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Wie laut müssen die Signale eigentlich sein?

Vom Klimawandel sprechen alle – und das ist richtig und gut so. Von der Bildungskatastrophe sprechen bis heute allerhöchstens die Experten – und das ist schlecht. Wann endlich gehen die Menschen für ein gerechteres Bildungssystem auf die Straße? Ein Gastkommentar von Markus Warnke.

Markus Warnke ist Jurist und seit Juni 2013 Geschäftsführer der privaten Wübben-Stiftung. Diese engagiert sich in der Förderung von sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern. 

Foto: Peter Gwiazda, Wübben Stiftung.

WIE LAUT MÜSSEN die Signale eigentlich sein, damit endlich etwas passiert? Die Ergebnisse des IQB-Ländervergleichs aus dieser Woche sind laut. Bundesweit zeigen sich Lernrückstände bei allen Viertklässlerinnen und Viertklässlern. So erreicht fast jedes dritte Kind im Kompetenzbereich Schreiben die Mindeststandards nicht. 2016 traf das noch auf jedes vierte bis fünfte Kind zu. Zu beachten ist, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien stärker von signifikanten Kompetenzeinbußen betroffen sind, während die Kompetenzen von Kindern aus sozial privilegierteren Familien weitgehend unverändert geblieben sind. Die soziale Schere öffnet sich also weiter.  Aber werden diese Warnhinweise gehört? 

 

Es ist alles noch einmal dramatischer, aber alles auch seit Jahren bekannt. Die  Berliner Schulentwicklungsforscherin Felicitas Thiel hat in einem Interview in der FAZ vom 19. August die Dramatik im Bildungsbereich mit den Befunden zum Klimawandel verglichen, "denn Kinder, die Mindeststandards nicht erreichen, werden über die gesamte Bildungskette erhebliche Schwierigkeiten beim Lernen haben."

 

Warum gehen die Menschen nicht auf

die Straße und protestieren?

 

Vom Klimawandel sprechen alle – und das ist richtig und gut so. Von der Bildungskatastrophe sprechen bis heute allerhöchstens die Expertinnen und Experten – und das ist schlecht. Warum ist die Allgemeinheit nicht aufgerüttelt, protestiert, geht auf die Straße? Erstaunlich, denn unüberhörbare Signale gibt es reichlich: PISA-Schock, die Auswertungen der VERA-Lernstanderhebungen, nationale und internationale Vergleichsstudien. Seit Jahren arrangieren wir uns mit diesen Attesten des Versagens. Expertinnen und Experten raten den Schulen zur Sabotage, nur dann gäbe es Veränderungen. Offenbar halten sie Politik und Verwaltung für unflexibel und resistent gegen notwendige Entwicklungen.

 

"Signal kommt!" Wer an der Ampel steht und als Fußgängerin oder Fußgänger endlich über die Straße möchte, kennt den Hinweis. Man drückt und wartet. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung war und ist voll von Signalen. Das Startchancen-Programm für 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler war ein überraschendes, ein positives Signal für mehr Chancengerechtigkeit durch bessere Bildung. Seit der Ankündigung hat die Öffentlichkeit allerdings wenig bis gar nichts gehört. Wann schaltet die Ampel endlich auf "Gehen"? Für den Haushalt 2023 hat das Bundesbildungsministerium kein Geld für dieses Programm eingeplant. Damit kann das Programm frühestens 2024 starten. Als ob wir uns auch nur einen Tag des Wartens erlauben können.

 

Politik reagiert auf Lautstärke. Denn Lautstärke erzeugt öffentliche Aufmerksamkeit. Ein Beispiel an einer anderen Stelle mit erstaunlichen Parallelen: Bei der Deutschen Bahn sind über 40 Prozent aller Züge unpünktlich. Das Streckennetz muss wegen verschlissener Bahnwege und veralteter Technik saniert werden. Nicht funktionierende Klimaanlagen und Toiletten in den Zügen, fehlendes Personal. Die Liste ist lang. Keine Effizienz, zu bürokratisch, ein massiver Sanierungsstau. So ist die Bildung – ach Entschuldigung, natürlich die Bahn – so ist Deutschland nicht zukunftsfähig. Und das Warten und die Unzufriedenheit der Passagierinnen und Passagiere aus der zweiten und der ersten Klasse führen dazu, dass der Bund endlich viel Geld in die Hand nehmen wird, um in den nächsten Jahren, Schritt für Schritt, die Bahn wieder attraktiv zu machen. Die Bundesregierung hat eine Generalsanierung, ein Hochleistungsnetz angekündigt und als Ziel das Jahr 2030 ausgegeben. 

 

Der Bund muss Impulse 

geben – und Geld

 

Was für ein ambitioniertes, was für ein richtiges Signal. Die tagtäglich gut sieben Millionen Bahnkundinnen und Bahnkunden lassen sich den Zustand nicht mehr gefallen. Niemand würde auf die Idee kommen, diese riesige Sanierungsaufgabe in die Hand von 16 Bundesländern zu legen, die unabgestimmt, jedes auf seine Weise, die Modernisierung der Bahn angeht. Die Zukunftsaufgabe Bildung haben wir jedoch genauso organisiert. 

 

Noch ein Signal steckt im Koalitionsvertrag: ein Kooperationsangebot. Es wird Zeit, das Bund und Ländern dieses ernst nehmen. Die Vielstaaterei ist offensichtlich nicht die Lösung für mehr Bildungsgerechtigkeit. Zentralismus ebenso wenig. Der Bund ist wahrscheinlich nicht der bessere Organisator der Schulen. Aber vielleicht kann er Impulse geben, die wirksamer sind als die unzähligen Abstimmungsversuche über die Kultusministerkonferenz.

 

Es ist also an der Zeit, das Kooperationsangebot ernst zu nehmen und an einem Strang zu ziehen. Das Startchancen-Programm könnte auch deswegen ein richtiges Angebot des Bundes sein. Es müsste aber schleunig umgesetzt werden und es muss mit ausreichenden Mitteln hinterlegt werden, und schließlich braucht es dann eine Erwiderung in den Ländern. Damit am Ende nicht wieder die Leisen bzw. die Nicht-Gehörten in der Gesellschaft an der Ampel warten müssen. Ohne dass etwas passiert.


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