Ein Fonds, der über den Krisenwinter hinausreicht: Wie die Universität Kassel auf die Inflation reagiert.
Ute Clement ist Berufs- und Wirtschaftspädagogik und seit Oktober 2021 Präsidentin der Universität Kassel. Foto: privat.
Frau Clement, Sie nehmen allen Fachbereichen Ihrer Universität zehn Prozent der Rücklagen weg. Warum machen Sie das?
So würden wir das hier nie tun. Wir haben in Rücksprache mit den Dekanaten und mit Unterstützung von Universitätssenat und Hochschulrat beschlossen, dass wir einen Energiefonds bilden. Und für diesen Energiefonds ziehen wir auf allen Ebenen der Universität zehn Prozent der Rücklagen ein: von den Fachbereichen, den zentralen Einrichtungen, der Zentralverwaltung und auch dem Präsidium.
Um was damit zu tun?
Wir reden angesichts der aktuellen Kostensteigerungen für Energie häufig nur davon, wie wir als Hochschulen durch die nächsten Monate kommen. Ich finde aber, das ist zu kurz gedacht. Was ist denn mit dem nächsten Winter? Was ist mit der anstehenden Tarifrunde im Herbst, bei der wir wegen der Inflation mit sechs bis acht Prozent höheren Personalkosten rechnen müssen, Minimum? Und wie gehen wir um mit den explodierenden Preisen bei Sanierung und Neubau? Die Hochschulen stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand, und zwar auf längere Sicht, darum müssen wir auch weitsichtig planen – und das ermöglicht uns der Fonds.
Wie das?
Indem wir einen Teil des Fonds ausgeben, um die Mehrkosten für Strom und Gas zu finanzieren, und einen anderen, um in die Energieeffizienz unserer Gebäude und in den Ausbau erneuerbarer Energien zu investieren. Das passt zu uns. Ich weiß, dass an vielen Hochschulen zum Beispiel immer noch die Frage kontrovers diskutiert wird, ob sich Solaranlagen wegen der langen Abschreibungsdauer überhaupt für öffentliche Einrichtungen lohnen. Unser Modell scheint mir da über unsere eigene Universität hinaus potenziell von Interesse.
Dürfen Sie den Fachbereichen einfach so die Rücklagen wegnehmen?
Theoretisch ja, denn die Hochschulleitung kann Mittel zuweisen und abziehen, insofern der Senat der Budgetplanung zustimmt. Allerdings wäre ich dann wahrscheinlich nicht mehr lange im Amt – auch deshalb war es mir sehr wichtig, ein großes Einvernehmen mit Dekanaten, Senat und Hochschulrat zu erzielen. Bei der Verwendung der Gelder wird das genauso sein: Theoretisch könnte das Präsidium allein über sie entscheiden, aber wir werden selbstverständlich alle Beschlüsse zur Verwendung des Fonds transparent machen. Erfreulicherweise investieren wir als Uni mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit seit Jahren systematisch in Energieeffizienz und können nun unsere Prioritätenliste weiter abarbeiten.
Von welchem Betrag reden wir eigentlich?
Die Rücklagen auf allen Ebenen der Universität belaufen sich auf rund 60 Millionen Euro. Das hört sich viel an, aber nur bis man sich klarmacht, dass unsere 320 Professuren zur Absicherung und Verlängerung von Arbeitsverträgen stets Mittel vorhalten, für anfallende Investitionen und Reparaturen vorsorgen und dass darin auch Berufungszusagen und Rücklagen etwa für den Bauunterhalt enthalten sind. Für den Fonds ziehen wir davon sechs Millionen Euro ein.
"Wir können uns auch nicht einfach nur hinstellen
und sagen: Alles geht den Bach runter, die Politik muss ran, und wir selbst tun gar nichts."
Sehr viel ist das nicht angesichts der von Ihnen beschriebenen Preissteigerungen an allen Enden.
Keiner behauptet, dass wir als Universität die Kostenexplosion allein stemmen können. Aber wir können uns auch nicht einfach nur hinstellen und sagen: Alles geht den Bach runter, die Politik muss ran, und wir selbst tun gar nichts. Das entspricht nicht meiner Grundhaltung, und ich bin froh, dass die Universitätsgremien sie teilen.
Trotzdem: Erledigen Sie damit nicht die Arbeit der Landesregierung? Sie sparen in vorauseilendem Gehorsam, anstatt zu sagen: Politik, so geht das nicht!
Das stimmt nicht. Als Konferenz der Hessischen Universitätspräsidien (KHU) haben wir gerade erst die Politik aufgefordert, die vier Prozent jährlichen Aufwuchs im laufenden Hessischen Hochschulpakt auf neun Prozent ab 2026 zu erhöhen. Denn die vier Prozent, so toll die sind, sind längst verfrühstückt zum Beispiel durch die Inflation. Und natürlich sind wir im Gespräch mit Wissenschaftsministerin Angela Dorn. Die übrigens bereits reagiert hat. Die Hochschulen erhalten jetzt deutlich mehr Geld aus dem Investitionsprogramm für Energieeffizienz. Und für Hochschulen, die durch die Energiekosten in akute Finanznot geraten, gibt es ebenfalls ein eigenes Programm. Aber das reicht absehbar nicht. Und vor allem hilft uns das nicht über diesen Winter hinaus, weshalb wir uns fragen müssen, wie lange das gut gehen kann.
Ja, wie lange kann das so gehen?
Die Wahrheit ist: Es kommen finanziell wirklich harte Zeiten auf uns zu, und zwar auf längere Sicht. Die Kostensteigerungen bei Energie, Bau oder Personalkosten trifft bei uns in Kassel auf demografiebedingt sinkende Studierendenzahlen. Ich will aber nicht, dass wir die Landesregierung immer nur und immer mehr um Geld angehen müssen, ich will, dass wir selbst die Zukunft gestalten. Aber ja: Das ist eine Gratwanderung.
Auch wenn Sie sich für Ihre Initiative die Rückendeckung von Hochschulrat, Senat und Dekanaten geholt haben: Was, wenn die Fachbereiche auf die Barrikaden gehen?
Wir haben den Fonds als solidarische Anstrengung gemeinsam beschlossen. Unser Personalbudget bleibt unangetastet; ebenso die Zuweisung an die Fachbereiche. Und so sehe ich bei den Kolleg:innen viel Unterstützung. Natürlich gibt es ein paar Schlaumeier, die schnell noch versuchen, ihr Geld von A nach B zu schieben. Aber bei den meisten ist es doch so, dass sie eine ehrliche und aufrichtige Kommunikation schätzen und wissen: Hier machen wir unsere Universität nachhaltig.
Kommentar schreiben
Aus der Ferne betrachtet (Mittwoch, 21 Dezember 2022 20:20)
Das scheint wohl eine gute Strategie zu sein, in rauen Zeiten die Dinge in der Hand zu behalten, so gut es eben geht.
Man möchte der Uni Kassel die Daumen drücken.