Über viele Jahre wurden Max Planck, Helmholtz & Co großzügiger alimentiert als die Hochschulen. Doch in der Krise geraten auch sie unter Druck. Weshalb beides nötig ist: kurzfristig bei der Forschungsfinanzierung nachzulegen und dann die Zügel beim Pakt anzuziehen.
Röntgenstrahlungsquelle PETRA III des DESY in Hamburg. Foto: Simon Waldherr, CC BY-SA 4.0.
THOMAS SATTELBERGER nennt sie die "Verfixkostung" des BMBF-Haushalts, die garantierte Erhöhung der jährlichen Zuschüsse, die Max Planck, Helmholtz & Co über den "Pakt für Forschung und Innovation" (PFI) erhalten. Er sei und bleibe kein Freund dieser "Verpaktung", sagte der nach wenigen Monaten zurückgetretene parlamentarische Staatssekretär neulich im Interview, und erst recht sei er kein Freund der Dynamisierung. So etwas führe in Zeiten enger Kassen "zu einem bösen Verdrängungswettbewerb".
Was das praktisch bedeutet, kann man gerade anhand des BMBF-Haushalts erleben. Da die PFI-Organisationen pro Jahr drei Prozent mehr überwiesen bekommen, das Budget des Ministeriums aber 2023 nur um 0,9 Prozent zulegen soll, muss anderswo gestrichen und gekürzt werden. Zum Beispiel bei der Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften? Sattelberger jedenfalls findet, dass der PFI 2025 "aufgeschnürt" werden müsse.
Nun hat ein ehemaliger Staatssekretär leicht reden. Und die (von mir, nicht von Sattelberger spekulierte) Kausalität "mehr vom Kuchen für die außeruniversitären Forschungsorganisationen, weniger für die Erforschung von Coronafolgen oder Rechtsextremismus" mag plakativ klingen, vereinfacht aber ebenso über Gebühr wie die Formel vom "schnellen Impact". In Wirklichkeit zählt der 2005 gestartete kontinuierliche Aufwuchs der institutionellen Forschungsförderung über den PFI, vor drei Jahren bis 2030 verlängert, zu den größten Erfolgsgeschichten der bundesdeutschen Wissenschaftspolitik. Die im Wettbewerb mit anderen Politikbereichen ertrotzt wurde und alle paar Jahre aufs Neue verteidigt werden muss.
Die drei Konstruktionsmängel des PFI
Umgekehrt gab es in den vergangenen Jahren sehr wohl gewichtige Gründe, den Pakt für Forschung und Innovation zu kritisieren: weil er, so richtig vom Grundsatz er war und ist, mit erheblichen Konstruktionsmängeln einherging.
Konstruktionsmangel eins: Das Pakt-Geld floss zwar verlässlich, doch wurden die in einem Pakt zu erwartende Gegenleistungen der Forschungsorganisationen so schwammig vereinbart, dass sie fast automatisch als erbracht galten. Und wenn doch einmal Zweifel an der Performance bestanden (etwa in Bezug auf die erreichte Diversität des wissenschaftlichen Personals oder die Transfererfolge), gab es hier und da im Bundestag ein wenig Aufregung, aber am Ende doch keine oder fast keine finanziellen Konsequenzen.
Konstruktionsmangel zwei: Die Hochschulen hatten zwar auch "ihren" Pakt, inzwischen heißt er Zukunftsvertrag "Studium und Lehre", aber für den verweigerte das BMBF bis zum Regierungswechsel die Dynamisierung. Womit der Abstand zwischen der von den Ländern überwiegend kurz gehaltenen Grundfinanzierung der Hochschulen und den deutlich großzügiger alimentierten Forschungsorganisationen immer weiter wuchs.
Konstruktionsmangel drei: Neben der Helmholtz- und Leibniz-Gemeinschaft, der Max-Planck- und der Fraunhofer-Gesellschaft ist auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) seit 2005 PFI-Nutznießer, was anfangs sinnvoll war, weil so die Drittmittel für die Hochschulen stiegen. Was aber umso absurder wurde, je mehr dadurch eine Schieflage zulasten der nicht gleichermaßen gewachsenen Grundhaushalte der Hochschulen entstand.
Wie die Inflation die Paktlogik ad absurdum führt
Mit Konstruktionsmangel zwei hat die Ampel Schluss gemacht: Von 2023 erhalten auch die Hochschulen jedes Jahr mehr. Eine von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) umgesetzte Entscheidung, mit der sie – wenn man Sattelbergers "Verfixkostungs"-Abneigung ernst nimmt, ihrem damaligen parlamentarischen Staatssekretär wenig Freude bereitet haben dürfte. Den Hochschulen damit umso mehr.
Für die Behebung von Konstruktionsmangel eins hatte sich Sattelberger selbst schon in seinen Jahren als Oppositionspolitiker in Stellung gebracht. Was davon nach seinem Weggang noch kommt, wird abzuwarten sein.
Drängender ist, dass ein makroökonomisches Ereignis die Logik aus mehr als anderthalb Jahrzehnten PFI ad absurdum geführt hat. Drei (oder zeitweise sogar fünf Prozent) mehr pro Jahr klangen gut, solange die Inflation bei zwei Prozent oder darunter lag. Sie klingen nach einem Rückbau-Programm in Zeiten einer Geldentwertung von sechs Prozent und mehr. Erst recht, wenn die Forschungsinstitute einen teilweise sehr großen Teil ihres Geldes für Energie ausgeben müssen. Wie hoch dürfte beispielsweise derzeit die Real-Inflation für eines der weltgrößten Beschleunigerzentren ausfallen, das zu Helmholtz gehörende DESY in Hamburg?
PFI aufschnüren? Ja, aber anders
So betrachtet ist viel dran an Sattelbergers Erwartung, dass der PFI aufgeschnürt werden muss. Allerdings anders, als er es gemeint hat. Nicht erst 2025, sondern jetzt müssen Bund und Länder darüber diskutieren, wie sie zumindest für die am stärksten betroffenen PFI-Forschungseinrichtungen die Zuschüsse erhöhen können. Nicht dauerhaft, aber in Form von Energie-Hilfsprogrammen, die genauso Hochschulen und Universitäten zugute kommen müssen, damit sie ihre Anlagen, Labore und Hörsäle im Winter auf jeden Fall weiterbetreiben können.
Nächstes Jahr dann muss Inventur gemacht werden bei PFI und Zukunftsvertrag. Geht die Teuerung auf ein normales Niveau zurück? Reicht insofern ein einmaliger Extra-Zuschlag für alle, um auf dem dann erreichten Niveau mit den pro Jahr drei Prozent weiterzumachen? Oder muss es für die Pakte dauerhaft einen Zusatz-Plus geben?
Genau das wäre dann auch die Gelegenheit, im Gegenzug endlich ernstzumachen mit der Behebung der zwei verbliebenen Konstruktionsmängel des PFI. Das heißt: nicht nur abstrakte Ziele, sondern klare Erfolgskriterien und deren Messung für die Außeruniversitären. Und Konsequenzen, wenn Ziele verfehlt werden. Erste Schritte auf diesem Weg ist schon die alte BMBF-Führung gegangen, indem sie beim Fraunhofer ISI ein Projekt in Auftrag gegeben hat, Ziel: die Machbarkeit "eines internationalen Benchmarkings zur Einordnung der Leistungsfähigkeiten und Dynamiken der Pakt-Partner" zu bewerten und dazu, falls nötig, neue Indikatoren zu entwickeln.
Darüber hinaus sollte BMBF-Chefin Stark-Watzinger den Mut haben, die DFG aus der Dynamisierung herauszunehmen oder ihre jährlichen Zuwächse zumindest zurückzufahren. Sie sollte das werdende Geld in die, siehe oben, womöglich ohnehin nötige Aufstockung der Hochschul-Grundfinanzierung über den Zukunftsvertrag zu stecken. Ein Schritt, der schon bei der letzten PFI-Fortschreibung 2019 an der Reihe gewesen wäre. Jetzt ist er es umso mehr.
Der Erfolg der Vorgängerinnen
Und was ist mit dem Rest des BMBF-Haushalts, der schon beim derzeitigen PFI-Wachstum unter so großen Druck geraten ist? Wäre etwa den Geistes- und Sozialwissenschaften tatsächlich geholfen, wenn man jetzt den großen Forschungsorganisationen das Wasser abgräbt? Oder führen solche Debatten nur dazu, dass man Wissenschaft gegen Wissenschaft ausspielt?
Vermutlich letzteres. Am Ende wird es darauf ankommen, dass es Stark-Watzinger gelingt, den Themen ihres Ministerium trotz knapper Kassen den Stellenwert zu verschaffen, den sie vor allem unter ihren Vorgängerinnen Edelgard Bulmahn (SPD), Annette Schavan und Johanna Wanka (beide CDU) hatten. Zwischen 2000 und 2018 wuchs das jährliche BMBF-Budget von 7,5 auf 17,2 Milliarden – also um rund 130 Prozent und damit dramatisch stärker als der Bundeshaushalt insgesamt (+38 Prozent). Ein Wachstum übrigens, das es in diesen Dimensionen ohne die von Bulmahn gestartete "Verpaktung" sehr wahrscheinlich nie gegeben hätte. Bei all ihren beschriebenen Schwächen. Das ist die Benchmark für die Ampel-Koalition. Und für Bettina Stark-Watzinger.
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Oderso (Freitag, 19 August 2022 08:45)
Zum Konstruktionsmangel drei:
Die Legende der immer weiter wachsenden Drittmittel und der Schieflage zu Ungunsten der Grundmittel sollte endlich auf den Friedhof bleiben und nicht immer wieder neu ausgegraben werden.
Das Verhältnis dieser beiden Töpfe ist im Hochschulsystem seit fast 10 Jahren konstant bzw. sinkt leicht zu Gunsten (!) der Grundmittel.
Quelle: Entweder selber rechnen anhand der Daten des Statistischen Bundesamtes oder S. 21 im aktuellen Förderatlas der DFG.
Jan-Martin Wiarda (Freitag, 19 August 2022 10:52)
@Oderso: Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich sehe die Sache etwas anders. Wenn Sie genau lesen, schreibe ich nichts von einer weiter wachsenden, sondern einer über Jahre entstandenen Schieflage. Und deren fortbestehende Existenz ist keine Legende.
2018 habe ich erstmals über die von Ihnen angesprochenen (möglichen) Trendwende berichtet, siehe hier: https://www.jmwiarda.de/2018/07/05/endlich/
Sie wurde erstmals für 2014 festgestellt, also sind wir jetzt in einem Berichtszeitraum von fünf, nicht fast zehn Jahren. Das aber nur am Rande.
Allerdings handelt es sich dabei um eine Trendwende, die bis heute allein durch die negative Entwicklung von Drittmitteln aus der gewerblichen Wirtschaft ausgelöst wurde. Diese sind teilweise absolut gesunken und in den vergangenen Jahren nur leicht gestiegen (von 1,414 auf 1,507 Milliarden zwischen 2015 und 2019). Was ich tatsächlich wiederum für ein Problem halte, aber das soll heute nicht Thema sein.
Entscheidender ist: Lässt man die Entwicklung der Drittmittel aus der Wirtschaft raus, bleibt es bei einer weiter (leicht) zunehmenden Drittmittelquote: von 22,06 Prozent auf 22,25 Prozent zwischen 2015 und 2019.
Was zeigt, dass die Nicht-Wirtschaftsdrittmittel weiter schneller gewachsen sind als die Grundmittel, wenn auch nicht mehr dramatisch schneller – das allerdings, obwohl zwischen 2015 und 2019 (vor der Corona-Krise) die Grundfinanzierung der Hochschulen ihrerseits (hier von Ihnen erwähnt) deutlich stärker zugenommen hat als lange zuvor und voraussichtlich auch als in den nächsten Jahren.
Das erreichte Niveau (die Schieflage) ist das Problem – verbunden damit, dass sie sich nicht wirklich ändert, eigentlich (siehe oben) sogar im Gegenteil.
Beste Grüße!
Ihr Jan-Martin Wiarda
Oderso (Freitag, 19 August 2022 15:43)
Danke für die Erwiderung. Ich hatte ihre Formulierung "...je mehr dadurch..." als eine fortbestehende Entwicklung gelesen, aber das liegt vermutlich an der jeweiligen Brille, die man aufhat.
Zu den Zahlen: Die von mir angegebene Quelle zeigt die Entwicklung seit 2010 und der Peek liegt im Jahr 2013. Also gebe ich gerne eine Übertreibung zu ("fast 10 Jahre"), mit den Zahlen für 2020 (nicht in der Quelle, aber beim Statistischen Bundesamt), sind es somit nun 7 Jahre leichter Rückgang in Folge.
Mit ihrer Ursachenbeschreibung gehe ich allerdings nicht konform (es läge an den Drittmitteln aus der Wirtschaft). Die laufenden Grundmittel (um die geht es ja) sind in den genannten sieben Jahren im Schnitt um 4,5 Prozent gestiegen, die Drittmittel hingegen um 3,23 Prozent (ohne Drittmittel aus der Wirtschaft erhöht sich dieser Wert zwar auf 3,5 Prozent, liegt aber immer noch unter dem Wachstum der Grundmittel). Daher die Abnahme der Quote. Mit ihrer Aussage "Nicht-Wirtschaftsdrittmittel weiter schneller gewachsen sind als die Grundmittel" stimme ich somit nicht überein.
Ich vermute aber, wir verwenden unterschiedliche Definitionen der Drittmittelquote/laufenden Grundmittel. Ich gehe hier vor wie die DFG und komme im Jahr 2019 somit auf 26,9 Prozent (ohne Wirtschaft auf 23,8 Prozent).
Ist das jetzt hoch oder niedrig, ist also das Niveau das Problem - das ist eine andere Frage und die kann mit den Zahlen alleine nicht beantwortet werden.
Jan-Martin Wiarda (Freitag, 19 August 2022 16:56)
@Oderso: In der Tat scheinen wir an irgendeiner Stelle mit unterschiedlichen Definitionen zu arbeiten. Ich hatte die Destatis-Daten nach den Drittmitteln aus der gewerblichen Wirtschaft und dem ganzen Rest sortiert, insofern komme ich, siehe oben, beim Rest zu einem weiteren (leichten) Anstieg zwischen 2015 und 2019 relativ zu den Grundmitteln auf dem sehr hohen Niveau. Übrigens waren sogar die leichten Rückgänge des Gesamt-Drittmittelanteils seit ihrem ersten Auftreten 2014 nicht durchgängig, 2017 ging es auch dort zwischenzeitlich wieder leicht hoch.
Viele Grüße Ihr J-M Wiarda