Schulleitungen sind von zentraler Bedeutung für die Qualität der gesamten schulischen Arbeit. Umso erstaunlicher ist es, dass sie in den Überlegungen der KMK kaum eine Rolle spielen. Sieben Impulse, wie sich das ändern könnte. Ein Gastbeitrag von Cornelia von Ilsemann.
Cornelia von Ilsemann war Senatsdirektorin in der Bremer Bildungsbehörde und zwischen 2009 und 2013 Vorsitzende des Schulausschusses der Kultusministerkonferenz. Foto: privat.
WISSENSCHAFTLICHE STUDIEN attestieren dem deutschen Schulwesen seit Jahren Defizite bei der Bildungsgerechtigkeit, bei den Lernleistungen der Schüler:innen und bei einer unterstützenden Lernkultur. 2001 war die Skandalbotschaft von PISA, dass 22,6 Prozent der Jugendlichen in der 9. Klasse keinen Text flüssig lesen können. Heute liegt die Quote der Bildungsarmut nach einem zwischenzeitlichen Rückgang wieder bei 20,7 Prozent. Dabei hat die KMK doch so viel unternommen: die Bildungsstandards eingeführt, die Sprachförderung verstärkt, mehr Lernzeit im Ganztag ermöglicht. Aber wurden dabei diejenigen ausreichend in den Blick genommen, die die Reformen an verantwortlicher Stelle umsetzen sollen: die Leitungen der Schulen?
Warum Schulleitungen
so wichtig sind
Tatsächlich scheinen sie bei allen Überlegungen der KMK zu Qualitätsverbesserungen des Schulwesens kaum eine Rolle zu spielen. Dabei sind erfolgreiche Schulleiterinnen und Schulleiter gute Pädagogen und gute Führungskräfte zugleich; sie motivieren und schaffen Vertrauen, sorgen für klare Ziele und deren Überprüfung, organisieren Prozesse, fördern Kooperation und Partizipation und sichern eine transparente Kommunikation aller Beteiligten. Ihre Arbeit ist geprägt von einer Vision guter Schule, bei der das Lernen und das Wohlergehen der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt stehen. Ob es gelingt, den Innovationsrückstand an deutschen Schulen aufzuholen, alle Schülerinnen und Schüler mitzunehmen und eine zukunftsfähige Lernkultur zu etablieren, hängt entscheidend von ihrer Kompetenz ab. Insofern erscheint es unabdingbar, sie bei ihrer herausfordernden Arbeit zu unterstützen, sie zu stärken, zu professionalisieren und ihre Expertise in zukünftige Veränderungsprozesse einzubeziehen.
Das fordert nun der "Think Tank Schule leiten" in sieben Thesen von der KMK. Gegründet wurde er vom Programmteam der Deutschen Schulakademie, einer Initiative der Robert Bosch Stiftung. Nach Schließung der Deutschen Schulakademie hat der Think Tank eigenständig weiter gearbeitet. Zu ihm gehören Expertinnen und Experten aus der Praxis, der Wissenschaft und der Bildungsverwaltung. Sie analysieren die Defizite und entwickeln konkrete Vorschläge.
Konkrete Vorschläge für die
Stärkung von Schulleitungen
Gemeinsam ist den Impulsen des Think Tanks, dass sie die Aufgaben von Schulleitungsteams auf der Grundlage des Leitbilds einer guten Schule beschreiben, wie sie der Deutsche Schulpreis in Form von Qualitätsbereichen entwickelt hat. Zugleich benennt der Think Tank die nötigen Schritte zu einer gelungenen Nachwuchsförderung. Dazu gehört unter anderem, dass interessierte Lehrkräfte schon früh die Möglichkeit bekommen sollten, Führungsaufgaben zu übernehmen, auch in Teilzeit.
"Eine passgenaue Auswahl von Leitungskräften ist ein wesentlicher Schlüssel für deren Erfolg. Falsche Auswahlentscheidungen ziehen hohe Personalentwicklungskosten nach sich und führen zu vielfältigen Konflikten", heißt es in dem Thesenpapier. Um das zu vermeiden, bedarf es transparenter Kriterien und Verfahren, wobei die Leistung der Bewerber/innen wichtiger sein soll als die bereits erreichte Gehaltsstufe.
Eine – möglichst berufsbegleitende – Ausbildung sollte laut Think Tank für alle zukünftigen Führungskräfte verbindlich sein ebenso wie eine systematische Weiterbildung, gerade weil sich die Anforderungen an Leitungskräfte fortlaufend ändern. Auch Supervision oder Coaching – zum Beispiel für das Schulleitungsteam - sollte selbstverständlich möglich sein. Aus- und Fortbildung müssen regelmäßig evaluiert werden.
Das Papier fordert verlässliche Rahmenbedingungen für die Führung in einer Schule der Zukunft. Dazu gehören unter anderem ausreichend Zeit für Leitungsaufgaben und die Einbeziehung anderer Professionen für die Verwaltungsleitung und IT Administration.
Mit der geforderten Eigenverantwortung muss auch das Zusammenspiel zwischen Schulleitung und Schulaufsicht neu definiert werden. Es bedarf einer neuen Balance in der Kooperation und klarer Vereinbarungen zu Zielen und Konzepten sowie gegenseitiges Feedback.
Nun muss die
KMK handeln
Die Intention des Thesenpapiers wird unterstützt von namhaften Wissenschaftler:innen, Schulleitungsmitgliedern von Preisträgerschulen des Deutschen Schulpreises, aber auch von Vertreter:innen der Bildungsadministration. Darunter sind Bildungsforscher:innen wie Manfred Prenzel, Eckhard Klieme, Klaus Hurrelmann und Anne Sliwka, ehemals Verantwortliche für den Bildungsbereich wie die Ex-Ministerin Sylvia Löhrmann, die früheren Staatssekretäre Michael Voges, Mark Rackles und Burkhard Jungkamp sowie die Leitungen von Landes- und Qualitätsinstituten. Vor allem aber haben Schulleiterinnen und Schulleiter von Schulpreis-Schulen unterschrieben. Sie wissen, wie gute Schule gelingen kann, welche Unterstützung und welche Gestaltungsräume dafür notwendig sind. Das vollständige Papier findet Sie hier.
In vielen Bundesländern gibt es bereits gute Beispiele zu den oben genannten Themen. Aber es mangelt an einer länderübergreifenden Strategie. Deshalb ist die Kultusministerkonferenz aufgefordert, mit Unterstützung der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) zukunftsorientierte Qualitätsstandards und eine Professionalisierungsstrategie für die Arbeit von Schulleitungen zu entwickeln, deren Arbeit durch angemessene Rahmenbedingungen systematisch zu unterstützen und ihre Expertise bei allen anstehenden Reformen partizipativ einzubeziehen. Bereits der Arbeitsprozess sollte einen breiten Diskurs mit der Wissenschaft, der Praxis und der Bildungsadministration einschließen. Erste Signale aus SWK und KMK erscheinen ermutigend.
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Tim Dertwinkel (Mittwoch, 28 September 2022 15:40)
Welche rationalen Anreize sollte eine Schulaufsicht (auch die KMK) denn haben, sich selbst zu entmachten, und die Schulleitungen stärken? So funktioniert doch ein hierarchisches und weisungsgebundenes System nicht, das Argument scheint mir etwas illusorisch. Auch die Ebene und Rolle der Schulträger ist im übrigen diskussionswürdig, und gehört auf den Prüfstand.
Ruth Himmelreich (Donnerstag, 29 September 2022 09:26)
Solange eine Schulleiterin keine tatsächliche Personalverantwortung hat und nicht die Möglichkeit, ganz platt gesagt, einen schlechten Lehrer auch einmal zu entlassen, genauso lange wird das nichts. Da helfen auch teure Think Tanke und sonstiges Window Dressing in wohlformulierten Papieren nicht weiter. Leider gibt es keine bundesländerübergreifende Vereinbarung, ab dem Jahr 2024 keine Lehrer*innen mehr zu verbeamten und die Strukturen der Schulaufsicht grundlegend zu reformieren.