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"Wir müssen auch radikale Innovationen umsetzen können!" – "Worin soll denn das große Erweckungserlebnis einer neuen Technologie bestehen?"

Sind Deutschlands Ministerien, Projektträger und etablierte Forschungsförderer noch in der Lage, die nötige Modernisierung zu organisieren? Oder braucht es dafür neue Player? Und wer braucht eigentlich Agenturen wie DATI und SPRIND? Ein Streitgespräch.

Klaus Uckel (links)leitet den größten deutschen Projektträger DLR, Dietmar Harhoff ist Max-Planck-Direktor und Innovationsforscher. Fotos: DLR/privat.

Herr Harhoff, Herr Uckel, denken Sie an Deutschlands Innovationsfähigkeit in der Nacht, sind Sie dann um den Schlaf gebracht?

 

Klaus Uckel: Bin ich nicht. Klar: Ein Land von unserer Größe mit 83, 84 Millionen Einwohnern, mit einer riesigen Industrie und Forschungslandschaft und der entsprechenden Komplexität kann nicht so wendig sein wie die Schweiz oder Skandinavien. Aber es tut sich viel bei uns, deshalb bin ich optimistisch, dass wir als Land die nötigen Reformen schaffen. Trotzdem müssen wir uns zum Beispiel die Frage stellen, wie wir neu gewonnene wissenschaftliche Erkenntnisse schneller in die Anwendung bringen.

 

Dietmar Harhoff: Ich glaube nicht, dass die Größe unseres Landes als Rechtfertigung dafür taugt, dass die Abläufe bei uns oft so langsam sind. Und ja, ich bin sehr wohl um den Schlaf gebracht, wenn ich an Deutschlands Zukunft als Hochtechnologie-Land denke. Wir haben uns auf unser unbestrittenen Fähigkeit ausgeruht, den allmählichen, den inkrementellen Wandel gut zu managen. Jetzt aber sind wir mit radikalen Veränderungen konfrontiert, wissenschaftlich wie technologisch. Und im Umgang damit drohen wir als Gesellschaft zu versagen. 

 

Wir klammern uns an ein altes Erfolgsmodell, das nicht mehr funktioniert?

 

Harhoff: Deutschland hat es geschafft, über mehr als 100 Jahre hinweg fast ohne Unterbrechung technologisch in wichtigen Sektoren führend zu bleiben: im Automobilbau, im Maschinen- und Anlagenbau und in der Chemieindustrie. Eine solche herausragende Stellung über eine so lange Zeit zu halten, die vorhandenen Technologien immer weiter zu entwickeln und zu verfeinern, das war eine große Leistung. Doch die neuen Herausforderungen, den Übergang zu völlig neuen Technologien, können wir mit dieser Strategie nicht mehr meistern. Wir müssen in unserem Innovationssystem Elemente hinzufügen, mit denen wir auch radikale Innovationen umsetzen können. Daran drohen wir im Moment zu scheitern. 

 

Uckel: Ich halte es für einen Fehler, in solchen Schwarz-Weiß-Kategorien zu denken. Formen inkrementeller Innovation bleiben gerade im Mittelstand wichtig, da können wir unsere Stärken weiter ausspielen. Richtig ist, dass wir an anderer Stelle im Wettbewerb zurückgefallen sind: dort, wo es um die Umsetzung völlig neuer Produkte und Dienstleistungen aus der Grundlagenforschung heraus geht. Allerdings werde ich schnell skeptisch, sobald fast schwärmerisch von disruptiven Innovationen die Rede ist. Worin soll denn das große Erweckungserlebnis einer neuen Technologie bestehen? Wir sollten genau schauen, was wo wirklich gebraucht wird. Wir sollten an unseren Förderinstrumenten feilen. Und dann den Wettbewerb so strukturieren, dass der Transfer neuen Wissens in den Markt schneller gelingt. 


Dietmar Harhoff gilt als einer der führenden Innovationsforscher. Der Ingenieur und Wirtschaftswissenschaftler ist Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München und fungierte über viele Jahre als Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) der deutschen Bundesregierung. Harhoff war einer der konzeptionellen Vordenker der späteren Bundesagentur für Sprunginnovation (SPRIND) und setzt sich dafür ein, die deutsche Forschungs- und Innovationsförderung grundsätzlich neu aufzustellen. Agenturen sind keine dabei Allzweckwaffen, sagt er, könnten aber den Spagat zwischen dem Disruptiven und dem Inkrementellen ermöglichen.

Klaus Uckel ist Jurist und seit 2015 Leiter des DLR Projektträgers DLR in Bonn. Vorher leitete er das Grundsatzreferats der Internationalen Abteilung im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Der DLR Projektträger hat rund 1500 Mitarbeiter und verwaltete 2021 ein Fördervolumen von mehr als zwei Milliarden Euro. Die Debatte um die künftige Rolle der Projektträger im Forschungs- und Innovationssystem prägt Uckel als Chef des größten deutschen Projektträgers entscheidend mit. Im Frühjahr hat das Netzwerk deutscher Projektträger ein Positionspapier mit dem Titel "Fortschritt ermöglichen. Neue Impulse für das Forschungs- und Innovationsystem" veröffentlicht. 



Herr Harhoff, wenn ich Sie richtig verstehe, hat sich Deutschlands Marktposition in den vergangenen Jahren grundsätzlich und dramatisch verschlechtert. Sind nur die weltweiten Innovationsprozesse schneller als früher, oder sind wir als Gesellschaft behäbiger geworden? 

 

Harhoff: Wir haben unsere Entscheidungsprozesse über die Jahre mit einer dicken Bleischicht überzogen. Unsere öffentliche Verwaltung ist übermächtig geworden. Die Ministerien stehen stramm, sobald das Wort Rechnungshof fällt. Ich muss in letzter Zeit viel an den früheren Rechnungshof-Chef von Kanada denken, der vor vielen Jahren in einer Organisations-Vorlesung in Harvard vortrug und über seine Organisation sagte: "Wir kontrollieren wirklich toll. Aber wir zerquetschen das Neue." Er wollte damals lernen, wie es besser gemacht werden kann. Wir müssen in Deutschland lernen, wie radikale Innovation geht, ohne sie von inkrementellem Denken, Controlling und Regelwerken zerquetschen zu lassen.

 

Uckel: Im Grunde reden wir die ganze Zeit von Risikobereitschaft. In der Bundeshaushaltsordnung steht: Um eine staatliche Förderung zu rechtfertigen, muss das Risiko eines Forschungs- und oder Innovationsvorhabens das übliche unternehmerische Risiko erheblich überschreiten. Man könnte also sagen: Die Haushaltsordnung rollt dem Risiko sogar den roten Teppich aus. Nur scheint mir, dass das in der Praxis staatlichen Handels oft genug anders gehandhabt wird. Wie wäre es, wenn wir, anstatt neue Freiheiten vom geltenden Rechtsrahmen zu fordern, diesen Rechtsrahmen erstmal ausnutzen würden? Darin sehe ich auch meine Aufgabe als Geschäftsleiter eines Projektträgers: die vorhandenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Oft scheitern wir aber auch an so schnöden Dingen wie dem aus der preußischen Verwaltung stammenden Jährlichkeitsprinzip. Das ist natürlich das Gegenteil einer vernünftigen Innovationsförderung. Es muss innerhalb von staatlichen Forschungsvorhaben auch möglich sein, flexibel auf Entwicklungen zu reagieren. Wenn da plötzlich der Kassenschluss dazwischen kommt, wird es schwierig. Hier kann man fast nur an den Finanzminister appellieren, für die forschenden und für Innovationen zuständige Ressorts neue Möglichkeiten zu schaffen und an der Finanzrechtssetzung zu arbeiten. 

 

Manchmal kann man den Eindruck bekommen, dass gerade die Ministerien, die am lautesten nach Innovation und neuer Dynamik schreien, diese selbst am dringendsten nötig hätten. 

 

Harhoff: Weil etliche selbst in der Logik des inkrementellen Denkens gefangen sind. Dieses Denken postuliert, dass eigentlich alles perfekt beschrieben werden kann, dass selbst Innovations- und Forschungsprozesse bis ins Kleinste planbar und kontrollierbar seien. Und das ist Unfug. Großartige Ideen erweisen sich mitunter als technisch nicht realisierbar. Das kann man aber am Anfang nicht wissen, dazu muss man erst Experimente durchführen, viele Experimente. Und wenn ein Innovationsprojekt fehlgeschlagen ist, heißt das nicht automatisch, dass jemand versagt hat. Diese Erkenntnis fehlt oft in unseren Verwaltungen und Ministerien.

 

"Was die Ministerien angeht,
finde ich Sie ein bisschen ungerecht."

 

Uckel: Und in unseren Rechnungshöfen! Was die Ministerien angeht, finde ich Sie allerdings ein bisschen ungerecht. Ich erlebe dort durchaus ein Bewusstsein und eine Flexibilität, dass nicht alles wie geplant und nicht alles auf geradem Weg geht. Als Projektträger versuchen wir deshalb, wo es geht, eine Mittlerfunktion einzunehmen. Zwischen Ministerien, Wissenschaftlern und Unternehmern. Es geht um einen Erwartungsabgleich, um das Erzeugen von gegenseitigem Verständnis für die unterschiedlichen Perspektiven. Manchmal gibt es ein Startup, das glaubt, vor dem disruptiven Durchbruch schlechthin zu stehen, doch als Projektträger sehen wir schon: Das wird so nichts. Aber vielleicht, wenn wir dieses Startup mit einem anderen zusammenbringen, und wenn wir den neuen Kooperationspartnern dann im Austausch mit dem Ministerium die maßgeschneiderte Förderung besorgen. Dann kann das klappen. 

 

Herr Harhoff, im Gegensatz zu Herrn Uckel trauen Sie den Ministerien nicht mehr viel zu. Sie werben seit Jahren dafür, neue Agenturen zu gründen, die den Ministerien einen Teil ihrer Arbeit abnehmen sollen. Und zwar genau den Teil, bei dem es um die Förderung von Innovationen geht. 

 

Harhoff: Das sollte man aber nicht als allgemeines Misstrauensvotum missverstehen. Herr Uckel hat eben gesagt: Wir müssen an unseren Instrumenten feilen. Das ist richtig: Wir brauchen weiter etablierte Institutionen, Ministerien und Projektträger, die inkrementelle Innovationen unterstützen. Aber wir brauchen auch neue Organisationen, die radikale Innovationen vorantreiben. Wir befinden inmitten mehrerer Wellen neuer Technologien, von der Digitalisierung über die künstliche Intelligenz, die Krypto- und Quantentechnik bis hin zu den Lebenswissenschaften, und wir benötigen passende agile Einheiten, um mit ihnen umgehen können. Als Lockheed einen Jet bauen wollte, der dreifache Schallgeschwindigkeit erreicht, haben sie mit der Entwicklung auch nicht die Regelorganisation beauftragt, sondern die Skunk Works gegründet, eine kleine Guerilla-Einheit, wenn Sie so wollen. Ganz ähnlich sollten die Agenturen aufgestellt sein. Nicht als Teil des normalen Betriebs, sondern außerhalb und mit größeren Freiheiten und flacheren Hierarchien. Und besser in der Lage, externe Kompetenz anzuzapfen. Das macht die Regelorganisationen in keiner Weise überflüssig, die werden weiterhin gebraucht. Nur geht es eben nicht, das Inkrementelle und das Disruptive unter einem Dach hinbekommen zu wollen.


In eigener Sache

Wenn Sie wie ich an den Wert eines für alle kostenfrei zugänglichen Nachrichtenangebots zu Bildung und Wissenschaft glauben: Unterstützen Sie mich in meiner Arbeit. Es wird Zeit.


Uckel: Das Argument finde ich nicht stimmig. Warum sollen wir als Projektträger unter unserem Dach nicht auch eine Guerilla-Organisation gründen können? Genau aus dem Grund habe ich 2015 überhaupt meine persönliche Komfortzone als Ministerialbeamter verlassen und die Leitung eines Projektträgers übernommen, weil ich zeigen wollte: Das mit der Agilität können auch wir hinbekommen. Natürlich gibt es einen entscheidenden Unterschied zu Lockheed. Wir arbeiten mit öffentlichen Geldern, nicht mit privatem Vermögen. Darum gelten andere Regeln, es wird immer eine staatliche Rechts- und Fachaufsicht geben. Das ändert sich aber auch nicht, nur weil der Staat eine neue Organisation gründet und sie sich Agentur anstatt Projektträger nennt. Wenn man andere Regeln will, muss man an die Regeln gehen. Und die lassen sich genauso gut für uns verändern. Die Annahme, dass neue Agenturen per definitionem kreativer wären als wir, halte ich für eine Unterstellung. 

 

Harhoff: Das ist keine Unterstellung. Es ist ein ein Erfahrungswert, dass die Einhaltung von Regeln eine umso wichtigere Rolle spielt je größer eine Organisation wird. Neulich habe ich das Strategiepapier eines anderen Projektträgers gelesen, das auf die Forderung hinauslief: Um die Innovationsförderung attraktiver zu machen für die unkonventionellen und unorthodoxen Typen, müssen wir unsere Verfahren weiter verfeinern. Anders formuliert: Wir erweitern unser Regelwerk noch mehr, wir häkeln noch feinere Maschen. Was für ein Missverständnis! Durch eine Verfeinerung der Bürokratie und des Regelwerks erreichen Sie niemals das Unkonventionelle. Angesichts einer solchen Logik kann ich nur sagen: Tut mir Leid, aber das reicht nicht! 

 

"Das Drama, das Deutschland bei der Digitalisierung erleidet, ist auch Konsequenz einer zu kleinteiligen Zuordnung von Aufgaben und Regeln."

 

Uckel: Ich kann hier nur für meinen Laden, den DLR Projektträger, sprechen. Wir haben die Maschen längst erweitert, den Projektträger längst komplett umstrukturiert in fachliche Bereiche, die verpflichtet sind case-by-case interdisziplinär zusammenzuarbeiten. Das Ganze wird runtergebrochen auf Projektteams, die in größter Unabhängigkeit arbeiten. Das ist unser Angebot an die Auftraggeber. 

 

Harhoff: Und das ist gut so! Auch die großen, etablierten Organisationen müssen agiler werden. Wir brauchen in der Breite eine Abkehr von der bürokratischen Kultur. Nicht nur bei Projektträgern oder Ministerien. Der Wandel muss runter gehen bis in jede Stadtverwaltung. Das Drama, das Deutschland bei der Digitalisierung erleidet, ist auch Konsequenz einer zu kleinteiligen Zuordnung von Aufgaben und Regeln. Insofern handelt es sich um einen generellen Trend, den wir einleiten müssen, zur Modernisierung der Verwaltung und anderer gesellschaftlicher Institutionen. 

 

Uckel: Kein Widerspruch! Sie können vielleicht nachts nicht schlafen und ich schon. Aber ich mache mir tagsüber wie Sie sehr viele Gedanken, wie wir als Gesellschaft innovativer werden. Und die Modernisierung unserer Verwaltung und unserer Institutionen ist da, wie Sie sagen, ganz zentral. 

 

Harhoff: Diese Modernisierung wird aber nicht dazu führen, dass neue Förderformate, neue Organisationseinheiten und Agenturen in dem von mir beschriebenen Sinne nicht mehr gebraucht werden.

 

Uckel: Und ich weiß, dass ich an der Stelle den Verdacht nicht loswerde, pro domo zu sprechen, wenn ich sage: Auch als Projektträger können wir die Förderung disruptiver Innovationen hinbekommen. Wenn man uns lässt. Unser Produkt ist öffentliche Verantwortung. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Demokratie veränderungs- und lernfähig ist. Oscar Wilde hat mal gesagt: "Jeder, der nur in seinen Möglichkeiten lebt, leidet unter einem Mangel an Vorstellungskraft." Und das ist genau mein Prinzip, den Projektträger ständig weiterzuentwickeln. Wir haben diese Institution umgekrempelt, weil sie tatsächlich genau so war, wie Sie, Herr Harhoff, es immer wieder beschreiben. Nur habe ich manchmal das Gefühl – und ich bitte um Entschuldigung für den Vergleich – als säße ich hier mit einem Archäologen, der seine Erkenntnisse aus irgendwelchen Ausgrabungen bezieht, die mit der Gegenwart nicht mehr viel zu tun haben. 

 

Herr Harhoff, Uwe Cantner, Ihr Nachfolger aus Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), hält im Gegensatz zu Ihnen auch wenig von der Agenturidee – mit Ausnahme der Agentur für Sprunginnovationen (SPRIND), weil dort der Staat nicht politisch, sondern unternehmerisch handele. "Anders sieht es aus", sagt Cantner, "wenn der Staat ganz klassische F&I-Förderung betreibt, bei der es um die Unterstützung und Förderung von Innovationsprozessen anderer Akteure geht, insbesondere von Unternehmen. Diese Art der Forschungsförderung ist politisch und muss entsprechend auch politisch verantwortet werden. In Ministerien und im Parlament. Dies kann nicht in Agenturen ausgelagert werden."

 

Harhoff: Und gleichzeitig vertrauen Herr Cantner und die EFI somit in die schnelle Wandlungsfähigkeit eben dieser Ministerien. Das kann ich nicht ganz nachvollziehen. Damit kein Missverständnis aufkommt: Da sitzen jede Menge kluge Menschen in den Ministerien, aber Prozesse und Kultur dort sind so eingefahren, die lassen sich nicht in wenigen Jahren ändern. Wir haben nicht die Zeit, darauf zu warten! Deshalb kann es besser sein, eine neue Agentur aufzusetzen, die die ein ganz bestimmtes, wohl definiertes Aufgabenspektrum hat. Und die so aufgebaut ist, dass Verkrustungen gar nicht erst entstehen können, weil die Akteure wie bei der DARPA nach fünf Jahren wieder gehen.

 

"Zwei Projektträger arbeiten längst für die SPRIND.

Und ich habe nicht den Eindruck, dass Herr Laguna de la Vera diese Arbeit schlecht findet." 

 

Wenn es aber schon so schwierig war, im Zusammenspiel der Bundesministerien SPRIND auf die Spur zu setzen, wenn bis heute die rechtlichen Rahmenbedingungen bei SPRIND nicht stimmen, was macht Sie dann optimistisch, dass die Gründung der geplanten zweiten Bundesagentur gelingt, der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI)? Geschweige denn die Gründung einer Vielzahl weiterer Agenturen, wie sie etwa die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel einmal als Vision beschrieben hatte.

 

Harhoff: Agenturen sind keine Allzweckwaffen. Aber wir können mit ihnen den Spagat zwischen dem Disruptiven und dem Inkrementellen stemmen. Sie müssen aber, ich sagte es, immer eine wohl definierte Aufgabe haben. Die SPRIND war ein erster Versuch. Wir lernen seither viel dazu. Wir lernen, wo wir Freiräume geben können, wo wir sie geben müssen. Wir lernen gleichzeitig, dass die etablierten Organisationen intern starke Widerstände mobilisieren, weil sie in der Agentur eine Konkurrenz sehen. Nach dem Motto: Die wollen uns die Butter vom Brot nehmen.

 

Uckel: Wo denn? Ich sehe Projektträger, die längst für die SPRIND arbeiten. Zwei, um genau zu sein. Die Zusammenarbeit klappt also.

 

Harhoff: Projektträger, die das Ministerium ohne jede Einbindung der SPRIND-Leitung ausgewählt hat. 

 

Uckel: Fakt ist: Zwei Projektträger arbeiten für die SPRIND, nicht wir, deswegen darf ich das hier so sagen. Und ich habe nicht den Eindruck, dass Herr Laguna de la Vera diese Arbeit schlecht findet. 

 

Harhoff: Die beiden bei der SPRIND tätigen Projektträger arbeiten für die Ministerien als Controller und sie haben gar nichts mit strategischen Aufgaben und Förderentscheidungen der SPRIND zu tun. Als Vorzeigebeispiele für "Projektträger können Agentur" sind sie ungeeignet. Die Idee zu SPRIND ist vor über fünf Jahren entstanden, vor drei Jahren wurde die Agentur aufgesetzt und bis heute ist sie, wie jeder sehen kann, mit Geburtswehen belastet. Rafael Laguna hat mal gesagt: Die erste Sprunginnovation der Agentur für Spruninnovation ist die Agentur selbst. SPRIND hat insbesondere durch den Einsatz von Challenges schon einige neue Förderformate aufgesetzt, die so zum Beispiel von den Projektträgern nie gekommen sind. Sie hatten aber auch nach der DATI gefragt, Herr Wiarda. Ich halte es für wichtig, die Debatten um SPRIND und DATI nicht zu vermengen, das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge.

 

Inwiefern?

 

Harhoff: Die DATI ist in den Ampel-Koalitionsgesprächen aus der Verheiratung von zwei sehr unterschiedlichen Konzepten entstanden: der Deutschen Transfergemeinschaft und der D.Innova. Ich sehe diese Vermengung mit einer gewissen Skepsis. Denn zwingende Voraussetzung dafür, der DATI besondere Freiheiten zu geben, ist eine klar definierte Aufgabe, die eine bestehende inkrementell arbeitende Organisation nicht erfüllen kann. Daher sollte die Aufgabenbeschreibung der DATI präziser gefasst werden. Denn nur dann lassen sich die Kosten des Aufbaus einer solchen neuen Organisation rechtfertigen. Mein Eindruck ist, in der Hinsicht kann noch kräftig nachgebessert werden. 

 

"Ich sehe schon eine Existenzberechtigung für die DATI, aber es wird großer Anstrengungen bedürfen, ihre Aufgabenbeschreibung klarer zu formulieren."

 

Der DATI fehlt die Existenzberechtigung?

 

Harhoff: Ich sehe schon eine Existenzberechtigung, aber ich glaube, es wird großer Anstrengungen bedürfen, ad eins ihre Aufgabenbeschreibung klarer zu formulieren und ad zwei sie so aufzusetzen, dass sie mit hoher Effektivität arbeiten kann. Ich bin Optimist, da gibt es noch eine Chance. 

 

Uckel: In der Tat, wir dürfen die SPRIND nicht mit der DATI verwechseln. Vielleicht wird auch die DATI tatsächlich gebraucht. Wenn ich analytisch von außen auf die Wissenschaftslandschaft schaue und mich frage, wo welcher Bedarf ist, dann sehe ich: Die Fachhochschulen haben sich in den vergangenen Jahren massiv weiterentwickelt und benötigen eine stärkere Unterstützung beim Transfer ihrer Forschungsergebnisse. Wir fördern längst sehr viele Fachhochschulen als Partner in Verbünden auch mit der Industrie, von Flensburg bis Oberammergau, und das zu deren großer Zufriedenheit. Wir kennen die Bedürfnisse, und die Hochschulen kennen uns. Wenn das noch nicht reicht, muss man mehr tun. Die Kompetenz liegt bei uns. Wenn die Bundesregierung dennoch an eine eigene Agentur denkt, antworte ich flapsig: Dann richten wir der Bundesregierung gern eine DATI innerhalb des DLR Projektträgers ein. 

 

Womit wir wieder an der Stelle angekommen sind, an der Harhoff bezweifelt, dass große Organisationen die Arbeit von agilen Agenturen machen können oder sollten. Zum Schluss eine Frage zu den Folgen der sogenannten Zeitenwende: Wie verändert der russische Angriff auf die Ukraine die Debatte über die deutsche Innovationskrise?

 

Harhoff: Uns ist deutlich vor Augen geführt worden, wie abhängig wir als Land in vielen Bereichen sind, von der Energieversorgung bis hin zu den Schlüsseltechnologien. Wir haben uns darauf verlassen, dass das Welthandelssystem funktioniert, dass sich alle an die WTO-Regeln halten. Wir haben die Abhängigkeiten, die wir mit Russland oder China eingegangen sind, unterschätzt und sehen jetzt ein großes Klumpenrisiko in Technik und Wirtschaft. Die Frage ist nun: Wie positionieren wir uns? Vor allem gegenüber einer aufstrebenden Weltmacht wie China. Laden wir Forschende aus bestimmten Ländern noch in unsere Labore ein oder nicht? Unterstützen wir den Export in diese Länder weiter über staatliche Ausfuhrbürgschaften? Die Diskussionen dazu sind noch nicht abgeschlossen. Ich glaube, so wie die Welt sich verändert hat, müssen wir auch unsere Strategie verändern. Wir müssen stärker auf unsere Eigenständigkeit und die Auswahl unserer Partner achten. Wir müssen als europäische Nationen verstärkt die Zusammenarbeit untereinander und mit den USA suchen, auch und gerade in der grenzüberschreitenden Innovationsförderung und zwischen Agenturen wie SPRIND, DARPA, der britischen ARIA und anderen, die radikale Innovationen fördern. Also mehr Kooperation - die aber gezielter, verbunden mit einem noch stärkeren Fokus auf unsere technologische Souveränität.

 

Uckel: Das ist jetzt die Stelle, an der ich mein Heinrich-Heine-Erlebnis habe. An der ich um den Schlaf gebracht bin. Wir sind derart abhängig von internationalen Kooperationen, 90 Prozent des Wissens dieser Welt wird anderswo erzeugt, und das zunehmend in China und anderen Staaten, die nicht wie wir demokratisch verfasst sind. Wenn der Zufluss von Wissen für uns aber so elementar ist, wie können wir ihn erhalten und doch gleichzeitig unsere technologische Souveränität erringen? Das ist eine Herausforderung, bei der mir alle anderen Diskussionen über Agenturen, Projektträger, Ministerien und deren Rollenverteilung fast kleinbürgerlich vorkommen. 



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Kommentare: 7
  • #1

    Isabel Roessler (Donnerstag, 29 September 2022 10:12)

    Ein zweifellos spannendes Gespräch, aber es lässt meine Alarmglocken schrillen:
    1. wenn schon von großen Herausforderungen und notwendigen Innovationen gesprochen wird, dann frage ich mich, wie es sein kann, dass kein einziges Mal von Sozialen Innovationen gesprochen wird. Vermutlich, weil sie noch viel schwieriger umzusetzen und zu fördern sind, als technische Innovationen.
    2. Die DATI als reine Agentur für HAW/Fachhochschulen zu sehen, wäre fatal. Sie würde immer ein Manko tragen, wie dereinst das „Diplom (FH)“.

  • #2

    Innovator (Donnerstag, 29 September 2022)

    Die theoretische Argumentation von D. Harhoff ist überwiegend stichhaltig. Das Problem ist nur, daß er als führender Mitinitator von SPRIND und jetzt Mitglied des Aufsichtsrats dieser Agentur auch
    Mitverantwortung für die zahlreichen Unstimmigkeiten dort trägt. Wo ist die Strategie, wie SPRIND Mehrwert schaffen will? Wie wird "Sprunginnovation" überhaupt definiert? Warum herrscht keine Transparenz bei den Ausgaben von SPRIND? Warum
    fördert SPRIND auch inkrementelle Innovationen wie das erhöhte Windrad? Warum springt man auf Züge auf, die längst fahren und sogar kommerziell finanziert werden, wie z.B. Carbon Capture? Warum
    verdient Laguna mehr als der Bundeskanzler lt. SPRIND Corporate Governance Bericht 2020? Man könnte sagen: Harhoff stolpert hier über einen performativen Selbstwiderspruch zwischen Theorie und
    Praxis.

  • #3

    Jan-Martin Wiarda (Donnerstag, 29 September 2022 19:23)

    Hinweis zu dem Kommentar von "Innovator": Hier habe ich einen nicht zutreffenden Tatsachenvorwurf entfernt, mich aber trotzdem entschieden, den übrigen Kommentar zu veröffentlichen. Beste Grüße!

  • #4

    Jan-Martin Wiarda (Freitag, 30 September 2022)

    Lieber "Innovator", vielen Dank für Ihre erneute Nachricht, die Sie über den Kommentar-Kanal schicken. Bitte kontaktieren Sie mich zunächst per E-Mail.

    Beste Grüße Ihr J-M Wiarda

  • #5

    Norbert Esser (Freitag, 30 September 2022 11:43)

    Ich habe jahrlang im Auftrag des BMBF den Projektträger "Forschung an Fachhochschulen" bei der AiF geleitet. Den HAW kann ich nur raten, auf die Eigenständigkeit einer Agentur, die ihre Belange vertreten soll, zu achten. Das der PT "DLR" die Agentur gerne hätte, kann ich mir vorstellen. Aber sie sollte dort nicht hin. So wenig wie zur DFG.

  • #6

    Elmar Neitzert (Samstag, 01 Oktober 2022 14:32)

    Ich teile eine der Kernthesen von Klaus Uckel ... wir müssen das Regelwerk anpacken ... nicht die Organisationform !

  • #7

    Anthony R. Flambard (Mittwoch, 05 Oktober 2022 10:00)

    Ein sehr interessanter Artikel, der auch einige problematische Aspekte aufgreift.

    Ich bin der Meinung, dass Deutschland genauso handlungsfähig ist wie andere europäische Länder, denn Deutschland hat die Mittel dazu, wenn Politik und Gesellschaft es wollen. Die Ministerien sind nicht so träge, wie oft behauptet wird. Zusammen mit ihren Beratungsorganisationen kennen sie die technologischen Trends und Entwicklungen sehr genau. Und sie haben die Mittel, um schnell und effektiv zu handeln, entweder direkt oder über Strukturen wie die Projektträger.

    Ich möchte auch auf Folgendes hinweisen:

    PT-DLR:
    ca. 1500 Mitarbeiter; 2021 verantwortete der DLR Projektträger ein Fördervolumen von mehr als 2 Mrd. Euro.
    https://projekttraeger.dlr.de/de/ueber-uns/ueber-den-dlr-projekttraeger (abgerufen am 30.09.2022)

    PtJ:
    ca. 1500 Mitarbeiter; im Geschäftsjahr 2021 rund 2,52 Milliarden Euro Fördermittel umgesetzt.
    https://www.ptj.de/uber-uns/profil (abgerufen am 30.09.2022)

    Ich würde den PT-DLR daher nicht als den größten Projektträger Deutschlands bezeichnen sondern eher als einer der größten Projektträger in Deutschland!