Das Bafög reicht nicht, der Notfallmechanismus greift nicht. In der Krise muss der Bund Studierende zielgenauer unterstützen.
ES KOMMT DICKE. Gerade für Studierende. Schon lange bevor es losging mit drohendem Energiemangel und Rekord-Inflation, lebten einer Analyse des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zufolge 30 Prozent von ihnen unter der Armutsgrenze. Und das Durchschnittseinkommen armer Studierender erreichte 2020 gerade mal 802 Euro im Monat.
Trotzdem gingen die Studierenden dieses Jahr bei den ersten beiden Energie-Entlastungspaketen leer aus, abgesehen von den elf Prozent Bafög-Empfängern. Das dritte Paket sieht nun immerhin Einmalzahlungen von 200 Euro für alle Studierenden vor.
Der Studierendenverband fzs spricht allerdings angesichts einer Vervielfachung der Kosten für Gas, Heizwärme (und möglicherweise auch bald für Strom) von "einem Tropfen auf dem glühend heißen Stein". Zumal noch völlig unklar ist, wie das Geld überhaupt – wie vom Bund versprochen wird – "schnell und unbürokratisch" alle Studierenden erreichen soll. Das Auszahlungssystem dafür fehlt. Derweil meldete das Moses Mendelsohn Institut vergangene Woche, dass die Mieten für WG-Zimmer deutschlandweit binnen eines Jahres um weitere elf Prozent gestiegen sind.
Dennoch fällt es den Studierenden oft schwer, Unterstützung in der Gesellschaft zu mobilisieren. Als in der Corona-Zeit Restaurants, Kneipen und Läden schlossen und unzählige Studentenjobs wegbrachen, versäumte die damalige Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) wochenlang, eine Notfallhilfe auf Zeit aufzulegen. Und bis zu den ersten Auszahlungen vergingen Monate.
Vielen gelten die angehenden Akademiker per se als privilegiert – was in Hinsicht auf die Chance, sich an einer Hochschule bilden zu können, ja auch stimmt. Aber finanziell, das zeigen die Statistiken, stimmt das Klischee für einen großen Teil eben ganz und gar nicht. Jeder Student und jede Studentin, die trotz Motivation und guter Leistung aus Geldnot ihr Studium abbrechen müssen, bedeuten eine persönliche Tragödie. Und eine Form des gesellschaftlichen Versagens.
Zu den Schlussfolgerungen der Coronakrise gehörte, dass das Bafög allein nicht reicht, wenn durch einen plötzlichen externen Schock bisherige wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten nicht mehr gelten. Weshalb SPD, Grüne und SPD in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, die Nothilfe zu einer dauerhaften Institution zu machen. Der Plan: Immer dann wenn eine neue "bundesweite Notlage für Auszubildende" entsteht, soll der Bundestag den Kreis der Bafög-Empfänger vorübergehend ausweiten können. Am 22. September will der Bundestagsbildungsausschuss einen Beschlussvorschlag zur konkreten Ausgestaltung des Mechanismus vorlegen.
Das richtige Instrument zur richtigen Zeit, sollte man denken, wenn die Energie-Inflation gerade hunderttausende Studierende in bedrohliche Geldnöte abrutschen lässt. Doch leider trifft das auf den Notfallmechanismus im Bafög nicht zu. Denn der bisherige Gesetzentwurf formuliert als Voraussetzung für eine Aktivierung nicht nur die bundesweite Notlage für Auszubildende, die derzeit kaum noch jemand bestreiten wird. Zusätzlich muss der Bundestag eine erhebliche Störung des "Arbeitsmarkts für ausbildungsbegleitende Erwerbstätigkeiten" feststellen. Die Erfahrungen der Coronakrise lassen grüßen.
Dabei zeigt die Inflationskrise, dass jede Notsituation anders ist. Und dass der Notfallmechanismus in seiner jetzigen Form genau darauf nicht vorbereitet ist. Darum müssen die Ampel-Parteien jetzt zweifach umdenken – und das dringend. Erstens: Die Bafög-Sätze und Freibeträge müssen einen weiteren kräftigen Schub bekommen, wobei selbst das den normalen Empfängerkreis nicht dramatisch ausweiten wird.
Deshalb zweitens: Anstatt nur einmalig und pauschal an alle Studierenden 200 Euro auszureichen, wäre anschließend ein zielgenaues Notfallsystem, das so lange hilft, wie und wo es gebraucht wird, die richtige Antwort der Bundesregierung. Auch das wäre in der Umsetzung bürokratische Fleißarbeit. Aber die würde sich wenigstens langfristig lohnen. Und gerechter als der Notfallmechanismus, der in der aktuellen Notlage nicht greift, wäre sie auch.
Dieser Artikel erschien heute in gekürzter Fassung zuerst in meiner Kolumne "Wiarda Will's Wissen" im Tagesspiegel.
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Ira (Montag, 12 September 2022 08:17)
Ich habe nie verstanden weshalb das BMBF für den Notfallmechanusmus eine weitere Verordnungsermächtigung in das BAföG aufnehmen will. 14a BAföG enthält bereits eine Verordnungsermächtigung für Härtefälle. Die danach erlassene Härteverordnung ist allerdings über die Jahre so zusammengestrichen worden, dass danach nur noch Leistungen beim Besuch von Internaten und Tagesheimen möglich sind.
Django (Montag, 12 September 2022 16:16)
Wäre der richtig Weg nicht eigentlich, statt bürokratisch aufwändiger Ausreichung von (unzureichenden) Almosen allen Studierenden für einen Bachelor- und einen Masterabschluss ein Volldarlehen zu zahlen, dessen Rückzahlung sich am Australischen Modell orientiert? Und dieses Darlehen dann noch zu indizieren (ggf. mit einem spezifischen Warenkorb)?