In Bildung, Jugendpolitik und Wissenschaft fügen sich viele oft ins Unvermeidliche. Der Erfolg der Proteste gegen Kürzungen beim DAAD zeigt: Intelligente Gegenwehr lohnt. Die nächsten Gelegenheiten kommen.
Erfolgreicher Hilferuf: So twitterte der DAAD am 8. Juli über die drohenden Sparmaßnahmen (Screenshot).
WER IN DEN SOZIALEN MEDIEN nach dem Hashtag "#IGotFundedbyDAAD" sucht, der findet hunderte persönlicher Geschichten. Von Menschen aus aller Welt, die erzählen, wie ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ihr Leben verändert hat.
Als Erstakademikerin aus dem globalen Süden hätte sie es sich ohne den DAAD niemals leisten können, für ihre Doktorarbeit nach Deutschland zu kommen, versichert eine junge Wissenschaftlerin aus Südostasien auf Twitter. Ein Mitarbeiter der Universität zu Köln schreibt, ohne die Unterstützung hätte er weder an der Sorbonne studiert noch in Kenia oder in Thailand gelehrt, "mein Leben im Hochschulmanagement hätte nie stattgefunden."
Und eine Professorin erinnert sich an einen "aufregenden Moment vor elf Jahren", als ein kleiner Grant vom DAAD es ihr erlaubt habe, ein Seminar mit Studierenden in Tunis zu organisieren. Darüber, wie man eine bessere Zukunft baut. "Die Realität hat hart zugeschlagen, aber der Spirit ist geblieben."
Protestbriefe an Annalena Baerbock
Der Hashtag war nur eine Reaktion, als im Sommer bekannt wurde, dass dem DAAD und seiner Schwesterorganisation, der Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH) massive Einsparungen in zweistelliger Millionenhöhe drohte.
Ein offener Protestbrief an Annalena Baerbock (Grüne), deren Außenministerium für die Grundfinanzierung von DAAD und AvH zuständig ist, fand innerhalb weniger Tage tausende Unterzeichner und Unterzeichnerinnen, alle 242 DAAD-Mitgliedshochschulen und 104 Mitgliedsstudierendenschaften protestierten ebenfalls schriftlich.
Befeuert wurden die Aktionen durch Pressemitteilungen aus den Organisationen selbst. Darin warnte etwa der DAAD: Wenn die Kürzungen tatsächlich kämen, müssten unter anderem 50 Prozent aller langfristigen Studien- und Promotionsstipendien für ausländische Studierende, Doktoranden und Wissenschaftler wegfallen. Was bei einigen Regierungsmitarbeitern hinter vorgehaltener Hand die Frage auslöste, wie das bei Sparmaßnahmen im Umfang von sechs bis neun Prozent des bisherigen Budgets eigentlich sein könne.
Richtig ist auch: Nicht allen in den Führungsetagen von DAAD und AvH war wohl dabei, die Politik, und damit den eigenen Hauptgeldgeber, so plakativ und öffentlich an den Pranger zu stellen. Doch die Organisationen, allen voran der DAAD, haben gepokert, die international vernetzte Wissenschaftscommunity hat gekämpft, und gemeinsam haben sie gewonnen.
Erst forderte der Grünen-Parteitag Baerbock auf, die Kürzungen zurückzunehmen, dann beschloss der Bundestags-Haushaltsausschuss vergangene Woche, sogar mehr als das zu tun. Das Ergebnis: DAAD und AvH erhalten nächstes Jahr zusammen 278 Millionen Euro Grundfinanzierung, 21 Millionen Euro mehr als im bisherigen Rekordjahr 2021.
Lektionen eines unerwarteten Erfolges
Die Lektion dieses so bemerkenswerten wie unerwarteten Erfolges sollte alle in Bildung, Jugendpolitik und Wissenschaft aufhorchen lassen. Anstatt sich in Zeiten knapper Kassen wie so oft in das scheinbar Unvermeidliche zu fügen, kann man Gegenwehr organisieren.
Nicht nach dem Motto: je brachialer und konfrontativer, desto besser. Sondern, passend zu Gegenstand und Szene, intelligent, empathisch und argumentativ zwingend. Damit kann die Politik, das konnte man seit dem Sommer sehen, schlecht umgehen. Und das ist gut so.
Die nächsten Gelegenheiten kommen. Wie etwa passt es zu dem dramatischen Rückgang bei den schulischen, vor allem sprachlichen Grundkompetenzen, wenn der Bund bald das bewährte Sprachkitas-Programm streicht und dann darauf gehofft werden muss, dass die Länder stattdessen liefern? Wie können wir als Gesellschaft akzeptieren, wenn Jugendsozialarbeiter, Schulpsychologen und Therapeuten en masse fehlen?
Und: Was bedeutet es für die Qualität der Forschung und für die Bildungschancen der nächsten Studierendengeneration, wenn die Inflation bei zehn Prozent liegt, die staatlichen Zuschüsse aber maximal um drei oder vier Prozent steigen – oder je nach Bundesland sogar fallen?
Ganz sicher darf man sich dabei nicht gegen das vermeintliche Primat des Sozialpolitischen ausspielen lassen. Kein Energie-Hilfspaket, kein Grundeinkommen und keine Rentenerhöhung rechtfertigen Einsparungen bei Bildung und Wissenschaft oder machen diese gar alternativlos. Im Gegenteil: Bildung und Forschung sind, ausreichend finanziert, der Nährboden, auf dem der Wohlstand erst wachsen muss, bevor man ihn verteilen kann. Manche der Verantwortlichen scheinen genau diese Abfolge noch nicht kapiert zu haben.
Dieser Beitrag erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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