung fokussierte Max-Planck-Gesellschaft bekommt ebenfalls knapp 32 Millionen mehr. Und über den Zukunftsvertrag Studium und Lehre steigt die grundmittelähnliche Bundesfinanzierung der Hochschulen 2023 um 57 Millionen Euro.
Vor allem aber erweist sich – drittens – der scheinbar so großzügige Aufwuchs des Budgets für die DATI um 190 auf dann bereits 337 Millionen Euro allein im kommenden Jahr immer deutlicher als Verschiebebahnhof und Mogelpackung. Das zeigt schon der Blick auf den Namen des Haushaltstitels: "DATI, Weiterentwicklung der Innovationsförderung und -kooperation" heißt er, wobei das Komma als ein "Und" zu verstehen ist. Umso aufschlussreicher ist der Blick ins Kleingedruckte der Budgetplanung.
So gehören wie berichtet 62 Millionen davon zum seit vielen Jahren bestehenden Förderprogramm "Forschung an Fachhochschulen", das zwar offiziell in den DATI-Haushaltstitel verschoben, ansonsten aber 2023 unverändert fortgesetzt wird. Zudem hat das BMBF gerade erst die sieben Gewinner der zweiten Runde des (ebenfalls in die DATI-Zuständigkeit verlagerten) Zukunftscluster-Wettbewerbs bekanntgegeben, woraus folgt: Weitere 35 der 337 Millionen sind pro Jahr bereits gebunden, und das für die nächsten neun Jahre.
Der eigentliche Kampf um die DATI-Millionen findet
innerhalb der angewandten Forschungsförderung statt
Und so setzt sich das fort: Weitere knapp 95 Millionen, die nächstes Jahr unter die DATI-Überschrift wandern, sind für die seit einem Vierteljahrhundert laufende Programmfamilie "Innovation & Strukturwandel" vorgesehen, Ziel: die Förderung strukturschwacher Regionen. Die gut 58 Millionen für "Instrumente zur Stärkung der Wissenschaft in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und Gesellschaft", die schon länger Teil des jetzt mit "DATI" überschriebenen Haushaltstitels waren, sind größtenteils für bereits laufende oder geplante Projekte mit teilweise langer Laufzeit vorgesehen. Und selbst die nächstes Jahr explizit für den Aufbau der DATI vorgesehenen 50 Millionen Euro finanzieren Programmteile mit, die bereits seit 2018 laufen.
Die eigentlichen Kämpfe um die DATI-Millionen dürften deshalb in den nächsten Jahren innerhalb des Feldes der angewandten Forschungsförderung ausgetragen werden: um die Umwidmung bestehender Budgets, die zwar jetzt offiziell zum DATI-Bereich zählen, sich aber in Wirklichkeit oft nur über Jahre hinweg umsteuern lassen. So, wie die angekündigte neue "Zukunftsstrategie Forschung und Innovation" die bestehende, ebenfalls anwendungsorientierte "Hightech Strategie 2025" ablösen soll. Und um das Umsteuern in Sachen DATI zielgenau einzuleiten, müsste überhaupt erstmal der gerade gestartete Stakeholder-Dialog ein endgültiges Konzept für die neue Agentur produzieren.
2026, so lautet die mittelfristige Finanzplanung im BMBF, sollen für die DATI und ihr Drumherum sogar 579 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Rund 242 Millionen mehr als 2023. Der Regen frischen Geldes für die neue Agentur kommt also erst noch? Auf den ersten Blick sieht es so aus, denn der eigentliche DATI-Posten soll im selben Zeitraum um fast 220 auf dann 269,5 Millionen Euro zulegen. Auf den zweiten riecht die Sache allerdings schon wieder nach ungedeckten Schecks: Denn der größte Sprung (um 115 Millionen) ist erst zwischen 2025 und 2026 vorgesehen. Dazwischen liegt die nächste Bundestagswahl.
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Düsentrieb (Donnerstag, 21 Juli 2022 13:25)
Natürlich ist die Finanzierung der DATI eine Mogelpackung. Das ist nur konsequent, denn auch an der inhaltlichen Ausrichtung gibt es nichts Neues (abgesehen von Wortgeklingel wie "Agilität" usf.). Der jetzt laufende Stakeholder-Dialog dürfte das nicht verbessern: Im Gegenteil, diese "Stakeholder" haben natürlich jedes Interesse daran, die wenigen frischen Mittel auch noch in die alten Strukturen zu leiten.