Der Digitalpakt Schule kommt endlich richtig in Fahrt: Mehr als die Hälfte der Milliarden ist bewilligt oder ausgezahlt. Eine späte Genugtuung für seine Architekten? Vor allem kommt es jetzt darauf an, für den Digitalpakt 2.0 die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
DIE ÜBERSCHRIFT über der gemeinsamen Pressemitteilung klang wie die bereits gewohnte vorauseilende Entschuldigung. "Stark-Watzinger/Prien: Wir wollen den Digitalpakt weiter beschleunigen", stand über den neuen Zahlen zum Mittelabfluss im Bund-Länder-Programm zur digitalen Ertüchtigung der Schulen, die BMBF und Kultusministerkonferenz (KMK) am Dienstagmittag veröffentlichten. Fast eine wörtliche Wiederholung von Anfang März. Da lautete die Überschrift: "Stark-Watzinger/Prien: Weitere Beschleunigung des Digitalpakts nötig".
Alle sechs Monate, jeweils zum 15. Februar und zum 15. August melden die Bundesländer ihre aktuellen Beträge, der Bund rechnet sie zusammen, und wenige Tage später folgt ihre Veröffentlichung. Und tatsächlich waren die Zahlen noch jedes Mal enttäuschend. Von einem "Digitalpakt in Zeitlupe" schrieb ich zum Beispiel zur Zwischenbilanz genau vor einem Jahr, am 06. September 2021. Vor allem in der Corona-Pandemie fiel die mediale Kritik an der schleppenden Digitalpakt-Umsetzung verheerend aus.
Einer der Gründe, weswegen der Bund insgesamt drei 500-Millionen-Sofortprogramme nachlegte: zur Laptop-/Tablet-Ausstattung von Schülern und Lehrkräfte und zur Beschäftigung von System-Administratoren. Um Reaktionsfähigkeit in der Krise zu beweisen, was auch gelang: Die Endgeräte-Millionen flossen erstaunlich schnell in die Schulen – so schnell, dass Experten sich schon fragten, ob da wohl alle mit Sinn und Verstand eingekauft hätten.
Anders beim sogenannten Basis-Digitalpakt, dem ursprünglichen Paket, für das der Bund 2019 fünf Milliarden Euro auf den Tisch gelegt hatte. Von denen waren vor einem Jahr, zum Stichtag 15. August 2021, lediglich 190 Millionen geflossen, größtenteils für schnelles W-LAN und eine moderne Serverausstattung an den Schulen.
Die Rhetorik passt nicht
mehr zu den Statistiken
Kein Wunder also, dass sie sich vor allem im BMBF eine entsprechend defensive Grundhaltung in der Kommunikation der Digitalpakt-Zahlen angeeignet haben. "Der Digitalpakt nimmt weiter an Fahrt auf, aber das Tempo stimmt noch nicht", sagte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) am Dienstag.
Nur passte diese Rhetorik diesmal gar nicht mehr zu den Statistiken, die Bund und Länder präsentierten. 591 Millionen von den fünf Basis-Milliarden waren bis 15. August abgeflossen. Dreimal so viel wie vor einem Jahr. Mit rund 12 Prozent der Gesamtsumme aber noch immer wenig!, könnte man jetzt einwenden. Doch der entscheidende – und beeindruckende – Zuwachs liegt bei den bewilligten Mitteln für geplante, aber noch nicht bezahlte Projekte: weitere 2,465 Milliarden Euro. 1,3 Milliarden mehr als vor zwölf Monaten. Womit insgesamt 61,1 Prozent des Basis-Digitalpakts gebunden sind. Und mit 20.000 bereits die Hälfte aller Schulen in Deutschland etwas abbekommen, 4000 mehr als noch vor sechs Monaten.
Bleibt es bei dem Tempo – und nichts spricht derzeit dagegen – dürften die gesamten fünf Milliarden schon Ende 2023, Anfang 2024 bewilligt sein, deutlich vor Ablauf des bis Ende 2024 laufenden Programms. Das kann und darf man einen Erfolg nennen. Und dass bewilligt noch nicht abgeflossen ist, sollte auch nicht zu sehr sorgen. Denn die Schulen und ihre Träger können für ihre Einzelprojekte noch bis Ende 2025 das Geld auszahlen lassen. Großprojekte müssen sogar erst Ende 2026 fertig finanziert sein.
Warum Stark-Watzinger
trotzdem weiter tief stapelt
Warum also weiter die defensive Kommentierung durch Stark-Watzinger? Vermutlich dürften dafür zwei Gründe ausschlaggebend sein.
Erstens: Ja, der Digitalpakt wird voraussichtlich innerhalb der ursprünglich vorgesehenen Laufzeit ausgeschöpft sein. Die, das ist die Kehrseite, allerdings von Anfang nicht besonders ambitioniert war. Insofern wäre seinen Architekten auch von zu viel später Genugtuung abzuraten – blieb doch bis heute vor allem hängen, dass die administrative Abwicklung des Basis-Paktes lange Zeit so gemächlich weiterlief, als habe es die Corona-Krise nicht gegeben.
Zweitens: Die Ampel hat in ihrem Koalitionsvertrag ein neues Tempo beim Mittelabruf versprochen. Insofern bringt sich die BMBF-Chefin mit ihrem Kommentar, die Geschwindigkeit sei noch immer zu niedrig, vor allem in Position für kommende Erfolgsmeldungen, wenn demnächst nach den Bewilligungs- auch die Abflusszahlen hochgehen. Um dann zu sagen: Das haben wir geschafft.
Dabei sind viele der entscheidenden Hürden längst abgebaut. Vor allem dass in der Corona-Krise festgelegt wurde, dass Schulträger die für eine Beantragung von Pakt-Mitteln nötigen Medienkonzepte später nachreichen konnten. Das wirkt jetzt erst so richtig in den Bewilligungs- und Abflusszahlen nach.
Wichtig zur weiteren Beschleunigung war auch eine Maßnahme, die sich die neue FDP-Führung im BMBF zu Recht ans Revers heftet. Im Interview hier im Blog sprach der parlamentarische Staatssekretär Jens Brandenburg sogar von einem "großen Durchbruch, der in der Öffentlichkeit noch gar nicht so wahrgenommen wird. Hinter den Kulissen ist es gelungen, Bund, Länder und Kommunen erstmals an einen Tisch zu bringen", um über weitere Maßnahmen zur Beschleunigung zu beraten. Die Länder wollen dazu in den nächsten Tagen einen konkreten Vorschlagskatalog vorlegen.
Die Augen gehen Richtung
Digitalpakt 2.0
Alles in allem wird offensichtlich, dass das Narrativ vom Schnecken-Digitalpakt demnächst ausgedient hat. KMK-Präsidentin Karin Prien, im Hauptberuf CDU-Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, hat es denn auch – der Überschrift der Pressemitteilung zum Trotz – in ihrem Statement gar nicht mehr bemüht. Sie betonte statt dessen unter anderem: "Wichtig ist weiterhin, dass die Mittel aus dem DigitalPakt auch zu den pädagogischen und didaktischen Konzepten der Schulen passen und dass Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrerinnen und Lehrer davon tatsächlich im Unterricht profitieren können."
Eine Mahnung an wen eigentlich genau? An die Schulen und Schulträger? Der Bund kann eigentlich nicht gemeint sein, denn für die Bewilligung der Mittel sind ja jeweils die Länder selbst zuständig – auf der Grundlage der Kriterien in der Bund-Länder-Vereinbarung.
Vielleicht zielte Priens Statement aber auch schon in Richtung Digitalpakt 2.0. Denn die offiziellen Bund-Länder-Gespräche zur von der Ampel versprochenen Fortsetzung, die bis 2030 gehen soll, laufen gerade an. Dort, und nicht mehr beim Mittelabfluss des Digitalpakts 1.0, dürfte es in den nächsten Monaten spannend werden. Welche Schlussfolgerungen ziehen Bund und Länder aus den Erfahrungen des Digitalpakts 1.0? Schaffen sie diesmal eine Vereinbarung, deren Regeln von Anfang an den Praxistest bestehen? Vermeiden sie die Wiederholung eines entscheidenen Konstruktionsfehlers und beziehen von Anfang an die Kommunen als Schulträger in die Gespräche ein? Widerstehen sie der Versuchung, wieder viel Geld für die (wenig nachhaltige, aber showträchtige)Finanzierung von Endgeräten zu verplanen – und einigen sich stattdessen auf ein langfristiges Konzept auch zur Finanzierung der Systemadministratoren? Bekommen sie gemeinsam die dafür nötige Grundgesetzänderung hin, die genauso gebraucht wird für eine weniger komplexe Mittelbeantragung und -bewilligung?
Und apropos Mittel: Wie viel will und kann der Bund überhaupt geben? Von Ländervertretern hört man im Hintergrund die Forderung nach 6,5 Milliarden Euro – also die Größenordnung des jetzigen Basis-Digitalpakts inklusive seiner drei Ergänzungspakete. Während der Bund sich bedeckt hält, aber durchblicken lässt, dass mit mehr als erneut fünf Milliarden wohl kaum zu rechnen sein wird. Und selbst bei denen ist derzeit völlig unklar, wieviel davon Christian Lindner (FDP) seiner Parteifreundin Stark-Watzinger tatsächlich rüberwachsen lässt.
Die Kritik des Bundesrechnungshofs
ernst nehmen
Wenn er die Bundesbildungsministerin ärgern will, kann der Finanzminister sich auf zwei Berichte des Bundesrechnungshofs beziehen, mit denen dieser den Digitalpakt zuletzt in seinen Grundfesten kritisiert hatte. Bis hin zu der Forderung, von einer Fortsetzung komplett abzusehen.
Das Bundesbildungsministerium habe zu wenig Steuerungs- und Kontrollrechte, um sicherzustellen, dass die Länder das Geld vernünftig ausgeben, bemängelten die Prüfer. Es seien zu viele Entscheidungsinstanzen beteiligt, außerdem würden die Mittel per Gießkanne auf die Länder verteilt, nicht nach Bedarf. Und das alles angesichts einer Bildungshoheit, die eindeutig bei den Ländern liege. "Auch angesichts der Finanzlage sollte sich der Bund auf seine verfassungsmäßigen Aufgaben konzentrieren. Schulangelegenheiten gehören nicht dazu."
BMBF und KMK zeigen sich bei Fragen nach den beiden Prüfberichte betont gelassen. Dessen Kritik sei in keiner Weise überraschend, denn spreche sich die Bundesrechnungshof ja immer und grundsätzlich dagegen aus, dass der Bund sich in den Schulen engagiert.
Kaum weniger heftig fiel die Kritik der Prüfer allerdings an den sogenannten "länderübergreifenden Maßnahmen" im Digitalpakt aus, für die 250 Millionen der fünf Basispakt-Milliarden reserviert sind. Um sie zu bekommen, müssen sich jeweils mehrere Bundesländer für die Schaffung gemeinsamer Infrastrukturen zusammenschließen. Doch mangels geeigneter Strukturen war es ihnen bis zur Pakt-Halbzeit Anfang 2022 gerade mal gelungen, 53 der 250 Millionen zu verplanen, in sieben Projekten.
Und selbst die sieben finanzierte Projekte, kritisierte der Rechnungshof, seien überwiegend solche, die die Länder schon vor dem Digitalpakt vorgehabt hätten und nun halt mit dessen Geldern finanzierten. Von "Mitnahmeeffekten" und Doppelstrukturen sprach der Rechnungshof – während das eigentliche Ziel, die Länder zu neuen Formen der Kooperation zu bewegen, verfehlt werde, denn daran zeigten diese "nicht das nötige Interesse".
Stand Mitte August 2022 ist die Zahl der Projekte immerhin auf 13 angestiegen, knapp 109 Millionen sind bewilligt. Was allerdings immer noch deutlich weniger als die Hälfte ist. Auch dieser Kritik des Bundesrechnungshof begegnen die Bund und Länder mit dem wenig aufgeregten Hinweis, die Prüfer hätten viele der Projekte in ihrer Struktur und Ausrichtung schlicht nicht verstanden.
Bleibt indes zu hoffen, dass sie die beiden Prüfberichte zumindest intern ernst nehmen, denn viele der Kritikpunkte sind eben nicht aus der Luft gegriffen. Sie sollten ihn nutzen, um den Digitalpakt 2.0 von Anfang an noch besser – und damit weniger angreifbar zu machen.
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