Immer mehr Kinder können am Ende der Grundschule nicht richtig lesen, schreiben oder rechnen. Liegt es am Unterricht? Auch, sagt die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz – und macht grundlegende Reformvorschläge. Ein Gespräch mit den Bildungswissenschaftlern Felicitas Thiel und Michael Becker-Mrotzek.
Foto: Mummelgrummel, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.
Frau Thiel, Herr Becker-Mrotzek, früher galt die Grundschule als Ort, an dem die Bildungswelt noch halbwegs in Ordnung schien – gerade im Vergleich zu den Problemen in der Sekundarstufe. Tatsächlich aber entwickelten sich die Schülerleistungen auch dort seit vielen Jahren nach unten, und beim jüngsten IQB-Bildungstrend sind die Viertklässler geradezu abgestürzt. Was ist passiert?
Felicitas Thiel: Richtig ist, dass die Grundschule vor ein, zwei Jahrzehnten noch recht erfolgreich darin schien, den Kindern grundlegende Kompetenzen zu vermitteln. Doch die Schülerschaft hat sich verändert. Sie ist nochmal viel heterogener geworden. Wenn 20 Prozent der Erstklässler kein oder nur wenig Deutsch zu Hause sprechen, muss das System Schule reagieren. Und das ist ihm nicht ausreichend gelungen.
Michael Becker-Mrotzek: Etwas Zweites kommt hinzu. Die Grundschule hat sich zwar als erstes an grundlegende pädagogische Reformen gewagt und das Lernen und die Kinder stärker in den Mittelpunkt gestellt. Damit ist dann aber leider auch genau der Fokus auf jene basalen Fähigkeiten verloren gegangen, die die Grundlage für alles weitere Lernen bilden.
Felicitas Thiel ist Erziehungswissenschaftlerin und Professorin für Schulpädagogik und Schulentwicklungsforschung an der FU Berlin. Seit 2021 ist sie die Ko-Vorsitzende der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK).
Foto: privat.
Das Argument mit der so viel heterogeneren Schülerschaft wundert mich. Als die Grundschule in den Neunziger- und Nullerjahren für ihre Qualität gerühmt wurde, war Deutschland längst eine Einwanderungsgesellschaft.
Thiel: Der Anteil von Kindern mit einer Muttersprache, die nicht deutsch ist, hat sich aber weiter erhöht seitdem, und zwar deutlich. Wobei ich eines ganz klar sagen will, damit kein falscher Eindruck entsteht: Es ist nicht der Migrationsstatus an sich, es ist die soziale Benachteiligung, die sich damit verknüpft. Sie führt dazu, dass die Kinder nicht genügend Anregungen erhalten, dass es zu Hause häufig an Unterstützung beim Lernen fehlt. Mit dem Ergebnis, dass auch die Methoden, mit denen früher der Unterricht gestaltet wurde, nicht mehr so einfach funktionieren. Das ist nicht die Schuld der Kinder, es ist die Aufgabe der Gesellschaft und der Schulen, sich auf sie einzustellen.
Becker-Mrotzek: Im Übrigen bezweifle ich, dass es benachteiligten Schülerinnen und Schülern an den Grundschulen früher besser ging. Wir hatten nur nicht dieselben Möglichkeiten zur Datenerhebung wie heute. Die angeblich bessere Wirklichkeit vor dem Jahr 2000 war vor allem eine gefühlte Wirklichkeit.
Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK)der Kultusministerkonferenz listet in ihrem heute veröffentlichen Gutachten eine Vielzahl an Vorschlägen auf, was ihres Erachtens jetzt passieren müsste. Ich zähle mal einige auf: ein stärkerer Fokus auf der Vermittlung basaler Kompetenzen, also flüssig lesen, schreiben, rechnen können. Zu diesem Zweck mehr expliziten Deutsch- und Matheunterricht, außerdem die Entwicklung und der Einsatz neuer unterrichtsdiagnostischer Instrumente, eine Stärkung der Schulleitungen, eine Reform der Lehrerbildung und bei alldem eine stärkere Forschungsbasierung. Das klingt für mich wie eine Liste alter Bekannter.
Thiel: Ehrlich gesagt halte ich es für kein Qualitätskriterium, ob etwas neu ist. Unsere Botschaft ist: Zu wenig von dem, was wir aus der Forschung wissen, wurde umgesetzt.
Michael Becker-Mrotzek ist Germanist und Hochschullehrer an der Universität zu Köln. 2012 wurde er Direktor des Mercator-Instituts für
Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Seit 2021 ist der Fachdidaktiker Mitglied der SWK.
Foto: Mercator-Institut/Annette Etges.
Aber verursachen Sie mit so einer Liste das Dringlichkeitsempfinden, das Sie offenbar bei der Politik erreichen wollen?
Thiel: Wir sagen sehr deutlich, dass sich die Prozesse im Unterricht grundsätzlich ändern müssen. Lehrkräfte können sich nicht einfach auf ihre Intuition verlassen, sondern müssen feststellen, wo ein Kind steht und welchen Unterstützungsbedarf es hat. Dann muss die passende Unterstützung erfolgen und es muss laufend überprüft werden, ob das Lernziel erreicht wird. Inzwischen gibt es für den Deutsch- und Matheunterricht geprüfte diagnosebasierte Materialien, die allerdings noch viel zu wenig genutzt werden. Wir sehen nach wie vor eine starke Zurückhaltung an den Schulen, moderne Diagnostikinstrumente einzusetzen oder auch Formen datenbasierter Unterrichtsentwicklung. Allen muss klar sein: Wir werden das Qualitätsproblem der Grundschulen nicht beseitigen, wenn wir nicht die Prozesse im Unterricht verändern. Das mag jetzt nicht besonders spektakulär klingen, aber wir werden es als SWK so lange wiederholen, bis es ankommt.
Becker-Mrotzek: Neu an dem, was wir sagen, ist die Konsequenz, die sich aus dem Fokus auf basale Fähigkeiten ergibt. Die Grundschulen müssen beim nötigen Aufbruch priorisieren, und wir unterstützen sie dabei, indem wir unsere Forderungen nicht einfach alle gleichwertig nebeneinandergestellt haben. Stattdessen sagen wir: Es gibt Maßnahmen, die könnt ihr sofort umsetzen, um die Struktur des Unterrichts zu verbessern. Und es gibt andere Dinge, die brauchen einen längeren Vorlauf, zum Beispiel eine datenbasierte Schulentwicklung.
Bedeutet die Priorisierung zugunsten basaler Kompetenzen, die Sie ansprechen, nicht auch, dass andere Inhalte, musisch-künstlerische etwa, künftig zurückstehen sollen? Obwohl viele Lehrer und Eltern gerade diese für besonders wichtig für die Persönlichkeitsbildung halten?
Becker-Mrotzek: Eine solche Benachteiligung würde voraussetzen, dass wir die Stärkung von Mathematik und Deutsch nur durch eine massive Verlagerung der Stundentafel hinbekämen. Das ist aber nicht der Fall. In den meisten Bundesländern werden Mathe und Deutsch zurzeit in den Stundentafeln mit Sachunterricht zusammengefasst. Wir fordern, dass sie künftig überall extra ausgewiesen werden. Im Umfang von, auf vier Grundschuljahre gerechnet, 20 Wochenstunden Mathematik und 24 Wochenstunden Deutsch. Das ist faktisch weniger, als manche Bundesländer heute bereits anbieten.
"Ich halte überhaupt nichts von dem Versuch,
die Bildung von Grundkompetenzen in Deutsch oder Mathe in einen Widerspruch zur Persönlichkeitsbildung in den anderen Fächern zu bringen."
Wo aber wäre dann der Unterschied?
Becker-Mrotzek: Der Unterschied wäre, dass im Schulalltag regelmäßig ein Fokus auf die basalen Kompetenzen gelegt würde. Hamburg macht es vor: 20 bis 30 Minuten Leseförderung jeden Tag, etwa die gleiche Zeit Mathematik, dazu regelmäßiges Schreiben üben und Trainieren auch des verstehenden Lesens. Für Anderes bliebe trotzdem genug Zeit, insofern kann ich den Konflikt, den Sie beschreiben, nicht sehen. Im Gegenteil: Eine solche Unterrichtspraxis würde erst die Voraussetzungen schaffen, damit sich alle Kinder wirklich kreativ und erfolgreich mit den unterschiedlichsten Lerninhalten auseinandersetzen könnten. Weil sie dann ausreichend gut lesen und auch selbst aufschreiben könnten, was sie bewegt.
Thiel: Mit unserem Vorschlag von 20 Wochenstunden Mathe und 24 Wochenstunden Deutsch sind wir wirklich moderat! Entscheidend ist, dass in der Zeit dann auch etwas passiert. Ich will aber noch etwas zum Thema Persönlichkeitsbildung sagen. Was ist denn das Ziel von Schule? Dass junge Menschen in die Lage versetzt werden, abstrakte Symbole zu gebrauchen, dass sie über die Dinge, die sie tun, reflektieren können. Das ist der Unterschied zum alltäglichen Lernen. Aber das ist auch die Grundlage für erfolgreichen Sport- oder Musikunterricht, dass Schülerinnen und Schüler über das Gelernte nachdenken und nachvollziehen können, was es bedeutet. Darum halte ich überhaupt nichts von dem Versuch, die Bildung von Grundkompetenzen in Deutsch oder Mathe in einen Widerspruch zur Persönlichkeitsbildung in den anderen Fächern zu bringen. Diesen Widerspruch gibt es nicht. Außerdem haben wir den sozial-emotionalen Kompetenzen ein eigenes, umfängliches Kapitel in unserem Gutachten gewidmet.
Bei aller Bedeutung veränderter Unterrichtsstrukturen und basaler Fertigkeiten: Hängt die Qualität der Grundschule nicht von einer anderen Frage noch viel stärker ab: der Versorgung mit Lehrkräften? Mit anderen Worten: Ist nicht der dramatische Lehrermangel der eigentliche Qualitätskiller, verbunden mit einer vielerorts unzureichenden Ausstattung der Schulen? Zumal der Mangel ausgerechnet da am größten ist, wo der Anteil der benachteiligten Schüler besonders hoch liegt.
Becker-Mrotzek: Natürlich stellt der Mangel an Lehrkräften ein großes Problem dar. Allerdings bedeutet das nicht, dass im Unterricht nicht die wirksamen Methoden genutzt werden. Denn egal welche Ausstattung eine Schule hat, bleibt das Bemühen um die bestmögliche Unterrichtsqualität doch die gleiche. Aber Sie haben Recht, dass die soziale Schieflage bei der Verteilung von Lehrkräften und Ressourcen so nicht hinzunehmen ist. Immerhin sind viele Bundesländer endlich dabei, ihre Schulen verstärkt anhand von Sozialindizes zu finanzieren. Diese Entwicklung gilt es zu verstärken, vor allem um der sozialen Segregation in den großstädtischen Ballungsräumen entgegenzuwirken. Aber aus all dem darf nicht folgen, dass wir die Debatte über die Unterrichtsqualität vernachlässigen.
"Genau das wollten wir vermeiden! Dass wir in einem Gutachten wieder nur über den Lehrermangel reden und darüber andere wichtige Themen hinten runterfallen."
Thiel: Und genau das wollten wir vermeiden! Dass wir in einem Gutachten wieder nur über den Lehrermangel reden und darüber andere wichtige Themen hinten runterfallen. Wir könnten auch mit den Folgen von Lehrermangel und ungleicher Ausstattung besser umgehen, wenn der Unterricht so gestaltet würde, wie wir das empfehlen. Wenn der Unterricht stärker materialbasiert erfolgt, können auch Vertretungs- und Assistenzlehrkräfte Aufgaben unter der Regie einer ausgebildeten Lehrkraft übernehmen. Wir sollten uns auch nicht der Illusion hingeben, dass wir in ein paar Jahren wieder genug Lehrkräfte haben werden. Die Zahl der Studierenden ist an deutschen Universitäten allein im vergangenen Jahr um 30.000 zurück gegangen. Das betrifft auch die Lehramtsstudiengänge.
Wie, würden Sie sich wünschen, sollten die Bildungspolitik und die Schulen jetzt reagieren? Und, Teil zwei der Frage: Glauben Sie, Ihr Wunsch geht in Erfüllung?
Becker-Mrotzek: Wir wünschen und erwarten, dass in jedem Bundesland auf Kabinettsebene ein Konsens darüber hergestellt wird, dass die Vermittlung basaler Kompetenzen in der Grundschule die Voraussetzung für so ziemlich alles ist, erfolgreiche Bildungskarrieren, wirtschaftlichen Erfolg, Wohlstand. Dieser Konsens muss weit über die Bildungsministerien hinausreichen und umfassen, dass die Länder die Lehrkräfteversorgung, die Ausstattung der Schulen und alle notwendigen begleitenden Maßnahmen zur absoluten Priorität machen. Ich glaube aber auch, und damit komme ich zum zweiten Teil Ihrer Frage, die Politik reagiert längst.
Wirklich?
Becker-Mrotzek: Sie haben am Anfang die jüngsten Ergebnisse des IQB-Bildungstrends angesprochen. Diese wurden anders als die Runden zuvor wirklich quer durch die Republik als Alarmsignal verstanden. Endlich wurde erkannt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Fehlen basaler Kompetenzen bei den Schulabgängern und dem Umstand, dass viele von ihnen keinen Ausbildungsplatz bekommen, obwohl genügend Lehrstellen da sind. Die Politik hat seit der Veröffentlichung des Bildungstrends gespannt auf unser Gutachten gewartet, schon im Vorfeld wurden wir von vielen Bildungsministern zu Gesprächen und zur Beratung in ihr Bundesland eingeladen. Als wir unsere Empfehlungen in der Kultusministerkonferenz vorgestellt haben, war die Reaktion durchweg positiv nach dem Motto: Ihr benennt die Kernprobleme, ihr zeigt uns aber auch realistische Szenarien auf, wie wir sie angehen können.
Thiel: Wir erwarten, dass Materialien und diagnostische Instrumente flächendeckend bereitgestellt werden. Sie sind bereits entwickelt, man kann sie relativ schnell einsetzen. Dazu muss man auch die Fortbildung verstärken. Wir sehen aber nicht nur die Politik in der Pflicht. Wir brauchen auch die Lehrerverbände. Sie sollten sich sehr viel stärker mit der Idee eines daten- und diagnostikbasierten Unterrichts auseinandersetzen und für sie werben. Die Veränderung der Prozesse geht nicht ohne die Vertreter einer Profession, die zu Recht Handlungsspielraum und professionelle Autonomie für sich beansprucht. Und auch die Universitäten müssen sich bewegen. Sie müssen die Lehrkräftebildung noch stärker ausrichten auf die für die Förderung basaler Kompetenzen relevanten fachdidaktischen, entwicklungs- und lernpsychologischen Inhalte. Dafür müssen wir auch noch einmal ran an die Standards für die Lehrkräftebildung, die sind zu unkonkret für den Bereich der Grundschule. Und um sie in Richtung einer veränderten Unterrichtsstruktur nachzuschärfen, brauchen wir die Fachverbände. Das kann durchaus zu Konflikten führen.
"Wir neigen in Deutschland dazu,
100 Jahre alte reformpädagogische Konzepte zu konservieren und sie in möglichst orthodoxer Form
in den Unterricht zu integrieren."
Also doch!
Thiel: Ja, zu Konflikten zwischen den unterschiedlichen Strömungen der Erziehungswissenschaft. Aber diese Auseinandersetzung müssen wir jetzt führen. Wir neigen in Deutschland dazu, 100 Jahre alte reformpädagogische Konzepte zu konservieren, sie in möglichst orthodoxer Form in den Unterricht zu integrieren und darüber zu ignorieren, welche neuen Erkenntnisse die Psychologie in den vergangenen Jahrzehnten gebracht hat. Das müssen wir thematisieren, und das wird unvermeidbar Kontroversen auslösen.
Becker-Mrotzek: Aber wir haben ja längst Belege, dass ein Unterricht, der konsequent auf Daten basiert und weiterentwickelt wird, funktioniert. Hamburg hat seine Politik schon vor 20 Jahren in diese Richtung umgestellt, die entsprechenden Strukturen und auch Beratungsinstitute für die Schulen aufgebaut. Und während es früher in den Schulleistungsstudien lange Schlusslicht war, auf Augenhöhe mit den anderen Stadtstaaten Bremen und Berlin, ist Hamburg inzwischen ins Mittelfeld aufgerückt. Das ist bemerkenswert und hat dazu geführt, dass Kultusminister aus allen Bundesländern sagen, sie wollen von Hamburg und seinem Schulsenator Ties Rabe lernen, wie sie diesen Neuanfang auch hinbekommen können. Das macht mich optimistisch.
Und ist auch ein Beleg, dass an der Idee des Wettbewerbsföderalismus im besten Fall doch was dran ist.
Thiel: Man stelle sich mal vor, die ganze Republik würde zentralistisch nach dem Modell der Länder funktionieren, die bei den bundesdeutschen Bildungsstudien die Schlusslichter bilden. Da würden wir uns den Föderalismus auch ganz schnell zurückwünschen. Aber das, was Hamburg an Veränderung geschafft hat, geht nicht ohne Konflikte. Und wir können von der Politik erwarten, dass sie für den nötigen Strategiewechsel diese Konflikte aushält – mit all den unterschiedlichen Anspruchsgruppen in der Schule und drumherum..
Noch eine Frage zur Priorisierung, die Ihnen ja sehr wichtig ist. Priorisiert die SWK eigentlich selbst richtig? Wäre nicht vor einem Gutachten zur Grundschule erst einmal eines zur frühkindlichen Bildung dran gewesen? Denn schon dort, da sind sich die meisten Bildungsexperten einig, werden die Grundlagen für erfolgreiche Bildungskarrieren gelegt – oder für das spätere Scheitern.
Thiel: Wir haben uns zu den Kitas, ihrer Bedeutung und den sich daraus ergebenden Konsequenzen sehr ausführlich geäußert, Sie können das als Gutachten im Gutachten lesen, da ist alles drin, von der Gestaltung der Bildungsprozesse bis zur Steuerung. Kein Kapitel ist länger, und keines enthält mehr Empfehlungen.
Becker-Mrotzek: Und das vor dem Hintergrund, dass wir als Ständige wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz nur begrenzt für die Kitas zuständig sind.
"Nur wenn das gesamte System Verantwortung übernimmt, wird sich die Lage bessern."
Thiel: Vor allem aber wollten wir mit der Kita nicht bis zum nächsten Gutachten im nächsten mit der Politik verabredeten Arbeitsprogramm warten, dafür war uns die Kita, und zwar aus den von Ihnen genannten Gründen zu wichtig.
Was ist Ihre wichtigste Empfehlung zur Zukunft der frühkindlichen Bildung?
Becker-Mrotzek: Mehr Verbindlichkeit. Es muss eine frühe Diagnose des Sprachstands der Kinder erfolgen und wenn die sprachlichen Kompetenzen nicht ausreichen, um später den Übergang in die Grundschule erfolgreich zu bewältigen, muss bereits deutlich vorher eine verpflichtende Sprachförderung greifen. Nur wenn das gesamte System Verantwortung übernimmt, wird sich die Lage bessern.
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Karl Schmidt (Freitag, 09 Dezember 2022 10:52)
im Großraum Bonn/NRW: wenig Wertschätzung und vollkommen unzureichende Priorisierung der Bildungsrechte der Kinder und Sozialraums Grundschule in der Kommunal- und Landespolitik , nach-pandemischer "Distanzunterricht" als Win-Win-Lose Situation für Politik-Schulamt-Kinder/Familien, keine Reserven bei der Ausstattung mit Lehrpersonal, Überfrachtung der Schule mit nicht-lehrbezogenen Aufgaben, seit Jahren marode Gebäude und Schul-Infrastruktur, keine Ressourcen/Ausbildung der Schule/Lehrer für Elternarbeit, steigender Eigenanteil der Eltern bei der Anschaffung von Lernmitteln, teure und qualitativ unzureichende Ganztagsbetreuung, schlechte und teure Verpflegung in der Ganztagsbetreuung, keine verbilligten Schülertickets für Grundschüler,...
T. (Freitag, 09 Dezember 2022 16:34)
Die Grundschulkinder von heute sind die Schulabsolventen, Lehrlinge und Studierenden von morgen. Bald also werden wir feststellen, dass die Probleme immer grösser werden: Die Kompetenzdefizite setzen sich in der Bildungsbiographie fort. Wir sind ein rohstoffarmes Land. Es ist nicht weniger als unsere Zukunft, die wir gerade vergeigen. Dass unsere Kinder uns so wenig Wert sind, wird sich bitter rächen.
Esther Delatrée (Samstag, 10 Dezember 2022 11:14)
Warum ist dabei egal, dass wir mit vielen unausgebildeten Kräften arbeiten, die niedrigsten Gehälter und höchsten Pflichtstunden, am meisten mit Inklusion zu tun haben, die Ressourcen aber minimal, dass kleine Kollegien mit vielen Teilzeitkräften trotzdem ein Schulleben, Organisation und Entwicklung hinkriegen müssen? Die Hilfskräfte anleiten? Unbezahlte Mehrarbeit leisten? Vertretung nur holen, wenn zuerst die Klassen ausreichend aufgeteilt wurden (=Betreuung)? Wir in den Klassen mittlerweile viele Kinder mit psychischen Auffälligkeiten haben und man enorm kämpft, um überhaupt Unterrichtbarkeit herzustellen? Warum muss man derart auf GS-LehrerInnen herumhacken, anstatt tatsächlich gesellschaftliche Schlüsse zu ziehen? So macht man es sich leicht. Zu leicht. Meine (private) Sicht der Dinge.
Ich bin Hanna (Samstag, 10 Dezember 2022 19:29)
Vielleicht sollte man auch einmal die Lehramtsausbildung auf bessere Füße stellen: Als WiMi im Lehramt Deutsch mit hohem Lehrdeputat und befristeten Vertrag beschäftigt sowie (durchs WissZVG und eine kurzsichtige Personalpolitik der Uni) mit Karrierestoppschild vor der Nase und einem Verdienst, der geringer ist als das Einstiegsgehalt meiner Studierenden in der Schule, sind die Beschäftigungsbedingungen suboptimal.
Die mangelhafte Ausstattung der Schulen kann man ebenfalls nicht wegdiskutieren. Letzte Woche erst Studierende in der Praxisphase besucht: In der sechsten Klasse sitzen große Kinder auf klapprigen, viel zu kleinen Stühlen und erledigen gebuckelt an zu niedrigen Tischen ihre Aufgaben. Das Smartboard mit Wackelkontakt, sogar iPads hat die Schule, aber niemand kann sie warten, daher werden sie nicht benutzt.
Die Schule ist unterbesetzt, die Lehrkräfte sind erschöpft und haben kaum Zeit für eine gute Vorbereitung bzw. sinnvolle Lernstandserhebungen.
Erst die Basisbedürfnisse abdecken, dann die Kür! Zuerst die politisch verantwortete Finanzierung, bevor die Lehrkräfte/Uniausbildung mal wieder mit tollen Konzepten neu aufgestellt werden soll.