Ein deutsches Kernfusionskraftwerk in zehn Jahren? Nach dem US-Forschungserfolg fliegen die Hoffnungen mal wieder hoch. Doch die schnelle Erlösung wird die Technik nicht liefern.
US-FORSCHER der National Ignition Facility (NIF) melden einen Fortschritt bei der Fusionsforschung: Erstmals hat ein Fusionsrektor mehr Energie erzeugt, als vorher in ihn hineingesteckt worden ist. Die darauf einsetzende Erregung ("Durchbruch!") erstaunt dann aber doch.
Seit 70 Jahren werden Milliarden und Abermilliarden in die Technik investiert, auch in Deutschland, fast jeder erfreuliche Fortschritt wird zum Durchbruch erklärt. Und regelmäßig ist dann die Rede davon, dass es nur noch ein paar Jahre oder Jahrzehnte dauere, bis die Kernfusion den Energiemarkt revolutioniert. Was eines Tages tatsächlich der Fall sein könnte, aber der Weg ist – auch nach Dienstag – noch weit.
Abgesehen der vielen immer noch zu klärenden Forschungsfragen und technologischen Hürden: Wenn eine Bundesforschungsministerin im Heute Journal das erste deutsche Fusionskraftwerk in "zehn Jahren" oder "etwas" mehr für realistisch hält, dann sollte man zum Erhalt der Bodenhaftung nicht nur auf die Bau- und Montagezeit der Fusions-Experimentieranlage Wendelstein 7-X hinweisen (neun Jahre, ohne die vorangehende Entwicklung). Sondern auch auf das reale Handling von Forschungsgroßprojekten unter deutscher Beteiligung wie der seit 20 Jahren (!) in Planung und Bau befindlichen Beschleunigeranlage FAIR.
Das heißt nicht, dass sich im Falle der Fusionsforschung die hohen Ausgaben nicht lohnen. Freilich gehören sie effizient eingesetzt. Doch selbst wenn es nochmal 70 Jahre dauert, selbst wenn ihr Erfolg keineswegs ausgemacht ist, allein die Perspektive einer unerschöpflichen Energiequelle, die wenig kostet und nicht die Langzeitrisiken der Atomenergie birgt, ist gewaltig.
Der Grund für die gegenwärtige Euphorie scheint allerdings weniger wissenschaftlich als politisch motiviert zu sein: Inmitten einer beispiellosen Energiekrise hoffen wir alle ein wenig auf schnelle Erlösung. Die aber kann die Kernfusion nicht liefern.
Dieser Kommentar erschien heute in einer gekürzten Fassung zuerst in meinem kostenfreien Newsletter.
Kommentar schreiben
Django (Mittwoch, 14 Dezember 2022 12:35)
In den heute-Nachrichten kam am Ende des Beitrags eine freundliche Wissenschaftlerin zu Wort, die den ganzen Jubel mal ein bisschen relativiert hat.
Vor allem hat keiner gesagt, dass das eigentliche Problem ist, hier und heute unseren Energieverbrauch drastisch zu reduzieren. Wenn wir das nicht hinkriegen, nützt uns die kommerzielle Energieerzeugung mit Fusionstechnologie in 70 Jahren nüscht.