Heute ist Bettina Stark-Watzinger seit einem Jahr Bundesministerin für Bildung und Forschung. Sie gilt als klug und hat bereits einige Ampel-Versprechen eingelöst. Doch jetzt muss sie Prioritäten setzen, Konflikte eingehen und bei all dem die eigenen Mitarbeiter mitnehmen.
Foto: BMBF/Hans-Joachim Rickel.
AM TAG VOR ihrem Amtsjubiläum schaffte Bettina Stark-Watzinger es mal wieder in die BILD-Zeitung. Mit dem plakativen Vorschlag, besonders engagierten Lehrern eine Leistungsprämie zu zahlen. Der Haken: Für die Ausführung wären die Länder zuständig, nicht die Bundesbildungsministerin.
Womit das Problem der 54 Jahre alten FDP-Politikerin umrissen ist: Sie gilt als klug, sie kann gut reden, und in der Wissenschaftsszene hat die frühere Geschäftsführerin eines Forschungsinstituts den Ruf einer Fachfrau. Trotzdem rangiert sie in den Ministerrankings, die nach einem Jahr Ampel florieren, auf den hinteren Plätzen. Laut Spiegel ist sie sogar die Ressortchefin, mit der die wenigsten Deutschen – fünf Prozent – zufrieden sind.
Eigentlich erstaunlich, denn als SPD, Grüne und FDP am 8. Dezember 2021 an den Start gingen, ernannten sie sich selbst wahlweise zur "Chancen"- oder "Fortschrittskoalition". Womit genau die zwei Themen, für die Stark-Watzingers Ministerium zuständig ist, in den Fokus rückten: Bildung und Forschung. Viele Milliarden zusätzlich wollte die Ampel investieren: in die Schulen, in die Digitalisierung, in eine neue Innovations-Agentur, in die Grundfinanzierung der Hochschulen und eine große Reform der Ausbildungsförderung.
Bemerkenswerte Erfolge bei
Exzellenzstrategie und Zukunftsvertrag
Tatsächlich hat Ministerin sogar einige der Ampel-Versprechungen bereits umgesetzt. Sie hat die Bafög-Sätze massiv angehoben, zusammen mit den Ländern die sogenannte Exzellenzstrategie zur Förderung der Spitzenforschung aufgestockt und den Hochschulen über den "Zukunftsvertrag Studium und Lehre" dauerhaft mehr Geld verschafft. Und all das vor dem Hintergrund der Zeitenwende, die in anderen Ressorts große Teile des Koalitionsvertrages nach einem Vierteljahr Makulatur werden ließ – bemerkenswert.
Dennoch blieben bei vielen Beobachtern eher die Abstriche hängen, die Stark-Watzinger als Zugeständnis an die finanzpolitische Lage machen musste – und der Eindruck, dass sie ausgerechnet bei ihrem Parteifreund Christian Lindner nicht noch mehr hatte herausschlagen können. Wieviel ist zum Beispiel noch eine Erhöhung der Bafög-Bedarfssätze um 5,75 Prozent wert, wenn die Inflation bei zehn Prozent liegt? Fällt das im Koalitionsvertrag enthaltene Digitalprogramm für die Hochschulen wirklich dem Rotstift zum Opfer? Und: Warum profitieren außeruniversitäre Forschungseinrichtungen vom Energie-Härtefallfonds, Hochschulen aber nicht?
Es ist ja richtig: Eine Priorisierung der vielen Themen und Projekte im 21-Milliarden-Haushalt des Ministeriums wird immer unausweichlicher– womit zwangsläufig die Aussage verbunden ist, was künftig nicht mehr im bisherigen Umfang finanziert wird. Doch Stark-Watzinger erlitt bereits ein Medienfiasko, als das BMBF im Sommer niedrige zweistellige Millionenbeträge in den Geistes- und Sozialwissenschaften kürzen wollte. Es fehlten die Entscheidungsfreude, die Bereitschaft zu Konflikten und die erkennbare übergeordnete Strategie dahinter, genau wie deren transparente Kommunikation, kritisierten BMBF-Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand. Hochschulrektoren und Landesminister äußerten sich mitunter ähnlich ratlos bei der Frage, wo genau Bettina Stark-Watzinger hinwill.
So muss ausgerechnet sie, Vorsitzende der hessischen FDP, im Wahljahr 2023 beantworten, wie es mit der seit fast 20 Jahren in Planung und Bau befindlichen internationalen Beschleunigeranlage FAIR in Darmstadt weitergeht, bei der Deutschland vor Russland der Hauptpartner ist. Bei den Herstellungskosten folgt eine Explosion nach der anderen. Sie werden inzwischen auf über vier Milliarden Euro geschätzt, während der Betriebsstart immer weiter nach hinten rutscht. Von den technologischen Folgen eines Ausstiegs der Russen ganz zu schweigen. Die laufenden Betriebsausgaben werden in jedem Fall bei mehreren hundert Millionen Euro pro Jahr liegen – wenn nicht die Reißleine gezogen wird.
Nebenbei muss Stark-Watzinger dringend Konsequenzen ziehen aus einem ministeriumseigenen Bericht zur Reisekostenpraxis bei der Fraunhofer-Gesellschaft und ihrem umstrittenen Präsidenten Reimund Neugebauer.
Der Geldmangel verbindet sich
mit konzeptionellen Leerstellen
Währenddessen verbinden sich auch bei der geplanten Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI), einem zentralen Projekt in dieser Legislaturperiode, der Geldmangel mit konzeptionellen Leerstellen. Sie soll nicht nur dabei helfen, dass aus wissenschaftlichen Erkenntnissen schneller neuartige Produkte oder soziale Projektideen entstehen, sie soll ganze Regionen innovationsfreudiger machen und bei all dem vor allem die Hochschulen für angewandte Wissenschaften fördern. Ziemlich viele Erwartungen zurückgehend auf ziemlich unterschiedliche Vorstellungen der Ampel-Partner. Und bislang so wenig Klarheit, wie das sinnvoll zusammengeht, dass der Bundestags-Haushaltsausschuss sogar von den wenigen für die DATI eingestellten Millionen vorerst die meisten gesperrt hatte.
Viele Ministerialbeamte im BMBF wünschen sich, die neue Chefetage würde nicht nur bei diesem Thema ihr eigenes Haus besser nutzen, die vorhandene Sachkenntnis vor allem. Doch noch prallen im Ministerium die Kulturen aufeinander: hier die vielen hundert langjährigen Beamten, die 16 Jahre unter CDU-Ministerinnen gearbeitet haben. Dort eine FDP, die, was Usus ist, wichtige Positionen mit ihren Leuten neu besetzt hat. Denen aber, so scheint es, neben der inhaltlichen Erfahrung an vielen Stellen bislang die Verbindung zur Arbeitsebene fehlt.
Vergangene Woche erst gab es Ärger, als die Ablösung zweier altgedienter Abteilungsleiter verkündet wurde. Einer der Nachfolger ist zurzeit stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion in Hessen – der Landesverband, dem Stark-Watzinger vorsteht. Woraufhin die Gleichstellungsbeauftragte eine Protestmail schrieb und das gesamte Haus cc setzte: Sie sei an der Entscheidung, wieder zwei Männer zu berufen, nicht wie gesetzlich vorgesehen beteiligt gewesen. Und drohte im Wiederholungsfall mit rechtlichen Schritten.
Während der Großteil ihrer Zuständigkeiten und Budgets im Bereich der Forschung liegt, wird über Stark-Watzingers Bilanz als Ministerin die Bildung entscheiden. Das versprochene "Startchancen"-Programm soll die Bildungsbenachteiligung bei der Wurzel packen, indem tausende Schulen in sozial benachteiligten Gegenden eine Extra-Förderung erhalten: sanierte Gebäude, eine bessere Ausstattung, mehr Sozialarbeiter. Doch mittlerweile spricht das BMBF von 2024 als Startpunkt – und keiner weiß, wieviel Geld dafür noch da ist. So könnten die "Startchancen" zum Symbol eines neuen Bildungsföderalismus werden – oder zum Inbegriff gescheiterter Ampel-Ambitionen.
Dieser Artikel erschien heute in gekürzter Fassung auch im Tagesspiegel.
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