Das Gremium von 16 Wissenschaftlern hat für die Kultusminister der Länder die Digitalisierung im Bildungssystem analysiert – und legt jetzt 14 Vorschläge vor, die es in sich haben. Die KMK reagiert verhalten positiv.
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INFORMATIK SOLL PFLICHTFACH werden, die Länder müssen die digitale Medienbildung schon in der Kita als verpflichtendes Bildungsziel verankern. Die Lehrerbildung soll umgebaut, die Curricula sollen auf allen Bildungsstufen um Informatikinhalte und forschungsbasierte Lernmaterialien ergänzt werden. Und auf allen Ebenen muss sich die Bildungspolitik zu diesem Zweck stärker länderübergreifend koordinieren, einen gemeinsamen Entwicklungsplan anlegen und sich auf Etappenziele einigen: Das sind die zentralen Botschaften im Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) zur "Digitalisierung im Bildungssystem", das SWK und Kultusministerkonferenz am Montagmorgen gemeinsam vorgestellt haben.
14 konkrete Maßnahmen für Kita, Schulen, berufliche Bildung, Hochschule und Lehrerbildung haben die 16 Kommissionsmitglieder unter Mitwirkung eines knappen Dutzend wissenschaftlicher Sachverständiger ausgearbeitet.
Für die größte öffentliche Aufmerksamkeit dürfte die Forderung sorgen, schon zum Schuljahr 2024/25 Informatik als Pflichtfach ab Klasse 5 in allen Bundesländern einzuführen – mit mindestens vier, mittelfristig sogar mit sechs Wochenstunden. In der Grundschule sollten Informatikinhalte, etwa zur Funktionsweise von Robotern, im Sachunterricht vorkommen.
"Ein umfangreicheres Unterfangen",
kommentiert Hamburgs SPD-Bildungssenator
Die Kultusminister signalisierten bereits ihre – vorsichtige – Zustimmung für diese Empfehlung. "Ich finde diesen Vorschlag sinnvoll", sagte Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, der zugleich die Bildungspolitik der Länder mit SPD-Regierungsbeteiligung koordiniert. Es sei allerdings "ein umfangreicheres Unterfangen, bedeutet es doch, dass in anderen Schulfächern Stunden gestrichen werden müssen, um Informatik zu ermöglichen." Zudem müssten neue Lehrkräfte gewonnen, neue Bildungspläne und Unterrichtsmaterialien entwickelt werden. "Aber dennoch wird hier sehr klar, dass wir wesentlich stärker als bisher die informatische Grundbildung in der Schule verankern müssen. Deshalb ist es ein wichtiger und kluger Vorschlag."
Hessens Kultusminister Alexander Lorz, Koordinator der Länder mit CDU-Regierungsbeteiligung, betonte ebenfalls, dass mit der Etablierung neuer Unterrichtsinhalte und -angebote sich stets die Frage stelle, "auf welche anderen wir stattdessen verzichten können. Hier erhoffen wir uns ebenso Hinweise und Empfehlungen der Wissenschaft, da man nicht alles, was Schule künftig leisten soll, immer noch oben drauf packen kann."
Die SWK betonte in ihrem Gutachten, dass sie bei vielen der geforderten Reformvorhaben um deren Dimensionen und Langfristigkeit wisse, und bot "für weitere Priorisierungen und Operationalisierungen" ihr Unterstützung an "als Dialogpartner auch nach Vorlage dieser Empfehlungen".
Wissenschaftler sehen umfassenden
Veränderungsdruck in den Kitas
In Hinblick auf die digitale Medienbildung in den Kitas befanden die SWK-Wissenschaftler, diese sei "unterentwickelt und nur selten nachhaltig im pädagogischen Konzept der Einrichtungen verankert". Die Förderung elementarinformatischer Kompetenzen werde nur "vereinzelt angedeutet", ein Teil der Kita-Bildungspläne vermittle sogar einseitig eine negative Sicht auf digitaleMedien. "Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Kinder in einer digitalisierten Welt aufwachsen, ist eine solche Grundhaltung nicht konstruktiv."
Deshalb müsse die frühe digitale Bildung in allen Bildungs- und Orientierungsplänen der Länder als Aufgabe von Kindertageseinrichtungen verankert werden, elementare Informatikkompetenzen sollten integraler Bestandteil digitaler Bildung werden. Ebenso müssten digitale Medienbildung und elementarinformatische Bildung zu Pflichtinhalten in der Aus- und Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern werden.
Die häufig unzureichende Ausstattung der Kitas mit IT und forschungsbasierten Lehrmaterial müsse dringend verbessert werden, unter anderem durch den Aufbau einer digitalen Plattform "mit evidenzbasierten digitalen Anwendungen für alle Inhaltsbereiche der sprachlichen, mathematischen, sachkundlichen und ästhetischen frühen Bildung sowie Elementarinformatik und Computational Thinking".
Da in den meisten Ländern die politischen Zuständigkeiten für frühkindliche und allgemeine Bildung in unterschiedlichen Ministerien untergebracht sind, wendet sich die SWK mit diesen Empfehlungen faktisch auch an die Jugendminister, die mit der Einrichtung der Kommission nichts zu tun hatten. Sie werden sich mit der KMK abstimmen müssen. Deren Präsidentin Karin Prien begrüßte bereits, dass im Gutachten der Kommission "Digitalisierung erstmals systematisch mit Beginn der frühkindlichen Bildung betrachtet wird".
Länderübergreifende Zentren
für digitale Bildung
Der SWK-Vorsitzende Olaf Köller sagte, die Professionalisierung des Bildungspersonals habe im Feld der Digitalisierung und unter den Bedingungen des Fachkräftemangels insgesamt einen herausragenden Stellenwert. Entsprechend rät die SWK den Ländern, einen gemeinsamen Referenzrahmen für die Lehrkräftebildung zu entwickeln und umzusetzen. Um den Bedarf an Lehrkräften zu decken, solle unter anderem das Einfach-Lehramt für Informatik eingeführt werden.
Entlang der gesamten Bildungskette seien immer noch zu wenige digitale Anwendungen verfügbar, "die empirisch gestützten Designprinzipien gerecht werden und die Lehrkräfte medien- und fachdidaktisch treffsicher in ihren Unterricht integrieren können", befinden die Wissenschaftler. Deshalb sei es dringend erforderlich, digitale Tools für den Fachunterricht theoretisch und empirisch fundiert zu entwickeln. Da dies nicht allein den Lehrkräften oder dem freien Markt überlassen werden dürfe, empfehle die SWK die dauerhafte Einrichtung länderübergreifender Zentren für digitale Bildung (ZdB) "zunächst für die MINT-Fächer und Sprachen, perspektivisch aber auch für weitere Bildungsbereiche".
Die ZdB sollten Material für unterschiedliche Schulformen und -stufen entwickeln, bereitstellen, Schulen bei deren Einsatz begleiten und die Länder bei der Entwicklung und Implementierung von Lehrer-Fortbildungsprogrammen unterstützen.Die ZdB könnten auf den vom Bundesbildungsministerium geplanten Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung aufsetzen, die mit zweieinhalb Jahren nicht geeignet seien, ein nachhaltiges, länderübergreifendes Programm zur Digitalisierung schulischer Lerngelegenheiten zu etablieren.
"Veränderungen nicht in kurzer Zeit möglich und auch
nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen"
Zu den weiteren Empfehlungen der SWK gehören unter anderem die Modernisierung der Bildungsziele und Curricula in der beruflichen Bildung inklusive einer Weiterentwicklung hin zur Nutzung digitaler Technologien für Prüfungen, die Stärkung digitaler Kompetenzen bei Studierenden und Hochschullehrenden und dauerhaft finanzierte Support-Strukturen an den Hochschulen.
Die Kommission sei sich bewusst, dass ihre Empfehlungen tiefgreifende Veränderungen des Bildungssystems in allen Bildungsetappen bedingten. Dies bedürfe einer "enormen Kraftanstrengung aller Akteure im Bildungssystem, Innovationsbereitschaft und hohe Investitionen, um das Bildungssystem erfolgreich und zukunftsfähig für die dauerhaften Anforderungen einer digitalisierten Welt aufzustellen". Perspektivisch werde sich das auch in der Grundfinanzierung des Bildungssystems widerspiegeln müssen. "Klar ist, dass diese Veränderungen nicht in kurzer Zeit möglich sind und auch nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen, sondern andauernd Anpassungen an technologische und gesellschaftliche Weiterentwicklung notwendig sein werden."
Ein großer Wurf für die Digitalisierung der Bildung und für die föderale Bildungspolitik selbst.
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Leander K (Dienstag, 20 September 2022 16:06)
Ich denke dies ist definitiv richtig. Als Informatiker kann ich immer nur staunen wie wenig über die Funktionsweise der digitalen Welt so verstanden wird. Diese ist nicht nur konstant Teil des Alltags, sondern auch, und dies ist einer meiner Meinung nach größten Argumente für ein umfangreich angelegtes Fach "Informatik", sehr viel in direkte Eigenverantwortung. Es müssen konstant Entscheidungen getroffen werden, von cookies im browser zu der frage was ich wo hochlade. Man ist konstant damit konfrontiert.
Ich würde mir aber wünschen, dass dieses Fach etwas weiter gedacht wird und nicht nur aus einem technischen (was ist eine Verschlüsselung, Grundlagen der Programmierung und wie funktioniert das Internet), sondern auch einem reflektierenden Teil besteht (von Überwachung, Gig-Economy zu Platform-Geschäftsmodellen, Open Source und Datenschutzrecht...oder zum Beispiel kritische Diskussion von Computerspielen), als interdisziplinäres Fach sozusagen. Vielleicht greife ich etwas nach den Sternen aber ich denke das würde einem im späteren leben viel nutzen.
Hermann H. Dieter (Freitag, 23 September 2022 12:27)
Hat denn jemals ein Bildungspolitiker definiert, was er oder sie unter "digitaler Bildung" versteht, zu vermitteln durch ein dementsprechend schlecht definiertes Pflichtfach "Informatik"? Bisher ist hier immer nur der Wunsch (und Bedarf?) nach Einbettung digitalisierter Inhalte in den Unterricht zu erkennen. Immerhin verlangt die Kommission, schon "in der Grundschule sollten Informatikinhalte, etwa zur Funktionsweise von Robotern, im Sachunterricht vorkommen". Was könnte damit gemeint sein? Die Schulung schon der Grundschüler zum "Klickvieh", damit sie fremdprogrammierte Rechner und Roboter möglichst reibungslos zum Funktionieren zu bringen? Die wichtigste Kulturtechnik zur selbstbestimmten Aneignung/Beherrschung digitaler Techniken, Inhalte und zur Erzeugung entsprechender Mehrwerte ist doch die Fähigkeit, Rechner und Roboter selbst zu programmieren und das dazu nötige analytische Denken zu schulen! Davon ist in all diesen tollen Absichtserklärungen nirgendwo die Rede. Und in der Grund(!)schule wäre es dafür noch viel zu früh.
Laubeiter (Freitag, 07 Oktober 2022 22:53)
Ich halte Medienkompetenz für Kinder für so überflüssig wie einem Kropf. Smartphones haben in den Händen von Kindern unter 12 genauso viel zu suchen wie Bier und Zigaretten, nämlich nichts. Die Ingenieure im Silicon Valley geben ihre Kinder in Schulen, in denen elektronische Geräte verboten sind, und sie schränken den Zugang ihrer Kinder zum Netz ein - warum wohl? Mir dreht sich der Magen um bei der Vorstellung, dass für sechs Wochenstunden Informatik dann Musik, Kunst, Sport, Sprachen wegfallen könnten.