Was, wenn Hochschulen und Forschungseinrichtungen tatsächlich das Gas abgestellt wird? CDU-Wissenschaftspolitiker warnen in einem Brandbrief vor "enormen Risiken" und einem "unermesslichen Schaden" – und fordern konkrete Vorsichtsmaßnahmen.
DIE GASSPEICHER FÜLLEN SICH, und mit jedem zusätzlichen Prozentpunkt Ladestand steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Bundesrepublik durch den Winter kommt, ohne dass ihr mittendrin die Energie ausgeht. Das ändert zwar nichts an den explodierenden Preisen, aber immerhin. Was aber, wenn es doch zum Ernstfall kommt? Was, wenn die Notfallstufe ausgerufen werden muss? Dann werden Haushalte, soziale Einrichtungen und Gaskraftwerke priorisiert, und anderen Verbrauchern drohen dramatische Auswirkungen.
Viel ist in dem Zusammenhang von Kitas, Schulen und deren Vorrang die Rede. Zu Recht: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat gerade erst auf die Frage eines Sechsklässlers in Neuruppin gesagt, dass Schulbetrieb und Sportunterricht in den Turnhallen gesichert würden. Er sei "ziemlich zuversichtlich, dass wir das hinkriegen."
Ebenfalls verständlich, dass auch die Unternehmen lauthals vor den wirtschaftlichen Schäden warnen, wenn man ihnen die Energie abklemmt. Viel zu wenig wird dagegen noch über Hochschulen und Forschungseinrichtungen diskutiert und die Folgen, die eine Energieunterversorgung für sie hätte.
Bemerkenswert ist daher ein Brandbrief der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion an den Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, der mir vorliegt. Im Falle einer tatsächlichen Energie-Unterversorgung drohten "enorme Risiken und ggf. Rückschläge für den Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland", warnen darin Thomas Jarzombek, der Vorsitzende der Fraktionsarbeitsgruppe Bildung und Forschung, und Stephan Albani, Obmann im Bundestagsforschungsausschuss.
Bundestagsabgeordnete: "Unermesslichen
Schaden" abwenden
Netzagentur und Bundesregierung müssten Vorsorge treffen, damit etwa die biomedizinische Forschung gesichert werde. "Eine mangelnde Energieversorgung bedroht tausende Versuchstiere und wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse, die mit dem Verlust dieser Tiere verbunden wären", schreiben Jarzombek und Albani – Erkenntnisse etwa zu Krebs, Alzheimer, Parkinson oder Demenz.
Auch müssten die technischen Forschungseinrichtungen, Instrumente und großtechnische Anlagen geschützt sein, um einen sonst eventuell drohenden "Austritt nuklearer, chemischer oder infektiöser Stoffe" zu verhindern. Deshalb müssten Bundesregierung und Bundesnetzagentur gemeinsam mit der Allianz der Wissenschaftsorganisationen "einen detaillierten und umfassenden Vorsorgeplan" entwickeln, um im Falle der Notfallstufe "unermesslichen Schaden" abzuwenden.
Panikmache aus der Bundestagsopposition oder berechtigte Sorgen? Zumindest ist der Brief ein Grund zum Innehalten in einer Debatte, die, wenn es überhaupt um Wissenschaft und Hochschulen geht, meist nur die dringend nötige Aufrechterhaltung der Präsenzstudiums berührt. Schon ohne Notfallstufe diskutieren verschiedene Bundesländer und Hochschulen aus Kostengründen über eine zeitweise Rückkehr zur Distanzlehre, oft verpackt "verlängerter Weihnachtsferien". Was dramatisch genug wäre. Aber könnte es tatsächlich noch schlimmer kommen?
Das Schreiben haben die CDU-Abgeordneten am 29. Juli an die Bundesnetzagentur verschickt, Kopien gingen auch an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). Eine Antwort haben Jarzombek und Albani nach Angaben ihrer Bundestagsfraktion bislang nicht erhalten.
Dieser Beitrag erschien gestern in leicht gekürzter Form zuerst in meinem Newsletter.
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jf (Donnerstag, 18 August 2022 09:22)
Man muss gar nicht auf die Bundesnetzagentur schielen, die Universitäten schalten sich doch selbst ab (Stichwort verlängerte Winterpause). Vermutlich mit dem Hintergedanken einer Priorisierung: Büros leer, Lehre (sollen die Fakultäten selbst schauen). Labors: dafür wird es hoffentlich noch reichen. https://uni-freiburg.de/universitaet/themen-im-fokus/energiekrise/