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"Jugendliche sind noch offener"

Der Berliner Exzellenzverbund BUA will sein nächstes Forschungsprogramm von Schülern mitbestimmen lassen. Ist das mehr als ein Marketingstunt? Ein Interview mit Holger Dobbek vom "Grand-Challenge-Steering-Committee".

Holger Dobbek ist Professor für Strukturbiologie und Biochemie an der Humboldt-Universität Berlin. Foto: privat.

Herr Dobbek, die Berlin University Alliance (BUA) fordert neben Forschern auch Studierende und Jugendliche auf, Themenvorschläge für ihr neues Forschungsprogramm einzureichen. Meinen Sie das ernst?

 

Durchaus. Die BUA hat sich als Exzellenzverbund die Aufgabe gestellt, die großen Herausforderungen von morgen zu erforschen, und diese großen Herausforderungen, Grand Challenges genannt, betreffen die Gesellschaft als Ganzes. Die globale Gesundheit, der soziale Zusammenhalt. Das sind die beiden Grand Challenges, an denen BUA-Forscher schon disziplinenübergreifend arbeiten, von den Geistes- über die Naturwissenschaftler bis hin zu den 


Ingenieuren. Aber es gibt natürlich viele weitere drängende Themen. Den Klimawandel. Die Energieversorgung. Oder ganz andere, die wir als BUA noch gar nicht auf dem Schirm haben. Und da kommen die jungen Leute ins Spiel. Denn Grand Challenges haben es in ihrer Komplexität an sich, dass schon die Art und Rahmung der Fragestellung entscheidend sein können für den Erfolg eines Forschungsprojekts.

 

"Wir haben in Berlin eine besondere Lebenswelt, wobei uns speziell die der jungen Menschen interessiert. Wie stellt sich eine Grand Challenge konkret für sie vor Ort dar?"

 

Die Wissenschaftler denken so komplex, dass sie die Jugendlichen als Ratgeber brauchen?

 

Zumindest sind Grand Challenges wie der Klimawandel oder das Energieproblem von solch einer Komplexität, dass  sie sich abstrakt überhaupt nicht lösen lassen. Aber ich kann sie runterbrechen, und bei diesem Runterbrechen spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Zum einen die lokale wissenschaftliche Expertise. Was können wir innerhalb der BUA leisten, welche Institute, Disziplinen und Forschungsteams stehen uns darüber hinaus im Berliner Forschungsnetzwerk BR 50 zur Verfügung? Wir haben in Berlin eine hohe Breite angefangen mit den Universitäten über die Helmholtz-Zentren bis hin zu den Leibniz- oder Max-Planck-Instituten. Aber natürlich gibt es Grenzen. Zum anderen haben wir in Berlin eine besondere gesellschaftliche Lebenswelt, wobei uns speziell die der jungen Menschen interessiert. Was nehmen sie in ihrem Alltag als Probleme wahr? Wie stellt sich eine Grand Challenge konkret für sie vor Ort dar? Das ist das wirklich Spannende, wo wir uns Impulse erhoffen.

 

Und die Jugendlichen können einfach so Themenvorschläge einreichen?

 

Die Vorschläge der Studierenden und Forschenden nehmen wir schon jetzt gern entgegen. Bei den Jugendlichen glauben wir, dass ein anderer Weg besser funktioniert: Wir laden alle Interessierten zwischen 14 und 18 Jahren ein, sich zu bewerben. 50 wählen wir aus und laden sie zu mehreren Workshops ein, unter der Mitwirkung von Spezialisten für Jugendarbeit. Ich wünschte, wir könnten mehr als 50 nehmen, aber dafür ist das Programm, das wir vorhaben, zu umfangreich. An drei Wochenenden im September lernen die Jugendlichen die Forschung der BUA kennen, um zu wissen, was schon da ist. Sie üben gemeinsam Rhetorik und Präsentations- und Kreativitätstechniken. Und am langen Wochenende über den 3. Oktober findet das eigentliche Ideen-Camp statt, bei dem die Jugendlichen ihre Ideen und Argumente sammeln, vorbereiten und anschließend ihre Themen formulieren. 

 

Partizipation ist wissenschaftspolitisch en vogue, und dann auch noch mit jungen Menschen. Kann es sein, dass sie sich vor allem gute Presse von der Aktion erhoffen? Ein bisschen Marketing für die angeschlagene BUA vor den nächsten Entscheidungsrunden der Exzellenzstrategie?

 

Natürlich ist das nicht selbstlos, was wir vorhaben. Aber da geht es weniger um die BUA als um das Standing der Wissenschaft insgesamt. Wir erleben doch, wie wichtig es ist, dass wir uns als Forschende die gesellschaftliche Unterstützung erhalten. Das meine ich finanziell, weil Wissenschaft Geld kostet. Vor allem aber ideell, weil die Demokratie vom Austausch lebt. Mit der herkömmlichen Wissenschaftskommunikation erreichen wir immer nur die gleichen. Wer sich für Astrophysik interessiert, kann beliebig tief eintauchen, die Mediatheken sind voll, man kann sich zum Beispiel von morgens bis abends Filme und Vorträge angucken. Einige Leute tun das auch mit großer Begeisterung, sehr intensiv, das ist großartig. Aber es sind wenige. Darum bin ich überzeugt: Wir müssen andere Wege gehen, um mehr Menschen mit Wissenschaft anzusprechen. Jugendliche und junge Erwachsene sind noch offener, das ist eine große Chance. Auch für die Qualität und Weitsicht der Vorschläge, die wir uns erhoffen. Je jünger die Menschen sind, desto weniger sind bei ihnen bereits die Partikularinteressen ausgeprägt, die uns Erwachsenen kennzeichnen. 

 

"Wir sehen uns als BUA ein bisschen als Vorreiter,
und es könnte sein, dass uns darum der Austausch mit der Stadtgesellschaft besonders am Herzen liegt.
Das würde ich mir zumindest wünschen." 

 

Am Ende entscheiden dann allerdings doch die Forschungsfunktionäre. Zwar sollen im Februar 2023 im Rahmen eines "Next Grand Challenge"-Forum die Jugendlichen, mit den Studierenden und Forschern über ihre Themenvorschläge diskutieren. Aber die "Argumente", die sie beim Forum erarbeiten, sollen dann laut Pressemitteilung lediglich "als Entscheidungsgrundlage für die Auflage des neuen Forschungsprogramms" dienen. 

 

Ja, aber diese Argumente sind ja das, auf was es ankommt! Wir haben uns in der BUA gegenseitig zugesichert, dass sie wirklich die Grundlage für die letztendliche Entscheidung sein werden. Es kann sein, dass am Ende des Forums drei oder vier Themenvorschläge stehen, die jeweils mit guten Argumenten hinterlegt sind. Dann müssen wir einen Vorschlag auswählen. Doch selbst wenn der nicht von Jugendlichen käme, wären deren Ideen nicht verloren, sondern würden in einen Themenspeicher wandern, die wir in kommenden BUA-Projekten wieder aufgreifen werden. Ich kann mir allerdings auch vorstellen, dass es schon im Rahmen des Forums eine so große Einigkeit unter den Teilnehmenden geben wird, dass das Ranking der möglichen Forschungsthemen quasi automatisch geschieht. 

 

Und wie viel Geld gibt es dann für deren Bearbeitung?

 

Genau kann ich das noch nicht sagen, aber ich gehe von einer ähnlichen Größenordnung aus, mit der wir unsere bisherigen zwei Challenges finanzieren konnten. Da haben wir jeweils mehrere sogenannte Exploration Projects, für die etwa anderthalb Millionen Euro zur Verfügung standen. Und weil wir mit unserer Fragestellung in die Gesellschaft hineinreichen wollen, kann ich mir vorstellen, dass wir zusätzlich weitere Mittel auftreiben, wenn Wirtschaft und Politik merken, dass wir zum Beispiel nach Lösungen für die Stadt als Ganzes suchen. 

 

Was macht eigentlich die Konkurrenz? Wissen Sie von anderen Exzellenzuniversitäten, die ähnliche Aktionen planen?

 

Ich kenne keine, wobei mein Nichtwissen nicht bedeutet, dass es sie nicht geben kann. Wir sind als BUA aber ohnehin etwas anders unterwegs, weil wir bislang der einzige Universitätsverbund in der Exzellenzstrategie sind. Ich betone: bislang, weil gemunkelt wird, dass sich gerade weitere Verbünde zur Bewerbung zusammenfinden. Jedenfalls sehen wir uns ein bisschen als Vorreiter, und es könnte sein, dass uns darum der Austausch mit der Stadtgesellschaft besonders am Herzen liegt. Das würde ich mir zumindest wünschen. 



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Kommentare: 2
  • #1

    na ja (Freitag, 12 August 2022 14:53)

    Ob Herr Dobbek auch ernsthaft bereit wäre, sich die eigenen Forschungsthemen von Schülern vorschlagen zu lassen?

    Im Beitrag heisst es seitens J.-M.: "Ein bisschen Marketing für die angeschlagene BUA vor den nächsten Entscheidungsrunden der Exzellenzstrategie?"

    Genau so ist es. Das nennt man Infantilisierung der Wissenschaftskommunikation. Peinlich.

  • #2

    Edith Riedel (Donnerstag, 18 August 2022 15:21)

    Kinder und Tiere ziehen, alte Marketingweissheit. Das weiss auch die Wissenschaftskommunikation.