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Weniger Studierende in Deutschland

Zum ersten Mal seit 2007 studieren weniger junge Menschen in Deutschland als im Vorjahr. Die Zahl der Studienanfänger steigt dagegen leicht.

DIE ZAHL DER STUDIERENDEN in Deutschland geht zum ersten Mal seit anderthalb Jahrzehnten zurück. Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch berichtete, waren im Wintersemester 2022/23 laut den Schnellmeldungen der Statistischen Landesämter 2,915 Millionen Menschen an Deutschlands Hochschulen immatrikuliert, 30.400 (1,0 Prozent) weniger als ein Jahr zuvor. Zuletzt hatte die Wiesbadener Behörde im Wintersemester 2007/2008 bundesweit sinkende Einschreibezahlen vermeldet. 

 

Wirklich überraschend kommt die Trendwende für die Statistiker nicht, denn die Studienanfängerzahlen sanken bereits seit 2018. Es war absehbar, dass diese Entwicklung irgendwann auf die Gesamtzahl der Einschreibungen durchschlagen würde, die vergangenes Wintersemester bereits stagniert hatte.

 

Allerdings stiegen Erstsemesterzahlen ausgerechnet dieses Jahr wieder leicht um 0,4 Prozent auf 474.100, wie das Statistische Bundesamt ebenfalls am Mittwoch mitteilte. Als mögliche Gründe nannte die Behörde unter anderem eine erhöhte Neigung zum Studieren und die nach dem Pandemie-Einbruch wieder gewachsene Zahl ausländischer Studierender, die zum Studium nach Deutschland kommen.

 

Die sogenannten Schnellmeldungen der Statistischen Landesämter, auf denen die Bundesstatistik beruht, sind vorläufig, liegen erfahrungsgemäß aber schon erstaunlich nah am späteren Endergebnis.

 

Durch die widersprüchliche Entwicklung von Anfänger- und Gesamtzahlen wird die Kapazitätsplanung für viele Hochschulen derweil noch komplexer. Insgesamt melden elf Bundesländer einen Rückgang der Gesamtzahlen, davon bis auf Bayern (+0,7 Prozent auf 406.950) und Bremen (+2,9 Prozent auf 38.478) alle westlichen Länder. Im Osten der Republik berichten demgegenüber drei Bundesländer teilweise kräftig steigende Gesamtzahlen: Sachsen-Anhalt (+6,5 Prozent auf 58.3477), Thüringen (+8,1 Prozent auf 135.030) und Sachsen (+0,2 Prozent auf 106.125).

 

Die Studienanfängerzahlen sanken in neun Bundesländern, in sieben stiegen sie dagegen teilweise kräftig. Ein Minus um maximal ein Prozent meldeten Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, das Saarland und Sachsen. In Sachsen-Anhalt (-3,6 Prozent) war der Rückgang etwas stärker, besonders kräftig war er mit -15,8 Prozent in Thüringen. 

 

In Bayern stiegen die Neueinschreibungen dagegen um 4,4 Prozent auf 76.183, in Baden-Württemberg um 2,3 Prozent auf 66.406, in Berlin um 4,1 Prozent auf 36.169, in Niedersachsen um 2,6 Prozent auf 30.205, in Bremen um 8,8 Prozent auf 6.394, in Brandenburg um 11,0 Prozent auf 8.807. Und in Schleswig-Holstein gar um 13,2 Prozent auf 11.762. 

 

Über die Fächerbeliebtheit bei den Erstsemestern kann das Statistische Bundesamt noch nicht viel sagen, bislang lägen nur Informationen für vier ausgewählte technisch orientierte Studienbereiche vor. Demzufolge nahmen bundesweit 41.100 junge Menschen ein Studium im Studienbereich Informatik auf,  2,6 Prozent mehr als 2021. 23 200 Studierende schrieben sich neu in Maschinenbau/Verfahrenstechnik ein, ein Plus um 1,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In Elektrotechnik und Informationstechnik stiegen die Anfängerzahlen um 1,9 Prozent auf 13.300. Bauingenieurwesen wollten mit 10.400 Erstsemestern 3,8 Prozent weniger Erstsemester studieren als 2021.

 

Was bedeutet das nun für die kommenden Jahre? Die vorliegenden Zahlen sind zu widersprüchlich und noch zu unvollständig, um hier eine klare Aussage zu treffen. Allerdings lohnt hierzu auch der Blick auf die Studienbewerber. In Berlin, wo die Zahl der eingeschriebenen Studierenden dieses Wintersemester um 5.400 unter die 200.000er Marke fiel, hatte die SPD-Abgeordnete Ina Czyborra diesbezüglich eine parlamentarische Anfrage gestellt. Die Senatsverwaltung für Wissenschaft sprach in ihre Antwort vergangene Woche von einem "fast ausnahmslosen Rückgang" der Studienplatz-Bewerbungen im Vergleich zum Vorjahr.

 

Besonders stark fällt in Berlin

die Zahl der Bewerber fürs Lehramt

 

Dieser erstrecke sich "über alle Hochschultypen mit Ausnahme der Kunsthochschulen, alle Abschlussarten und Studienbereiche", berichtete der Berliner Senat weiter. Mit 50 bis 70 Prozent besonders stark sei das Minus in den universitären Bachelor-Programmen und von den Studienfächern her in den Geisteswissenschaften, der Mathematik/den Naturwissenschaften, den Sportwissenschaften und – nochmal verstärkt– in den lehramtsbezogenen Studiengängen. An der Freien Universität (FU) Berlin zum Beispiel bewarben sich 88 Prozent weniger junge Menschen um eine Mathematikstudium mit Lehramtsoption als im Vorjahr. Ein erschreckendes Ergebnis angesichts des bereits herrschenden Lehrermangels.

 

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Peter-André Alt, hob indes hervor, dass die Hochschulen "trotz ungünstiger Rahmenbedingungen" die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger gehalten. "Dies bedeutet eine beachtliche Leistung angesichts der rückläufigen demografischen Entwicklung, der Nachwirkungen der Corona-Pandemie und der allgemeinen Verunsicherung aufgrund der ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine." 

 

Der leichte Rückgang bei den Gesamt-Studierenenzhalen könne damit erklärt werden, dass viele aufgrund der Corona-Pandemie aufgeschobene Abschlussprüfungen nunmehr nachgeholt würden und dadurch überproportional mehr Studierende ihr Studium abschlössen als begönnen. "Insgesamt zeigen die Zahlen, dass ein Hochschulstudium für die jungen Menschen nach wie vor eine wichtige und attraktive Qualifizierung darstellt." Die deutschen Hochschulen  den weiteren demografischen und wirtschaftlichen Herausforderungen stellen.

 

Dieser Artikel wurde am 30. November um 9 Uhr aktualisiert.


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