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Ein glimpflicher Ausgang, aber kein Happy End

Die ersten 158 Betroffenen der Frankfurter Studienplatz-Misere erhalten heute ein neues Zulassungsangebot. Die gefundene Lösung ist komplex.

FÜR DIE VERHINDERTEN STUDIENANFÄNGER ist es die Erlösung. Nach dem Medizin-Zulassungsfehler an der Frankfurter Goethe-Universität Ende August erhalten heute 158 der 250 Betroffenen ein echtes Studienplatzangebot von der Stiftung für Hochschulzulassung (SfH). Diese Zahl teilte die SfH heute auf Anfrage mit.

 

Es handelt sich um alle diejenigen Bewerber, die bereits das Zulassungsangebot einer anderen Hochschule gehabt, es dann aber zugunsten eines vermeintlichen Frankfurter Medizin-Studienplatzes nicht angenommen hatten. Eines Studienplatzes, den es in Wirklichkeit nicht gegeben hatte. Jetzt sollen alle Betroffenen der sogenannten "Angebotsgruppe" das Fach studieren können, das ihnen ohne die fehlerhafte Überbuchung offen gestanden hätte. Es muss sich also nicht in allen Fällen um Medizin handeln. 

 

Konkrete Hoffnung, doch noch in diesem Wintersemester ihr Wunschstudium aufnehmen zu können, dürfen sich auch die übrigen 92 Bewerber machen, die zu dem Zeitpunkt, als sie den Studienplatz in Frankfurt annahmen, noch kein weiteres Studienplatz-Angebot von der Stiftung vorliegen hatten. Für diese sogenannte "Chancengruppe" soll es nach dem 30. September ein "nachgestelltes koordiniertes Nachrückverfahren" geben, beschloss der SfH-Stiftungsrat gestern. Dabei prüft die Stiftung, welche der Bewerber, wenn der Frankfurter Fehler nicht passiert wäre, im normalen Nachrückverfahren einen Studienplatz erhalten hätten und wofür – und macht ihnen bei positiver Bewertung ein entsprechendes Zulassungsangebot.

 

Der Präsident der Goethe-Universität, Enrico Schleiff, sagte, er sei "erleichtert  und froh gleichermaßen, dass wir nunmehr beiden Gruppen – in einem zeitlich gestaffelten Verfahren – eine konkrete Lösung anbieten können, das den jeweiligen Wunschkonstellationen am nächsten kommt". Rund ein Drittel der Bewerber der "Angebotsgruppe" (53) habe einen Studienplatz in Frankfurt angeboten bekommen, genauer gesagt wurde ihr Rücknahmebescheid der Zulassung aufgehoben. Die restlichen 105 Bewerber könnten nun an einer anderen Hochschule studieren, erklärte die Stiftung.

 

Mühevolle Detailarbeit, um
ein Versprechen umzusetzen

 

Zuvor hatte die SfH unter Federführung ihres Stiftungsratsvorsitzenden Holger Burckhart in Abstimmung mit der Goethe-Universität, den Landeswissenschaftsministerien und Hochschulen mit Medizin-Studiengängen bundesweit in mühevoller Detailarbeit eine Lösung ausgearbeitet, um den Grundsatzbeschluss der Kultusminister von vorgegangener Woche umzusetzen. Ein Beschluss, der zugleich ein Versprechen war. Und zwar mindestens den Bewerbern der Angebotsgruppe, aber auch den aussichtsreichen Bewerbern der Chancengruppe doch noch einen Studienplatz zu geben. 

 

Dafür sollten die Hochschulen ihre freien Nachrücker-Plätze an die SfH melden und die Goethe-Uni "besondere Anstrengungen" unternehmen. Falls beides zusammen nicht reiche, kündigten die Länder an, die Studienkapazitäten an anderen Hochschulen möglichst zu erhöhen – als "weitergehende solidarische Unterstützung".

 

Schleiff sagte am Dienstagabend, es seien enorme Anstrengungen unternommen worden, um ein rechtssicheres und faires Verfahren aufzubauen und umzusetzen. "Mir ist bewusst, dass die Komplexität dieses Prozesses kaum vermittelbar ist und auch ich hätte mir schneller Lösungsvorschläge gewünscht, aber ich hoffe, dass die Betroffenen jetzt mit dem Licht am Ende des Tunnels ihr Studium aufnehmen und auf ihrem Lebensweg weitergehen können."

 

Wie viele der 92 zur "Chancengruppe" zählenden Betroffenen am Ende einen Studienplatz erhalten, ist noch unklar. Unter ihnen befinden sich nämlich auch Bewerber, die von ihrem Notenschnitt und ihren sonstigen nachgewiesenen Qualifikationen normalerweise – das heißt: ohne den Frankfurter Fehler – überhaupt keinen Zulassungsbescheid im Hauptverfahren bekommen hätten. Und bei denen auch ein Erfolg im Nachrücken unwahrscheinlich gewesen wäre.

 

Sie werden deshalb voraussichtlich leer ausgehen. Vorvergangene Woche war aus der Stiftung noch zu hören gewesen, dass die Zahl der bereits gesicherten Studienplätze wohl auch für sie ausreichen werde. Doch hatten manche in den Hochschulen und Ministerien für diesen Fall eine Klagewelle von Bewerbern befürchtet, die im normalen Nachrückverfahren nicht zum Zug kommen.

 

Den Studienbewerbern der "Angebots"- und "Chancengruppe" ermöglicht die Goethe-Universität bis zu dem Start ihres Studiums, an dem Vorbereitungskursen für Medizin in Frankfurt teilzunehmen, – "um den Betroffenen, die nach dem beschriebenen Verfahren einen Medizinstudienplatz erhalten, einen möglichst reibungslosen Einstieg zu bieten", wie die Universität mitteilte.

 

Für die Stiftung ist die Studienplatzvergabe-Misere
damit nicht vorbei

 

Von einem Frankfurter Happy End zu sprechen, wäre nach den Aufregungen der vergangenen Wochen und der Zitterpartie für die verbleibenden Bewerber wohl zu viel. Aber Stiftung, Hochschulen und Ministerien haben bewiesen, dass der deutsche Hochschulföderalismus in der Lage ist, auf ein komplexes Problem mit einer angemessenen Lösung zu reagieren.

 

Die Aufarbeitung der Vorgänge hat damit jedoch gerade erst begonnen. In Frankfurt und sicher auch an Hochschulen anderswo: Wie lassen sich die Verwaltungsabläufe besser gegen die Folgen menschlicher Irrtümer, die nun einmal und unvermeidlich passieren, absichern? Vor allem dann, wenn ein hoher Zeitdruck herrscht und wie im Falle der Vergabe von Studienplätze die Folgen für die Betroffenen potenziell so gravierend sind?  

 

Auch die Stiftung für Hochschulzulassung muss sich fragen lassen: Wie will sie verhindern, dass sich die Frankfurter Geschichte mit einer anderen Hochschule in der Hauptrolle wiederholt? Welche zusätzlichen Sicherungen zieht die SfH kurzfristig in die Software der Studienplatzvergabe-Plattform DOSV ein? Was ist da überhaupt möglich, wenn doch Experten die DOSV-Software schon vor drei Jahren für überfordert und nicht mehr zu retten erklärt haben? Die Neuentwicklung läuft – dauert aber noch mehrere Jahre.

 

Für viele der betroffenen Bewerber mag die Studienplatzvergabe-Misere jetzt vorüber sein. Für die Stiftung mit Sicherheit nicht.

 

 

Was die Stiftung aus den Vorgängen lernen will

Nachtrag am 23. September 2022:

Jetzt hat sich der Stiftungsratsvorsitzende Holger Burckhart zu den Konsequenzen für die Stiftung geäußert. Die von mir aufgeworfenen Fragen seien "ohne Zweifel wichtig" und müssten beim Neuentwicklungsprozess für das Dialogorientierte Serviceverfahren (DoSV) mitbedacht werden. "Für den aktuellen Fall möchte ich jedoch klarstellen: Die DoSV-Software an sich hat einwandfrei funktioniert, und alle Hochschulen – auch die Goethe Universität Frankfurt – haben im vergangenen Jahr ihre Buchungen korrekt eingegeben." Menschliche Fehler könnten trotzdem geschehen. "Wir werden prüfen, ob wir in das vorhandene Eingabesystem noch mehr Warnmechanismen für die Hochschulen einbauen können. Auf jeden Fall werden wir für die anstehende Neuentwicklung grundlegende Verfahrensänderungen angehen müssen." Deshalb wolle die Stiftung gemeinsam mit den Hochschulen und den Ländervertretungen intensiv in die verfahrensrechtliche Analyse dieses Übermittlungsfehlers und seiner Folgen gehen. "Ziel muss es sein, dass Vergabeverfahren so zu gestalten, dass es aus Perspektive der Bewerberinnen und Bewerber möglichst einfach, flexibel und nutzerfreundlich ist. Dafür denken wir gemeinsam auch mögliche Fehlerreparaturen mit."


Vordringliche Aufgabe sei zunächst gewesen, den Fehler für die Betroffenen zu beheben, sagt Burckhart, im Hauptamt Rektor der Universität Siegen. "Wir haben zusammen mit dem hessischen Bildungsministerium, der Goethe-Universität und dem Stiftungsrat alles daran gesetzt, Möglichkeiten zu eruieren, wie den betroffenen Bewerbern und Bewerberinnen geholfen werden könnte." Größtes Problem sei dabei gewesen, dass das Verfahren und damit auch das IT- System nicht hätten angehalten werden können, da dies in den Vergabeverordnungen nicht vorgesehen sei. "Es ist gemeinsam gelungen, eine Lösung für die Betroffenen zu finden – darüber bin ich sehr froh."


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Kommentare: 2
  • #1

    David J. Green (Mittwoch, 21 September 2022 13:58)

    Ich freue mich zu hören, dass die Zuständigen zunehmend bemüht sind, lediglich jene Studienmöglichkeiten wiederherzustellen, die auch ohne den Fehler bestanden hätten: also die Interessen der zwischenzeitlich in Frankfurt zugelassenen nicht über die Interessen der anderen Nachrückenden zu stellen. Zwei Bedenken habe ich aber weiterhin:
    1) Die bereits vollzogene Lösung im Fach Zahnmedizin wurde mit Hinweis auf dem Sommereinstieg erklärt: Hoffentlich heißt das aber nicht, dass man hier die Interessen der Bewerbenden für Wintersemester 2022/23 über die Interessen der Bewerbenden für Sommersemester 2023 gestellt hat.
    2) Oben lese ich, dass – falls erforderlich – die Länder die Studienkapazitäten an anderen Hochschulen erhöhen werden. Das ist aber nicht sowohl kosten- als auch qualitätsneutral zu bewirken, und bei der Medizinausbildung sind Qualitätseinbüßen nicht hinnehmbar: woher soll also das nötige Geld kommen? Wir, die wir andere Fächer an anderen Universitäten vertreten, dürfen kaum in die Haftung genommen werden.
    P.S. an Herrn Wiarda: Das Captcha grenzt inzwischen an die Unbenutzbarkeit!

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 21 September 2022 14:14)

    Lieber Herr Green,

    vielen Dank für den Hinweis! Leider habe ich darauf keinen Einfluss, das macht der Provider. Aber ich werde das weiter melden. Ich bitte um Entschuldigung!

    Viele Grüße
    Ihr J-M Wiarda